LAG Düsseldorf, Urteil vom 11.12.2019 - 7 Sa 161/19
Fundstelle
openJur 2020, 6004
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 Ca 4016/19

Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist nicht "mindestlohnwirksam" i. S. d. § 3 S. 1 MiLoG. Seine Anwendung zur Absicherung einer Abgeltung auf Basis des gesetzlichen Mindestlohnes ist rechtlich nicht geboten.

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.12.2018, 3 Ca 4016/18, wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Urlaubsabgeltung für 33 Urlaubstage.

Die Klägerin war bei der Beklagten, die ein Gebäudereinigungsunternehmen betreibt, seit dem 01.05.2007 als Reinigungskraft zu einem Stundenlohn von 9,80 € brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 28.06.2011 in der Fassung vom 08.07.2014 (im Folgenden: RTV) Anwendung.

§ 23 RTV regelt hinsichtlich der Ausschlussfristen Folgendes:

"Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird."

Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung zum 31.01.2018. Die Klägerin war seit Dezember 2016 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt und konnte daher den ihr zustehenden Urlaub seit dem Jahr 2016 nicht nehmen.

In der Verdienstabrechnung für den Monat Januar 2018 rechnete die Beklagte als an die Klägerin zu zahlenden Betrag eine Abfindung in Höhe von 3.497,50 € brutto ab. In der Rubrik "Url.Anspr." waren 33 Tage ausgewiesen. Ein entsprechender Urlaubsabgeltungsbetrag war in der Abrechnung nicht ausgewiesen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 19.04.2018 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten unter anderem die Abgeltung von 33 Urlaubstagen geltend.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe mit der Verdienstabrechnung für den Monat Januar 2018 die ausgewiesenen 33 Urlaubstage unstreitig gestellt mit der Folge, dass eine Geltendmachung der Urlaubsabgeltung für diese Tage innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist nicht erforderlich gewesen sei. Ihr stehe daher eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.587,20 € brutto (33 Urlaubstage x 8 Stunden x 9,80 €) zu.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.587,20 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich auf die tarifvertragliche Ausschlussfrist berufen und dazu die Auffassung vertreten, eine Lohnabrechnung habe nicht den Zweck, streitig gewordene Ansprüche endgültig festzulegen. Erst recht ergebe sich aus der Abrechnung nicht, dass der Arbeitgeber auf die zukünftige Einwendung des Erlöschens des Urlaubsanspruchs durch Zeitablauf verzichten wolle.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei unbegründet, weil der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 23 RTV verfallen sei. Der Urlaubsabgeltungsanspruch unterfalle als reiner Geldanspruch den Bedingungen, die nach dem anwendbaren Tarifvertrag für die Geltendmachung von Geldansprüchen vorgeschrieben seien. An diesem Grundsatz habe sich durch die Einführung von § 3 MiLoG nichts geändert. Dieser sei nicht unmittelbar auf Urlaubsabgeltungsansprüche anwendbar, denn für Zeiten ohne Arbeitsleistung begründe das Mindestlohngesetz keine Ansprüche. Anders als für Entgeltfortzahlungsansprüche lasse sich auch nicht argumentieren, dass das MiLoG die Bedingungen der Geltendmachung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs mittelbar doch präge. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei ein reiner Geldanspruch, der gerade nicht davon abhänge, ob dem Arbeitnehmer Urlaub gewährt und vergütet werden könne. Der Gedanke, dass die Gleichstellung der Entgeltansprüche im Urlaub mit Zeiten geleisteter Arbeit sicherstellen solle, dass der Arbeitnehmer wegen drohender finanzieller Nachteile nicht davon abgehalten werde, Urlaub zu nehmen, habe für den Urlaubsabgeltungsanspruch keine Relevanz. Damit stehe aber auch der Anwendbarkeit des § 23 RTV auf die Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin nichts entgegen. Die tarifliche Ausschlussfrist sei mit dem Schreiben vom 19.04.2018 nicht eingehalten worden. Es sei der Beklagten auch nicht verwehrt, sich auf die tarifliche Ausschlussfrist zu berufen. Die Beklagte habe einen Urlaubsabgeltungsanspruch mit der Verdienstabrechnung nicht unstreitig gestellt. Die Abrechnung enthalte gerade keine Aussage darüber, dass die Beklagte davon ausgehe, einen Urlaubsanspruch noch abgelten zu müssen oder zu wollen. Einem Arbeitgeber, der in einer Lohnabrechnung die Zahl der noch nicht gewährten Urlaubstage mitteile, könne es zwar verwehrt sein einzuwenden, dass er den Urlaub in der ausgewiesenen Höhe nicht schulde. Es sei ihm jedoch nicht verwehrt, sich später auf das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen.

