LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09.05.2005 - L 5 ER 7/05 KR
Fundstelle
openJur 2020, 21550
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 12.11.2004 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen einen Beitragsbescheid der Antragsgegnerin.

Die 1944 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Sie schloss am 1.12.1984 mit ihrem Arbeitgeber eine Vereinbarung über eine Direktversicherung bei der A. Lebensversicherungs-AG ab. Danach wurde der Anspruch auf Gehalt in Höhe von monatlich 200,--DM in einen Anspruch auf Versicherungsschutz in Form von Beiträgen zu einer Direktversicherung im Sinne des § 1 Abs 2 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) umgewandelt. Am 1.5.2004 zahlte die A. -Lebensversicherungs-AG an die Antragstellerin einen Betrag von insgesamt 47.011,60 € (Teilbeträge von 25.411,90 € und 21.599,70 €) aus. Sie teilte der Antragsgegnerin mit, es handele sich um eine Kapitalzahlung der betrieblichen Altersversorgung.

Mit Bescheid vom 30.4.2004 stellte die Antragsgegnerin - zugleich im Namen der B. Ersatzkasse - Pflegekasse - handelnd - gegenüber der Antragstellerin fest, dass aufgrund der Auszahlung der Lebensversicherung diese Versorgungsleistung ab dem 1.5.2004 in Höhe von monatlich 391,76 € auf den Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag anzurechnen sei und die Antragsgegnerin hieraus ab diesem Zeitpunkt zu 14,9 % (58,37 €) in der gesetzlichen Krankenversicherung und zu 1,7 % (6,66 €) in der sozialen Pflegeversicherung beitragspflichtig sei, dh hieraus einen monatlichen Betrag von 65,03 € zu entrichten habe. In einem weiteren Schreiben an die Antragstellerin vom gleichen Tag führte die Antragsgegnerin aus, in den Fällen, in denen die Versorgungsbezüge in einer Summe ausgezahlt werden, sei die Leistung auf einen Zeitraum von 10 Jahren umzurechnen; dies bedeute, dass zu Lasten der Antragstellerin in einem Zeitraum von 120 Monaten 391,76 € monatlich bei der Beitragsberechnung angerechnet würden.

Gegen die Anrechnung der Lebensversicherung auf die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Die Antragsgegnerin setzte die Antragstellerin daraufhin in Kenntnis, dass wegen dieser Problematik Musterstreitverfahren durchgeführt würden; es sei daher für die Antragstellerin nicht erforderlich, ein eigenes Sozialgerichtsverfahren anzustrengen. Die Antragsgegnerin lehnte es aber ab, bis zur Entscheidung in den Musterstreitverfahren auf die Erhebung des monatlichen Betrags von 65,03 € zu verzichten.

Am 22.9.2004 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Speyer die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 30.4.2004 beantragt. Sie hat vorgetragen: Die auf der Rechtsänderung durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) beruhende Heranziehung der Lebensversicherung zur Beitragsbemessung würde zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen echten Rückwirkung führen, da eine solche nachteilige Auswirkung der Direktversicherung bei deren Abschluss im Jahre 1984 nicht absehbar gewesen sei. Keinesfalls habe der über den Ertragsanteil hinausgehende Teil der Lebensversicherung der Beitragspflicht unterworfen werden dürfen. Auf Anfrage des SG hat die Antragstellerin klargestellt, dass sich ihr Antrag nur auf die Beiträge zur Krankenversicherung beziehe, da davon ausgegangen werde, dass sich die Pflegekasse ggf an eine zu ihren (der Antragstellerin) Gunsten lautende Entscheidung hinsichtlich der Krankenversicherungsbeiträge halten werde.

