SG Kassel, Urteil vom 15.02.2012 - S 4 U 221/05
Fundstelle
openJur 2020, 70747
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall über den 31.3.2004 hinaus nach einem höheren Wert als 20 vH sowie die Feststellung, dass die Instabilität der rechten Schulter eine Folge des Arbeitsunfalls vom 20.12.2002 ist.

Die Klägerin, geboren 1949, erlitt am 20.12.2002 einen Arbeitsunfall. Auf dem Weg zum Abschließen der landwirtschaftlichen Gebäude stolperte sie und fiel auf den rechten Arm. In der Ambulanz der Orthopädischen Klinik in Hessisch Lichtenau wurde die Diagnose einer Ellenbogenluxation rechts, Radiusköpfchenfraktur rechts und eine Rippenprellung rechts gestellt. Noch am Unfalltag erfolgte die Reposition des luxierten Ellenbogengelenkes in Narkose. Am 21.1.2003 wurden operativ die Arthrotomie des rechten Ellenbogengelenkes und eine Radiusköpfchenresektion vorgenommen. Es bestand weiterhin ein Oberarmgips. Am 17.3.2003 erfolgte die Mobilisierung der rechten Schulter, des rechten Ellenbogengelenks und des rechten Handgelenkes in Narkose. Seit 30.9.2003 war die Klägerin wieder arbeitsfähig.

Als Vorerkrankungen der Klägerin sind Reizzustände der Schultergelenke in den Jahren 1991, 1992 und 1996 bekannt. In den Jahren nach dem Arbeitsunfall erlitt sie am 1.5.2006 sowie später häufiger, jedenfalls am 13.2.2007, am 13.10.2007 sowie im Februar 2008 Luxationen der rechten Schulter.

Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. C. unter dem 25.2.2004 ein orthopädisch-traumatologisches Gutachten. Als Unfallfolge stellte er fest:

- Verlust des Speichenköpfchen rechts,

- umformende Veränderungen im rechten Ellenbogengelenk mit beugeseitigen und streckseitigen Ossifikationen,

- endgradige Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogengelenks beim Beugen und Strecken,

- geringe Kapselbandschwäche des rechten Ellenbogens,

- diffuse Mineralsalzminderung der rechten Hand,

- leichtgradige Schädigung des rechten Nervus ulnaris mit einer funktionell unbedeutenden Kribbelmissempfindung im Kleinfinger und im Handballen in sowie am ulnaren Unterarm rechts.

Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte der Gutachter mit 20 vH für die Zeit vom 30.9.2003 bis 31.3.2004 und anschließend mit 10 vH ein. Dr. D. erstellte unter dem 27.2.2004 ein neurologisches Gutachten und diagnostizierte auf seinem Fachgebiet eine leichtgradige Schädigung des rechten Nervus ulnaris. Eine messbare MdE bedinge dies jedoch nicht.

Mit Bescheid vom 20.4.2004 erkannte die Beklagte das Unfallereignis vom 20.12.2002 als Arbeitsunfall an. Als Unfallverletzung wurde anerkannt: Ellenbogenverrenkung rechts mit Mehrfragmentbruch am rechten Speichenköpfchen, Rippenprellung rechts. Als Unfallfolge wurde anerkannt: Verlust des Speichenköpfchen rechts, endgradige Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogengelenkes sowie geringe Kapselbandschwäche des rechten Ellenbogens, Formveränderungen im Bereich des rechten Ellenbogengelenkes mit Verkalkungen in den Weichteilen und Kalksalzminderung im Bereich der rechten Hand, leichtgradige Schädigung des Nervus ulnaris mit Missempfindungen im Bereich der rechten Hand und des rechten Unterarmes. Als Folge des Unfalles wurde dagegen nicht anerkannt: in Fehlstellung und mit Verkürzung verheilter Schlüsselbeinbruch rechts mit Auswirkungen auf das rechte Schultereckgelenk, endgradige Bewegungsstörung der rechten Schulter. Der Klägerin wurde Verletztenrente in unterschiedlicher Höhe gewährt. Zuletzt erhielt sie die Rente nach einer MdE von 20 vH für die Zeit vom 1.10.2003 bis 31.3.2004, ab 1.4.2004 erhielt sie keine Rente mehr, da nur noch eine MdE von 10 v.H. festgestellt werden könne.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie begehrte die Weitergewährung der Rente auch über den Monat März 2004 hinaus. Der rechte Arm und ihre rechte Hand seien weiterhin sehr eingeschränkt. Die bei ihr bestehenden arthrotischen Beschwerden in der rechten Schulter seien auf die mehrwöchige Ruhigstellung des Armes zurückzuführen. Sie begehrte die Feststellung, dass die Schultergelenksbeschwerden rechts Folge des Unfalls seien.

