VG Stuttgart, Beschluss vom 21.07.2017 - 1 K 10462/17
Fundstelle
openJur 2020, 33744
  • Rkr:

1. Eine gelegentliche Einnahme von Cannabis ist bereits bei zwei selbständigen Konsumvorgängen anzunehmen.

2. Der einmalige Konsum endet nicht mit der einmaligen Inhalation des Rauschmittels. Er dürfte zumindest die in zeitlichem Zusammenhang stehende Zufuhr einer Konsumeinheit (Zigarette o.ä.) umfassen.

3. Selbst wenn man darüber hinaus auch den in zeitlichem Zusammenhang stehenden Konsum mehrerer Konsumeinheiten des Betäubungsmittels noch als "einheitlichen Konsum" ansehen möchte (so: OVG Berlin-Brandenburg (richtig: Frankfurt (Oder), Beschluss vom 13.12.2004 - 4 B 206/04 -, und BayVGH Beschlüsse vom 16.08.2006 - 11 CS 05.3394 -, und vom 27.03.2006 - 11 CS 05.1559 -, juris), endet der Zurechnungszusammenhang spätestens mit einer mehrere Stunden anhaltenden Unterbrechung.

4. Die Dogmatik zum strafprozessualen Tatbegriff ist wenig geeignet, um den einmaligen vom regelmäßigen Betäubungsmittelkonsum abzugrenzen (anders: BayVGH, Beschluss vom 27.03.2006 - 11 Cs 05.1559 -, juris).

5. Während die strafprozessuale Abgrenzung rechtstaatliche Mindestanforderungen des Strafverfahrens sichert, ist Gegenstand des Fahrerlaubnisrechts der Ausgleich zwischen individueller Freiheit und der Sicherheit des Straßenverkehrs anhand einer abstrakten Gefahrenprognose. Außerdem ist das Strafprozessrecht gezwungen, einen allgemeinen Tatbegriff für alle Delikte zu definieren, für das es anders als das Fahrerlaubnisrecht nicht auf naturgesetzliche Fakten zurückgreifen kann.

6. Von einem einmaligen Cannabiskonsum kann darum bei wertender Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Zielsetzung beim Konsum mehrerer Konsumeinheiten nur dann ausgegangen werden, wenn dieser neben einem zeitlichen auch einen räumlich/inhaltlichen Zusammenhang aufweist und nicht für mehrere Stunden unterbrochen war.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wehrt sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Das Landratsamt Rems-Murr Kreis erteilte dem 19.07.1983 geborenen Antragsteller am 16.04.2007 die Fahrerlaubnis für die Klassen B, M, L und S.

Im Anschluss an eine Verkehrskontrolle gab der Antragsteller am 13.11.2016 um 21.35 Uhr eine Blutprobe ab, die nach einem forensisch-toxikologischen Gutachten der GRUS mbH Tübingen folgende Rückstände enthielt:

Tetrahydrocannabinol (THC)

12,2 ng/ml

11-Hydroxy-Tetrahydrocannabinol

2,99 ng/ml

Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure

39,0 ng/ml

Die Antragsgegnerin ordnete daraufhin die Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens an. Bei der Befragung durch die damit befasste TÜV Süd Life Service GmbH erklärte der Antragsteller entgegen seiner ursprünglichen Einlassung nur am 13.11. zwischen 16 und 17.30 Uhr erst- und einmalig Cannabis konsumiert zu haben, er habe vom 11. bis 13.11.2016 Cannabis konsumiert, insgesamt wohl fünf Joints. Die bei der Begutachtung entnommene Blutprobe erbrachte keinen Nachweis einer der untersuchten Substanzen.

Mit Verfügung vom 30.05.2017 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis (1.), verpflichtete den Antragsteller seinen Führerschein unverzüglich, spätestens bis zum 13.06.2017 beim Landratsamt des Rems-Murr Kreises abzugeben (2.), ordnete die sofortige Vollziehung der Nr. 1 und 2. an (3.), drohte dem Antragsteller für den Fall der Nichtabgabe seines Führerscheines den unmittelbaren Zwang an (4.) und setzte eine Gebühr von 203,76 € fest (5.). Sie stützte ihre Verfügung darauf, dass der Antragsteller "gelegentlichen" Cannabis konsumiere.

Dagegen hat der Antragsteller am 01.06.2017 Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

Am 21.06.2017 hat der Antragsteller den hiesigen Antrag im einstweiligen Rechtschutz erhoben.