Durch Beschluss vom 12.11.2004 hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Starke Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 30.4.2004, welche eine solche Anordnung rechtfertigen könnten, bestünden nicht. Die Beitragseinstufung ergebe sich aus der ab dem 1.1.2004 bestehenden Gesetzeslage nach § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 3 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) iVm § 229 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB V. Die sich hieraus ergebende rechtliche Beurteilung verstoße nicht gegen Vorschriften des Grundgesetzes (GG). Es sprächen gute Gründe dafür, von einer sog unechten Rückwirkung auszugehen. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des GMG am 1.1.2004 sei der Lebenssachverhalt noch nicht abgeschlossen gewesen, da noch nicht alle Beiträge zur Direktversicherung entrichtet gewesen seien und noch kein Auszahlungsanspruch auf die Lebensversicherung bestanden habe. Dass die meisten Beiträge gezahlt gewesen seien, rechtfertige keine andere Betrachtungsweise, weil die Beitragsentrichtung zum Zwecke der Erzielung eines Anspruchs auf Auszahlung einer einmaligen Leistung einen untrennbaren Lebenssachverhalt darstelle. Liege demnach keine echte, sondern nur eine unechte Rückwirkung vor, seien Änderungen eines in der Vergangenheit begründeten und noch bestehenden Rechtsverhältnisses für die Zukunft zulässig, wenn die mit der Neuregelung verfolgten Interessen der Allgemeinheit das Vertrauen der Betroffenen auf die Fortgeltung der bisherigen Rechtslage überwögen. Die gebotene summarische Prüfung ergebe, dass ein Interesse der Allgemeinheit bestehe, Umgehungen der Beitragspflicht zu verhindern, die nach der alten Rechtslage möglich gewesen seien. Dass das Interesse der von der Neuregelung betroffenen Versicherten das Interesse der Allgemeinheit eindeutig überwiege, könne das Gericht nicht erkennen, sodass ein verfassungsrechtlich zu beanstandender Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes zwar nicht ausgeschlossen, aber wohl eher unwahrscheinlich, jedenfalls aber nicht überwiegend wahrscheinlich sei. Die vorläufige Zahlung der 65,03 € monatlich sei der Antragstellerin zuzumuten, zumal das Gericht nicht erkennen könne, dass sie die Beiträge nicht aufbringen könne.

Gegen diesen ihr am 15.11.2004 zugestellten Beschluss richtet sich die am 9.12.2004 beim SG Speyer eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, der das SG nicht abgeholfen hat. Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und zusätzlich vorgetragen: Es könne nicht angehen, dass sie durch die ab dem 1.1.2004 geltende Neuregelung schlechter gestellt sei, wie wenn sie eine um fünf Monate verkürzte Laufzeit des Versicherungsvertrages gewählt oder sich von sich aus dazu entschlossen hätte, die Lebensversicherung vorzeitig zu kündigen. Ihr Vertrauen sei umso mehr schutzwürdig, als sie über ihre gesetzliche Versicherung hinaus eine Krankenkostenvollversicherung auf privater Basis unterhalte. Es werde anheim gestellt, das Verfahren auszusetzen und gemäß Art 100 GG dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet.

Der Antrag der Antragstellerin ist nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Bei der im Rahmen des § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG erforderlichen Abwägungsentscheidung ist nach den Kriterien des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG vorzugehen (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 86b, Rz 12). Nach dieser Vorschrift soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel iSd § 86a Abs 3 Satz 2 SGG bestehen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg, wie der Senat bereits entschieden hat (Beschluss vom 9.12.2004, Az L 5 ER 95/04 KR). Dafür spricht, dass der Gesetzgeber durch § 86a Abs 2 Nr 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Abgabebescheiden bewusst auf den Adressaten verlagert hat, um die notwendigen Einnahmen der öffentlichen Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben sicherzustellen. Diese gesetzliche Risikoverteilung würde unterlaufen, wenn bei völlig offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Vollziehung ausgesetzt würde, auch wenn keine unbillige Härte iSd § 86a Abs 3 Satz 2 SGG vorliegt. Unabhängig davon kommt der Senat vorliegend zu dem Ergebnis, dass die Klage in einem etwaigen Hauptsacheverfahren wahrscheinlich keinen Erfolg haben würde.

Wie das SG zu Recht dargelegt hat, ist die Lebensversicherung nach § 229 SGB V idF des GMG vom 14.11.2003 bei der Höhe der Krankenversicherungsbeiträge anrechenbar. Nach § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V wird bei versicherungspflichtigen Beschäftigten der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) zugrundegelegt. Gemäß § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V gelten als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge), soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden, Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung. Zu solchen Versorgungsbezügen zählen auch Bezüge aus einer Direktversicherung iSd § 1 Abs 2 Satz 1 BetrAVG v 19.12.1974 (BGBl I 3610). Anzuknüpfen ist dabei an den Zahlbetrag, nicht lediglich an den sog Ertragsanteil (LSG Hamburg, 21.1.2004, L 1 KR 24/02, P 10/02).

