OLG München, Beschluss vom 12.12.2018 - 18 W 1873/18
Fundstelle
openJur 2020, 55789
  • Rkr:
Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 15.11.2018, Az. 35 O 15930/18, wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung, durch welche der Antragsgegnerin untersagt werden soll, ihn "auf www.facebook.com zu sperren (insbesondere, ihm die Nutzung der Funktionen von www.facebook.com wie Posten von Beiträgen, Kommentieren fremder Beiträge und Nutzung des Nachrichtensystems vorzuenthalten) oder den Beitrag zu löschen, ohne ihm zugleich in speicherbarer Form den Anlass der Sperrung und die Begründung, weshalb es sich um einen Verstoß handeln soll, mitzuteilen".

Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 15.11.2018 den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, der Antrag sei bereits unzulässig, weil nicht ausreichend bestimmt. Auch sei wegen des widersprüchlichen Vortrags kein Verfügungsanspruch zu erkennen, denn der Antragsteller beziehe sich mehrfach auf einen konkreten Beitrag, ohne diesen zu nennen, und habe nicht glaubhaft gemacht, dass er von der Antragsgegnerin keine Nachricht oder Begründung erhalten habe. Zudem bestehe wegen der zwischen der Sperrung und dem Eingang des Verfügungsantrags verstrichenen Zeit kein Verfügungsgrund. Wegen der näheren Begründung wird auf die Ausführungen in den Gründen des vorgenannten Beschlusses (Bl. 61/65 d.A.) Bezug genommen.

Gegen den ihm am 20.11.2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 1.12.2018, beim Landgericht München I eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er seinen Verfügungsantrag weiter verfolgt. Hinsichtlich der Begründung des Rechtsmittels wird auf den genannten Schriftsatz (Bl. 67/69 d.A.) verwiesen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 4.12.2018 (Bl. 70/72 d.A.), auf dessen Gründe Bezug genommen wird, der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

1. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung war zwar entgegen der Ansicht des Landgerichts zulässig.

a) Er ist insbesondere noch ausreichend bestimmt. Seinem Wortlaut lässt sich entnehmen, dass jede Sperrung des Antragstellers auf www.facebook.com und jede Löschung eines seiner Beiträge ohne entsprechende Nachricht oder Begründung untersagt werden soll. In der Beschwerdebegründung hat der Antragsteller jedoch klargestellt, dass der Antragsgegnerin nicht untersagt werden soll, ihn "wegen anderer Beiträge" zu sperren, sondern sie lediglich verpflichtet werden soll, den Anlass der Sperre zu nennen.

b) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2002 - III ZR 102/02, NJW 2003, 426), ist gegeben.

Maßgeblich ist die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), weil die Antragsgegnerin ihren Sitz in Irland und damit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat.

Für das vorliegende Verfahren ist danach das Landgericht München I örtlich und damit auch international zuständig, denn eine Vertragspflicht der Antragsgegnerin im Sinne von Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO auf Bereitstellung von "Facebook-Diensten" wäre mangels einer abweichenden Vereinbarung der Vertragsparteien kraft Natur der Sache am Wohnsitz des Antragstellers zu erfüllen.

2. Der Verfügungsantrag ist jedoch unbegründet.

a) Die geltend gemachten Ansprüche sind nach deutschem Recht zu beurteilen. Für die hier allein in Betracht kommenden vertraglichen Ansprüche ergibt sich dies aus der nach Art. 6 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 Rom-I-Verordnung vorgenommenen Rechtswahl, da diese in den Nutzungsbestimmungen der Antragsgegnerin (Anlage K1, Teil 4. Absatz 4., bzw. Anlage K23, Absatz 5.) enthalten ist und der Antragsteller als Verbraucher seinen Wohnsitz in Deutschland hat.

Die genannten Vorschriften werden nicht durch § 3 Abs. 2 TMG verdrängt. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 TMG wird der freie Dienstleistungsverkehr von Telemedien, die in der Bundesrepublik Deutschland von Diensteanbietern geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden, die - wie hier die Antragsgegnerin - in einem anderen Staat innerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 (e-commerce-Richtlinie) niedergelassen sind, nicht eingeschränkt. Bei dieser Bestimmung handelt es sich nicht um eine Kollisionsnorm, sondern um ein Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene, durch das das sachlich-rechtliche Ergebnis des nach den nationalen Kollisionsnormen für anwendbar erklärten Rechts inhaltlich modifiziert und auf die Anforderungen des Herkunftslandes reduziert wird. Art. 3 der e-commerce-Richtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, vorbehaltlich der nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie gestatteten Ausnahmen sicherzustellen, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht (BGH, Urteil vom 8.5.2012 - VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197; EuGH, Urteil vom 25.10.2011 - C-509/09, NJW 2012, 137).