Gegen das ihr am 06.02.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 06.03.2019 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Mit ihrer Berufung vertritt die Klägerin weiterhin die Auffassung, die Beklagte habe mit der Verdienstabrechnung ihren Urlaubsanspruch anerkannt. Die Lohnabrechnung für den Monat Januar 2018 sei die letzte Lohnabrechnung gewesen, die die Beklagte erteilt habe. Alle dort ausgewiesenen Salden seien damit für das beendete Beschäftigungsverhältnis unstreitig gestellt worden. Die Umrechnung des ausgewiesenen Urlaubsanspruchs in einen tatsächlichen Entgeltanspruch sei lediglich ein Rechenschritt. Er drücke den Anspruch der Klägerin damit nur in anderer Form aus. Das Verhalten der Beklagten sei rechtsmissbräuchlich.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.12.2018, 3 Ca 4016/18, zu verurteilen, an sie 2.587,20 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und weist ergänzend darauf hin, dass sich daraus, dass sie mit der letzten Abrechnung lediglich die Abrechnung der Abfindung und keinen Urlaubsabgeltungsanspruch ausgewiesen habe, ergebe, dass sie nicht vorgehabt habe, unaufgefordert eine Urlaubsabgeltung zu zahlen. Die letzte Abrechnung sei daher gerade nicht geeignet, ein Vertrauen der Klägerin darauf zu begründen, dass die Forderung auf Urlaubsabgeltung zu einem späteren Zeitpunkt nach Abrechnung gezahlt werde. Vielmehr sei gerade das Gegenteil der Fall.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die in beiden Instanzen zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen.

Gründe

I.

Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Urlaubsabgeltungsanspruch steht der Klägerin nicht zu, weil er nach der tarifvertraglichen Ausschlussfrist des § 23 RTV verfallen ist. Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, die Entscheidung des Arbeitsgerichts abzuändern.

1.

Der Beklagten ist es zunächst nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht verwehrt, sich wegen der erteilten Verdienstabrechnung auf den Verfall des Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruchs zu berufen.

Aus § 242 BGB folgt unter anderem der Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium"). Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung (vgl. BAG, Urteil vom 12.03.2009, 2 AZR 894/07, zitiert nach juris). Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine Entgeltabrechnung, ist er in der Regel nicht gehindert, in einem Rechtsstreit, in dem der Arbeitnehmer auf abgerechnete Positionen Bezug nimmt, die Richtigkeit der Abrechnung in Abrede zu stellen (vgl. BAG, Urteil vom 23.09.2015, 5 AZR 767/13, zitiert nach juris). Nur wenn besondere Umstände hinzutreten, ist die Annahme gerechtfertigt, der Arbeitgeber müsse sich an den Angaben in der Abrechnung festhalten lassen.