Bei der Direktversicherung handelt es sich um eine vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer mit einem Versicherungsunternehmen im Wege einer Gruppen- oder Einzelversicherung auf den Todes- oder Erlebensfall des Arbeitnehmers abgeschlossene Kapitalversicherung, bei welcher der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind (vgl § 1 Abs 2 Satz 1 BetrAVG). Als Versicherungsnehmer ist der Arbeitgeber zur Zahlung der Prämien verpflichtet (vgl Küttner/Kreitner, Personalbuch, 11. Aufl 2004, Betriebliche Altersversorgung, Rz 26 ff). Zusätzlich zum Lohn gezahlte Direktversicherungsbeiträge werden pauschal besteuert, wobei der Satz der Pauschalbesteuerung von ursprünglich 10 % schrittweise auf 20 % angehoben wurde (§ 40b Einkommensteuergesetz - EStG). Die Pauschalbesteuerung von Prämien für eine Direktversicherung führt zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung, wenn die Direktversicherung zusätzlich zum Arbeitsentgelt tritt (BSG, 14.7.2004, B 12 KR 10/02 R), soweit ein jährlicher Höchstbetrag nicht überschritten wird (bis 1989 2.400 DM, danach 3.000 DM und ab 1996 3.408 DM = 1.752 €).

Die Versicherungsleistung aus der Direktversicherung ist grundsätzlich ein Versorgungsbezug iSd § 229 Abs 1 Satz 1 SGB V (BSG 26.3.1996, 12 RK 21/95, SozR 3-2500 § 229 Nr 13). Nach der Rechtslage bis zum 31.12.2003 galt dies allerdings nicht, wenn eine einmalige Kapitalleistung gezahlt wurde und diese von vornherein als solche vereinbart oder zugesagt worden war. Das beruhte auf der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V. Diese Vorschrift lautete bis zum 31.12.2003: "Tritt an die Stelle der Versorgungsleistung eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung, gilt ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für 120 Monate". Diese Vorschrift wurde von der Rechtsprechung (zuletzt BSG 25.8.2004, B 12 KR 30/03 R) so ausgelegt, dass Beiträge aus einer Kapitalabfindung nur dann berechnet werden könnten, wenn dadurch ein bereits geschuldeter Versorgungsbezug ersetzt wurde, nicht jedoch im Falle der Vereinbarung oder Zusage einer originären Kapitalleistung.

Diese Rechtslage wurde durch das GMG geändert, indem in § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V vor dem Wort "gilt" die Worte "oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden" eingefügt wurden. Nach der Gesetzesbegründung zum GMG (BT-Drs 15/1525 S 139 zu Nr 143) bezweckt die Neuregelung die Beseitigung von Umgehungsmöglichkeiten bei der Beitragspflicht für Versorgungsbezüge. Weiter heißt es dort: "Die Spitzenverbände der Kranken- und Rentenversicherungsträger haben im Gemeinsamen Rundschreiben vom 21. März 2002 hierzu ausgeführt, dass Beiträge aus einer Kapitalabfindung nur dann berechnet werden können, wenn dadurch ein bereits geschuldeter Versorgungsbezug ersetzt wird. Geschuldet wird ein Versorgungsbezug, wenn der Versicherungsfall (Erwerbsminderung, Rentenalter) bereits eingetreten ist. Im Umkehrschluss sind keine Beiträge zu berechnen, wenn der Anspruch auf die Kapitalleistung vor Eintritt des Versicherungsfalls zugesichert wird bzw die einmalige Leistung von vornherein als solche vereinbart oder zugesagt worden war (originäre Kapitalleistung; BSGE vom 18. Dezember 1984 und 30. März 1995). Die Beitragspflicht wird also durch entsprechende Vereinbarungen umgangen. Aus Gründen der gleichmäßigen Behandlung aller Betroffenen soll diese Lücke geschlossen werden."

