Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.11.2009 - 11 CS 09.2082
Fundstelle
openJur 2012, 104126
  • Rkr:
Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 7. August 2009 wird der Antrag angelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1983 geborene Antragsteller wendet sich gegen den Sofortvollzug der Feststellung, dass er nicht berechtigt ist, von seiner am 7. April 2009 erworbenen tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, und den Sofortvollzug der entsprechenden Vorlageanordnung.

Das Landratsamt Regen entzog dem Antragsteller mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 18. April 2007 wegen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Drogeneinfluss (Cannabis, THC: 2,2 ng/ml; THC-COOH: 21 ng/ml) die Fahrerlaubnis der Klassen A1 und B. Im Verkehrszentralregister sind diese Fahrerlaubnisentziehung und zwei Ordnungswidrigkeiten wegen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung eines berauschenden Mittels mit Fahrverboten bis 11. Januar 2007 und 19. August 2007 eingetragen.

Im Mai 2009 erfuhr der Antragsgegner durch eine Mitteilung des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit, dass der Antragsteller im Besitz einer tschechischen Fahrerlaubnis für die Führerscheinklasse B ist, die am 7. April 2009 durch die Stadt Most erteilt wurde. In Feld 8 des entsprechenden Führerscheins ist als Wohnsitz Most eingetragen. Nach der Mitteilung des Gemeinsamen Zentrums hat der Antragsteller im Zeitraum vom 24. Februar 2009 bis 6. August 2011 vorübergehend Aufenthalt in der Tschechischen Republik. Seine Adresse dort lautet: 43401 Most, ...

Mit Bescheid vom 12. Juni 2009 stellte der Antragsgegner fest, dass der Antragsteller nicht berechtigt ist, von seiner tschechischen EU-Fahrerlaubnis, ausgestellt am 7. April 2009, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. 1), forderte ihn zur unverzüglichen Vorlage des Führerscheins auf (Nr. 2), ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an (Nr. 3) und drohte für den Fall der Nichterfüllung der Nr. 2 des Bescheids ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € an (Nr. 4). Die in der Tschechischen Republik erworbene Fahrerlaubnis berechtige nicht zum Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet, da gegen den Antragsteller zuvor im Inland eine der in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV genannten Maßnahmen verhängt worden und die entsprechende Eintragung im Verkehrszentralregister noch nicht getilgt sei. Eine Anerkennung der ausländischen Fahrerlaubnis nach § 28 Abs. 5 FeV sei nicht erfolgt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 8. Juli 2009 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg und beantragte gleichzeitig, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die sofortige Vollziehung des Bescheids vom 12. Juni 2009 wiederherzustellen. Die vorliegende Maßnahme sei europarechtswidrig, weil sich aus Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG entnehmen lasse, dass eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden dürfe. Durch die erneute Führerscheinprüfung und Eignungsprüfung in Tschechien mit der anschließenden Erteilung einer EU-Fahrerlaubnis am 7. April 2009 habe er den Beweis erbracht, dass er grundsätzlich geeignet sei, ein Fahrzeug im Straßenverkehr zu führen.

