Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 13.05.2020 - 3 MR 14/20
Fundstelle
openJur 2020, 6976
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wohnt in einer dem Kreis Ostholstein angehörigen Gemeinde. Er wendet sich mit dem Antrag gegen die Anordnung einer Mund-Nasen-Bedeckung für alle Personen in bestimmten Bereichen des öffentlichen Raums. Er beantragt,

die Landesverordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Bereichen der Öffentlichkeit in Schleswig-Holstein (Mund-Nasen-Bedeckungsverordnung - MNB-VO) vom 24. April 2020, hinsichtlich der Pflicht zum Tragen von Schutzmasken in und an Verkaufsstellen, Wochenmärkten, überdachten Verkehrsflächen von Einkaufszentren, beim Betreten von und Aufenthalt in geöffneten Verkaufs- und Diensträumen von Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben (§ 1 Ziffern 2-5) vorläufig auszusetzen

und hilfsweise,

die Landesverordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Bereichen der Öffentlichkeit in Schleswig-Holstein (Mund-Nasen-Bedeckungsverordnung - MNB-VO) vom 24. April 2020, hinsichtlich der Pflicht zum Tragen von Schutzmasken in und an Verkaufsstellen, Wochenmärkten, überdachten Verkehrsflächen von Einkaufszentren, beim Betreten von und Aufenthalt in geöffneten Verkaufs- und Diensträumen von Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben (§ 1 Ziffern 2-5) für den Kreis Ostholstein vorläufig auszusetzen.

Der zulässige Eilantrag hat in der Sache keinen Erfolg.

Denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nach Auffassung des Senats im Ergebnis nicht vor.

Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, juris Rn. 12). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - die in der Hauptsache angegriffene Norm in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthält oder begründet, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.

Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (OVG Schleswig, Beschl. v. 09.04.2020 - 3 MR 4/20 -, juris Rn. 4).

Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 12; OVG Schleswig, a.a.O., juris Rn. 5).

Nach diesen Maßstäben ist der zulässige Antrag unbegründet. Nach summarischer Prüfung erweist sich der Normkontrollantrag in der Hauptsache als sehr wahrscheinlich erfolglos (1.). Darüber hinaus ergibt sich bei Abwägung der Folgen, dass die Interessen des Antragstellers an der Aussetzung der Maskenpflicht die Interessen des Antragsgegners an der Aufrechterhaltung dieser Pflicht nicht so deutlich schwerer wiegen, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in dem obigen Sinne dringend geboten ist (2.). Auch der Hilfsantrag ist unbegründet (3.)

1. Zunächst spricht vieles dafür, dass die angegriffene Verordnung einer rechtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren standhalten würde. Die formellen Voraussetzungen sind gewahrt (a) und die materiellen Voraussetzungen sind erfüllt (b). Der Inhalt der Verordnung überschreitet nicht die Grenzen der Verordnungsermächtigung (aa) und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (bb).

a) Die Landesverordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Bereichen der Öffentlichkeit in Schleswig-Holstein (Mund-Nasen-Bedeckungsverordnung - MNB-VO vom 24. April 2020) entspricht den formalen Anforderungen des § 56 LVwG. Sie ist als Landesverordnung bezeichnet, die Ermächtigungsgrundlage ist angegeben, ebenso das Datum der Ausfertigung und die erlassende Behörde. Sie ist ordnungsgemäß im Wege der Ersatzverkündung (§ 60 Abs. 3 Satz 1 LVwG) auf der Internetseite der Landesregierung (https://www.schleswig-holstein.de/DE/Schwerpunkte/Coronavirus/Erlasse/200424_VO-Mund-Nasen-Bedeckungsverordnung.html) bekanntgemacht worden.

b) Die in der Hauptsache angegriffene Landesverordnung findet in § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage.

Gemäß § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.

aa) Die Voraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen vor. In ganz Schleswig-Holstein gibt es bestätigte Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus SARS-CoV-2, welches die übertragbare Krankheit (im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG) COVID-19 auslöst; am 12. Mai 2020 beliefen sich die bestätigten Fälle für Schleswig-Holstein auf 2.971 (siehe:https://www.infmed.uni-kiel.de/de/epidemiologie/covid-19).

Aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ("die zuständige Behörde trifft die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.") folgt, dass der Begriff der "Schutzmaßnahmen" umfassend ist und der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen eröffnet, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird. Dieses Ergebnis ergibt sich zum einen anhand der Gesetzesmaterialien (vgl. Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drucks. 8/2468, S. 27 zu dem insoweit vergleichbaren § 34 BSeuchG). Danach lässt sich die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht von vornherein übersehen.

Gleichfalls hat das Bundesverwaltungsgericht zu den nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG möglichen Schutzmaßnahmen in seinem Urteil vom 22. März 2012 (3 C 16.11, juris Rn. 24) ausgeführt:

"bb) Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen - "wie" - des Ergreifens - ist der Behörde, wie bereits ausgeführt, Ermessen eingeräumt (BR-Dr 566/99 S. 169). Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um "notwendige Schutzmaßnahmen" handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. Entw. eines vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Dr 8/2468, S. 27 zur Vorgängerregelung in § 24 BSeuchG)."

Aus alledem folgt, dass alle Schutzmaßnahmen notwendig sind, wenn sie die Weiterverbreitung der Krankheit verhindern. Das ist bei der Mund-Nasen-Bedeckung der Fall. Der Senat folgt den Ausführungen des Antragsgegners in der Begründung zur MNB-VO, in der es heißt, dass insbesondere in den Bereichen des öffentlichen Raums, in denen die Hygiene- und Abstandsanforderungen nicht umfassend eingehalten werden können, der Schutz der jeweiligen Mitnutzer oder Kunden und des in diesen Räumen beschäftigten Personals durch die Mund-Nasen-Bedeckung zumindest verbessert werden kann. Dass in Bussen und Zügen, aber auch in Einkaufszentren und Ladengeschäften jedenfalls zu bestimmten Zeiten die Personendichte zu hoch ist, um das Abstandsgebot einhalten zu können, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Der Senat teilt des Weiteren die Einschätzung des Antragsgegners, dass die Mund-Nasen-Bedeckung die Verbreitung mit Coronaviren kontaminierter Tröpfchen und Aerosole in einem Bereich, der den Mindestabstand unterschreitet, hemmt und damit dem Schutz der eine infizierte Person umgebenden Menschen dient.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Bedeckung von Mund und Nase zu diesem Zweck nicht sinnlos. Der Senat stützt sich dabei auf die Empfehlung des Robert-Koch-Instituts (RKI) zur Mund-Nasen-Bedeckung als weitere Komponente zur Reduktion von COVID-19 vom 14. April 2020 (abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/19/Art_02.html). Danach empfiehlt das RKI in den Bereichen, in denen der Mindestabstand nicht eingehalten werden könne, die Bedeckung von Mund und Nase auch mit nicht medizinisch wirksamen Masken. Studien hätten gezeigt, dass eine solche Bedeckung zu einer Reduktion der Ausscheidung von Atemwegsviren über die Ausatemluft führe und aus Studien zu Influenza gebe es Hinweise auf eine Reduktion des Ansteckungsrisikos für gesunde Personen in Haushalten mit einem Erkrankten. Der Senat verkennt dabei nicht, dass es in der öffentlichen Diskussion auch von Fachleuten erhobene Bedenken gegen die Sinnhaftigkeit der Maskenpflicht gibt. Auch ist das Tragen von Masken nicht ohne jedes Risiko. Diese Bedenken greifen jedoch nicht durch. Die kritischen Stimmen sind letztlich vereinzelt geblieben und fußen meist auf der unstreitigen Tatsache, dass die Maske den Träger selbst in erster Linie nicht schützt und auf der bloßen Behauptung, dass auch der Schutz Dritter nicht zuverlässig sei. Ersteres soll durch die Maskenpflicht nicht bewirkt werden und hinsichtlich des Schutzes Dritter wird vom RKI nicht behauptet, dass dieser Schutz umfassend ist, sondern es wird lediglich die Mund-Nasen-Bedeckung als flankierende, schutzerhöhende Maßnahme empfohlen. Das ist erforderlich, aber auch ausreichend. Soweit die Nutzung für den Träger selbst Gefahren mit sich bringen könnte, so sind diese als eher gering anzusehen und entstehen in erster Linie bei einer vom Träger selbst zu verantwortenden falschen Handhabung, insbesondere nicht ausreichender Hygiene. Werden die Mindestanforderungen diesbezüglich befolgt, so sind Gefahren nahezu ausgeschlossen.

