LG Kassel, Beschluss vom 12.06.2020 - 3 T 195/20
Fundstelle
openJur 2020, 47014
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 4.3.2020 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen Regress der Staatskasse in Bezug auf die Vergütung einer Berufsbetreuerin.

Mit Beschluss vom 30.11.2016 (Bl. 20f. d. A.) richtete das Amtsgericht eine Betreuung für die Beschwerdeführerin ein und bestellte die eingangs genannte Rechtsanwältin zur Berufsbetreuerin.

Weil das Amtsgericht von einer Mittellosigkeit der Beschwerdeführerin ausging, erhielt die Betreuerin ihre Vergütung regelmäßig aus der Staatskasse. Für den Zeitraum 2.12.2016 bis 1.9.2018 wurden ihr, aufgrund der Anweisungen vom 10.3.2017 (Bl. 53 d. A.), vom 8.6.2017 (Bl. 54 d. A.), vom 8.9.2017 (Bl. 55 d. A.), vom 15.12.2017 (Bl. 56 d. A.), vom 5.3.2018 (Bl. 60 d. A.), vom 5.6.2018 (Bl. 61 d. A.) und vom 4.9.2018 (Bl. 62 d. A.), insgesamt 4.356 € ausgezahlt. Für den Zeitraum 2.9.2018 bis 1.12.2018 wurden der Betreuerin am 11.12.2018 weitere 462 € ausgezahlt (vgl. Bl. 63 d. A.).

Mit Schreiben vom 22.1.2020 legte die Betreuerin eine Vermögensübersicht zum 30.11.2019 (Bl. 80ff. d. A.) vor. Danach bewohnt die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehemann ein im gemeinsamen Eigentum stehendes Hausgrundstück unter der eingangs genannten Anschrift. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann unterhalten bei der Sparkasse "......" ein gemeinsames Sparbuch, das zum 17.1.2020 ein Guthaben von 840,60 € aufwies. Ein gemeinsamer Vermögensplan wies zum 17.1.2020 ein Guthaben von 1.447,40 € auf (vgl. Bl. 83 d. A.). Ein gemeinsames Girokonto der Ehegatten wies zum 17.1.2020 ein Sollsaldo von 1.290,30 € aus.

Der Ehemann der Beschwerdeführerin schloss im September 2018 als Versicherungsnehmer eine Sterbegeldversicherung mit der "......" Lebensversicherung AG ab. Die Versicherungsurkunde vom 27.9.2019 (Bl. 85 d. A.) weist die Beschwerdeführerin als versicherte Person aus. Der Rückkaufswert im Jahr 2020 beträgt 116,20 €.

Die Beschwerdeführerin schloss zudem im Jahr 2005 als Versicherungsnehmerin mit der "......" Lebensversicherung AG eine Kapitallebensversicherung ab. Der aktuelle Rückkaufswert beträgt 9.574,83 €. Wegen der Einzelheiten wird auf die Überschussinformation vom 14.12.2019 (Bl. 89ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat sodann mit Beschluss vom 4.3.2020 (Bl. 98 d. A.) angeordnet, dass die Beschwerdeführerin einen einmaligen Betrag von 4.428,53 € an die Staatskasse zu leisten hat. Nach ihren Vermögensverhältnissen sei sie dazu in der Lage. Sämtliche gemeinschaftlichen Konten - einschließlich des überzogenen Girokontos - seien nur hälftig berücksichtigt worden. Der Schonbetrag von 5.000 € sei nur einmal in Abzug zu bringen. Zurückgefordert werde zunächst die für den Zeitraum vom 2.12.2016 bis 1.9.2018 ausgezahlte Vergütung von 4.356 €. Von den für den Zeitraum 2.9.2018 bis 1.12.2018 ausgezahlten 462 € würden 72,53 € zurückgefordert.

Hiergegen richtet sich das am 17.3.2020 (Bl. 107 d. A.) von der Betreuerin für die Beschwerdeführerin eingelegte Rechtsmittel. Die Beschwerdeführerin vertieft ihr Vorbringen mit Schriftsätzen vom 26.3.2020 (Bl. 108 d. A.) und vom 12.5.2020 (Bl. 124f. d. A.) und macht geltend, dass gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (im Folgenden: Barbeträge-VO) auch für ihren Ehemann ein Schonbetrag von 5.000 € anzusetzen sei. Dieser sei mittellos, er beziehe lediglich Krankengeld in Höhe von 51,03 € netto/Tag (vgl. Bl. 132 d. A.). Die Versicherung bei der "......" Lebensversicherung AG sei das einzige nennenswerte Vermögen der Eheleute. Insgesamt verfüge das Ehepaar daher über ein Schonvermögen von 10.000 €.

