ArbG Aachen, Urteil vom 20.09.2018 - 3 Ca 3304/17
Fundstelle
openJur 2020, 3676
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 7 Sa 28/19
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die klagende Partei.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.509,52 € festgesetzt

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt noch über Vergütungsansprüche der klagenden Partei für die Zeit vom 01.01.2015 bis einschließlich 30.04.2017 sowie um eine Sonderzahlung aus einer Betriebsvereinbarung vom 19.02.2014 bzw. dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Die klagende Partei ist seit dem 12.02.1990 bei der Beklagten als E. Hilfsarbeiter zu einem monatlichen Bruttogrundlohn i.H.v. 4..220,37 € beschäftigt.

Die Beklagte betreibt eine H. und beschäftigt etwa 200 Mitarbeiter. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.

Ende des Jahres 2013 bot die Beklagte gegenüber sämtlichen Mitarbeitern den Abschluss neuer, betriebseinheitlich gestalteter Arbeitsverträge an. Die klagende Partei lehnte dieses Arbeitsvertragsangebot ab.

Am 19.02.2014 schloss die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung (im Folgenden: Betriebsvereinbarung) mit unter anderem dem folgenden Inhalt ab:

"§ 1 Geltungsbereich

Diese Betriebsvereinbarung gilt für Mitarbeiter der M.. T. H., die das Angebot des Unternehmens angenommen haben und ab Januar 2013 einen neuen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben. Ausgenommen von dieser Regelung sind Mitarbeiter mit ruhenden Arbeitsverhältnissen, geringfügig Beschäftigte, Auszubildende, AT-Angestellte und Führungskräfte.

§ 2 Sonderzahlung

Für das Geschäftsjahr 2013 sollen die unter § 1 genannten Mitarbeiter nach Vorliegen des testierten Jahresergebnisses, voraussichtlich im Juni 2014, eine Sonderzahlung in Höhe von 500,00 € brutto erhalten.

Anspruch auf den vollen Betrag haben alle Mitarbeiter, die im gesamten Geschäftsjahr 2013 im Unternehmen beschäftigt waren und bis zum Zeitpunkt der Zahlung nicht ausgeschieden sind.

Einen Teilanspruch haben:

• im Geschäftsjahr 2013 eingetretene Mitarbeiter für jeden vollen Monat 1/12tel des vollen Betrages,

• Mitarbeiter deren Arbeitsverhältnis im Geschäftsjahr zum Teil ruht für jeden vollen Monat der Beschäftigung,

• Teilzeitbeschäftigte im Verhältnis zur Vollzeit und

• Mitarbeiter mit krankheitsbedingten Fehlzeiten, soweit sie insgesamt die Dauer von 4 Monaten im Kalenderjahr (88 Arbeitstage bei 5-Tage-Woche) überschreiten, für die Zeiten ohne krankheitsbedingte Fehlzeiten.

§ 4. Erhöhung der Grundvergütung

Die Grundvergütung (Grund-Stundenlohn oder Grund-Gehalt) der unter den Geltungsbereich dieser Betriebsvereinbarung fallenden Mitarbeiter wird mit Wirkung ab 01.01.2015 um 2,6 % angehoben. Die Anhebung wird auf volle Euro kaufmännisch gerundet.

§ 4 [...]"

Wegen der weiteren Einzelheiten der Betriebsvereinbarung wird auf Anlage 4. zur Klageschrift vom 20.02.2016 (Bl. 15-16 d.A.) Bezug genommen.

Mit außergerichtlichem Schreiben der nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 21.10.2014 machte die klagende Partei gegenüber der Beklagten die Gewährung der Sonderzahlung i.H.v. 500 € brutto die Erhöhung der monatlichen Grundvergütung um 2,6 % ab dem 01.01.2015 erfolglos geltend.