Ob diese Vorschrift im vorliegenden Fall durch die oben genannten Nutzungsbedingungen wirksam abbedungen wurde, kann dahinstehen, denn es kommt auf den Inhalt des einschlägigen irischen Rechts schon deshalb nicht an, weil die begehrte einstweilige Verfügung bereits nach deutschen Recht nicht zu erlassen ist.

3. Ein Anspruch des Antragstellers auf Unterlassung, "den Beitrag zu löschen" - ob mit oder ohne Mitteilung von Anlass und Begründung -, besteht schon deshalb nicht, weil nicht glaubhaft gemacht wurde, dass die Antragsgegnerin jemals einen Beitrag des Antragstellers gelöscht oder eine Löschung angedroht hat. In keiner seiner eidesstattlichen Versicherungen (Anlagen K19 und K24) ist von einer Löschung die Rede. Auch das Anwaltsschreiben vom 25.10.2018 (Anlage K13) enthält im wesentlichen Ausführungen zur Sperrung des Antragstellers und auf Seite 3 nur u.a. die Aufforderung, "etwaige gelöschte Beiträge" wieder freizuschalten.

4. Auch das begehrte Verbot, das Facebook-Konto des Antragstellers vorübergehend zu sperren, ohne "in speicherbarer Form" Anlass und Begründung mitzuteilen, kann auf Grund der vorgetragenen Tatsachen im Weg der einstweiligen Verfügung nicht erlassen werden.

a) Schon dass der Antragsteller sich bei der Antragsgegnerin angemeldet und dort das private Nutzerkonto www.facebook.com/rudolf.erdoedi angelegt hatte, lässt sich aus seiner eidesstattlichen Versicherung (Anlage K19) und dem Anwaltsschreiben vom 25.10.2018 (Anlage K13) nur indirekt schließen.

Auch hat der Antragsteller durch seine eidesstattliche Versicherung vom 14.11.2018 (Anlage K19) zwar glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin ihn 30 Tage lang "gesperrt" hat. Zweifel bestehen jedoch an der Richtigkeit seiner eidesstattlichen Versicherung vom 30.11.2018 (Anlage K24), dass ihm der Anlass der Sperre nicht mitgeteilt worden sei, zumal gerichtsbekannt ist, dass die Antragsgegnerin in der Regel die Mitteilung der Sperre mit einer kurzen Begründung versieht. Es ist schon nicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller diese Erklärung erst im Rahmen des Beschwerdeverfahrens abgegeben hat, obwohl es sich dabei nach eigenem Bekunden um den Kern seiner Beanstandung gegenüber der Antragsgegnerin handelt. Vor allem lässt sich aber dem Anwaltsschreiben vom 25.10.2018 (Anlage K13) entnehmen, dass der Antragsteller den Grund für die Sperre kannte, denn dort wird auf eine - in dem Schreiben und auch im vorliegenden Verfahren nicht mitgeteilte - "Kommentierung" Bezug genommen und ausgeführt, dass der Antragsteller "mit diesem Beitrag weder gegen Ihre Gemeinschaftsstandards oder sonst gegen irgendwelche Nutzungsbestimmungen noch gegen deutsches Recht verstoßen" habe. Diese Argumentation setzt die Möglichkeit voraus, eine bestimmte Äußerung an den genannten Regeln zu messen.

Auch wenn man aber zu Gunsten des Antragstellers unterstellen wollte, dass sein Tatsachenvortrag der Wahrheit entspricht, rechtfertigt dies den gestellten Antrag nicht.

b) Einen Anspruch auf ein vom konkreten Fall unabhängiges, generelles Verbot der Sperrung selbst hat der Antragsteller nicht.

Der Vertrag zwischen Nutzer und Plattformbetreiber verpflichtet nämlich gemäß § 241 Abs. 2 BGB seinem Inhalt nach beide Vertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils (ebenso LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.5.2018 - 2-03 O 182/18, S. 4). Dass der Betreiber eines sozialen Netzwerks grundsätzlich die von den Nutzern geschuldeten Pflichten durch das Aufstellen von Verhaltensregeln konkretisieren und deren Verletzung auch durch Sperrung eines Nutzeraccounts durchsetzen kann, ist weitgehend anerkannt (vgl. Senat, Beschluss vom 17.9.2018 - 18 W 1383/18 - NJW 18, 3119; LG Frankfurt am Main a.a.O. S. 3 m.w.N.). Die Vorschrift des § 241 Abs. 2 BGB ist dabei im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts des Nutzers auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.4.1986 - 2 BvR 487/80, Rn. 25, BVerfGE 73, 261; Urteil vom 15.1.1958 - 1 BvR 400/51, Rn. 26, BVerfGE 7, 198; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 13. Aufl., Art. 1 Rn. 54 m.w.N.), so auszulegen, dass dem vom Antragsteller geltend gemachten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Rechnung getragen wird. Es muss gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt werden muss (Senat a.a.O. m.w.N.). Damit ist die Sanktionierung des Beitrags eines Nutzers nur dann vereinbar, wenn dieser die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung überschreitet.

