LG Mönchengladbach, Beschluss vom 29.06.2020 - 4 T 28/20
Fundstelle
openJur 2020, 46811
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 36 C 295/19

Streitwertbemessung bei unzulässiger Verbindung von Hauptsacheverfahren und einstweiligem Verfügungsverfahren

Tenor

Auf die Streitwertbeschwerde des Beklagten vom 25.02.2020 wird der Streitwert unter Aufhebung der angegriffenen Entscheidung wie folgt neu festgesetzt:

1. für das Verfahren 3 C 359/19 bis zum 10.11.2019 auf EUR 330,00

2. für das Verfahren 36 C 295/19 bis zum 10.11.2019 auf EUR 4.772,00, für den Zeitraum danach auf EUR 5.102,00.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Streitwertbeschwerde bezieht sich auf das Klageverfahren 36 C 295/19 vor dem Amtsgericht Mönchengladbach. Die dortigen Kläger begehrten die Räumung der an den Beklagten und hiesigen Beschwerdeführer vermieteten Wohnung unter der Adresse ... in ... Zudem verlangten sie vom Beklagten Zahlung von € 406,00 nebst Zinsen. Die Klage wurde dem Beklagten am 30.09.2019 zugestellt. Am 18.10.2019 erging ein stattgebendes Versäumnisurteil, das sich allerdings auf den Zahlungsanspruch beschränkte; eine Entscheidung über den Räumungsanspruch fehlte. Im Versäumnisurteil setzte das Amtsgericht den Streitwert auf € 4.366,00 fest. Dabei ging es von einer wertrelevanten Monatsmiete von € 330,00 aus, die sich aus € 230,00 Kaltmiete und € 100,00 nicht der Abrechnungspflicht unterliegender Nebenkostenpauschale zusammensetzt.

Auf den Antrag der Kläger, das Versäumnisurteil um den Räumungsausspruch zu ergänzen (§ 321 Abs. 1 ZPO) bestimmte das Amtsgericht am 24.10.2019 Verhandlungstermin auf den 03.12.2019, 10:20 Uhr.

Am 04.11.2019 beantragten die Kläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Beschwerdeführer. Antragsgegenstand war auch hier die Räumung der an den Beklagten vermieteten Wohnung. Das Verfahren, das zunächst in der Abteilung 3 C 359/19 eingetragen wurde, wurde auf Antrag der Antragsteller durch Beschluss vom 08.11.2019 gem. § 937 Abs. 1 ZPO an die Abteilung 36 als Gericht der Hauptsache abgegeben.

Am 11.11.2019 erließ das Amtsgericht im Verfahren 36 C 295/19 einen Beschluss, in dem es unter lit. A. heißt: "Das einstweilige Verfügungsverfahren 3 C 359/19 wird in Abteilung 36 C zu der Sache 36 C 295/19 übernommen." Sodann bestimmte das Amtsgericht in demselben Beschluss Termin zur mündlichen Verhandlung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf den 03.12.2019, 10:20 Uhr. In der Begleitverfügung ordnete der Abteilungsrichter an: "Die Akten 3 C 359/19 und 36 C 295/19 physisch verbinden und die Sache 3 C 359/19 austragen."

Mit Schriftsatz vom 15.11.2019 haben die Antragsteller zum Aktenzeichen 36 C 295/19 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgenommen. Mit Schriftsatz vom 26.11.2019 erklärten die Kläger den Räumungsanspruch für erledigt, nachdem der Beklagte die Wohnung am 25.11.2019 geräumt zurückgegeben hatte. Daraufhin verlegte das Amtsgericht den Verhandlungstermin auf den 09.01.2020, 10:20 Uhr, und setzte dem Beklagten eine Frist gem. 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO, auf die der Beklagte keine Erklärung abgab. Zum Verhandlungstermin am 09.01.2020 erschien niemand. In diesem Termin erließ das Amtsgericht den folgenden Beschluss:

"Über die Kosten des Rechtsstreits und des einstweiligen Verfügungsverfahrens soll im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 3 ZPO entschieden werden." Innerhalb der gewährten Schriftsatzfrist bis zum 31.01.2020 erfolgte kein weiterer Vortrag.

Am 12.02.2020 erließ das Amtsgericht ein Kostenschlussurteil, mit dem es "die Kosten des Rechtsstreits" den Klägern zu 48 Prozent und dem Beklagten zu 52 Prozent auferlegte. Den Streitwert setzte das Amtsgericht auf € 8.326,00 fest, wovon € 4.366,00 auf die Klageanträge und € 3.960,00 auf den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entfallen würden.