Die Staatskasse hat am 8.4.2020 zu der Beschwerde Stellung genommen (vgl. Bl. 110 d. A.). Sie hält das Rechtsmittel für unbegründet. Während im Sozialrecht regelmäßig von einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen werde, sei im Betreuungsrecht auf die Vermögensverhältnisse der einzelnen Person abzustellen. Nur wenn der Ehegatte ebenfalls zu den hilfebedürftigen Personen zähle, könne ein zusätzlicher Freibetrag berücksichtigt werden.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 16.4.2020 (Bl. 111 d. A.) nicht abgeholfen und die Akte der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die gemäß §§ 292 Abs. 1, 168, 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde wahrt Form und Frist der §§ 63, 64 FamFG und ist auch im Übrigen zulässig. Trotz des Wortlautes ("lege ich") der Beschwerdeschrift ist bereits dieser - fristgerecht eingegangene - Schriftsatz als Beschwerde der Betroffenen auszulegen. Verfahrenshandlungen sind auslegungsfähig, dabei gilt der Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (BGH FGPrax 2015, 238). Die Kammer geht deshalb davon aus, dass es sich bei dem missverständlichen Wortlaut um ein Redaktionsversehen handelt und die Beschwerde im ausdrücklichen Einverständnis der Betroffenen und in deren Namen eingelegt wurde.

2. Die Beschwerde ist aber unbegründet.

a) Hat das Betreuungsgericht wie hier festgestellt, dass der berufene Betreuer nach Maßgabe von § 1 Abs. 1 VBVG berufsmäßig tätig wird, hat es ihm auf Antrag eine Vergütung zu bewilligen, § 1 Abs. 2 Satz 1 VBVG.

Vergütungsschuldner ist grundsätzlich der Betreute. Wird die Vergütung wie vorliegend aus der Staatskasse gezahlt, geht der gegen den Betreuten gerichtete Anspruch des Betreuers auf Zahlung einer Vergütung von Gesetzes wegen auf die Staatskasse über (§ 1836e Abs. 1 BGB). Der übergegangene Anspruch kann nach Maßgabe der Regelverjährung der §§ 195, 199 BGB im Wege des Regresses durchgesetzt werden (vgl. Palandt/Götz, BGB, 79. Aufl., § 1836e Rn. 4). Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2, 3 FamFG hat das Betreuungsgericht von Amts wegen zugleich mit der Festsetzung der Vergütung gegen die Staatskasse oder aber später über die Anordnung eines Regresses zu entscheiden. Der Regress der Staatskasse setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Erstattung durch die Staatskasse eine Mittellosigkeit des Betreuten nicht vorlag oder die Mittellosigkeit zu einem späteren Zeitpunkt behoben ist. Die Zahlungen der Staatskasse gemäß §§ 1835, 1836, 1836a BGB, 1 VBVG sind Sozialleistungen mit Vorschusscharakter (vgl. Palandt/Götz, BGB, 79. Aufl., § 1836e, Rn. 1).

Die Haftungsbeschränkung nach §§ 1908i, 1836c BGB ist von Amts wegen zu beachten. Für die Frage ob der Betreute mittellos ist, kommt es auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung im Regressverfahren an (MüKoBGB/Fröschle, 8. Aufl. 2020, BGB § 1836e Rn. 8).

b) Wiedereinziehungsbeschlüsse müssen die geltend gemachten Forderungen im Einzelnen bezeichnen (vgl. Beschluss der Kammer vom 25.01.2018, Az. 3 T 27/18, BeckRS 2018, 4077). Dies ist zwingend erforderlich, weil jede einzelne Vergütungszahlung aus der Staatskasse durch den gesetzlichen Forderungsübergang eine gesonderte Forderung gegen den Betroffenen begründet und deswegen sowie unter dem Gesichtspunkt der jeweils zu verschiedenen Zeitpunkten beginnenden bzw. ablaufenden Verjährungsfristen deutlich sein muss, welche Forderung die Staatskasse konkret einziehen möchte. Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Vermögen der Betroffenen für einen vollständigen Regress nicht ausreicht, ist es deshalb erforderlich, den zur Wiedereinziehung bestimmten Betrag konkreten einzelnen Vergütungszahlungen zuzuordnen.

Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung auch in Bezug auf die Auszahlungsanordnung vom 11.12.2018. Zwar wird der ausgezahlte Betrag von 462 € nicht in voller Höhe zurückgefordert. Es genügt aber, dass die wieder eingezogenen 72,53 € der Auszahlung vom 11.12.2018 zugeordnet werden können. Es ist nicht erforderlich die 72,53 € auch einem bestimmten Teil des der Auszahlung insgesamt zugrunde liegenden Vergütungszeitraums (2.9.2018 - 1.12.2018) zuzuordnen.

