LG Passau, Endurteil vom 29.11.2019 - 4 O 118/19
Fundstelle
openJur 2020, 72060
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Streitwert wird auf 19.429,90 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger erwarb unter dem 24.10.2016 bei der Firma einen Pkw B180 CDI, Erstzulassung 12.12.2014, Laufleistung zum Kaufzeitpunkt 19.900 km. Der Kaufpreis betrug 20.500,00 €.

Hersteller des Fahrzeugs ist die Beklagte. Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor OM 607 verbaut.

Der Kläger behauptet, beim streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut gewesen. Dies sei auch vom KBA festgestellt worden. Das KBA habe angeordnet, dass eine Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware vorgenommen werden solle, damit die niedrigeren NOx Werte nicht nur unter den auf den Prüfstand herrschenden Bedingungen sondern auch im realen Farbfahrbetrieb erreicht werden könnten. Die Abgasreinigung erfolge beim streitgegenständlichen Fahrzeug nur im sogenannten "Thermofenster".

Die für den streitgegenständlichen Modelltyp erteilte Typengenehmigung sei rechtswidrig und hätte nicht erteilt werden dürfen. Das Fahrzeug sei außerhalb der Typengenehmigung in Verkehr gebracht worden. Auch mit einem Softwareupdate könne dieser Mangel nicht geheilt werden. Der Einbau der illegalen Motorsteuerung Software in einer Vielzahl von Fahrzeugen Stelle eine sittenwidrige Handlung dar. Die Beklagte habe den Kläger vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt in dem sie das streitgegenständliche Fahrzeug in Verkehr gebracht und die gesetzeswidrige Software Programmierung verschwiegen habe.

Der Kläger beantragte zuletzt,

I. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke B 180 CDI mit der Fahrgestellnummer ...33 an die Klagepartei 19.429,90 € nebst Zinsen

a) in Höhe von 4% aus 20.500 € vom 24.10.2016 bis 03.08.2018 sowie

b) in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 19.429,90 € seit dem 04.08.2018 zu bezahlen.

II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer I) in Annahmeverzug befindet.

III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.07.2018 zu erstatten.

Die Beklagten beantragen

Klageabweisung.

Die Beklagte behauptet, im streitgegenständlichen Fahrzeug werde keine Programmierung, insbesondere keine "Motorsteuerungssoftware" oder "unzulässige Abschalteinrichtung" verwendet, die -manipulativso gestaltet worden wäre, dass auf der Straße unter "normalen Betriebsbedingungen" ein anderes Emissionsverhalten des Emissionskontrollsystems angestrebt werde als auf dem Prüfstand. Auch verfüge das Fahrzeug nicht über eine "Motorsteuerungssoftware, die den Ausstoß von Stickoxid unter den Bedingungen des Prüfstandbetriebs optimiere". Das Fahrzeug sei nicht vom Diesel-Abgasskandal betroffen. Es gebe keinen behördlichen Rückruf. Die EG-Typgenehmigung sei uneingeschränkt wirksam. Es entspreche auch den Vorgaben der Euro-5-Norm. Das von der Beklagten angebotene, aber nicht verbindliche, Softwareupdate biete auch älteren Fahrzeugen die Möglichkeit, dass NOx-Emissionsverhalten aufzubessern. Die Maßnahmen reflektierten aus neuen Erkenntnissen aus der Entwicklung neuerer Motorenfamilien und erfolgten freiwillig.

Das Gericht hat am 23.10.2019 mündlich verhandelt und dabei den Kläger angehört. Zu seinen Ausführungen wird auf die Protokollniederschrift vom 23.10.2019 Bezug genommen.

Darüber hinaus wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze, insbesondere vom 16.01.2019, 17.04.2019, 17.06.2019, 16.10.2019, 05.11.2019 sowie das mündliche Vorbringen im Termin.

