OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.07.2020 - OVG 4 S 27/20
Fundstelle
openJur 2020, 42664
  • Rkr:

Ein Polizeiobermeisteranwärter kann wegen mangelnder persönlicher Eignung auch vor Beendigung des Vorbereitungsdienstes entlassen werden.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 24. April 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf über 4.000 bis 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Gemessen an dem durch das Beschwerdevorbringen begrenzten Prüfungsstoff hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen seine mit Bescheid des Antragsgegners vom 28. Januar 2020 verfügte und für sofort vollziehbar erklärte Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf wiederherzustellen, zu Recht abgelehnt.

Der Antragsteller wendet gegen den Beschluss ein, das Verwaltungsgericht gehe offenbar davon aus, seine charakterliche Nichteignung sei insbesondere aufgrund des Vorfalls vom 22. August 2019 "per se festgestellt", lasse dabei aber die für ihn günstigen Umstände unberücksichtigt. Diese Rüge greift schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht nicht lediglich auf diesen Vorfall abgestellt hat. Vielmehr hat es ausgeführt, dass "die wiederholten, ja geradezu renitenten Verstöße gegen das von der Hochschule der Polizei verfügte Verbot der stetigen Mobiltelefonnutzung durch den Antragsteller in der Hochschule, gipfelnd in seiner Abgabe eines (Zweit-)Mobiltelefons ‚zum Schein‘, dem Verstecken des eigentlich genutzten Telefons auf der Toilette im Vorfeld einer befürchteten Durchsuchung und der anschließenden Verschleierung dieser Täuschung durch Angabe von Unwahrheiten gegenüber Lehrkräften (Vorfall vom 22. August 2019)" ohne Weiteres die Annahme der fehlenden charakterlichen Eignung rechtfertigten. Die Ereignisse am 22. August 2019 waren danach lediglich der "Höhepunkt" eines über einen langen (mehrmonatigen) Zeitraum andauernden Fehlverhaltens, das nach den unbestrittenen Feststellungen im angegriffenen Bescheid mit zahlreichen pflichtermahnenden Gesprächen bei den Vorgesetzten und Ermahnungen der Lehrkräfte sowie Stellungnahmen des Antragstellers einherging. Der Antragsteller räumte im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entlassung selbst ein, dass es wegen seines Verhaltens "nicht zu einer so hohen Anzahl von Stellungnahmen und Gesprächen (hätte) kommen müssen und dürfen".

Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht selbstständig tragend angenommen, der Antragsgegner habe die fehlende charakterliche Eignung des Antragstellers zu Recht auch daraus abgeleitet, dass sich dieser - deutlich nach seiner Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf - nach einem Verkehrsunfall (Überfahren eines Pollers) am 28. Februar 2019 vom Unfallort entfernt und sich auch in den anschließenden Tagen nicht bei der Polizei angezeigt, sondern dies erst am 6. März 2019 nachgeholt habe, nachdem bereits die Hochschule der Polizei über die Unfallflucht informiert gewesen sei. Zu alledem äußert sich der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung nicht. Im Gegenteil trägt er vor, er habe sich "gewiss (...) Verfehlungen einzugestehen", meint jedoch, diese seien nicht derart gravierend, dass sein übriges Verhalten keine für ihn günstige Beurteilung zulasse. Soweit er in diesem Zusammenhang erneut auf sein Praktikum verweist, bei dem er im Ergebnis 12 Punkte erzielt habe, hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Leistungen des Antragstellers während der Ausbildung der Annahme des Fehlens der charakterlichen Eignung nicht entgegenstünden, weil sie in erster Linie seine fachliche, nicht aber die charakterliche Eignung beträfen. Der Einwand des Antragstellers, ohne Berücksichtigung seines Praktikums "würde bereits ein einmaliger Verstoß gegen bestimmte Vorgaben" des Antragsgegners zu einer nicht wieder gut zu machenden charakterlichen Nichteignung führen, geht an den Ausführungen des Verwaltungsgerichts vorbei.

