LG Hamburg, Urteil vom 09.08.2019 - 332 O 149/18
Fundstelle
openJur 2020, 6661
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrages, Mitglieds-Nr.: ... für den ihr am 12.01.2018 gemeldeten, von ihr unter der Schadennummer: ... geführten Rechtsschutzfall aus dem Bereich des Verkehrsrechtsschutzes Deckungsschutz zu gewähren hat, und zwar für die außergerichtliche, sowie für die erstinstanzliche Rechtsverfolgung gegenüber der D AG.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 21,44% und die Beklagte 78,56% zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 6.997,50 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Deckungszusage aus einem Rechtsschutzversicherungsvertrag für eine beabsichtigte Klage gegen die D AG wegen behaupteter Abgasmanipulation.

Der Kläger schloss mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag im Jahr 1990 und kündigte diesen im März 2017. Den Versicherungsschein haben die Parteien nicht vorgelegt. Für den Vertrag gelten die zuletzt von der Beklagten vorgelegten VRB 2006 (Anlage B15).

Im Jahr 2014 schloss der Kläger mit der H T AG & Co. KG einen Kaufvertrag übereinen Gebraucht-PKW, Typ Mercedes Benz E 220 CDI BE, EURO 5 mit der FIN ... (nachfolgend „PKW“), zum Preis von 25.250,00 Euro. Der Kläger beabsichtigt, Schadensersatzansprüche gegen die D AG aufgrund nicht erfüllter Abgasnormen wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in seinem PKW geltend zu machen. Von einem verpflichtenden Rückruf ist der PKW derzeit nicht betroffen.

Mit E-Mail vom 12.01.2018 beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Beklagten eine Deckungszusage für die außergerichtliche Vertretung und ein eventuell notwendiges Klageverfahren (Anlage K2). Der Entwurf eines Anspruchsschreibens an die D AG war beigefügt. Die Beklagte forderte zunächst die Zulassungsbescheinigung Teil I bei dem Kläger an. Jedenfalls mit E-Mail vom 14.03.2018 übersandte der Kläger der Beklagten die Zulassungsbescheinigung Teil I. Mit Schreiben vom 23.03.2018 lehnte die Beklagte eine Deckungszusage mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage ab (Anlage K3). Mit weiterem Schreiben vom 03.04.2018 ergänzten die Prozessbevollmächtigten des Klägers den für einen Rechtsschutzfall zugrunde liegenden Sachverhalt und begehrten nochmals eine Deckungszusage bis zum 13.04.2018 (Anlage K4). Mit Schreiben vom 17.04.2018 lehnte die Beklagte eine Deckungszusage abermals ab (Anlage K5). Schließlich forderte der Kläger mit Schreiben vom 20.04.2018 nochmals die Deckungszusage von der Beklagten ein (Anlage K6), was die Beklagte mit Schreiben vom 18.05.2018 ablehnte (Anlage B1).

Der Kläger behauptet, sein PKW sei vom Abgasskandal betroffen und ist der Ansicht, es liege ein Rechtsschutzfall vor und die beabsichtigte Rechtsverfolgung gegen die D AG biete hinreichend Aussicht auf Erfolg. Zudem behauptet der Kläger mit Schriftsatz vom 24.04.2019 (BI. 115 ff. d.A.), bereits mit E-Mail vom 14.02.2018 der Beklagten die Zulassungsbescheinigung Teil I nachgereicht zu haben (Anlage K30, BI. 129 d.A.), und ist der Meinung, die Ablehnung des Versicherungsschutzes mangels Aussicht auf Erfolg durch die Beklagte sei nicht unverzüglich erfolgt und bereits deshalb seitens der Beklagten ausgeschlossen.

Der Kläger beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrages, Mitglieds-Nr.: ... für den ihr am 12.01.2018 gemeldeten, von ihr unter der Schadennummer. ... geführten Rechtschutzfall aus dem Bereich des Verkehrsrechtsschutz Deckungsschutz zu gewähren hat, und zwar für die außergerichtliche, sowie für die erstinstanzliche Rechtsverfolgung gegenüber der D AG.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle Schäden zu ersetzen, die ihm aus der unberechtigten Deckungsablehnung hinsichtlich der beabsichtigten Rechtsverfolgung gegenüber der D AG entstanden sind, und noch entstehen werden.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 Euro freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, eine Klage des Klägers gegen die D AG biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Ablehnung des Deckungsschutzes mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg sei auch nicht zu spät erfolgt, da die Beklagte die E-Mail des Klägers vom 14.02.2018 mit der Zulassungsbescheinigung Teil I nicht erhalten habe. Überdies sei der Kläger mit seinem Vortrag zur verspäteten Ablehnung des Deckungsschutzes seitens der Beklagten präkludiert.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2019 und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Gründe

I.

Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrags zu 1. zulässig und begründet. Hinsichtlich des Feststellungsantrags zu 2. und des Klageantrags zu 3. ist die zulässige Klage unbegründet.

Der Feststellungsantrag zu 1. ist hinreichend bestimmt gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Gegenstand des Anspruchs ist mit dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag konkret bezeichnet und auch der dem Anspruch zugrunde liegende Sachverhalt wird mit dem der Beklagten gemeldeten Rechtsschutzfall hinreichend konkretisiert. Auch ein Feststellungsinteresse für den Feststellungsantrag zu 1. ist gegeben. Zwar ist grundsätzlich die Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage subsidiär und bei bereits möglicher Leistungsklage ist ein Feststellungsinteresse zu verneinen ist. Jedoch wird das Feststellungsinteresse trotz möglicher Leistungsklage ausnahmsweise dann bejaht, wenn schon ein Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führt, weil die Beklagte erwarten lässt, bereits auf ein Feststellungsurteil hin zu leisten. Dies kann von einem Versicherungsunternehmen wie der Beklagten erwartet werden (BGH, Urteil vom 28. September 1999 - VI ZR 195/98 -, Rn. 19, juris). Das Feststellungsinteresse des Klägers folgt daraus, dass die Beklagte die Deckungszusage für die beabsichtigte Rechtsverfolgung gegenüber der D AG verweigert.

Hinsichtlich des Feststellungsantrags zu 2. ist ein Feststellungsinteresse ebenfalls zu bejahen. Ein Rechtsschutzversicherer kann aus Vertragsverletzung für den Schaden haften, den der Versicherungsnehmer dadurch erleidet, dass er in Folge einer vertragswidrigen Weigerung der Deckungszusage einen beabsichtigten Rechtsstreit nicht führen kann (BGH, Urteil vom 15. März 2006 - IV ZR 4/05 -, Rn. 21, juris).

II.

1. Der Feststellungsantrag zu 1. ist auch begründet Die Beklagte hat dem Kläger aus dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag Deckungsschutz zu gewähren gemäß §§ 125 WG i.V.m. § 1 VRB 2006. Dass dem Gericht der Versicherungsschein nicht vorgelegt wurde, ist unerheblich, da sich die Parteien darüber einig sind, dass zwischen ihnen ein Rechtsschutzversicherungsvertrag seit dem Jahr 1990 bis zum März 2017 bestand und der Rechtsschutzfall mit Kauf des PKW im Jahr 2014 in versicherter Zeit eingetreten ist.

Die Beklagte dringt vorliegend mit ihrem Einwand der nicht hinreichenden Erfolgsaussichten gemäß § 17 Abs. 1 VRB 2006 der vom Kläger gegenüber der D AG in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die hinreichende Erfolgsaussicht nach den zu § 114 ZPO entwickelten Grundsätzen zu prüfen (BGH, Urteil vom 19. Februar 2003 - IV ZR 318/02 Rn. 16, juris). Danach muss der Standpunkt des Versicherungsnehmers nach den von ihm aufgestellten Behauptungen und den ihm bekannten Einwendungen des Anspruchsgegners zumindest vertretbar sein. Es muss zumindest als möglich erscheinen, dass der Versicherungsnehmer den Beweis der von ihm zu beweisenden Tatsachen mit Hilfe zulässiger und geeigneter Beweismittel führen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherungsnehmer mit seinem Klagebegehren durchdringt, muss zumindest gleich groß sein wie die Wahrscheinlichkeit eines negativen Ausgangs des avisierten Rechtsstreits.