Die Beklagte beauftragte daraufhin Dr. E. mit Erstellung eines Rentengutachtens (Gutachten vom 26.9.2005). Er sah die Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes als unfallunabhängig an. Die bei der Klägerin bestehende MdE schätzte er auch für die Zeit über den 30.9.2003 hinaus, voraussichtlich bis zur Beendigung des dritten Jahres nach dem Unfall, mit von 20 vH ein. Daraufhin erteilte die Beklagte den Bescheid vom 22. 11. 2005. Darin gewährte sie der Klägerin die Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH auf unbestimmte Zeit weiter. Als weitere Unfallfolgen wurde anerkannt: Achsabweichung des rechten Armes und Arthroseveränderungen, Einschränkung der Unterarmbewegung rechts, Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes, Störungen der Berührungsempfindlichkeit am rechten Ring- und Kleinfinger, Kraftminderung der rechten Hand. Nicht anerkannt wurde: Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk bei AC-Gelenksarthrose, Zustand nach Hämangiomresektion 1950, Zustand nach Appendektomie 1954, Zustand nach Unterschenkelfraktur links 1967, Zustand nach Claviculafraktur rechts.

Hiergegen hat die Klägerin am 21.12.2005 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Da ein Widerspruchsbescheid noch nicht ergangen war, hat das Gericht den Rechtsstreit zunächst zwecks Erteilung des Widerspruchsbescheides ausgesetzt (Beschluss vom 22.2.2006).

Nachdem die Beklagte ein neurologisches Gutachten von Dr. D. vom 28.8.2006 eingeholt hatte, hat sie den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2006 zurückgewiesen: Es sei nachgewiesen, dass das Schultereckgelenk eine Arthrose aufweise. Diese Arthroseveränderungen seien nicht auf das Unfallereignis vom 20.12.2002 zurückzuführen. Es bestünden vielmehr weitere degenerative Veränderungen im Bereich des Schultergelenkes. Dies lasse nicht den Schluss zu, dass die Schulterschmerzen und Bewegungseinschränkungen ursächlich auf den Unfall zurückzuführen seien.