Der Antragsteller trägt vor, er habe nur einmalig im Probierstadium Cannabis konsumiert. Zwar habe er seinem Körper mehrere Konsumeinheiten der Droge zugeführt, wegen des engen zeitlichen Zusammenhanges sei dies rechtlich aber gleichwohl als einmaliger Konsum zu bewerten. Selbst wenn man das anders sehe, hätte die Fahrerlaubnisentziehung nicht ohne die vorherige Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erfolgen dürfen. Schon darum sei die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches wiederherzustellen.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches vom 01.06.2017 gegen die Nr. 3 der Verfügung der Antragsgegnerin vom 30.05.2017 (AZ: 214/ Überprüfung *XXX) wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Er habe nicht lediglich einmalig, sondern gelegentlich Cannabis konsumiert. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs und der anderen Verkehrsteilnehmer geboten. Auch der gesonderten Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens habe es nicht bedurft. Die fehlende Kraftfahreignung sei gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV bereits durch eine belegte Fahrt mit einer THC-Konzentration von mehr als 1,0 ng/ml im Blutserum nachgewiesen.

Dem Gericht liegen die einschlägigen Behördenakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten, die Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer, § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO.

Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft. Die Statthaftigkeit des Antrages folgt daraus, dass Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben, § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO, die Antragstellerin in Nr. 3 der angegriffenen Verfügung vom 30.05.2017 jedoch die sofortige Vollziehung angeordnet hat, § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.

Der Antrag ist unbegründet. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde, wiederherstellen, wenn das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der erlassene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da dann ein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung nicht besteht.

Dagegen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, wenn sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist und ein besonderes Vollziehungsinteresse hinzutritt. Wenn sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung dagegen weder die offensichtliche Rechtswidrigkeit noch die offensichtliche Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung feststellen lässt, hängt der Ausgang des Verfahrens vom Ergebnis einer vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung ab (allg. Ansicht, vgl. etwa BayVGH, Beschluss vom 29.04.2014 - 3 CS 14.273 -, juris).

Vorliegend besteht kein Anlass, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers wiederherzustellen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung überwiegt gegenüber dem Interesse des Antragstellers an deren Aussetzung. Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass sein Widerspruch nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung sowohl formell (1.) als auch materiell (2.) rechtmäßig erging.

1. Macht die Behörde von der Möglichkeit Gebrauch, entgegen dem Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO die sofortige Vollziehung anzuordnen, § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, hat sie gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Verstößt die Behörde gegen diese Pflicht, so hat ein beim Gericht gestellter Antrag, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen, nach allgemeiner Meinung schon aus diesem Grund Erfolg (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.02.2016 - 3 S 2225/15 -, juris Rn. 6).

Die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit der erforderlichen Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Beteiligten den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Ihr Zweck ist es ferner, dem Betroffenen die Kenntnis der für die Vollziehungsanordnung maßgeblichen Gründe zu vermitteln (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.02.2016 - 3 S 2225/15 -, juris Rn. 7; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 80 Rn. 242; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 445).

Aus der Begründung muss daher hinreichend nachvollziehbar hervorgehen, aus welchen öffentlichen oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten liegenden Gründen die Behörde es für gerechtfertigt oder geboten hält, den durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ansonsten eintretenden vorläufigen Rechtsschutz des Betroffenen zu versagen. Nur pauschale oder formelhafte, für jede beliebige Fallgestaltung passende Wendungen genügen dementsprechend nicht. Ob die Erwägungen der Behörde inhaltlich zutreffen, ist für die Einhaltung des nur formellen Begründungserfordernisses nicht von Bedeutung (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 06.07.2015 - 8 S 534/15 -, juris und 25.09.2012 - 10 S 731/12 -, DVBl. 2012, 1506; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 446).

Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Antragsgegnerin auf S. 4 der angegriffenen Verfügung.

Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wegen der in Art 19 Abs. 4 GG verbürgten Garantie effektiven Rechtsschutzes ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich ist, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (BVerfG, Beschlüsse vom 18.07.1973 - 1 BvR 23/73 und 1 BvR 155/73 -, BVerfGE 35, 382; vom 25.01.1996 - 2 BvR 2718/95 -, AuAS 1996, 62 und vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, juris Leitsatz 2b), die Antragsgegnerin vorliegend aber teilweise Gründe, auf die die Verfügung selbst gestützt wurde, auch zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung herangezogen hat.