Mit der am 22.02.2016 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen Klage begehrte die klagende Partei zunächst, die Beklagte zu verpflichten, den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung auf sie auszudehnen. Im Gütetermin vom 29.09.2016 wurde das Verfahren im Einvernehmen mit den Parteien terminlos gestellt, da zunächst u.a. der Ausgang des Berufungsverfahrens vor dem Landesarbeitsgericht Köln in einer Parallelrechtsstreitigkeit, in der das Arbeitsgericht Aachen mit Urteil vom 25.08.2016, Az. 1 Ca 628/16 h, die Klage abgewiesen hatte. Das Landesarbeitsgericht Köln wies aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.05.2017 mit Urteil vom 19.05.2017, Az. 10 Sa 892/16, die gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen eingelegte Berufung der klagenden Partei zurück. Dies unter anderem mit der Begründung, dass die Betriebsvereinbarung wegen des Tarifvorrang gemäß § 77 Abs. 4. BetrVG unwirksam sei und ein Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz mangels dargelegter Kenntnis der Beklagten von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung im Zeitpunkt der Leistungsgewährung ebenfalls nicht gegeben sei. Die geltend gemachten Ansprüche könnten auch nicht aus einem Verstoß gegen das Maßregelungsverbot hergeleitet werden. Infolge der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Köln am 19.05.2018 zahlte die Beklagte ab Mai 2017 an die klagende Partei einen um 2,6 % erhöhten Bruttogrundlohn. Mit am 15.01.2018 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen Schriftsatz begehrte die klagende Partei unter Klagerücknahme im Übrigen die Gewährung der Sonderzahlung in Höhe von 500,00 Euro brutto sowie die Zahlung der Differenzvergütung zwischen dem um 2,6% erhöhten Bruttogrundlohn und dem bezahlten Bruttogrundlohn für die Zeit vom 01.01.2015 bis einschließlich Februar 2018. Nach Hinweis des Gerichts, dass seit Mai 2017 unstreitig ein um 2,6% erhöhter Grundlohn durch die Beklagte an die klagende Partei gezahlt wird, reduzierte die klagende Partei den Anspruch auf rückständige Vergütung auf den Zeitraum bis einschließlich April 2017.

Die klagende Partei ist der Auffassung, ihr stehe für die Zeit vom 01.01.2015 bis einschließlich 30.04.2017 ein um 2,6 % erhöhter Grundlohn sowie die Gewährung der Sonderzahlung i.H.v. 500 € brutto nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung bzw. den Grundsätzen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu. Die Betriebsvereinbarung sei entsprechend der Ausführungen des Landesarbeitsgerichts Köln im Urteil vom 19.05.2017, Az. 10 Sa 892/16 wegen Verstoßes gegen den Tarifvorrang unwirksam. Hiervon habe die Beklagte im Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung Kenntnis gehabt. Die klagende Partei behauptet diesbezüglich, der H. der Beklagten habe kurze Zeit nach der Betriebsratssitzung vom 19.02.2014 anlässlich einer Geschäftsleitersitzung zu dem Betriebsratsmitglied Frau M.. gesagt, dass er wisse dass die Betriebsvereinbarung nicht wirksam sein könne. Wer nicht einverstanden sei könne ja klagen. Das würde aber lange dauern. Nur die Rechtsanwälte würden daran Geld verdienen. Zudem sei es auch völlig lebensfremd anzunehmen, dass die Beklagte bei Abschluss der Betriebsvereinbarung rechtsirrig in Bezug auf die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung gewesen sei. Es sei zu unterstellen dass insbesondere der H. der Beklagten Kenntnis vom Tarifvorrang gehabt habe. Sowohl vor, als auch nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Köln am 19.05.2017 in dem Parallelrechtsstreit, Az. 10 Sa 892/16, und dem daraufhin verkündeten Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln ignoriere die Beklagte den Tarifvorrang in dem sie nach wie vor versuche, mit dem Betriebsrat Lohnabreden zu treffen. Aufgrund der Kenntnis der Beklagten von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung könne die klagende Partei daher die streitgegenständlichen Ansprüche nach den Grundsätzen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verlangen. Die Regelungen der Betriebsvereinbarung und der Ausschluss von solchen Mitarbeitern, die dem Neuabschluss der Ende 2013 durch die Beklagte angebotenen Arbeitsverträge nicht zugestimmt hätten, stelle eine Benachteiligung aus sachfremden Gründen und damit einen Willkürakt unter Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Der Abschluss des neuen Arbeitsvertrages sei nicht grundlos seitens der klagenden Partei abgelehnt worden. In dem Arbeitsvertragsentwurf der Beklagten seien etliche Bestimmungen enthalten gewesen, die für die klagende Partei ungünstiger gewesen seien, da keine Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Regelungen darin enthalten gewesen seien. Jedenfalls stelle die Vorenthaltung der Lohnerhöhung keine angemessene Reaktion auf die freie Entscheidung der klagenden Partei dar, den angebotenen neuen Arbeitsvertrag abzulehnen. Die in der Betriebsvereinbarung vorgenommene Differenzierung sei aus sachwidrigen Gründen erfolgt.