Die Klägerin sieht weiterhin den Sturz im Dezember 2002 als Ursache der Schulterbeschwerden an. Aufgrund der langen Ruhigstellung des Armes sei die Schulter teilweise versteift gewesen. Die Narkosemobilisation habe zu Schädigungen des Kapselbandapparates geführt und die Instabilität der rechten Schulter verursacht.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 20.4.2004 und 22.11.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2006 abzuändern und die Instabilität der rechten Schulter als Folge des Arbeitsunfalls vom 20.12.2002 anzuerkennen, sowie Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 30 vH ab 1.10.2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht weiterhin die Schulterbeschwerden nicht als Unfallfolge an. Bewegungseinschränkungen aufgrund Ruhigstellung eines Armes seien in der Regel vorübergehender Art. Ursache der Schulterbeschwerden sei eine Arthrose.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. F. und Dr. G. vom 23.4.2007 und 6.7.2007 eingeholt. Des Weiteren hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Dr. H. vom 31.3.2008. Dieser stellte folgende Diagnosen, die er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge ansah: Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogengelenkes bei Zustand nach Luxationsfraktur mit Verlust des Radiusköpfchens, Achsabweichung des rechten Armes und beginnende Arthrose des Ellenbogengelenkes; anteilige Bewegungseinschränkung rechtes Schultergelenk nach Ellenbogenluxationsfraktur infolge posttraumatischer, teilweiser Einsteifung des Schultergelenkes. Die folgenden Diagnosen sah er durch andere Ereignisse verursacht: Anteilige Bewegungseinschränkung rechtes Schultergelenk und Instabilität bei Zustand nach mehrfachen Luxationen des rechten Schultergelenks. Er schätzte die MdE ab dem Unfalltag bis Begutachtungszeitpunkt auf 20 v.H. ein. Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht sodann gem. § 109 SGG Dr. J. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 10.2.2010 kommt er zu dem Ergebnis, dass die bei der Klägerin bestehende Instabilität der rechten Schulter zumindest teilweise auf die primäre Narkosemobilisation zurückzuführen sei. Er ging hierbei davon aus, dass es bei der Narkosemobilisation 2003 vermutlich zu einer Teilzerreißung des Kapsel-Band-Apparates und des glenohumeralen Bandapparates gekommen sei, so dass sich dann eine klinisch bislang stumme Schulterinstabilität entwickelt habe die im Rahmen des Unfalls am 1.5.2006 zu einer vollständigen Luxation geführt habe. Er schätzte die MdE insgesamt mit 30 v.H. ein. Das Gericht hat in der Folge weiterer medizinischer Unterlagen von der orthopädischen Klinik in Hessisch Lichtenau, wo die Narkosemobilisation der Klägerin vorgenommen wurde, angefordert. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8.2.2010 konnte Dr. J. auch aufgrund dieser Unterlagen keine weiteren Erkenntnisse gewinnen, da hierzu erforderliche Angaben/Unterlagen weiterhin fehlten bzw. nicht dokumentiert worden waren. Dr. H. blieb in seiner Stellungnahme vom 15.6.2011 weiter bei seiner Auffassung, dass die Instabilität der rechten Schulter auf das Ereignis im Februar 2007 zurückzuführen sei und nicht auf den hier in Rede stehenden Arbeitsunfall.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einem höheren Grad der MdE als 20 vH. Es besteht darüber hinaus auch kein Anspruch der Klägerin auf die Feststellung, dass die Instabilität der rechten Schulter Folge des Unfalles vom 20.12.2002 ist.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Verletztenrente ist § 56 Sozialgesetzbuch siebtes Buch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom 100 gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2,3 oder sechs SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität - BSG, Urteile vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - und B 2 U 27/04 R; Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - , zitiert nach Juris).

Unstreitig erlitt die Klägerin am 20.12.2002 einen Arbeitsunfall, als sie auf dem Weg zum Abschließen der landwirtschaftlichen Gebäude stolperte und auf den rechten Arm stürzte. Diesen Arbeitsunfall hat die Beklagte bereits mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 20.4.2004 anerkannt. Ebenso hat sie darin Verletztenrente in unterschiedlicher Höhe, zuletzt bis 31.3.2004 nach einer MdE von 20 vH gewährt, jedoch ab 1.4.2004 versagt, da nur noch eine MdE von 10 vH vorliege. Mit weiterem zu Gunsten der Klägerin geänderten Bescheid vom 22.11.2005 hat sie dann für die Zeit ab 30.9.2003 - Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit - eine Verletztenrente nach einer im MdE von 20 vH auf unbestimmte Zeit gewährt.