Angesichts der hohen Bedeutung der Sicherheit des Straßenverkehrs ist dies bei verkehrsbezogenen Verfügungen häufig der Fall, sodass die speziell für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene Begründung in der Regel knapp gehalten werden kann (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.06.2002 - 10 S 985/02 -, VBlBW 2002, 441; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 759 m.w.N.).

2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte auch materiell rechtmäßig, weil die Verfügung vom 30.05.2017 rechtmäßig erging.

Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung war § 3 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV. Bedenken an der formellen Rechtmäßigkeit bestehen nicht. Insbesondere ist der Antragsteller vor der Entziehung angehört worden.

Tatbestandlich setzt § 46 Abs. 1 FeV die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen voraus. Sie kann sich gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 FeV insbesondere aus Erkrankungen oder Mängeln nach den Anlage 4-6 der FeV ergeben. Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV schließt der gelegentliche Konsum von Cannabis die Fahreignung aus, wenn der Betroffene den Konsum und das Führen eines Kfz trennt. Der einmalige Konsum lässt im Umkehrschluss die Fahreignung unberührt.

Das Gericht geht bei seiner rechtlichen Bewertung von den Aussagen des Antragstellers gegenüber der TÜV Süd-GmbH aus, wonach er fünf Joints über einen Zeitraum von drei Tagen (11. - 13.11.2016) konsumierte. Weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren wurden diese bestritten.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist bei einem solchen Konsum nicht mehr von einmaligem Konsum auszugehen. Unstreitig endet der einmalige Konsum nicht mit der einmaligen Inhalation des Rauschmittels. Er dürfte stattdessen zumindest die in zeitlichem Zusammenhang stehende Zufuhr einer Konsumeinheit (Zigarette o.ä.) des Betäubungsmittels umfassen. Selbst wenn man darüber hinaus auch den in zeitlichem Zusammenhang stehenden Konsum mehrerer Konsumeinheiten des Betäubungsmittels noch als "einheitlichen Konsum" ansehen möchte (so: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.12.2004 - 4 B 206/04 -, und BayVGH Beschlüsse vom 16.08.2006 - 11 CS 05.3394 -, und vom 27.03.2006 - 11 CS 05.1559 -, juris), endet der Zurechnungszusammenhang spätestens mit einer mehrere Stunden anhaltenden Unterbrechung. Eine gelegentliche Einnahme von Cannabis ist bereits bei zwei selbständigen Konsumvorgängen anzunehmen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.09.2003 - 10 S 1294/03 -, VBlBW 2004, 32; ebenso u.a. BayVGH, Beschluss vom 04.11.2008 - 11 CS 08.2576 -, juris).

Der maßgeblichen Grund warum nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung nur die regelmäßige und (beim Hinzutreten weiterer Umstände) die gelegentliche, nicht aber die einmalige Einnahme von Cannabis den Wegfall der Fahreignung nach sich zieht, liegt darin, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis ausschließlich der Verhinderung künftiger Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs, nicht aber der Ahndung eines in der Vergangenheit liegenden Fehlverhaltens im Umgang mit Betäubungsmitteln dient (BayVGH, Beschluss vom 25.01.2006 - 11 CS 05.1453 -, juris).

Belässt es der Fahrerlaubnisinhaber bei einem einmaligen, experimentellen Gebrauch dieser Droge, so ergibt sich daraus keine Notwendigkeit, ihm zwecks Vermeidung künftiger Ordnungsstörungen die Fahrerlaubnis zu entziehen (BayVGH, Beschluss vom 27.03.2006 - 11 CS 05.1559 -, juris). Verstetigt sich dieser einmalige, experimentelle Gebrauch ohne hinreichende Trennung zum Führen eines Kfz hin zu gelegentlichem Konsum ändert sich die Gefahrenprognose. Der Gesetzgeber hat sie in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV derart vertypt, dass dann abstrakt generell von einer Gefährdung des Straßenverkehrs durch den Fahrerlaubnisinhaber auszugehen ist, sodass seine Eignung zum Führen eines Kfz entfällt.

Selbst wenn man mit dem Vortrag des Antragstellervertreters zur Abgrenzung zwischen einmaligem und gelegentlichem Konsum die Dogmatik zum strafprozessualen "Tatbegriff" fruchtbar machen möchte (so BayVGH, Beschluss vom 27.03.2006 - 11 Cs 05.1559 -, juris) stellt der Konsum von fünf Joints über einen Zeitraum von drei Tagen keinen einheitlichen Lebensvorgang dar, der innerlich so miteinander verknüpft ist, dass er nach der Lebensauffassung eine Einheit bildet und seine getrennte Behandlung als unnatürliche Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens erscheinen würde (so zum strafprozessualen Tatbegriff mit umfassenden Nachweisen zur obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur: Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, 58. Aufl., § 264 Rn. 2 ff.).