Der Umstand, dass die Entgeltabrechnung eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen ausweist, vermag danach für sich genommen den Treuwidrigkeitseinwand nicht zu begründen. Eine Entgeltabrechnung stellt regelmäßig lediglich eine Wissens-, nicht aber eine rechtsgestaltende Willenserklärung dar (vgl. BAG, Urteil vom 05.07.2017, 4 AZR 867/16, zitiert nach juris). Dies gilt auch für Urlaubsansprüche, die der Arbeitgeber in einer Entgeltabrechnung ausweist. In aller Regel teilt der Arbeitgeber in der Entgeltabrechnung, zu deren Erteilung er unter den in § 108 Abs. 1 GewO genannten Voraussetzungen verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer lediglich die Höhe des Entgelts und den Umfang sonstiger Ansprüche, etwa von Urlaubsansprüchen, mit. Der Mitteilung einer bestimmten Anzahl von Urlaubstagen kommt aber regelmäßig nicht der Bedeutungsgehalt zu, der Arbeitgeber wolle den ausgewiesenen Urlaub auch dann gewähren, wenn er ihn nicht schuldet (vgl. BAG, Urteil vom 19.03.2019, 9 AZR 881/16, zitiert nach juris). Das Arbeitsgericht hat diesbezüglich zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Gehaltsabrechnung grundsätzlich kein Schuldanerkenntnis enthält. Insbesondere kann einer Gehaltsabrechnung nicht entnommen werden, dass der Arbeitgeber damit auf künftige Einwendung gegen den Urlaubsanspruch - bzw. wie vorliegend den Abgeltungsanspruch - verzichten will. Will der Arbeitgeber mit der Abrechnung eine derartige Erklärung abgeben, so müssen dafür besondere Anhaltspunkte vorliegen (vgl. BAG, Urteil vom 10.03.1987, 8 AZR 610/84, zitiert nach juris).

Derartige Anhaltspunkte sind vorliegend gerade nicht gegeben. Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, wird vielmehr durch den Umstand, dass die Beklagte mit der letzten Abrechnung lediglich die Sozialplanabfindung ausgewiesen hat, deutlich, dass sie ganz offensichtlich nicht vorhatte, eine Urlaubsabgeltung zu zahlen. Die Klägerin konnte daher gerade kein Vertrauen dahingehend entwickeln, dass die Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt noch eine Urlaubsabgeltung zahlen würde. Insbesondere hat die Beklagte die Klägerin nicht in irgendeiner Weise davon abgehalten, ihren Anspruch geltend zu machen.

Abgesehen davon hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass sie - selbst bei unterstellter Anerkennung eines Urlaubsanspruchs - keinesfalls einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung unter Verzicht auf die Einwendung des Verfalls nach den tariflichen Vorschriften anerkannt hat. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Urlaubsabgeltung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr um ein Surrogat des Urlaubsanspruchs handelt, sondern um einen reinen Geldanspruch, der der tariflichen Verfallfrist unterliegt, die vorliegend unstreitig nicht eingehalten ist. Danach wäre es der Beklagten allenfalls dann verwehrt, sich auf einen Verfall zu berufen, wenn sie die Urlaubsabgeltung in der Abrechnung ausgewiesen, aber nicht ausgezahlt hätte.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es danach vorliegend nicht rechtsmissbräuchlich, wenn die Beklagte sich auf den Verfall des Urlaubsabgeltungsanspruchs beruft.

2.

Die Klägerin hat den streitgegenständlichen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht rechtzeitig im Sinne des § 23 RTV schriftlich geltend gemacht, so dass sie damit ausgeschlossen ist.

Die Klägerin hatte für die Geltendmachung der Urlaubsabgeltung die tarifvertragliche Ausschlussfrist gemäß § 23 RTV einzuhalten. Die zweimonatige Verfallfrist ist grundsätzlich nicht unangemessen kurz. Soweit diese Ausschlussfrist insoweit teilunwirksam sein sollte, als sie auch die Geltendmachung des gesetzlichen Mindestlohnes innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfristen verlangt, ist dieses vorliegend unschädlich, da eine zu zahlende Urlaubsabgeltung im Gegensatz zu einem zu leistenden Urlaubsentgelt nicht mindestlohnrelevant ist. Der Klägerin steht daher auch kein Anspruch auf Mindestlohnbasis zu.

a)

Die Klägerin hat die erste Stufe der tariflichen Ausschlussfrist in § 23 RTV nicht eingehalten, so dass sie mit ihrem Anspruch ausgeschlossen ist.

aa)

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des ihm nicht gewährten Urlaubs entsteht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt fällig (vgl. BAG, Urteil vom 17.10.2017, 9 AZR 80/17, zitiert nach juris). Ist eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen, so kann der Gläubiger die Leistung gemäß § 271 Abs. 1 BGB sofort verlangen, der Schuldner sie sofort bewirken. Fehlen Sonderregelungen, gilt der Grundsatz sofortiger Fälligkeit der Leistung. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist (vgl. BAG, Urteil vom 21.02.2012 - 9 AZR 486/10, zitiert nach juris).