Das Verwaltungsgericht stellte mit Beschluss vom 7. August 2009 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 12. Juni 2009 bezüglich der Nrn. 1 und 2 wieder her und ordnete sie bezüglich der Nr. 4 an. Nach summarischer Prüfung lasse sich nicht feststellen, dass der Antragsteller nicht berechtigt sei, die ausländische EU-Fahrerlaubnis für das Führen von Kraftfahrzeugen im Inland zu gebrauchen. Der angefochtene Bescheid finde keine Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 4 FeV in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. Januar 2009 (BGBl I S. 29), die am 19. Januar 2009 in Kraft getreten sei. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV lägen nicht vor, weil sich aus dem Führerschein selbst nicht ergebe, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Erteilung des Führerscheins seinen Wohnort nicht in Tschechien gehabt habe. Es lägen auch keine unbestreitbaren Informationen des Ausstellungsmitgliedstaates über einen Wohnort des Antragstellers in Deutschland vor. Die Nichtanerkennung der EU-Fahrerlaubnis lasse sich auch nicht auf § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV stützen. Zwar sei dem Antragsteller seine deutsche Fahrerlaubnis im Jahr 2007 entzogen worden, was auch noch im Verkehrszentralregister eingetragen sei. Es sei aber anerkannt, dass § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV wegen Unvereinbarkeit mit der 2. EG-Führerscheinrichtlinie nicht mehr anwendbar gewesen sei. Aus Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG vom 20. Dezember 2006, der zum 19. Januar 2009 in Kraft getreten sei, ergebe sich nichts anderes. Zum einen dürfe nach Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden. Zum anderen sehe Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG die Befugnis zur Ablehnung der Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins nur vor, wenn er von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, der der Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden sei. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sei nicht anzunehmen, dass dazu auch Fälle der Fahrerlaubnisentziehung und Neuerteilung einer EU-Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist gehörten, ohne dass ein Fall des Wohnsitzmissbrauchs im Sinne der EuGH-Rechtsprechung nachgewiesen sei. Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG solle ebenso wie Art. 8 Abs. 4 und 2 der Richtlinie 91/439/EWG dem Führerscheintourismus begegnen und habe einen fast gleichen Wortlaut. Der Unterschied zwischen den Worten "kann ablehnen" in Art. 8 Abs. 4 und dem Wort "lehnt ab" in Art. 11 Abs. 4 lege keine andere Auslegung nahe.

Mit der gegen diese Entscheidung eingelegten Beschwerde beantragt der Antragsgegner,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass das Verwaltungsgericht die mit der Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG zum 19. Januar 2009 eingetretene Änderung bei der Auslegung des § 28 Abs. 4 FeV verkenne. Die Rechtsprechung des EuGH, wonach die Inlandsanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis vom "Aufnahmemitgliedstaat" dann verweigert werden könne, wenn diese während einer im Inland laufenden Sperrfrist oder unter Verstoß gegen die Wohnsitzvoraussetzung erteilt worden sei, sei aufgrund der Richtlinie 91/439/EWG ergangen und nur noch für vor dem 19. Januar 2009 erteilte ausländische EU-Fahrerlaubnisse maßgeblich. Eine ab dem 19. Januar 2009 in einem anderen EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis berechtige schon dann nicht zur Fahrzeugführung im Inland, wenn gegen den Inhaber zuvor im Inland eine der in Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG angesprochenen Maßnahmen verhängt worden sei. Auf den Gesichtspunkt der Sperrfrist, des Wohnsitzes oder des Eintritts nachträglicher Umstände komme es dabei nicht an. Insoweit wurde auf die Begründung der Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung (BR-Drs. 851/08) verwiesen.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts scheitere eine uneingeschränkte Anwendbarkeit des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV nicht deshalb, weil Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG wegen Art. 13 Abs. 2 dieser Richtlinie für den Entzug oder die Einschränkung von Fahrerlaubnissen, die vor dem 19. Januar 2013 erteilt worden sind, keine Bedeutung habe. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie, der aufgrund seiner systematischen Stellung nur in Bezug auf die Äquivalenzen mit den nicht dem EG-Muster entsprechenden Führerscheinen anwendbar sei, könne Bestandsschutz nur gewähren, soweit nicht in der Richtlinie selbst speziellere Vorschriften über die Nichtanerkennung ausländischer EU-Fahrerlaubnisse und den Geltungsbeginn dieser Normen enthalten seien.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakte verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juni 2009 zu Unrecht wiederhergestellt bzw. angeordnet, weil gegen die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids bei summarischer Prüfung keine Bedenken bestehen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung (BVerwG vom 11.12.2008, BVerwGE 132, 315 m.w.N.). Zugrunde zu legen ist somit die Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. August 1998 (BGBl I S. 2214) im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 12. Juni 2009, bis zu diesem Zeitpunkt zuletzt geändert durch die am 19. Januar 2009 in Kraft getretene Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. Januar 2009 (BGBl I S. 29). Der gemeinschaftsrechtliche Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 S. 18), sogenannte 3. Führerscheinrichtlinie, nach deren Art. 18 Satz 2 der Art. 11 Abs. 1 und 3 bis 6 mit den Regelungen über den Entzug, die Ersetzung und die Anerkennung von Führerscheinen ebenfalls ab dem 19. Januar 2009 gilt.