So ist für den strafprozessualen Tatbegriff entscheidend, dass ein enger sachlicher Zusammenhang besteht (Meyer-Goßner, ebenda). Ein solcher kann möglicherweise noch bei mehreren aufeinander folgenden Konsumvorgängen binnen weniger Stunden im Rahmen eines einheitlichen Lebensvorganges, etwa einer Feier, einer spirituellen Sitzung oder eines Ausfluges angenommen werden. Entsprechende Konstellationen mit mehreren Konsumvorgängen innerhalb von vier bis maximal sechs Stunden lagen denn auch den einleitend zitierten Judikaten des OVG Berlin Brandenburg und des BayVGH zugrunde (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.12.2004 - 4 B 206/04 -, und BayVGH Beschlüsse vom 16.08.2006 - 11 CS 05.3394 -, und vom 27.03.2006 - 11 CS 05.1559 -, juris). Spätestens mit dem Ende dieses einheitlichen Lebensvorganges endet demnach auch der einmalige einheitliche Konsumvorgang und ein neuer, zweiter Konsum beginnt. Selbst wenn man von einem stetigen Konsum des Antragstellers ausgeht, lagen somit mindestens zwei Nächte und mehrere Stunden zwischen den Konsumvorgängen, sodass von einem mehrmaligen und damit von einem gelegentlichen Konsum auszugehen ist.

Das Gericht erachtet im Übrigen die Übernahme der Dogmatik zum strafprozessualen Tatbegriff als wenig geeignet, um den einmaligen vom regelmäßigen Betäubungsmittelkonsum abzugrenzen. Zwar ist das Ziel der dortigen Überlegungen, die Abgrenzung zwischen einer oder mehrerer "Taten" formal identisch mit dem hiesigen. Die materiellen Unterschiede zur hiesigen Problematik machen gleichwohl eine Übernahme unmöglich. Die strafprozessuale Abgrenzung dient der Umgrenzungsfunktion der Anklage, dem Akkusationsprinzip, dem Strafklageverbrauch und dem Verbot der Doppelbestrafung, Art. 103 Abs. 3 GG (Kuckein, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Auflage, § 264 Rn. 1, 2). Sie sichert damit letztlich rechtstaatliche Mindestanforderungen des Strafverfahrens.

Gegenstand des Fahrerlaubnisrechts ist dagegen der Ausgleich zwischen individueller Freiheit und der Sicherheit des Straßenverkehrs. Ratio der Normierung in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist damit eine abstrakte Prognose der Gefahren, welche aus den Konsumvorgängen und der nicht hinreichenden Trennung mit dem Führen eines Kfz im Straßenverkehr erwächst.

Weiter unterscheiden sich beide Abgrenzungsmuster dadurch, dass das Strafprozessrecht gezwungen ist, einen allgemeinen Tatbegriff für alle Delikte zu definieren und gerade nicht auf naturgesetzliche Vorgaben zurückgreifen kann, während es bei der Abgrenzung von einmaligem und gelegentlichem Cannabiskonsum um eine spezielle Konstellation handelt, die sich mit Resorptionsraten und -zeiten auf naturwissenschaftliche Fakten stützen kann. Nach alledem ist die Dogmatik zum strafprozessualen Tatbegriff nicht geeignet, um den einmaligen vom gelegentlichen Cannabiskonsum abzugrenzen.

Stattdessen ist der individuelle Sachverhalt mit Blick auf den Schutzzweck der Norm und die naturgesetzlichen Abläufe differenziert zu würdigen. Der Wirkstoff von Cannabis, THC ist nach Einzelkonsum nur vier bis sechs Stunden nachweisbar, lediglich bei regelmäßigem oder wiederholtem Konsum für längere Zeit (vgl. nur Schubert/Mattern, Urteilsbildung in der medizinisch-psychologischen Fahreignungsdiagnostik, 2. Aufl., S. 178). Die akute Rauschphase beträgt 3-4 Stunden (Möller, in: Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, § 3 Rn. 72). Daraus folgt, dass ein zweiter Konsumvorgang der nach Ablauf dieser Zeitspanne erfolgt, nicht mehr als einmaliger Konsum zu werten ist.

