LG Kassel, Beschluss vom 24.09.2019 - 3 T 496/19
Fundstelle
openJur 2020, 44503
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 16.09.2019 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 09.09.2019 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe

I. Der Gläubiger betreibt aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 18.01.2008 (Az. 512 F 2557/07) die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.09.2018 in Höhe von 3.051,- €. Er erwirkte am 11.06.2019, nachdem der Antrag am 07.06.2019 bei dem Amtsgericht Kassel eingegangen war, einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (Bl. 1 ff. d. A.), wobei es das Amtsgericht - entgegen des angeführten Antrages - zunächst unterließ, gemäß §§ 850k Abs. 3, 850d ZPO den Pfändungsfreibetrag herabzusetzen.

Mit Beschluss vom 09.09.29019 (Bl. 16 d.A.) hat das Amtsgericht in Ergänzung zum Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 11.06.2019 ergänzend den pfandfreien Betrag gemäß § 850k Abs. 3 ZPO i. V. m. § 850d ZPO auf monatlich 980,- € festgesetzt, soweit es sich bei dem gepfändeten Konto um ein Pfändungsschutzkonto handelt.

Gegen die ihm am 12.09.2019 zugestellte Entscheidung richtet sich das Rechtsmittel des Schuldners vom 16.09.2019 (Bl. 30 d.A.), am 19.09.2019 bei dem Amtsgericht eingegangen. Zur Begründung hat der Schuldner im Wesentlichen ausgeführt, er sei vom 01.04. bis 31.10. eines jeden Jahres bei der "......" beschäftigt, im Übrigen Zeitraum stets arbeitslos, wobei er sodann wechselnd ALG I oder Hartz IV erhalte. Sein insoweit zu berücksichtigendes Durchschnittseinkommen betrage lediglich 890,- €, er müsse von dem im Sommer erhaltenen Einkommen von monatlich ca. 1.100,- € netto einen Teil zurückhalten, um seine Arbeitslosigkeit finanzieren zu können.

Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel durch Beschluss vom 19.09.2019 (Bl. 23 f. d.A.) nicht abgeholfen und die Verfahrensakte der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die Beschwerde ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 793 ZPO statthaft und form- und fristgerecht bei Gericht eingegangen, § 569 ZPO. Sie hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Zutreffend hat das Amtsgericht den Pfändungsfreibetrag nach Maßgabe von §§ 850k Abs. 3, 850d ZPO auf 980,- € festgesetzt.

Erfolgt die Pfändung des Kontoguthabens wegen der in § 850d ZPO genannten Ansprüche, so ergibt sich die Höhe des pfandfreien Guthabens auf einem Pfändungsschutzkonto abweichend von den in § 850k Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO genannten Grundfreibeträgen aus der Beschlussfassung des Vollstreckungsgerichts (§ 850k Abs. 3 ZPO). Das Gericht hat den Betrag zu bestimmen, der von der Pfändung des Guthabens für den Fall freigestellt ist, dass es sich um ein Pfändungsschutzkonto handelt. Der hiernach zu bestimmende Betrag ist an der Regelung des § 850d ZPO auszurichten (BeckOK ZPO/Riedel, 33. Ed. 1.7.2019, ZPO § 850k, Rn. 24, 25).

Gemäß § 850d Abs. 1 ZPO sind das Arbeitseinkommen und die in § 850a Nr. 1, 2 und 4 ZPO genannten Bezüge bei der - hier gegebenen - Vollstreckung gesetzlicher Unterhaltsansprüche unter Verwandten ohne die in § 850c ZPO bezeichneten Beschränkungen pfändbar. Dem Schuldner ist lediglich so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf. Die Festsetzung dieses Mindestbedarfs hat das Gericht nach billigem Ermessen vorzunehmen.