Schließlich liege ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB vor. Der Beklagten gehe es darum, eine die Arbeitnehmer benachteiligende Vereinheitlichung arbeitsvertraglicher Konditionen herbeizuführen.

Die klagende Partei beantragt zuletzt,

die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 500,00 € brutto sowie weitere 2009,52 € brutto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die klagende Partei die geltend gemachten Ansprüche weder aus der Betriebsvereinbarung noch nach Maßgabe des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verlangen könne. Mangels Kenntnis von einer etwaigen Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Köln am 19.05.2017 in dem Parallelverfahren, Az. 10 Sa 892/16, könne die klagende Partei den Anspruch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung wegen des Tarifvorranges sei erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 19.05.2017 im Berufungsverfahren in einem Parallelrechtsstreit erörtert worden. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte in Vollziehung der Betriebsvereinbarung an die unter deren Anwendungsbereich fallenden Mitarbeiter geleistet. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege im Übrigen auch nicht vor. Allen Arbeitnehmern sei der neue Arbeitsvertrag angeboten worden. Damit hätten alle bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer in den Genuss der Leistungen der Betriebsvereinbarung kommen können. Jedenfalls sei die Differenzierung sachlich gerechtfertigt. Mit dem Angebot neuer Arbeitsverträge habe man im Hinblick auf die bis dahin unterschiedlichsten Vertragswerke versucht eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen im Betrieb zu erreichen. Die Durchsetzung eigentlicher Arbeitsbedingungen bewirke im Bereich der Personalabteilung und Verwaltung eine erhebliche Arbeitserleichterung und Kostenreduzierung.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin B. M... Wegen des Inhalts des Beweisbeschlusses sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll der Kammerverhandlung vom 20.09.2018 (Bl. 141 bis 145 d.A.) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Der klagenden Partei stehen die streitgegenständlichen Ansprüche weder nach der Betriebsvereinbarung vom 19.02.2014 noch unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes oder einem etwaigen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot zu.

1. Ein Anspruch aus der Betriebsvereinbarung vom 19.02.2014 besteht nicht.

a. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 der Betriebsvereinbarung unterliegt der Kläger nicht deren Geltungsbereich. § 1 der Betriebsvereinbarung legt eindeutig fest, dass nur Mitarbeiter, die - anders als die klagende Partei - den neuen Arbeitsvertragsbedingungen aus dem Jahr 2013 zugestimmt haben, ihrem Geltungsbereich unterfallen.

b. Die streitgegenständlichen Ansprüche stehen der klagenden Partei auch nicht nach § 2 und § 4. der Betriebsvereinbarung i.V.m. § 75 BetrVG zu. Die Betriebsvereinbarung ist wegen Verstoßes gegen den in § 77 Abs. 4. Satz 1 BetrVG verankerten Tarifvorrang unwirksam.