Bei einem weiteren Konsumvorgang innerhalb dieser Zeitspanne und damit einer Perpetuierung der bewusstseinserweiternden Wirkung ist darauf abzustellen, ob bei wertender Betrachtung mit Blick auf die gesetzgeberische Zielsetzung der FeV unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles von mehreren Konsumvorgängen ausgegangen werden kann. Wann das konkret der Fall ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Unabdingbare Voraussetzung dürfte jedoch neben eines zeitlichen auch ein räumlich inhaltlicher Zusammenhang dergestalt sein, dass der Probierkonsum innerhalb eines den Konsum umklammernden, einheitlichen Lebensvorganges stattfindet, etwa einer Feier, einer spirituellen Sitzung etc. und er nicht mehrstündig unterbrochen ist.

Der Antragsteller hat sich gegenüber den Ermittlungsbehörden dergestalt eingelassen, dass er zwischen Freitag dem 11.11.2016 und Sonntag dem 13.11.2016 insgesamt fünf Joints konsumiert hat. Über einen derart langen Zeitraum fehlt es zum einen am hinreichenden Zurechnungszusammenhang und dem klammernden Ereignis. Zudem liegt in den mehrstündigen Konsumpausen während dieser Tage eine Zäsur, sodass bei wertender Betrachtungsweise kein einheitlicher einmaliger Konsumvorgang gegeben ist.

Schließlich durfte die Antragsgegnerin dem Antragsteller auch die Fahrerlaubnis entziehen, ohne ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzufordern.

Gemäß § 46 Abs. 3 FeV finden bei Bedenken über den Fortbestand der Kraftfahrzeugeignung für die Entziehung der Fahrerlaubnis die §§ 11 - 14 FeV entsprechende Anwendung. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen nach § 24a StVG begangen wurden. Nach § 24a Abs. 2 S. 1 StVG i.V.m. der Anlage zum StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt. Nach dem reinen Wortlaut ist die Norm nicht einschlägig.

Dementsprechend ist es jedenfalls im Eilverfahren rechtlich nicht zu beanstanden, Personen, die gelegentlich Cannabis einnehmen und zwischen Konsum und Fahren nicht trennen können, nach Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV ohne weiteres als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen und ihnen ohne Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens die Fahrerlaubnis zu entziehen (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 07.03.2017 - 10 S 328/17 - und vom 22.07.2016 - 10 S 738/16 - VBlBW 2016, 518; sowie Urteil vom 22.11.2012 - 10 S 3174/11 - VBlBW 2013, 391). Diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht bestätigt (BVerwG, Urteil vom 23.10.2014 - 3 C 3.13 - NJW 2015, 2439).

Dem Verweis des Antragstellers auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, laut derer diese Rechtsprechung zu überprüfen ist, weil sonst für die seit 30.10.2008 geltende Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV keinerlei Anwendungsbereich bliebe (BayVGH, Urteil vom 29.08.2016, 11 Cs 16.1460, juris), vermag das Gericht nicht zu folgen.

Zum einen hat § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV auch unter dieser Prämisse Anwendungsfälle (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.07.2009 - 16 B 895/09 -, DAR 2009, 598; allerdings zu § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.03.2012 - 1 S 18.12 -, Blutalkohol 49, 177). Außerdem spricht gegen einen der herrschenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu der Vorschrift in Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV zuwiderlaufenden Willen des Verordnungsgebers, dass dieser keine der in letzter Zeit erfolgten Änderungen der FeV zum Anlass genommen hat, insoweit korrigierend oder klarstellend tätig zu werden (ausführlich zum Ganzen auch VG Augsburg, Beschlüsse vom 23.01.2017 - Au 7 S 16.1714 -, juris und vom 11.01.2017 - Au 7 S 16.1592 -, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 09.11.2016 - W 6 S 16.1093 -, juris; Koehl, DAR 2017, 66).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG sowie den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.05./01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen (NVwZ-Beilage 2013, 57 ff.). Von den Fahrerlaubnisklassen B, M, L und S - die der Antragsteller zuletzt inne hatte - hat nur die Klasse B eigenständige Bedeutung, § 6 Abs. 3 FeV i.V.m. Anlage 3 A. II. zur FeV. Hieraus errechnet sich in Anlehnung an die Empfehlungen des Streitwertkatalogs Nummer 46.3 ein Streitwert von 5.000,-- EUR. Er ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Satz 1 der Nummer 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren. Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheindokuments bleibt bei der Streitwertfestsetzung mangels eigenständiger Bedeutung außer Betracht.