Zur Überzeugung der Kammer lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin über den 31.3.2004 hinaus eine MdE von mehr als 20 vH nicht feststellen.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit bezeichnet den durch die körperlichen, seelischen und geistigen Folgen des Versicherungsfalles bedingten Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII). Steht die unfallbedingte Leistungseinbuße fest, so ist zu bewerten, wie sie sich im allgemeinen Erwerbsleben auswirkt; dabei sind die medizinischen und sonstigen Erfahrungssätze ebenso zu beachten wie die Gesamtumstände des Einzelfalls (BSG, Urteil vom 27.6.2000 - B 2 U 14/99 R -, Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R -). Wie weit die Unfallfolgen bzw. die Folgen der anerkannten Berufskrankheit die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten beeinträchtigen, beurteilt sich in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Um die MdE einzuschätzen, sind die Erfahrungssätze zu beachten, die die Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche sowie versicherungsmedizinische Schrifttum herausgearbeitet haben. Auch wenn diese Erfahrungssätze das Gericht im Einzelfall nicht binden, so bilden sie doch die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (BSG, Urteil vom 26.11.1987 - 2 RU 22/87; Urteil vom 30.6.1998 B 2 U 41/97 R -). Sie sind in Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet. Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen Kriterien begutachtet und beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (BSG, Urteil vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R).

Nach diesen Maßstäben liegt bei der Klägerin keine MdE von mehr als 20 vH vor. Dies ergibt sich für die Kammer in erster Linie aus dem vom Gericht eingeholten Gutachten Dr. H. Das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten kommt in seiner Gesamteinschätzung dazu, dass bei der Klägerin weiterhin eine MdE von 20 vH gegeben ist.

Eine höhere MdE ergibt sich vor allem deshalb nicht, weil die von der Klägerin benannte Unfallfolge "Instabilität der Schulter" nicht als solche anzuerkennen ist. Da die Höhe der MdE abhängig ist von der Bewertung der einzelnen Unfallfolgen und ihre Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit, sind vorweg die bei der Klägerin tatsächlich vorliegenden und nachgewiesenen Unfallfolgen zu bestimmen. Unstreitig sind die Unfallfolgen zugrunde zu legen, die die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden benannt hat. Streitpunkt ist die "Instabilität der Schulter", deren gesonderte Feststellung die Klägerin im Klageverfahren explizit beantragt hat.

Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge (im engeren Sinne) eines Versicherungsfalles im Sinne des § 8 SGB VII, wenn sie spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des hier anerkannten - Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Davon abzugrenzen ist der Gesundheitserstschaden, der keine Folge des Arbeitsunfalls darstellt, sondern ein den Versicherungsfall selbst begründendes Tatbestandsmerkmal darstellt (BSG, Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R). Als Gesundheitserstschaden, also Unfallverletzung, hat die Beklagte Ellenbogenverrenkung rechts mit Mehrfragmentfraktur am rechten Speichenköpfchen festgestellt. Dass sich hieraus nicht unmittelbar der Gesundheitsschaden einer Instabilität der Schulter ergibt, liegt auf der Hand. Die Instabilität der Schulter könnte nur aufgrund der besonderen Zurechnungsnorm des §§ 11 SGB VII dem anerkannten Arbeitsunfall als sog. mittelbare Unfallfolge im weiteren Sinne zuzurechnen sein. Dass dem nicht so ist, ergibt sich für die Kammer aus den im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. H. und Dr. J.

Nach § 11 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalles auch solche Gesundheitsschäden eines Versicherten, die unter anderem durch die Durchführung einer Heilbehandlung oder durch eine Untersuchung wesentlich verursacht wurden, welche zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet wurde. Durch diese Vorschrift werden Gesundheitsschäden, die durch die Erfüllung der in ihr umschriebenen Tatbestände wesentlich verursacht wurden, dem Versicherungsfall ausnahmsweise auch dann zugerechnet, wenn sie nicht spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls wesentlich verursacht wurden, so, wenn sie etwa durch die Durchführung einer berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung wesentlich verursacht wurden (§ 11 Abs.1 Nr.1 SGB VII). Wesentlich verursacht bedeutet im Rahmen des Kausalzusammenhangs, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung vorliegen muss (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 47). Liegen dafür und dagegen sprechenden Umstände vor, so verdichten sich diese dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (Schönberger aaO S. 48).