Es lässt vorliegend auch keinen Ermessensfehler in Form nicht ausreichender Sachverhaltsermittlung erkennen, wenn sich der Antragsgegner auf die Expertise des RKI beruft und verlässt. Aus § 4 IfSG ergibt sich, dass das RKI eine vorrangige Rolle im Zusammenhang mit der Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen hat (so auch BayVGH, Beschl. v. 28.04.2020 - 20 NE 20.849 -, juris Rn. 33). Es ist als Bundesoberbehörde unter anderem dafür zuständig, den Gesundheitsbehörden auf allen Ebenen die Informationen zu geben oder zugänglich zu machen, die zur Erfüllung der jeweiligen Aufgaben notwendig sind.

Die Notwendigkeit der Mund-Nasen-Bedeckung als das Abstandsgebot flankierende Maßnahme kann auch nicht durch die relativ niedrige Zahl an Neuinfektionen in Schleswig-Holstein in Zweifel gezogen werden. Demnach gab es im Zeitraum zwischen dem 8. und 12. Mai 2020 78 gemeldete Neuinfektionen, so dass insgesamt 2.971 bekannte Infektionen zu verzeichnen sind. Für den Kreis Ostholstein ergaben sich für den Zeitraum keine Neuinfektionen (siehe:https://www.infmed.uni-kiel.de/de/epidemiologie/covid-19). Dieser Umstand stellt jedoch nicht die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen in Frage. Eher ist vom Gegenteil auszugehen, dass die Schutzmaßnahmen ein Hauptgrund der relativ niedrigen Ansteckungsrate sind. Nicht nur besteht in der wissenschaftlichen Diskussion weitgehend Einigkeit über die Frage, wie sich das Virus ausbreitet, nämlich in Form von in der Ausatemluft enthaltenen Tröpfchen, die von Menschen in der Umgebung beim Einatmen in die oberen Atemwege gelangen, in denen sich das Virus ausbreiten und schnell vermehren kann. Auch ist nicht von der Hand zu weisen, dass in Ländern, in denen Schutzmaßnahmen zu spät und/oder unzureichend getroffen wurden, ein nahezu exponentieller Anstieg der Neuinfektionen zu verzeichnen war und ist. Das Aufrechterhalten der Schutzmaßnahmen ist also auch bei einer nur niedrigen Rate von Neuinfektionen zur Eindämmung des Virus notwendig. Des Weiteren geben die genannten Zahlen nur das Ausmaß der bekannten Neuinfektionen wieder. Über die Anzahl der unentdeckten Infektionen kann nur spekuliert werden. Hinzu kommt, dass auch negativ getestete Personen gleichwohl das Virus tragen und verbreiten können, denn jede Person kann sich unentdeckt jederzeit nach dem letzten Test infiziert haben. Da die Inkubationszeit einige Tage währt, kann eine für diesen Zeitraum unentdeckte Infektion eine erhebliche Anzahl an weiteren Infektionen auslösen.

bb) Die formell und materiell den Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage entsprechende Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung schränkt die betroffenen Grundrechte nicht unverhältnismäßig ein.