1. Die Feststellung der fehlenden Berechtigung des Antragstellers, von seiner am 7. April 2009 ausgestellten tschechischen EU-Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. 1 des Bescheidstenors), findet ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Sätze 2 und 3 FeV. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung nach Abs. 1 nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben. In den Fällen des Satzes 1 Nrn. 2 und 3 kann die Behörde nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV ist Satz 1 Nrn. 3 und 4 nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Verkehrszentralregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmungen sind erfüllt. Die gegenüber dem Antragsteller am 18. April 2007 verfügte bestandskräftige Entziehung der Fahrerlaubnis ist eine der in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV aufgeführten Maßnahmen, die die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV im Inland ausschließen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist auch im Verkehrszentralregister eingetragen und nicht nach § 29 StVG getilgt.

Der Feststellung der Fahrerlaubnisbehörde, dass der Antragsteller nicht berechtigt ist, von seiner tschechischen EU-Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, stand der gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsgrundsatz nicht entgegen. Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG werden zwar die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt. Abweichend hiervon bestimmt aber Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaates entzogen worden ist, wie dies beim Antragsteller der Fall ist. Die Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG wird nicht durch deren Art. 13 Abs. 2 ausgeschlossen, wonach eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden darf. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG steht im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 2 Buchst. a und b dieser Richtlinie. Nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG haben ab dem 19. Januar 2013 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen AM, A1, A2, A, B, B1 und BE eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren. Die Mitgliedstaaten können diese Führerscheine auch mit einer Gültigkeitsdauer bis zu 15 Jahren ausstellen (Satz 2).

Gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie haben ab dem 19. Januar 2013 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1, D1E eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie will gewährleisten, dass die vor dem 19. Januar 2013 mit einer längeren Gültigkeitsdauer als 15 bzw. fünf Jahre ausgestellten Führerscheine nicht auf diese Gültigkeitsdauer zeitlich beschränkt oder wegen ihrer Überschreitung entzogen werden. Die Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie wird deshalb durch Art. 13 Abs. 2 für die Zeit vor dem 19. Januar 2013 nicht ausgeschlossen.

Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG ist nach der Überzeugung des Senats nicht entsprechend der zu Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl L 237 vom 24.8.1991 S. 1) ergangenen Rechtsprechung des EuGH einschränkend auszulegen.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann er diese Befugnis aber nur aufgrund eines Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ausüben (vgl. in diesem Sinn die Beschlüsse vom 6.4.2006 - Rechtssache C-227/05, Halbritter - RdNr. 38 und vom 28.9.2006 Rechtssache C-340/05, Kremer - RdNr. 35). Gemäß Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG kann es ein Mitgliedstaat ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass weder das Recht, von einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein Gebrauch zu machen, von einer vorherigen Genehmigung gemacht werden darf (Urteil vom 26.6.2008 Rechtssache C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. - RdNr. 61 f.) noch der Mitgliedstaat berechtigt ist, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern, etwa dann, wenn seine Vorschriften strengere Erteilungsvoraussetzungen enthalten (Urteil vom 26.6.2008 Rechtssache Wiedemann u.a., a.a.O. RdNr. 63). Vielmehr sind die genannten Vorschriften als Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Anerkennung der Führerscheine eng auszulegen.

Eine Ausnahme von der Anerkennungsverpflichtung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG besteht jedoch dann, wenn der neue Führerschein unter Missachtung der von der Richtlinie 91/439/EWG aufgestellten Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt worden ist. In seinen Urteilen vom 26. Juni 2008 (Rechtssache Wiedemann u.a., a.a.O. und Rechtssache C-334/06 bis C-336/06 Zerche u.a.) hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass es nach Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1, 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG einem Mitgliedstaat nicht verwehrt ist, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, wenn auf der Grundlage von Angaben in diesem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs der früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte (Urteile vom 26.6.2008 Rechtssache Wiedemann u.a. - a.a.O. RdNr. 68 f. sowie Rechtssache Zerche u.a. - a.a.O. RdNr. 65 f.).