Eine solche Wahrscheinlichkeit ist hier zu verneinen. Vorliegend hat Dr. J. in seinem Gutachten die Diagnose der Instabilität der rechten Schulter der Klägerin gestellt. Dr. H. hat eine Teilsteife und ebenfalls eine Instabilität der rechten Schulter diagnostiziert. Von dem Vorliegen dieses Gesundheitsschadens an sich geht im Anschluss daran auch die Kammer aus. Allerdings hält die Kammer die Verursachung dieses Schadens durch die bei der Klägerin durchgeführte Narkosemobilisation nicht für hinreichend wahrscheinlich. Dr. J. führt aus, dass die jetzt festzustellende multidirektionale Instabilität zumindest zum Teil auf die primäre Narkosemobilisation der rechten Schulter und der dann auftretenden Schulterinstabilität zurückzuführen sei. Im Rahmen der Diskussion über die Verursachung stellt Dr. J. dann lediglich Vermutungen an, die letztendlich den Grad der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht erfüllen. So führt er an, dass die Narkosemobilisation "vermutlich" zu einer Teilzerreißung des Kapselbandapparates und glenohumeralen Bandapparates geführt habe. Es habe sich dann eine klinisch bislang stumme Schulterinstabilität entwickelt, die im Rahmen dieses Ereignisses - 1.5.2006 - zu einer vollständigen Luxation führte. Dieser Einschätzung tritt Dr. H. für die Kammer nachvollziehbar entgegen. Zum Zeitpunkt nach Schulterluxation vom 13.2.2007 ist in der Kernspinuntersuchung vom 15.2.2007 eine partielle Ablösung der vorderen Kapsel zu sehen. Eine Aufnahme vom 21.6.2006 hingegen zeigt keine Hinweise für eine ausgedehnte Schädigung des Kapselbandapparates. Des Weiteren leitet Dr. H. auch aus der Fotodokumentation nach der Narkosemobilisation ab, dass eine relevante Zerreißung von Kapsel-Bandstrukturen bei der Mobilisation nicht erfolgte. Er begründet dies damit, dass im Bereich der rechten Schulter der Klägerin praktisch keine Blutergüsse vorhanden sind. Bei Zerreißung von Kapsel und Bändern in der Schulter hätte es jedoch zu Blutungen, insbesondere am Schultergelenk und in der Achselhöhle, kommen müssen. Weiter ist mit Dr. H. zu Recht zu fragen, warum es erst 2006 bzw. 2007 zu Schulterluxation gekommen ist. Dazwischen liegt ein Zeitraum von mehr als drei Jahren, in denen sich die angegebene Instabilität nicht nach außen hin gezeigt hat. Dieser lange Zeitraum spricht dagegen, dass die Instabilität schon 2003 vorhanden war. Aufgrund der mehrfachen Luxationen, die nach 2006 und 2007 nach Angaben der Klägerin weiter gehäuft aufgetreten sind, lässt sich von den aktuellen vorzufindenden Stabilitätsverhältnissen der rechten Schulter nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf eine relevante Instabilität der Schulter bereits im Jahr 2003 schließen. Dagegen spricht weiter das Gutachten aus dem Jahre 2005 (Dr. K.), wo sich untersuchungstechnisch stabile Schultergelenksverhältnisse fanden, es bestanden damals allenfalls endgradige Bewegungseinschränkungen des rechten Schultergelenks. Soweit sich Dr. J. durch eine bei der Klägerin bestehende sog. Hill-Sachs-Delle in seiner Auffassung bestätigt sieht, ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem MRT-Befund vom 21.6.2006 ergibt dass es sich eher um eine ältere Hill-Sachs-Delle handelt. Dies bedeutet, dass der Zeitpunkt ihres Entstehens nicht klar ist. Dr. J. entnimmt der Aufnahme aus dem Umstand, dass keine signifikante Knochenmarksödembildung vorhanden ist, dass der Hill-Sachs-Defekt älterer Natur ist und nicht auf das Unfallereignis vom 1.5.2006 zurückgeführt werden könne. Diese Interpretation ist zwar nachvollziehbar. Mit der Schlussfolgerung, dass die Ursache dieses Defekts im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit in der Narkosemobilisation rund drei Jahre vorher liegen soll, überzeugt das Gutachten Dr. J. die Kammer nicht. Hierzu fehlt es an weiteren Anhaltspunkten. Es ist zum einen vage, wenn Dr. J. darauf hinweist, dass diese ältere Hill-Sachs-Delle darauf hindeute, dass bereits vor dem 1.5.2006 eine Schultergelenkssubluxation oder Luxation "wahrscheinlich" stattgefunden habe; zum anderen ist es vage, dass diese Luxationen bzw. Schädigungen der rechten Schulter bei der Narkosemobilisation stattgefunden haben sollen. Aus den von der behandelnden Klinik übersandten Behandlungsunterlagen und des Operationsberichtes ergeben sich nämlich keine Hinweise darauf, dass Schädigungen - wie von Dr. J. vermutet - bei der Narkosemobilisation eingetreten sind. Es fehlt auch an postoperativ erstellten bildgebenden Befunden, aus denen man gegebenenfalls Schädigungen hätte entnehmen können. Entsprechende Aufnahmen wurden damals offenbar nicht angefertigt. Dem stehen die zahlreichen zeitlich deutlich später erfolgten unfallfremden Luxationen der rechten Schulter gegenüber, die jedenfalls gesichert als solche ihren Beitrag zur Instabilität der rechten Schulter beigetragen haben. So beschränkt sich die von Dr. J. vermutete Schädigung des Bandapparates und daraus folgende Instabilität der Schulter ohnehin nur darauf, dass es sich nur um eine "anteilige" Verursachung handelt, die jedoch nach seiner Einschätzung die "überwiegende" war. Dem konnte die Kammer angesichts der zahlreichen erst später eingetretenen Luxationen jedoch nicht folgen.