Gründe

1. Die Klage ist unbegründet.

a) Sämtliche Ansprüche, die der Kläger erhebt, leitet er aus einem Makel des streitgegenständlichen Fahrzeugs ab, der spätestens in dem Zeitpunkt vorlag, als das streitgegenständliche Fahrzeug die Produktions straße verlassen hat und allerspätestens in dem Moment, in dem das Fahrzeug durch einen Erstkäufer zum Verkehr zugelassen worden ist, die Nachteile und Schäden auswies, die der Kläger nunmehr geltend macht. Der Kläger hat diese Nachteile und behaupteten Schäden lediglich zu einem Zeitpunkt, nachdem er das Fahrzeug erworben hat, entdeckt. Entstanden ist ein Anspruch, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden kann. Dies war für die hier streitgegenständlichen Schäden und Nachteile der Zeitpunkt, in dem das Fahrzeug aus der Sphäre der Beklagten herausgetreten ist und im allgemeinen Verkehr zugelassen wurde, also in der Person des Erstkäufers. Mit dem Erwerb durch den Beklagten ist dieser Schadensersatzanspruch nicht untergegangen (vgl. BGH NJW 2018, S. 1463, Rz. 29, dort S. 2). Mit dem Weiterverkauf des Fahrzeugs an den Kläger ist der behauptete Schaden auch nicht neu entstanden, vielmehr wurde er lediglich perpetuiert. Zu einem gesetzlichen Anspruchsübergang führt der Fahrzeugverkauf nicht. Damit ist der Kläger, da eine Abtretung nicht vorliegt, hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche nicht aktivlegitimiert.

b) Der Kläger hat - außer pauschalen Behauptungen - schon einen Mangel nicht substantiiert darstellen können. Allein schon die Behauptung, das Fahrzeug sei von einer behördlichen Rückrufaktion betroffen, hatte er weder dargelegt, noch hierfür entsprechende Nachweise vorlegen können. Die Abgaswerte der typenzugelassenen Fahrzeuge der Beklagten werden in einem Testszenario erhoben, das der Kläger nicht dargestellt hat. Aber allein daraus, dass die strengen Abgaswerte nur in der Testsituation einzuhalten sind, ergibt sich, dass sie im tatsächlichen Verkehr in Einzelfällen überschritten werden können - die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Abweichungen stellt der Kläger im übrigen ebenfalls weder qualitativ noch quantitativ dar. Wenn in dieser Situation vom Fahrzeughersteller die Grenzen des Zulässigen ausgereizt werden, so ist hierin noch kein Mangel ersichtlich.

c) Es kann daher dahingestellt bleiben, dass auch die einzelnen Ansprüche aus folgenden Gründen nicht bestehen: 1) § 826 BGB:

(1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, dass nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzu treten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2017, S. 250 ff., Rdnr. 16).

(2) Der für eine Haftung nach § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement, so dass der Handelnde die Schädigung gekannt, vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben muss - Erkennbarkeit alleine genügt nicht (BGH aaO, Rdnr. 25). Diese billigende Inkaufnahme einer Schädigung setzt korrespondierende Kenntnisse der handelnden natürlichen Person voraus und kann nicht losgelöst von dieser beurteilt werden. Im Fall der Organhaftung muss daher das handelnde Organ die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht haben (BGH aaO Rdnr. 26 und 27).

(3) Zudem müssen Sittenwidrigkeit und Schädigungsvorsatz des handelnden Organs getrennt festgestellt werden (BGH, aaO, Rdnr. 12).

(4) Sämtliche oben aufgeführten Umstände liegen in der Darstellungslast des Klägers (vergl. OLG München, Beschluss vom 25.07.2017, 13 U 566/17, OLG Braunschweig, Urteil vom 19.2.2019, 7 U 134/17).

(5) Organkenntnis ist nicht dargelegt.

Vortrag zum konkreten Schädigungsvorsatz der Kunden fehlt. Dieser Vorsatz muss sich nicht nur auf die Schädigungshandlung, sondern auch auf den Schadenseintritt beziehen. Zum Schädigungsvorsatz gehört, dass im Falle der Aufdeckung in Kauf genommen wird, dass eine technische Nachrüstung in welcher Form und mit welchem wirtschaftlichen Aufwand auch immer für unmöglich gehalten wird und deshalb die Zulassung dauerhaft entzogen wird.