Die in diesen Urteilen aufgestellten Grundsätze sind aus den nachstehend dargestellten Gründen bei der Auslegung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG nicht entsprechend heranzuziehen.

Zum einen spricht gegen eine derartige Heranziehung der unterschiedliche Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG einerseits und Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG andererseits. Während es in der erstgenannten Vorschrift heißt, "ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, …", formuliert die letztere Bestimmung, "ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der …". Mit der durch Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG nunmehr gebotenen strikten Ablehnung der Gültigkeit eines Führerscheins unter den dort angeführten Voraussetzungen ist die Annahme von richterrechtlich begründeten Ausnahmen nicht vereinbar, weil sie die Grenzen einer den Wortlaut der Vorschrift respektierenden Gesetzesauslegung überschreitet. Die Nichtanerkennung von Führerscheinen, die trotz vorangegangener Entziehung der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt werden, kann deshalb im Gegensatz zur Situation bei Anwendung der Richtlinie 91/439/EWG nicht mehr als eng auszulegende Ausnahme vom allgemeinen Anerkennungsgrundsatz angesehen werden.

Hinzu kommt, dass dem Richtliniengeber der Unterschied zwischen einer zwingenden Rechtsvorschrift und einer Ermessensvorschrift sehr wohl bewusst war, wie sich aus der unterschiedlichen Formulierung von Art. 11 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 der Richtlinie ergibt. Denn im Gegensatz zu Art. 11 Abs. 4 Satz 2 heißt es in Satz 3 dieser Vorschrift, "ein Mitgliedstaat kann es ferner ablehnen, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat aufgehoben wurde, einen Führerschein auszustellen".

Zum anderen spricht gegen eine die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG berücksichtigende, einschränkende Auslegung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG der Umstand, dass diese Richtlinie u.a. dem Zweck dient, den sogenannten Führerscheintourismus zu bekämpfen (vgl. die eingehende Darstellung im Beschluss des Senats vom 22.2.2007 ZfS 2007, 354; ferner Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, Vorbemerkung zur FeV, RdNr. 4). Eine wirksame Bekämpfung des Führerscheintourismus setzt aber voraus, dass auch vergleichsweise strenge inländische Eignungsvorschriften, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland bestehen, nach einem Entzug der inländischen Fahrerlaubnis nicht umgangen werden können.

Dem dargestellten Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 91/439/EWG mit Ausnahme ihres Artikels 2 Abs. 4 gemäß Art. 17 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG erst mit Wirkung vom 19. Januar 2013 aufgehoben wird. Denn nach Art. 18 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG gelten deren Artikel 2 Absatz 1, Artikel 5, Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a, Artikel 9, Artikel 11 Absätze 1, 3, 4, 5 und 6, Artikel 12 und die Anhänge I, II und III bereits ab dem 19. Januar 2009. Dabei ist das in der deutschen Fassung verwendete Wort "gelten" so zu verstehen, dass die genannten Vorschriften ab dem 19. Januar 2009 anwendbar sind (vgl. Beschluss des Senats vom 22.2.2007, a.a.O.), sie mithin, soweit sie zwingende Vorgaben für die Mitgliedstaaten enthalten, auch angewendet werden müssen. Da Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG seinerseits als zwingende Vorschrift formuliert ist, ergibt sich unter Berücksichtigung des Art. 18 Satz 2 dieser Richtlinie ein Anwendungsvorrang des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 gegenüber den Bestimmungen der Richtlinie 91/439/EWG und somit auch gegenüber Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG.

Für eine enge Auslegung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG im Sinne der oben zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG ist damit kein Raum. Dies ergibt sich auch aus dem Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2006/126/EG, wonach die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus Gründen der Verkehrssicherheit die Möglichkeit haben sollen, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung, die Erneuerung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat (vgl. BR-Drs. 851/08).

2. Die Vorlageanordnung in Nr. 2 des Tenors des Bescheids vom 12. Juni 2009 findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 StVG i.V.m. § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV jeweils in entsprechender Anwendung (vgl. auch Geiger, Der feststellende Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV, SVR 2009, 253).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).