Die für den Lauf der Ausschlussfrist maßgebliche rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien trat durch die Kündigung der Beklagten mit Ablauf der Kündigungsfrist am 31.01.2018 ein. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung war mithin mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien am 31.01.2018 fällig. Die Klägerin hätte ihn deshalb spätestens bis zum 30.03.2018 schriftlich gegenüber der Beklagten geltend machen müssen. Diese Frist hat die Klägerin unstreitig nicht gewahrt.

Ein Verfall ist selbst dann eingetreten, wenn auf das Erstellungsdatum der Verdienstabrechnung abgestellt würde, weil die Klägerin erst mit Erteilung der Abrechnung erkennen konnte, dass die Beklagte offensichtlich keine Urlaubsabgeltung zahlen wollte. Wie sich aus der Verdienstabrechnung ergibt, ist diese am 10.02.2018 erstellt worden. Da die Klägerin darlegungs- und beweisverpflichtet dafür ist, dass sie ihre Forderung vor Ablauf der Verfallfrist schriftlich geltend gemacht hat, und sie sich selbst nicht darauf berufen hat, dass sie die Abrechnung erst nach dem 19.02.2018 erhalten habe, muss auch in diesem Fall davon ausgegangen werden, dass die Geltendmachung mit Schreiben vom 19.04.2018 außerhalb der zweimonatigen Verfallfrist erfolgt ist.

bb)

Es kann dahinstehen, ob und ggf. inwieweit Tarifvertragsparteien beim Abschluss von Tarifverträgen an europäische Richtlinien im Sinne des Art. 288 AEUV gebunden sind, denn die tarifliche Ausschlussfrist steht in Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl, EU L 299 vom 18. November 2003 Seite 9).

Die Ausschlussfrist schränkt die Effektivität der Durchsetzung des europarechtlich gewährleisteten Anspruchs auf Urlaubsabgeltung nicht unzulässig ein. Nach der Rechtsprechung des EUGH dürfen Verfahren, die den Schutz der den Bürgern aus dem Unionsrecht erwachsenen Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen ist grundsätzlich mit dem Erfordernis der Effektivität vereinbar, weil eine solche Festsetzung ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist. Die Prüfung der Angemessenheit ist Sache des nationalen Gerichts. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist daher nicht erforderlich (vgl. BAG, Urteil vom 28.06.2012, 6 AZR 682/10, zitiert nach juris).

Es spricht bereits eine Vermutung dafür, dass die zweimonatige Verfallfrist des § 23 RTV angemessen ist. Als tarifliche Regelung unterliegt sie nach deutschem Recht keiner Angemessenheitskontrolle (vgl. BAG, Urteil vom 22.09.1999, 10 AZR 839/98, zitiert nach juris). Unabhängig davon erscheint eine Frist von zwei Monaten nicht so kurz, dass es Arbeitnehmern nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gelingen kann, die Frist zur Geltendmachung ihrer Urlaubsabgeltungsansprüche zu wahren. Dabei ist zu beachten, dass der ausscheidende Arbeitnehmer grundsätzlich dazu in der Lage ist, seine Ansprüche anhand des Bundesurlaubsgesetzes und der einschlägigen tariflichen Vorschriften selbst zu berechnen; er ist nicht auf zusätzliche Auskünfte, deren Einholung zusätzliche Zeit beanspruchen würde, angewiesen. Durch einen Verfall der Urlaubsabgeltungsansprüche droht - anders als beim Verfall des Vergütungsanspruchs - nicht, dass der für das Vertragsverhältnis wesentliche Leistungsaustausch verfehlt wird (vgl. dazu BAG, Urteil vom 13.12.2011, 9 AZR 399/10, zitiert nach juris).

b)

Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung auf Basis des gesetzlichen Mindestlohnes zu. Die Forderung der Klägerin ist nicht wegen Verstoßes der tariflichen Ausschlussfrist gegen die Unabdingbarkeit des Mindestlohns nach § 3 S. 1 MiLoG begründet.