Mit Schreiben vom 25.02.2020 hat der Beklagte "sofortigen Widerspruch gegen den Streitwert aus dem Schreiben vom 14.01.2020" eingelegt. Das bezeichnete Datum entspricht dem Verfügungsdatum zum Kostenschlussurteil vom 12.02.2020. Hinsichtlich der Begründung wird auf den Inhalt des Schreibens Bezug genommen (Bl. 74 und 74 R GA).

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dies wie folgt begründet:

"Es besteht kein Anlass, der Streitwertbeschwerde abzuhelfen, denn der Beklagte teilt nicht mit, welchen Streitwert er mit welcher Begründung für richtig hält. Der Umstand, dass der Beklagte schreibt, "...macht der Anwalt von Herrn ... einen Mietrückstand von 12 Monaten geltend", legt nahe, dass der Beklagte die Schriftsätze der Klägerseite und die Streitwertentscheidung entweder nicht richtig gelesen oder nicht richtig verstanden hat. Niemand hat einen Mietrückstand von 12 Monaten geltend gemacht. Der Kläger hat auf die Räumung einer Mietwohnung geklagt. Gemäß § 41 Abs. 1, Abs. 2 GKG bemisst sich der Streitwert für eine Räumungsklage nach dem für die Dauer eines Jahre zu zahlenden Entgelt."

Der für die Entscheidung über die Beschwerde zuständige Einzelrichter hat das Beschwerdeverfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer übertragen, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 2 GKG.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet.

1.

Der Streitwert des Klageverfahrens ist bis zum 10.11.2019 mit EUR 3.960,00 für den Räumungsantrag und EUR 406,00 für den Zahlungsantrag, insgesamt also EUR 4.366,00, festzusetzen, §§ 41 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO. Der Ansatz des Jahresentgelts ist mit EUR 3.960,00 zutreffend berechnet. Dieses setzt sich vorliegend aus der Kaltmiete und der zwischen den Parteien vereinbarten Nebenkostenpauschale zusammen, da in Bezug auf die Nebenkosten keine Abrechnung erfolgen sollte (vgl. BGH NZM 2007, 935).

2.

Der Streitwert des Verfahrens über den Erlass einer einstweiligen Verfügung war vorliegend mit EUR 330,00 anzusetzen, § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG; § 3 ZPO.

Ausgangspunkt der Wertbemessung ist auch hier der Jahresbetrag der vereinbarten Miete inklusive der Nebenkostenpauschale (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.09.2010 - 24 W 63/10, BeckRS 2010, 23600). Denn mit der begehrten Räumung wäre der in der Hauptsache bereits verfolgte Räumungsanspruch vorweggenommen worden.

Vorliegend ist indes die Besonderheit zu beachten, dass die Hauptsache schon anhängig und bereits ein stattgebendes Versäumnisurteil ergangen war, auch wenn in ihm der Räumungsanspruch fehlerhaft nicht tituliert worden ist. Zur Verhandlung über die Ergänzung des Versäumnisurteils gem. § 321 Abs. 1 ZPO im Hauptsacheverfahren war zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags im einstweiligen Verfügungsverfahren Verhandlungstermin auf den 03.12.2019 bestimmt. Die Ergänzung des Urteils war auch zu erwarten, nachdem aus der Streitwertfestsetzung des Amtsgerichts deutlich wurde, dass das Amtsgericht den Räumungsantrag der Streitwertbemessung zugrunde gelegt hatte und eine Teilabweisung im Wege des Versäumnisurteils nicht in Betracht kam.

Mit dem im einstweiligen Verfügungsverfahren gestellten Räumungsantrag, der am 05.11.2019 anhängig gemacht wurde, hätte die Räumung danach erwartungsgemäß nur um etwa einen Monat beschleunigt werden können. Auf eben diesen Zeitraum ist das Interesse der Kläger vorliegend beschränkt und deshalb als Streitwert anzusetzen.

3.

Mit der Verbindung der Verfahren 3 C 359/19 und 36 C 295/19 ab dem 11.11.2019 sind die Werte der Klageanträge und des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zusammenzurechnen, § 39 Abs. 1 GKG.