c) Die Beschwerdeführerin ist nicht mittellos. Sie hat gemäß §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1836c Nr. 2 BGB i.V.m. § 90 Abs. 1 SGB XII ihr gesamtes verwertbares Vermögen einzusetzen. Bei der von der Beschwerdeführerin abgeschlossenen Kapitallebensversicherung auf den Todesfall bzw. deren Rückkaufswert von 9.574,83 € handelt es sich grundsätzlich um verwertbares Vermögen im Sinne von § 90 Abs. 1 SGB XII (BGH NJW 2014, 2115 Rn. 10, beck-online). Dass es sich bei der Beschwerdeführerin um die Versicherungsnehmerin - und nicht etwa bloß um eine eventuell Bezugsberechtigte - handelt, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer daraus, dass die Überschussinformation vom 14.12.2019 an die Beschwerdeführerin adressiert ist. Angaben über die für die Überschussermittlung und Überschussbeteiligung geltenden Berechnungsgrundsätze und Maßstäbe sowie die in Betracht kommenden Rückkaufswerte hat der Versicherer nämlich dem Versicherungsnehmer, und nicht dem Bezugsberechtigten, zur Verfügung zu stellen, § 2 Abs. 1 Nr. 3, 4 VVG-InfoV.

d) Der Einsatz des Rückkaufwertes stellt keine unzumutbare Härte im Sinne von §§ 1908i, 1838c Nr. 2 BGB i.V.m. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn sichergestellt ist, dass die angesparte Versicherung für die Bestattungskosten eingesetzt wird (BGH NJW 2014, 2115 Rn. 17, beck-online). Eine entsprechende Zweckbindung ist hier aber nicht erkennbar. Eine Veräußerung ist auch nicht deshalb unzumutbar weil durch die Realisierung des Rückkaufwerts gewisse Verwertungsverluste entstehen (Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 115 ZPO, Rn. 92).

e) Gemäß §§ 1908i, 1838c Nr. 2 BGB i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Satz 1 Nr. 1 der Barbeträge-VO darf die Sozialhilfe nicht von dem Einsatz oder der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden. Ein kleinerer Barbetrag ist danach für jede in § 19 Abs. 3, § 27 Abs. 1 und 2, § 41 und § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII genannte volljährige Person 5.000 €.

Dabei kann zugunsten der Beschwerdeführerin unterstellt werden, dass ihr Ehemann ebenfalls hilfebedürftig im Sinne von §§ 19 Abs. 3, 27 Abs. 1 und 2, 41, 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ist. Sie kann sich trotzdem nicht auf einen Schonbetrag von 10.000 € berufen.

Die Barbeträge-VO differenziert hinsichtlich der geschützten Geldbeträge zwischen der Art der Hilfeleistung, der nachfragenden Person und der Anzahl der in der Einsatzgemeinschaft lebenden Personen (Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/von Koppenfels-Spies, 6. Aufl. 2019, SGB XII § 90 Rn.14). Dass die Barbeträge-VO auch einen geschützten Geldbetrag für andere hilfebedürftige Personen definiert beruht auf dem sozialrechtlichen Konzept der Einsatz- bzw. Bedarfsgemeinschaft. Diese Konzeption ist dem Betreuungsrecht dagegen fremd.

Hilfe zum Lebensunterhalt ist beispielsweise Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dabei ist bei nicht getrenntlebenden Ehegatten das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten gemeinsam zu berücksichtigen, § 27 Abs. 2 Satz 2 SGB XII. Der sozialrechtliche Leistungsanspruch bzw. dessen Umfang ist in diesem Fall nicht nur von dem Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens abhängig. Hierdurch wird der Nachranggrundsatz auf Dritte erweitert (Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Krauß, 6. Aufl. 2019, SGB XII § 27 Rn. 2).

Eine entsprechende Regelung existiert für das Betreuungsrecht nicht. Bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens und Vermögens ist deshalb grundsätzlich nur auf den einzelnen Betroffenen abzustellen. Ein Ehegatte wird auch bei eigener Hilfebedürftigkeit nur dann mit einem weiteren Schonbetrag von 500 € berücksichtigt, wenn er von dem Betroffenen überwiegend unterhalten wird. Besonderen Notlagen im Hinblick auf bedürftige Ehegatten kann im Betreuungsrecht nur durch eine Erhöhung des individuellen Schonbetrags gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 Halbs. 2 SGB XII Rechnung getragen werden. Dafür besteht hier aber keine Veranlassung.

An Schonvermögen kann demnach nur der Schonbetrag von 5.000 € für die Beschwerdeführerin berücksichtigt werden. Der Ehemann der Beschwerdeführerin erhält Krankengeld von rund 1.500 € netto pro Monat. Er wird deshalb nicht im Sinne von § 1 Satz 1 Nr. 2 Barbeträge-VO von der Beschwerdeführerin unterhalten, sodass auch kein weiterer Betrag von 500 € anzusetzen ist.

Die Berechnung des Amtsgerichts ist nach alledem nicht zu beanstanden.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 84 FamFG i.V.m. § 25 Abs. 2 GNotKG.

4. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG zugelassen, weil die Frage der Berechnung des Schonvermögens im Betreuungsrecht, wenn sozialrechtlich eine Einsatzgemeinschaft vorliegt, grundsätzliche Bedeutung hat.

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