Nach Auffassung der Berufungskammer steht § 3 S. 1 MiLoG als zwingendes Gesetzesrecht der tariflichen Verfallklausel nicht entgegen, obwohl sie Mindestlohnansprüche nicht ausnimmt.

Der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung ist allgemeinverbindlich. Damit findet eine Überprüfung der getroffenen Regelungen über Ausschlussfristen nicht anhand der §§ 305 ff BGB statt, sondern ist nach den Grundsätzen über die Wirksamkeit tarifvertraglicher Bestimmungen zu beurteilen. Danach gilt, dass diese zwingendem Gesetzesrecht nicht entgegenstehen dürfen (vgl. BAG, Urteil vom 18.09.2012, 9 AZR 1/11, zitiert nach juris).

Nach § 3 S. 1 MiLoG sind Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam. Mit dem Mindestlohngesetz soll den in Vollzeit tätigen Arbeitnehmern ein Monatseinkommen "oberhalb der Pfändungsfreigrenze" gesichert werden (BT-Drs. 18/1558 S. 28). Es bezweckt die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) und dient der Verbesserung der Stellung aller Arbeitnehmer und damit ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), indem es sie vor den Folgen einer unangemessen niedrigen Vergütung - auch im Hinblick auf ihre Alterssicherung - schützt (vgl. BAG, Urteil vom 25.05.2016, 5 AZR 135/16, zitiert nach juris). Weil § 3 MiLoG die Umgehung des Mindestlohns durch "missbräuchliche Konstruktionen" verhindern will (BT-Drs. 18/1558 S. 35), schützt die Norm ebenfalls Menschenwürde und Berufsfreiheit der Arbeitnehmer.

Die tarifliche Verfallklausel in § 23 RTV erfasst - ausgehend von ihrem Wortlaut - alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen. Dazu gehört mithin auch der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, der nur im Arbeitsverhältnis entsteht, § 1 Abs. 1, § 20 MiLoG. Für eine - gesetzeskonforme - Auslegung, der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn solle nicht der tariflichen Verfallklausel unterfallen, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Der Verstoß gegen § 3 S. 1 MiLoG führt zur Teilunwirksamkeit einer den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehmenden tariflichen Verfallklausel.

Dennoch steht § 23 RTV, der Mindestlohnansprüche nicht ausnimmt, dem sich aus § 3 S. 1 MiLoG ergebenden zwingenden Gesetzesrecht bezogen auf die geltend gemachte Urlaubsabgeltung nach Auffassung der Berufungskammer nicht entgegen.

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass auch tarifvertragliche Ausschlussfristen wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot des § 3 S. 1 MiLoG unwirksam sein können (vgl. BAG, Urteil vom 20.06.2018, 5 AZR 377/17, zitiert nach juris). Grundsätzlich sind auch Tarifverträge den Beschränkungen des § 3 S. 1 MiLoG unterworfen (siehe im Einzelnen und zur Zulässigkeit der sich hieraus ergebenden Begrenzung der Tarifautonomie BAG, Urteil vom 20.6.2018, 5 AZR 377/17, zitiert nach juris). In Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 13.02.2019, 5 Sa 524/18, zitiert nach juris) und dem Landesarbeitsgericht Nürnberg (Urteil vom 29.05.2019, 4 Sa 1/19, zitiert nach juris) geht allerdings auch die erkennende Berufungskammer davon aus, dass Urlaubsabgeltungsansprüche nicht den Regelungen des § 3 S. 1 MiLoG unterfallen und schließt sich den rechtlichen Ausführungen der vorzitierten Entscheidungen an.