Damit sind Kapitalzahlungen der betrieblichen Altersversorgung nach der Änderung des § 229 SGB V beitragspflichtig, weshalb es im Falle der Klägerin entscheidend darauf ankommt, ob diese Neuregelung zu ihren Ungunsten eingreift. § 229 SGB V ist am 1.1.2004 in Kraft getreten (Art 37 Abs 1 GMG). Eine Übergangsvorschrift hierzu ist im GMG nicht enthalten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine derartige Gesetzesänderung jedenfalls alle diejenigen Fälle erfassen soll, bei denen hinsichtlich der für die Neuregelung maßgebenden Tatsachen noch kein abgeschlossener Sachverhalt vorlag; ausgehend hiervon ist § 229 SGB V idF des GMG einschlägig, weil die Kapitalleistung am 1.1.2004 noch nicht fällig war. Davon, dass der Gesetzgeber mit § 229 SGB V neuer Fassung nur die erst nach deren Inkrafttreten abgeschlossenen Direktversicherungen erfassen wollte, kann auch schon wegen der langen Laufzeit solcher Versicherungsverträge nicht ausgegangen werden.

Eine andere rechtliche Beurteilung wäre bei dieser Sachlage nur geboten, wenn sich aus verfassungsrechtlichen Gründen ergäbe, dass die Neuregelung für "Altfälle" zu Lasten der Versicherten noch nicht eingreifen darf. Insoweit kommt es darauf an, ob zu Gunsten der Klägerin die Grundsätze des Verbots einer rückwirkenden Belastung eingreifen. Würde dies bejaht, bestünden keine Bedenken, § 229 SGB V nF verfassungskonform so auszulegen, dass der Personenkreis, welcher die Klägerin zugehört, noch in den Genuss des Schutzes von § 229 SGB V aF kommt. Einer Vorlage an das BVerfG bedarf es daher schon aus diesem Grund nicht.

Bei der Frage, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Vertrauensschutz der Antragstellerin zu berücksichtigen ist, ist als Ausgangspunkt zu beachten, dass es sich nicht um eine echte, sondern um eine unechte Rückwirkung handelt. Eine echte Rückwirkung setzt voraus, dass die Rechtsnorm nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfG, 13.5.1986, 1 BvR 99, 461/85, BVerfGE 72, 175). Eine unechte Rückwirkung liegt demgegenüber nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl zB 5.2.2002, 2 BvR 305/93, NJW 2002, 3009 ff) vor, wenn die Rechtsfolgen eines Gesetzes erst nach Verkündung der Norm eintreten, ihr Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits zum Teil vor der Verkündung ins Werk gesetzt wurden. Dies ist vorliegend der Fall, da die Gesetzesänderung zwar vor Fälligwerden der Lebensversicherung in Kraft trat, aber der Wert der Altersversorgung dadurch geschmälert wurde (vgl für Betriebsrenten BAG, 28.5.2002, 3 AZR 422/01, BAGE 101, 186 ff).

Eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig (Sachs, GG, Art 20, Rz 136; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, Art 20 Rz 73). Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, ist im Sozialversicherungsrecht, ebenso wie im Steuerrecht (BVerfG, 5.2.2002, aaO), nicht geschützt. Eine unechte Rückwirkung ist ausnahmsweise unzulässig, wenn das Gesetz 1. einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte, und 2. das Vertrauen des Betroffenen schutzwürdig ist (Jarass, aaO, Rz 73a).

Gesetze, auf die ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen gegründet wird, dürfen nicht ohne besondere und überwiegende Gründe des öffentlichen Interesses rückwirkend geändert werden; der Einzelne kann sich jedoch dann nicht auf Vertrauensschutz berufen, wenn das Vertrauen auf den Fortbestand einer ihm günstigen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen kann (BVerfG, 5.2.2002, aaO). Es bedarf daher in solchen Fällen einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für die Allgemeinheit (BVerfG 16.7.1985, 1 BvL 5/80, SozR 2200 § 165 Nr 81; 13.5.1986, 1 BvL 55/83, SozR 2200 § 1265 Nr 78). Normadressaten dürfen in der Regel nicht mit dem Fortbestand von gesetzlichen Vorschriften rechnen und müssen davon ausgehen, dass wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Staates bzw der Solidargemeinschaft in der Sozialversicherung Rechnung getragen wird (vgl BAG, 28.5.2002, 3 AZR 422/01; 20.4.2004, AZR 266/02, NZA-RR 2005, 95 ff). Davon ist aber eine Ausnahme zu machen, wenn bei Abwägung mit Belangen des Gemeinwohls das schutzwürdige Vertrauen des nachteilig in seinen Rechtspositionen Betroffenen den Vorrang verdient, wobei auch das Maß des berechtigten Vertrauens Berücksichtigung findet (Sachs, aaO, Rz 137). Ob und in welchem Umfang in solchen Fällen Übergangsregelungen notwendig sind, ist durch eine Abwägung des gesetzlichen Zwecks mit der Beeinträchtigung des Betroffenen zu bestimmen; dabei steht dem Gesetzgeber ein erheblicher Spielraum zur Verfügung; insbesondere spielt es eine Rolle, wie gewichtig die Beeinträchtigung ist (Jarass, aaO, Rz 75).