Die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG wird durch die Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Bereichen des öffentlichen Raums eingeschränkt, verletzt wird das Grundrecht aber nicht. Beschränkt wird das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die verfassungsgemäße Ordnung, die Rechte anderer und das Sittengesetz. Der Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung besagt, dass Einschränkungen aufgrund formell und materiell verfassungsgemäßer Vorschriften das Grundrecht nicht verletzen (BVerfG, Urt. v. 16.01.1957- 1 BvR 253/56 -, BVerfGE 6, 32, Ls. 3 "Elfes"). Die hier in Rede stehende MNB-VO entspricht formell und materiell den Vorgaben der - ihrerseits verfassungsgemäßen - Verordnungsermächtigung. Die allgemeine Handlungsfreiheit wird auch nicht in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Wie sich aus den vorstehenden Erörterungen ergibt, ist die Mund-Nasen-Bedeckung eine für den Schutz vor Infektionen mit Coronaviren geeignete Maßnahme. Sie ist auch zu diesem Zweck erforderlich. Mildere Mittel, die den Schutz in gleich effektiver Weise bewirken würden, sind nicht ersichtlich. Ob es effektiver wäre, durch flächendeckende Testungen Infektionsherde und -ketten aufzuspüren und diese gezielt zu bekämpfen, so dass der hiervon nicht betroffene Personenkreis in der alltäglichen Lebensführung unbeeinträchtigt bleibt, ist fraglich, kann aber offenbleiben. Jedenfalls steht eine dafür ausreichende Infrastruktur nicht zur Verfügung und kann auch nicht so kurzfristig bereitgestellt werden, dass Schutzmaßnahmen für alle ab sofort nicht mehr notwendig wären.

Die mit der Mund-Nasen-Bedeckung einhergehende Freiheitsbeschränkung ist auch im Hinblick auf den damit verfolgten Zweck nicht unangemessen. Mund und Nase müssen jeweils nur während der Aufenthalte in den in § 1 MNB-VO genannten Bereichen bedeckt werden. Solche Aufenthalte sind in der Regel nur von kurzer Dauer. Auch sind die damit einhergehenden Einschränkungen nicht von allzu großem Gewicht. Das Wohlbefinden mag in dem einen oder anderen Fall durchaus beeinträchtigt sein. Die Bedeckung behindert das Atmen aber nur unwesentlich und die Bewegungsfreiheit wird nicht eingeschränkt. Intensive körperliche Betätigung mag dabei erschwert sein. Eine solche Betätigung steht aber im Nahverkehr ebenso wenig an wie in Ladengeschäften oder Einkaufszentren. Hörgeschädigte oder Gehörlose sind durch die Bedeckung dahingehend beeinträchtigt, dass sie ihren Mund und ihre Nase bedeckenden Gesprächspartnern nicht von den Lippen lesen können. Da dies aber regelmäßig nur kurze Zeiträume umfasst, ist diese Störung hinnehmbar. Dem steht das zu erreichende Ziel des Schutzes der Gesundheit aller Personen gegenüber, die sich im Geltungsbereich der Verordnung befinden. Es geht um den Schutz vor der Verbreitung einer nicht selten schwer und im messbaren Prozentbereich tödlich verlaufenden Krankheit, die wahrscheinlich zu schweren lang andauernden Schäden führen kann. Im Rahmen der hier zu treffenden Abwägung stehen sich daher das in eher geringem Umfang beeinträchtigte Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit einerseits und der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit andererseits gegenüber. In der Gesamtabwägung ist dem Schutz des Lebens das höhere Gewicht gegenüber der nicht dauerhaft und nicht allzu erheblich eingeschränkten freien Entfaltung der Persönlichkeit das höhere Gewicht beizumessen (so auch BayVGH, Beschl. v. 05.05.2020 - 20 NE 20.926 -, Rn. 27; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 05.05.2020 - 13 MN 119/29 -, juris Rn. 49, vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 29.04.2020 - 1 BvQ 47/20 -, juris Rn. 17 in Bezug auf die Abwägung zwischen dem Schutz des Lebens und den Interessen der Betreiber von Ladengeschäften an ungehinderter Öffnung ihrer Geschäfte). Hinzu kommt im Rahmen der Abwägung, dass auch das Recht auf Bewegungsfreiheit vorerkrankter Personen oder von Mitgliedern besonderer Risikogruppen in Betracht zu ziehen ist, für die Schutzmaßnahmen wie das Abstandsgebot und die sie flankierende Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung den öffentlichen Raum erst zugänglich machen. Sie wären sonst gezwungen, ihre häusliche Umgebung nicht zu verlassen.