§ 3 S. 1 MiLoG erfasst unmittelbar nur den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeit. Hierzu zählen allerdings aufgrund entsprechender Anwendung auch die Entgeltersatzleistungen wie Entgeltfortzahlungsansprüche sowie Ansprüche auf Urlaubsentgelt (vgl. BAG, Urteil vom 30.01.2019, 5 AZR 43/18, zitiert nach juris), denn wenn ein gesetzlicher Tatbestand den Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer im Fall nicht erbrachter Arbeitsleistung so zu stellen, als hätte er gearbeitet, und gestaltet der Mindestlohn diesen Anspruch mit, gebietet es der - vorstehend dargelegte - Schutzzweck des § 3 S. 1 MiLoG, nach Maßgabe dieser Norm den Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechend zu sichern. Anderenfalls stünde der Arbeitnehmer entgegen dem Gesetzesbefehl schlechter, als er bei tatsächlicher Arbeit gestanden hätte (vgl. BAG, Urteil vom 30.01.2019, 5 AZR 43/18; Urteil vom 20.06.2018, 5 AZR 377/17, zitiert nach juris). Entgeltersatzleistungen können daher in Höhe des Mindestlohnes weder durch tarifliche noch durch arbeitsvertragliche Ausschlussklauseln ausgeschlossen werden. Gleichwohl vereinbarte tarifliche Ausschlussklauseln sind "insoweit" unwirksam und können Forderungen nach Ablauf der Ausschlussfrist nur für den Mindestlohn übersteigende Ansprüche ausschließen.

Diese für Entgeltersatzleistungen geltenden Überlegungen sind auf den Anspruch auf eine Urlaubsabgeltung jedoch nicht anzuwenden. Eine entsprechende Interessenlage besteht hinsichtlich des gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG erst bei Beendigung des Vertragsverhältnisses entstehenden und fällig werdenden Anspruchs auf Abgeltung nicht genommener Urlaubsfreizeit und bisher noch nicht gezahlten Urlaubsentgelts nicht. Dem Urlaubsabgeltungsanspruch steht kein Zeitraum erbrachter oder aufgrund gesetzlichen Anspruches auf Freistellung bei Entgeltfortzahlung nicht erbrachter Arbeitsleistung gegenüber. Dem Arbeitnehmer wird durch den Verfall einer Urlaubsabgeltung weder der Entgeltanspruch für einen Teil eines mit Arbeitsleistung verbrachten Monates noch der Anspruch auf entsprechende Entgeltersatzleistungen entzogen; das monatliche Einkommen des Arbeitnehmers beträgt auch ohne eine zu leistende Urlaubsabgeltung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses monatlich zumindest ein Entgelt in Höhe des Mindestlohnes gemäß § 1 Abs. 2 MiLoG, welches durch § 3 S. 1 MiLoG abgesichert wird. Der Gedanke, dass die Gleichstellung der Entgeltansprüche im Urlaub mit Zeiten geleisteter Arbeit sicherstellen sollen, dass der Arbeitnehmer wegen drohender finanzieller Nachteile davon abgehalten wird, Urlaub zu nehmen, hat für den Urlaubsabgeltungsanspruch keine Relevanz.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.09.2018, 9 AZR 162/18, zitiert nach juris, steht den vorstehenden Ausführungen nicht entgegen, denn in der vorbezeichneten Entscheidung, in der das Bundesarbeitsgericht den Verfall von Urlaubsabgeltungsansprüchen wegen Verstoßes gegen § 3 S. 1 MiLoG für nicht gegeben ansah, handelte es sich nicht um eine tarifvertragliche, sondern um eine nach Inkrafttreten des MiLoG vereinbarte arbeitsvertragliche Ausschlussfrist, die - entgegen einer tarifvertraglichen Klausel - nach den §§ 305 ff BGB auf ihre Wirksamkeit zu prüfen und als intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB anzusehen war mit der Folge der Gesamtunwirksamkeit der Klausel gemäß § 306 BGB. Eine Aussage dazu, dass eine Urlaubsabgeltung nach § 3 S. 1 MiLoG in Höhe des Mindestlohnes generell keiner Ausschlussfrist unterliegt, trifft die Entscheidung nicht.

Der Anspruch der Klägerin ist damit nach § 23 RTV verfallen. Die Berufung der Klägerin war somit zurückzuweisen.

III.

Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels waren gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO der Klägerin aufzugeben.

IV.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da die Frage, ob eine Urlaubsabgeltung als Mindestlohn gemäß § 3 S. 1 MiLoG anzusehen und daher eine tarifvertragliche Ausschlussklausel insoweit unwirksam ist, als sie eine Urlaubsabgeltung in rechnerischer Höhe des geltenden Mindestlohnes ausschließt, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und grundsätzliche Bedeutung hat.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei

R E V I S I O N

eingelegt werden.

Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361-2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

PaßlickFette Peuler

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