Vorliegend besteht kein Zweifel, dass ein erhebliches öffentliches Interesse an der Anwendung von § 229 SGB V nF auch in Fällen wie dem vorliegenden besteht. Gerechtfertigt wird die Erweiterung der Beitragslast für Versorgungsbezüge durch das öffentliche Interesse an einer Stärkung der finanziellen Grundlage der gesetzlichen Krankenversicherung (Bieback, SozSich 2004, 289, 298). Demgegenüber kommt der Senat bei summarischer Würdigung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Antragstellerin nicht höher zu bewerten ist. Zwar kann ein Vertrauensschutz dadurch begründet sein, dass in Rechtspositionen eingegriffen wird, die auf eigenen Dispositionen und Investitionen der Bürger beruhen (Bieback, aaO). Dagegen, dass sich die Antragstellerin auf den Fortbestand der sie begünstigenden gesetzlichen Regelung verlassen durfte, spricht aber die Tatsache, dass im Falle der originären Kapitalleistung - wie dargelegt - ausgehend von der alten Regelung der dieser zugrundeliegende Gesetzeszweck umgangen wurde. Dies spricht ebenso gegen einen Vertrauensschutz des Betroffenen, wie ein Vertrauensschutz zB bei einem angemessenen Abbau einer Überversorgung verneint wird (BAG, 19.11.2002, 3 AZR 167/02, BAGE 104, 1 ff). Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Rechtslage im Zeitpunkt des Abschlusses des Direktversicherungsvertrages der Antragstellerin nicht eindeutig und nicht unumstritten war. Dies ergibt sich daraus, dass das BSG hierüber entscheiden musste (18.12.1984, 12 RK 36/84, SozR 2200 § 180 Nr 25); wenn das BSG diese Rechtsprechung vor dem Fälligwerden der Lebensversicherung geändert hätte, hätte die Antragstellerin dies ohne Vertrauensschutz hinnehmen müssen. Wenn außerdem berücksichtigt wird, dass von den für die Direktversicherung verwendeten zusätzlichen Zahlungen des Arbeitgebers lediglich pauschal Steuern, aber keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden mussten - dies hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren ausdrücklich bestätigt -, sind die Interessen der Antragstellerin nicht höher zu gewichten als das Interesse der Solidargemeinschaft. Dass die Antragstellerin eine Krankenkostenvollversicherung auf privater Basis unterhält, macht ihr Vertrauen nicht schutzwürdiger.

Diese rechtliche Beurteilung beinhaltet keinen Verstoß gegen Art 14 GG. Die Eigentumsgarantie käme nur zum Zuge, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen würden, dass sie erdrosselnde Wirkung haben (BVerfG, 8.4.1997, 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, 300 mwN; zu Betriebsrenten vgl BAG, 28.5.2002, 3 AZR 422/01, BAGE 101, 186 ff). Daran fehlt es vorliegend.

Es ist auch nicht verfassungsrechtlich geboten, lediglich einen Ertragsanteil aus der Lebensversicherung zu Krankenversicherungsbeiträgen heranzuziehen (ebenso LSG Hamburg, aaO). Aus der Entscheidung des BVerfG vom 6.3.2002 (2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73), wonach es mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar ist, soweit einerseits Versorgungsbezüge (Beamtenpensionen) bis auf einen Versorgungs-Freibetrag von höchstens insgesamt 6.000 DM zu den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören und andererseits Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur mit Ertragsanteilen besteuert werden, folgt nicht, dass die betrieblichen Versorgungsbezüge der Antragstellerin nur mit ihrem Ertragsanteil berücksichtigt werden dürfen.

Die Vollziehung der in Rede stehenden Bescheide führt auch nicht zu einer nicht durch öffentliche Interessen gebotenen Härte iSd § 86a Abs 3 Satz 2 SGG für die Antragstellerin. Eine unbillige Härte liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Leistung hinausgehen und nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können (Meyer-Ladewig, aaO, § 86a, Rz 27). Dafür sind vorliegend keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) angefochten werden (§ 177 SGG).

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