Da die Instabilität der rechten Schulter nach alledem letztendlich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich kausal auf die Narkosemobilisation und damit auch nicht mittelbar auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist, war sie zu Recht als Unfallfolge nicht anzuerkennen. Im Bereich der Feststellung der MdE hat dieser Gesundheitsschaden demnach unbeachtet zu bleiben. In die Bewertung mit einzubeziehen wäre nach Auffassung der Kammer - neben den Unfallfolgen, die die Beklagte in ihrem Bescheid vom 22.11.2005 bereits festgestellt hat - unter Berücksichtigung des Gutachtens Dr. H. zwar grundsätzlich die anteilige Bewegungseinschränkung der rechten Schulter, sofern das Gutachten so zu verstehen sein sollte, dass diese anteilige Bewegungseinschränkung durch den Unfall mindest gleichwertig zu anderen Ursachen mitverursacht worden ist und nicht nur von ihrem Gewicht her nachrangig. Nur bei zumindest gleichwertiger Mitverursachung ist das Erfordernis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gegeben (vgl. zB. Schmitt, SGB VII, 7. Aufl. 2009, § § 8 Rn 106 mwN). Ob eine Gleichwertigkeit der Verursachung der Bewegungseinschränkung durch die anderen Luxationen tatsächlich gegeben ist, kann vorliegend dahinstehen. Diese Folge, die auch Dr. J. festgestellt hat, führt nämlich - unterstellt sie läge vor - auf der Basis des Gutachtens Dr. H. zur Überzeugung des Gerichts ebenfalls insgesamt nicht zu einer höheren MdE als 20 vH. Die von Dr. J. vorgenommene Einschätzung der MdE mit 30 vH war für die Kammer hier nicht maßgeblich, da Dr. J. als Unfallfolge auch die Instabilität der Schulter mit berücksichtigt hat und insoweit von anderen Bewertungskriterien ausgegangen ist. Auch die weiteren im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten gingen in ihrer Einschätzung nicht über den Wert von 20 vH hinaus und enthalten insoweit keine für die Klägerin günstige Bewertung. Im Gegenteil empfahlen die Gutachter Dr. C. und Dr. D. aus dem Jahr 2004 seinerzeit sogar nur eine MdE-Bewertung mit höchstens 10 vH.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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