Auch wenn der im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgte Anspruch vorliegend ebenso wie der Klageantrag auf Räumung der überlassenen Wohnung gerichtet ist, ist die Addition vorliegend nicht ausgeschlossen.

a)

Mit Verfügung vom 11.11.2019 hat das Amtsgericht die Verfahren 3 C 359/19 und 36 C 295/19 gemäß § 147 ZPO verbunden. Dies ergibt sich nach Auffassung der Kammer bereits aus dem Umstand, dass die in den Verfahren gestellten Anträge nunmehr unter demselben Geschäftszeichen bearbeitet wurden. Soweit das Amtsgericht in nachfolgenden Verfügungen noch zwischen "dem Rechtstreit" und dem "einstweiligen Verfügungsverfahren" differenziert und sich auch zu zwei Terminierungen auf denselben Zeitpunkt veranlasst sieht, erfolgt dies dennoch unter demselben Geschäftszeichen. Auch hat das Amtsgericht im Kostenschlussurteil und in dem Nichtabhilfebeschluss auf die Streitwertentscheidung einheitlich über das gesamte Verfahren entschieden.

Die Verbindung selbst war zwar nicht zulässig, denn ein Eilverfahren auf vorläufigen Rechtsschutz und ein Hauptsacheverfahren stellen unterschiedliche Prozessarten dar, so dass sowohl eine Geltendmachung im selben Verfahren gem. § 260 ZPO als auch eine Verbindung gem. § 147 ZPO ausgeschlossen sind (allgemeine Auffassung, vgl. Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 147 Rn. 3; MüKo-ZPO/Fritsche, 5. Aufl. 2016, § 147 Rn. 4 und -Becker-Eberhard, § 260 Rn. 35; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 147 Rn. 2 und -Foerste,§ 260 Rn. 6c; Saenger/Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 260 Rn. 23). Sie muss von der Kammer indes trotz der Unzulässigkeit für die Streitwertfestsetzung als gegeben vorausgesetzt werden. Die Kammer sieht sich aus rechtlichen Gründen daran gehindert, die eigentlich gebotene Prozesstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO im Wege des vorliegenden Beschwerdeverfahrens vorzunehmen. Denn mit dem von den Parteien nicht angegriffenen Kostenschlussurteil ist der Rechtsstreit beendet worden, so dass eine Prozesstrennung - anders als bei Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Instanz abschließende Entscheidung selbst (vgl. BGH, Beschluss vom 06.12.2006 - XII ZR 97/04, NJW 2007, 909) - nicht mehr möglich ist.

b)

Der Zusammenrechnung steht auch nicht entgegen, dass die verfolgten Räumungsansprüche wirtschaftlich identisch wären. Sie zielen trotz der nahezu wortgleichen Antragstellung auf Unterschiedliches ab.

Dies ergibt sich bereits aus den grundsätzlich unterschiedlichen Prozessarten, die bei der Entscheidung über beide Anträge zugrunde zu legen waren. Auch der Gesetzgeber hat in § 17 Nr. 4 b) RVG, freilich nur bezogen auf die Rechtsanwaltsvergütung, ausdrücklich festgelegt, dass beide Anträge verschiedene Angelegenheiten darstellen, die dementsprechend gesondert zu vergüten sind. Für eine Zusammenrechnung spricht auch die verbreitete gerichtliche Praxis, bei Abschluss eines gerichtlichen Mehrvergleichs über den Gegenstand des Hauptsacheverfahrens bereits im Rahmen der Verhandlung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung den Vergleichswert aus der Addition der einzelnen Werte der Verfahren zu bestimmen (vgl. OLG München, Beschl. v. 22.03.1993 - 11 WF 582/93, juris; OLG München, Beschl. v. 28.02.1969 - 11 W 1458/68, NJW 1969, 938; OLG Hamburg, Beschl. v. 02.09.1958 - 2 W 128/58, MDR 1959, 401).

4.

Die Zulassung der weiteren Beschwerde beruht auf §§ 68 Abs. 1 Satz 5, Satz 6, 66 Abs. 4 GKG, da die Rechtsfrage, wie eine unzulässige Verbindung sich auf die Bemessung des Streitwerts auswirkt, soweit ersichtlich noch nicht obergerichtlich entschieden wurde.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen die Entscheidung über die Beschwerde ist die weitere Beschwerde nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 4 GKG statthaft. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung bei dem Landgericht Mönchengladbach, Hohenzollernstr. 157, 41061 Mönchengladbach, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.