Um dies zu beurteilen, ist stets eine Abwägung zwischen den von dem Beitrag verletzten Rechten und der Meinungsfreiheit des Nutzers im konkreten Fall erforderlich. Ein Anspruch auf Unterlassung der Sperrung besteht stets nur in Bezug auf ein bestimmtes Verhalten des Nutzers.

c) Hierauf kommt es im Ergebnis jedoch ebenso wenig an wie auf die Frage, ob eine vertragliche Nebenpflicht der Antragsgegnerin besteht, Sanktionsmaßnahmen gegenüber ihren Nutzern - sei es in "speicherbarer" oder anderer Form - zu begründen. Das Begehren des Antragstellers ist nämlich auf den Erlass einer Leistungsverfügung gerichtet, die - selbst das Bestehen eines Verfügungsanspruchs unterstellt - mangels einer nachvollziehbaren Darlegung der hierfür erforderlichen Voraussetzungen zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führen würde.

aa) Mit dem Verbot seiner Sperrung würde der Antragsteller in der Sache bezwecken, dass ihm die ungehinderte Nutzung der Funktionen von www.facebook.com, insbesondere das Posten von Beiträgen, das Kommentieren fremder Beiträge sowie die Nutzung des Nachrichtensystems, ermöglicht wird, mit dem angestrebten Verbot einer Sperrung ohne Begründung will er erreichen, dass die Antragsgegnerin einer - möglichen - Nebenpflicht nachkommt. Der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung würde hinsichtlich bestehender vertraglicher Erfüllungsansprüche gegen die Antragsgegnerin zu einer vollständigen Befriedigung des Antragsstellers und damit zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen.

bb) Die auf Erfüllung gerichtete Leistungsverfügung setzt neben dem Bestehen des geltend gemachten Anspruchs ein dringendes Bedürfnis für die begehrte Eilmaßnahme voraus. Der Gläubiger muss auf die sofortige Erfüllung seines Anspruchs dringend angewiesen sein, was darzulegen und glaubhaft zu machen ist. Entwickelt wurde die Leistungsverfügung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG bei Bestehen einer dringenden Not- bzw. Zwangslage sowie im Falle einer Existenzgefährdung des Gläubigers. Sie ist auch zulässig, wenn die geschuldete Handlung so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Vollstreckungstitels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist und die Verweisung des Gläubigers auf die Erhebung der Hauptsacheklage praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkäme (vgl. zum Vorstehenden Zöller-Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., § 940 Rn. 6).

In vergleichbaren Fällen hat die Rechtsprechung zwar den Erlass einer Leistungsverfügung für möglich erachtet (vgl. LG Kiel, Beschluss vom 14.03.2012 - 1 T 21/12, NJW-RR 2012, 1211: Sperrung eines Mobilfunkanschlusses: OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.08.2009 - 3 W 45/09, NJW-RR 2010, 936: Erschwerung des Internetzugangs). Der Antragsteller hat jedoch das Vorliegen des erforderlichen Verfügungsgrundes - ein dringendes Angewiesensein auf die begehrte Eilmaßnahme - nicht nachvollziehbar dargelegt.

cc) Nach seinen eigenen Angaben wurde der Antragsteller am 22.10.2018 nur für 30 Tage gesperrt (eidesstattliche Versicherung vom 14.11.2018, Anlage K19), also bis einschließlich 20.11.2018. Er behauptet selbst nicht, dass er derzeit noch gesperrt sei, eine weitere Sperrung unmittelbar bevorstehe oder ihm die Antragsgegnerin zumindest eine weitere Sperrung angedroht habe. Bei dieser Sachlage muss sich der Antragsteller auf die Möglichkeit verweisen lassen, die Antragsgegnerin gegebenenfalls im Rahmen einer Hauptsacheklage auf Unterlassung einer Sperrung oder jedenfalls einer Sperrung ohne Begründung bzw. auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrung ohne Begründung in Anspruch zu nehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 17.7.2018 - 18 W 858/18 - juris).

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

2. Der Streitwert wurde gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO entsprechend dem vom Antragsteller mit 7.500 € bezifferten Gesamtinteresse am Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung festgesetzt. Dabei wurde berücksichtigt, dass der Antragsteller nicht das Verbot von Löschung und Sperrung schlechthin, sondern nur die Verpflichtung zur Begründung dieser Maßnahmen anstrebt.

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt gemäß § 574 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht in Betracht

... Richterin am Oberlandesgericht