Die bislang im Rahmen des sogenannten Abgasskandals anhängig gemachten Fälle haben zu einer vielfältigen Rechtsprechung geführt und eine höchstrichterliche Rechtsprechung in Urteilsform hat sich noch nicht gebildet. Dass auch der streitgegenständliche PKW letztlich von einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen ist und der Kläger mit seinem Klagebegehren gegenüber der D AG durchdringen wird, ist jedenfalls als genauso wahrscheinlich einzuschätzen wie ein Unterliegen des Klägers gegenüber der D AG. Es wäre gegebenenfalls Beweis zu erheben durch ein Sachverständigengutachten und dessen Ergebnis darf im vorliegend anhängigen Verfahren zur Deckungszusage nicht vorweggenommen werden, weil eine antizipierte Beweiswürdigung im Rechtsschutzverfahren nicht zulässig ist.

Gegen hinreichende Erfolgsaussichten spricht auch nicht, dass der konkrete Typ des PKW nicht identisch sein mag mit denjenigen PKW-Typen, für die bislang für Kläger positive Gerichtsentscheidungen gegen die D AG ergangen sind. Auch der streitgegenständliche PKW könnte nach Auswertung eines einzuholenden Sachverständigengutachtens eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweisen und der Kläger könnte in einem Verfahren gegen die D AG obsiegen. Ebenso ist nicht erheblich, dass der PKW des Klägers derzeit nicht von einem verpflichtenden Rückruf betroffen ist. Beispielsweise waren auch die in den Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart betroffenen PKW nicht von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt betroffen und dennoch ergingen die für die Kläger positiven Urteile (Landgericht Stuttgart, Urteile vom 17.01.2019, Az. 23 O 172/18, 23 O 178/18).

Da die hinreichenden Erfolgsaussichten des von dem Kläger in Aussicht genommenen Verfahrens gegen die D AG vorliegend nicht abgelehnt werden, kommt es schließlich nicht darauf an, ob die Beklagte dem Kläger den Einwand nicht hinreichender Erfolgsaussichten unverzüglich gemäß § 17 Abs. 2 VRB 2006 mitgeteilt hat oder ob der Kläger bereits mit dem Vortrag einer nicht unverzüglichen Ablehnung der Deckungszusage durch die Beklagte vorliegend präkludiert ist.

2. Der Feststellungsantrag zu 2. ist unbegründet. Der Kläger hat einen Schaden nicht hinreichend dargelegt, für den die Beklagte wegen vertragswidriger Weigerung der Deckungszusage haften könnte. Ein von einer Verletzung des Rechtsschutzvertrags erfasster Schaden könnte in Darlehenskosten zu sehen sein, die dem Kläger aufgrund der verweigerten Deckungszusage entstanden sind (Landgericht Frankfurt, Urteil vom 24.05.2019, Az. 2-08 O 251/18, Anlage K 37). Diese hat der Kläger allerdings nicht dargelegt. Etwaige Nutzungsvorteile, die dem Kläger in einem Verfahren gegen die D AG anzurechnen sind, sind ebenfalls nicht als durch die Beklagte verursachten Schaden anzusehen, da diese Nutzungen dem Kläger zugute kommen (Landgericht Stuttgart, Urteil vom 24.01.2019, Az. 3 O 229/18, Anlage K 34; Landgericht Wiesbaden, Urteil vom 25.04.2019, Az. 5 O 149/19, Anlage K 36 BI. 170 d.A.).

3. Der Klageantrag zu 3. ist ebenfalls unbegründet. Ein Anspruch ergibt sich nicht aus Verzug gemäß §§ 280, 286 BGB. Bereits die erste Geltendmachung des Deckungsanspruchs gegenüber der Beklagten mit E-Mail vom 12.01.2018 erfolgte durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers, sodass sich die Beklagte noch nicht in Verzug befand (Landgericht Frankfurt, Urteil vom 24.05.2019, Az. 2-08 O 251/18, Anlage K37).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO. Die Kostenquote errechnet sich wie folgt: Der Streitwert für den Klageantrag zu 1) beläuft sich auf 5.497,50 Euro (voraussichtliche Kosten der beabsichtigten Rechtsverfolgung gegenüber der D AG, BI. 23 f. d.A.). Der Streitwert für den Klageantrag zu 2) ist pauschal auf 1.500 Euro anzusetzen. Dies ergibt bei einem Gesamtstreitwert von 6.997,50 Euro eine Kostenquote zu Lasten des Klägers von 21,44% und zu Lasten des Beklagten von 78,56%.

5. Der Vollstreckbarkeitsausspruch folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711.

6. Der Streitwert war auf 6.997,50 Euro festzusetzen, siehe Ziff. II. 4. der Entscheidungsgründe.