(6) Im Übrigen lässt sich das Verhalten der Verantwortlichen der Beklagten nach seinem Gesamtcharakter nicht als sittenwidrig einstufen. Die Abgaswerte der typenzugelassenen Fahrzeuge der Beklagten werden in einem Testszenario erhoben, das der Kläger nicht dargestellt hat. Aber allein daraus, dass die strengen Abgaswerte nur in der Testsituation einzuhalten sind, ergibt sich, dass sie im tatsächlichen Verkehr in Einzelfällen überschritten werden können - die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Abweichungen stellt der Kläger im übrigen ebenfalls weder qualitativ noch quantitativ dar. Wenn in dieser Situation vom Fahrzeughersteller die Grenzen des Zulässigen ausgereizt oder auch überschritten werden, so führt dies nicht zu einer Bewertung des Gesamtcharakters als sittenwidriges Vorgehen.

(7) Dahingestellt bleiben kann, ob es beim Gebrauchtwagenkauf am Pflichtwidrigkeitszusammenhang fehlt (OLG München, Beschluss vom 29.01.2019, 32 U 2720/18), weil der Hersteller durch Verkäufe im Gebrauchtwagenmarkt keinen zusätzlichen Vorteil hat.

2) Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB

(1) Die Haftung setzt voraus, dass aufgrund einer Täuschung eine Vermögensverfügung des Getäuschten erfolgt, die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwertes seines Vermögens führt. Dieses Prinzip der Gesamtsaldierung ist ständige Rechtsprechung des BGH (BGH, NJW 2016, S. 3543, Rdnr. 33).

Die Bewertung des Vermögens und des Vermögensschadens erfolgt nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten. § 263 StGB schützt weder das Affektionsinteresse, noch die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit, noch die Wahrheit im Geschäftsverkehr, sondern allein das Vermögen, so dass Leistung und Gegenleistung zunächst nach ihrem Verkehrs- und Marktwert zu vergleichen sind und auf dieser Basis zu beurteilen ist, ob es zu einem Wertgefälle gekommen ist (BGH aaO, Rdnr. 35).

(2) Bei Herstellung und Vertrieb zunächst minderwertiger weil mangelhafter Produkte (hierzu zum streitgegenständlichen Produkt: BGH NJW 2019, 1133) kann es zu diesem Wertgefälle grundsätzlich nicht kommen. Klammert man die Problematik Täuschung und darauf folgender Vermögensverfügung aus, sondern bewertet allein unter dem Gesichtspunkt des Entstehens eines möglichen Vermögensschadens das zwischen dem Kläger und dem Verkäufer abgeschlossene Kaufgeschäft, so behauptet zwar der Kläger, ein mangelhaftes Fahrzeug erworben zu haben, gleichwohl hat er zeitgleich mit dem Erwerb den Nacherfüllungsanspruch nach § 439 Abs. 1 BGB erworben. Dieser Nacherfüllungsanspruch gleicht im gleichen Rechtsakt, nämlich dem Vertragsschluss, das durch die Lieferung des mangelhaften Fahrzeugs gegenüber dem bezahlten Kaufpreis entstandene Wertgefälle sofort und vollständig wieder aus, so dass ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB nicht entstehen kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Gewährleistungsansprüche gegenüber der Firma STCars nicht werthaltig waren, sind nicht ansatzweise vorgetragen.

3) §§ 823 II BGB iVm 6, 27 EG-FGV Unstreitig ist, dass das streitgegenständliche Fahrzeug eine EG-Typengenehmigung hat, die nicht widerrufen wurde. Diese Entscheidung der Genehmigungsbehörde hat für die Zivilgerichte Tatbestandswirkung (BGH NJ 2008, S. 124).

Im Übrigen sind die Vorschriften der EG-FGV nicht drittschützend (OLG München, Beschluss vom 22.02.2018, 27 U 2827/17), da sie keine für die als Pkw-Käufer auftretenden Individualpersonen schützende Funktion haben.

2. Kosten: § 91 ZPO.

3. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.

4. Streitwert: § 3 ZPO.

Verkündet am 29.11.2019

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