Eine privilegierte Pfändung in dem genannten Sinne ist auch nicht nach Maßgabe von § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen. Danach gelten § 850d Abs. 1 S. 1 - 3 ZPO für die Pfändung wegen der Rückstände, die länger als ein Jahr vor dem Antrag auf Erlass des Pfändungsbeschlusses fällig geworden sind, insoweit nicht, als nach Lage der Verhältnisse nicht anzunehmen ist, dass der Schuldner sich seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen hat. Dies hat der darlegungs- und beweislaste Schuldner (vgl. BGH, Beschluss vom 21.12.2014, Az. IXa ZB 273/03, Rn. 9, juris) jedoch nicht dargetan. Für den Schuldner konnte kein Zweifel daran bestehen, dass er dem Grunde nach unterhaltsverpflichtet ist. Zahlt der Schuldner aber trotz bestehender Zahlungsmöglichkeit nicht, verwendet ihm zur Verfügung stehende Mittel vielmehr anders und erschwert so eine zeitnahe Realisierung der entstehenden Rückstände, ist von einem absichtlichen Entziehen auszugehen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 12; KG Berlin, Beschluss vom 18. Oktober 1985 - 1 W 2887/85 -, juris).

2. Die Bestimmung des eigenen notwendigen Bedarfs des Schuldners durch das Amtsgericht ist nicht zu beanstanden.

Zur Bestimmung des eigenen notwendigen Bedarfs eines Schuldners orientiert sich die Kammer - wie das Amtsgericht - im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung an dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. und 11. Kapitels des SGB XII (vgl. Oberlandesgericht Frankfurt a.M., Beschluss vom 05.06.2000 15 W 47/00; BGH NJW 2003, 2918; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 850d, Rn. 7).

Seit dem 01.01.2005 ist für die Bestimmung des Bedarfs auf die in der Anlage zu § 28 SGB XII i.V.m. der Berechnung nach dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz - RBEG - (BGBL I S. 453) niedergelegten sechs Regelbedarfsstufen abzustellen. Diese unterliegen nicht mehr der Festsetzung und Fortschreibung der durch die jeweiligen Landesministerien aufgrund der Ermächtigungsgrundlage des bis zum 31.12.2010 geltenden § 28 II S. 1 SGB XII a.F. erlassenen Rechtsverordnungen. Gemäß § 40 SGB XII sind die Regelbedarfsstufen nunmehr unter Berücksichtigung der in § 28a SGB XII normierten Grundsätze durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates fortzuschreiben.

Aufgrund der derzeit geltenden Anlage zu § 28 SGB XII beträgt der für den Schuldner maßgebende Betrag der Regelbedarfsstufe 1 (eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind) seit dem 01.01.2019 monatlich 424,- €.

Ein (pauschaler) Zuschlag hierzu ist nicht gerechtfertigt. Maßgeblich ist allein der Bedarf nach den genannten Grundsätzen, in den auch der Bedarf für nicht regelmäßig wiederkehrende besondere Bedürfnisse und Anlässe bereits pauschal einbezogen ist, weswegen sie im vorliegenden Zusammenhang nicht durch einen ergänzenden Zuschlag noch einmal gesondert berücksichtigt werden dürfen (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl.; § 850f Rn. 2a).

Auch eine (frühere) gehobene Lebensstellung berechtigt nicht zu höheren Freibeträgen.

Allerdings ist für die mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Aufwendungen und letztendlich als Anreiz für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigkeit ein Bonus zuzubilligen, den die Kammer im Zweifel mit 25 % des Regelbedarfs bemisst, vorliegend mithin mit 106,- €.