Die Regelungen sind auch deswegen angemessen, weil sie in § 3 Ausnahmeregelungen enthalten für Personen, denen eine Mund-Nasen-Bedeckung nicht zugemutet werden kann, sei es, weil sie aus beruflichen Gründen sich dauerhaft in einem Raum aufhalten müssen, in dem die Bedeckungspflicht gilt oder sei es, weil sie aus medizinischen oder psychischen Gründen dieser Pflicht nicht genügen können (siehe BayVGH, a. a. O., Rn. 25 zum Erfordernis der Befreiungsmöglichkeit). Schließlich wird die Verhältnismäßigkeit auch gewahrt, weil die MNB-VO gemäß § 5 Abs. 2 mit Ablauf des 31. Mai 2020 außer Kraft tritt, die mit ihr verbundenen Einschränkungen daher zunächst von relativ kurzer Dauer sind. Die Verlängerung der Mund-Nasen-Bedeckungspflicht durch Neuerlass einer Anschlussverordnung stünde unter dem Vorbehalt der Prüfung ihrer weiteren Notwendigkeit.

2. Auch eine Folgeabwägung würde hier zu dem gleichen Ergebnis führen. Die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe für die Aussetzung der Verordnung überwiegen nicht die Gründe für den weiteren Vollzug. Der Gesundheitsschutz der Allgemeinheit ist in diesem Zusammenhang vorrangig zu gewichten. Insoweit gilt das, was vorstehend zur Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ausgeführt worden ist, entsprechend.

3. Der Hilfsantrag, den Kreis Ostholstein vom Geltungsbereich der MNB-VO auszunehmen, hat ebenfalls in der Sache keinen Erfolg. Die Verordnung ist nach den obigen Grundsätzen auch dann nicht zu beanstanden, wenn - wie im Kreis Ostholstein der Fall - über einen längeren Zeitraum keine Neuinfektionen gemeldet wurden. Zwar kann der Verordnungsgeber eine Verordnung gem. § 54 Abs. 1 LVwG auch nur für Teile des Landesgebiets erlassen. Ein Kreis könnte daher von der Geltung ausgenommen werden. Das war vorliegend aber nicht geboten. Abgesehen von den kaum zu lösenden Problemen im Hinblick auf die Praktikabilität eines solchen Vorgehens, denn eine solche regionale Begrenzung würde voraussetzen, dass für jeden Kreis und jede kreisfreie Stadt eine gesonderte Bewertung durchgeführt und immer wieder revidiert wird, ist allein der Umstand, dass Neuinfektionen nicht gemeldet wurden, noch kein Anlass für eine Ermessensreduzierung auf null im Sinne des Hilfsantrags. Dazu müsste die Reduzierung des Geltungsbereichs der MNB-VO um den Kreis Ostholstein, sich als die einzig rechtmäßige Entscheidung darstellen. Das ist nicht der Fall. Im Rahmen des dem Verordnungsgeber eingeräumten weiten Ermessenspielraums kann der Senat nicht ausmachen, dass der Antragsgegner die Grenzen dieses Ermessens überschreitet, wenn er durch die angeordnete Bedeckungspflicht die Verbreitung des Virus noch wirksamer verhindern will, als bisher und dabei die Geltung nicht davon abhängig macht, dass akut Neuinfektionen nachgewiesen werden. Es stellt eine ausreichende Rechtfertigung der Schutzmaßnahmen dar, den im Kreis Ostholstein erfreulichen status quo zu sichern. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich dennoch - unentdeckt - infizierte Personen im Kreisgebiet aufhalten oder sich dorthin begeben werden. Bei einer Aufhebung oder Lockerung der Schutzmaßnahmen würde sich das Virus ungehindert weiterverbreiten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).