Der Hinweis des Antragstellers, der Gesetzgeber habe die Entlassung von Beamtinnen bzw. Beamten auf Widerruf in § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG mit einer intendierten Ermessensausübung versehen, verhilft seiner Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Nach dieser Vorschrift reicht jeder sachliche Grund für eine Entlassung aus. Das Erfordernis des sachlichen Grundes hat lediglich den Zweck, Willkür aus dem freien Ermessen der Behörde zu verbannen (vgl. Beschluss des Senats vom 10. Juli 2019 - OVG 4 S 20.19 - juris Rn. 5 m.w.N.). Zwar bestimmt § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG, dass den Beamtinnen und Beamten auf Widerruf die Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung gegeben werden soll. Diese Sollvorschrift findet nicht nur auf Vorbereitungsdienste Anwendung, die zugleich allgemeine Ausbildungsstätten für Berufe außerhalb des öffentlichen Dienstes sind, sondern auch auf Beamtenverhältnisse, die allein auf Berufe des öffentlichen Dienstes vorbereiten, etwa den Beruf eines Polizisten (vgl. Beschluss des Senats vom 10. April 2019 - OVG 4 S 16.19 - juris Rn. 3 m.w.N.). Wenn aber der Vorbereitungsdienst einen nur im öffentlichen Dienst auszuübenden Beruf betrifft und die Gründe für die Entlassung der Beamtin oder dem Beamten auf Widerruf zuzurechnen sind, insbesondere wegen fehlender charakterlicher oder gesundheitlicher Eignung, gelten die beamtenrechtlichen Regelungen ohne Abstriche (vgl. Beschluss des Senats vom 10. April 2019 - OVG 4 S 16.19 - juris Rn. 5 f.; OVG Münster, Beschluss vom 18. Februar 2019 - 6 B 1551/18 - juris Rn. 22 f., jeweils m.w.N.). Der Dienstherr kann daher von § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG ermessensfehlerfrei eine Ausnahme machen, wenn mit der erfolgreichen Ableistung des Vorbereitungsdienstes aller Voraussicht nach nicht mehr gerechnet werden kann oder begründete Zweifel an der Eignung der Beamtin oder des Beamten auf Widerruf für die angestrebte Laufbahn bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1981 - 2 C 48.78 - juris Rn. 21 und Beschluss vom 26. Januar 2010 - 2 B 47.09 - juris Rn. 6; Beschlüsse des Senats vom 10. April 2019 - OVG 4 S 16.19 - juris Rn. 7 und vom 10. Juli 2019 - OVG 4 S 20.19 - juris Rn. 8 f.; OVG Bremen, Beschluss vom 13. Juli 2018 - 2 B 174/18 - juris Rn. 9; OVG Münster, Beschluss vom 18. Februar 2019 - 6 B 1551/18 - juris Rn. 20 f., jeweils m.w.N.). Dann kann die Entlassung auch erst kurz vor Ende der Ausbildung ausgesprochen werden.

Fehl geht der Einwand des Antragstellers, wenn sein Verhalten ein "derart grober Verstoß" sein sollte, ließe sich nicht erklären, weshalb der Antragsgegner mit seiner Entscheidung über fünf Monate gezögert habe. Der Antragsgegner wartete offenkundig den Ausgang des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Antragsteller ab, das am 13. November 2019 mit einer Einstellung endete. Danach gewährte er dem Antragsteller rechtliches Gehör zur beabsichtigten Entlassung, woraufhin dieser am 6. Dezember 2019 und nochmals am 15. Januar 2020 ausführliche Stellungnahmen einreichte. In der Zwischenzeit beteiligte der Antragsgegner die Gleichstellungsbeauftragte und den Personalrat am Entlassungsverfahren.

Der Antragsteller macht ferner vergeblich geltend, das Verwaltungsgericht sei nicht auf seine Argumente eingegangen; weder sein Einwand hinsichtlich der Ermessenserwägungen noch der bestrittene und nicht nachgewiesene Vorwurf erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten fänden Eingang. Bei dieser Kritik übersieht er, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichts sowohl seine wiederholten Verstöße gegen das Verbot der stetigen Mobiltelefonnutzung als auch sein Verhalten nach dem Verkehrsunfall die berechtigten Zweifel an seiner charakterlichen Eignung belegten. Auf den im Bescheid aufgeführten weiteren Vorwurf erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten kam es danach nicht mehr an. Da nach Ansicht des Verwaltungsgerichts die vom Antragsteller hervorgehobenen notenmäßig ordentlichen oder guten Leistungen der Annahme des Fehlens der charakterlichen Eignung nicht entgegenstehen, bedurfte es dazu keiner weiteren Ausführungen bei den Ermessenserwägungen. Ermessensfehler unter anderen Gesichtspunkten spricht der Antragsteller nicht an.

Der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Antragsgegner habe die Anordnung der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Bescheides in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Form begründet, tritt der Antragsteller nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG (in Anlehnung an § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG) und veranschlagt wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung die Hälfte des auf die Klage entfallenden Betrages.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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