Schließlich gehören zum notwendigen Unterhalt des Schuldners auch dessen Wohnkosten. Diesbezüglich ist im Rahmen von § 850d ZPO allgemein anerkannt, dass die tatsächlich anfallenden Wohnkosten zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht im Einzelfall unangemessen hoch ausfallen (BGH NJW 2003, 2918; OLG Frankfurt a.M. FamRZ 2000, 614). Als Orientierungshilfe und Anhaltspunkt für die noch angemessenen Wohnkosten kommen nach ständiger Rechtsprechung der Kammer im vorliegenden Zusammenhang die Bestimmungen des Wohngeldgesetzes in Betracht, die im Vergleich zur Sozialhilfe weiter reichenden Schutz gewähren, jedoch deutlich machen, welche Beträge im Rahmen des (übrigen) Sozialrechts noch angemessen sind (vgl. auch OLG Frankfurt a.M. FamRZ 2000, 614; Beschluss vom 11.09.2000 25 W 058/00 ; OLG Köln Rpfleger 1999, 548 (549); OLG Köln NJW 1992, 2836 (2837); offen gelassen in BGH NJW 2003, 2918 (2920)). Dabei darf auf die nach dem Maßstab des Wohngeldgesetzes im mittleren Bereich liegenden Mietkosten abgestellt werden (vgl. KG OLGR 1994, 57 (58)). Bei Gemeinden mit Mieten der Stufe II im Sinne des § 12 Abs. 1 WoGG in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung ergibt sich bei einem Haushalt mit einem Alleinstehenden ein Höchstbetrag von 351,00 €, bei Gemeinden mit der Mietstufe III ein Höchstbetrag von 390,00 €, was einen vorliegend zugrunde zu legenden Mittelwert von 370,50 € ergibt. Die maßgebliche Erhöhung der Beträge zum 01.01.2016 ist auch im Rahmen von § 850d ZPO zu berücksichtigen, weil sie der Entwicklung der Wohnkosten in den vergangenen Jahren Rechnung trägt.

In den genannten Höchstbeträgen sind gemäß § 11 WoGG allerdings noch nicht die Kosten der Heizung enthalten, die - sofern nachgewiesen und angemessen - in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen, anderenfalls zu schätzen sind.

Unter Schätzung der Wohnkosten erachtet die Kammer - nach der Änderung des § 12 Abs. 1 WoGG zum 01.01.2016 - für eine alleinstehende Person Wohnkosten in Höhe von bis zu 450,00 € für angemessen.

Der so bestimmte Mindestbedarf kann indes nur Ausgangspunkt für die weitere Abwägung sein; denn der Bundesgerichtshof hat insoweit wiederholt hervorgehoben, dass die von Gesetzes wegen nach billigem Ermessen zu treffende Bestimmung des Vollstreckungsgerichts eine schematisierende Betrachtungsweise verbietet (vgl. BGH RPfleger 2005, 201; BGH NJW RR 2005, 1239 (1240)).

Der Schuldner hat jedoch keine weiteren Umstände vorgetragen, die eine Abweichung vom auf 980,- € (424,- € + 106,- € + 450,- €) festgesetzten Pfändungsfreibetrag für seinen eigenen notwendigen Unterhalt rechtfertigen würden.

3. Auch die Voraussetzungen des § 765a ZPO liegen nicht vor.

Gemäß § 765a ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich der Schuldner mit Härten, welche jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, abzufinden hat. Es begründet daher keine Härte im Sinne des § 765a ZPO, dass die Zwangsvollstreckungsmaßnahme einen erheblichen Eingriff in den Lebenskreis des Schuldners bewirkt (OLGZ Frankfurt 81, 250). Für die Anwendung des § 765a ZPO genügen weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch soziale Gesichtspunkte. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur in besonders gelagerten Fällen, nämlich nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. Zöller/Seibel, ZPO, 32. Aufl., § 765a, Rn. 5). Schuldnerschutz im Rahmen von § 765a ZPO kann nur bei krassem Missverhältnis der für und gegen die Vollstreckung sprechenden Interessen gewährt werden. Ein solch krasses Missverhältnis ist hier nicht zu erkennen. Denn eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegen einen schutzunwürdigen Schuldner ist regelmäßig nicht als sittenwidrig anzusehen (Zöller/Seibel, a. a. O., § 765a ZPO, Rn. 7). Jedenfalls kommt Nachteilen, welche für den Schuldner absehbar und im Vorfeld vermeidbar waren, kaum noch Gewicht zu (vgl. LG Heilbronn BeckRS 2012, 20053; AG Bielefeld BeckRS 2012, 20012 bzgl. Kontopfändung; BeckOK ZPO/Ulrici ZPO, § 765a, Rn. 12, beck-online).

Soweit der Schuldner es unterlässt, in den Wintermonaten einer Tätigkeit nachzugehen, kann dies nicht zu Lasten des Unterhaltsgläubigers gehen, jedenfalls gehen damit keine unbilligen Härten im oben genannten Sinne einher.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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