aa. Nach § 77 Abs. 4. Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Der Begriff der "Arbeitsentgelte", umfasst nicht nur solche Leistungen, die nach Inhalt und Umfang in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zur Arbeitsleistung stehen, sondern gilt für alle vermögenswerten Arbeitgeberleistungen, also nicht nur für den Lohn und das Gehalt im herkömmlichen Verständnis, sondern auch für sog zusätzliche Sozialleistungen, wie Gratifikationen, Familienzulagen, Urlaubsgelder und Leistungen einer betrieblichen Altersversorgung (Richardi in: Richardi, BetrVG, 16. Auflage 2018, § 77 Rn. 268). Sonstige Arbeitsbedingungen i.S.d. § 77 Abs. 4. Satz 1 BetrVG sind nicht nur materielle Arbeitsbedingungen, die den Umfang der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers betreffen, sondern alle Regelungen, die als Gegenstand tarifvertraglicher Inhaltsnormen nach § 1 TVG den Inhalt von Arbeitsverhältnissen ordnen (BAG, Urteil vom 18. März 2010 - 2 AZR 337/08 -, Rn. 4., juris; BAG Urteil vom 23.01.2008 - 1 AZR 988/06 -, Rn. 14, juris). Eine gegen § 77 Abs. 4. Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist von Anfang an unwirksam. Etwas anderes gilt gemäß § 77 Abs. 4. Satz 2 BetrVG, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarung ausdrücklich zulässt. Dies muss nicht wörtlich geschehen. Die Zulassung muss im Tarifvertrag deutlich zum Ausdruck kommen (vgl. BAG, Urteil vom 20.01.2008 - 1 AZR 988/06 - Rn. 14 - zitiert nach juris; LAG Köln Urteil vom 19.05.2017 - 10 Sa 892/16). Die gesetzliche Bestimmung des § 77 Abs. 4. Satz 1 BetrVG dient der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie sowie der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Sie will verhindern, dass Gegenstände, derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen haben, konkurrierend - und sei es inhaltsgleich - in Betriebsvereinbarungen geregelt werden. Eine Betriebsvereinbarung soll weder als normative Ersatzregelung für nicht organisierte Arbeitnehmer noch als Grundlage für übertarifliche Leistungen dienen können. Auch günstigere Betriebsvereinbarungen sind unwirksam (vgl. BAG, Urteil vom 18. März 2010 - 2 AZR 337/08 -, Rn. 35 m.w.N., juris). Fällt ein Betrieb in den räumlichen, fachlichen und personellen Geltungsbereich eines Tarifvertrags, sind die Betriebsparteien deshalb gehindert, tariflich geregelte Gegenstände in einer Betriebsvereinbarung selbst zu regeln. Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 4. Satz 1 BetrVG hängt nicht davon ab, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist, und tritt auch dann ein, wenn ein den gleichen Gegenstand regelnder Tarifvertrag zwar bei Abschluss der Betriebsvereinbarung nicht (mehr) besteht, die betreffende Angelegenheit aber "üblicherweise" tariflich geregelt wird (BAG, Urteil vom 18. März 2010 - 2 AZR 337/08 -, Rn. 35, juris; Richardi, in: Richardi, BetrVG, 16. Auflage 2018, § 77 Rn. 274).

bb. Die Voraussetzungen des § 77 Abs. 4. Satz 1 BetrVG liegen vor.

(1) Die streitbefangene Betriebsvereinbarung enthält in § 2 eine Regelung über eine Sonderzahlung und in § 4. eine Regelung über allgemeine Vergütungssteigerungen und damit jeweils Bestimmungen über Arbeitsentgelt i.S.v. § 77 Abs. 4. Satz 1 BetrVG.

(2) Die Beklagte und ihr Betrieb fallen grundsätzlich in den Geltungsbereich des Gehaltstarifvertrags für die Angestellten der E. NRW bzw. des Lohnrahmenabkommens der E. NRW sowie des Manteltarifvertrages für Angestellte in der E. NRW (MTV). Der Gehaltstarifvertrag bzw. das Lohnrahmenabkommen der E. NRW enthalten Regelungen zu Tariflohn und Tariflohnerhöhungen. § 9 des MTV regelt den Anspruch auf eine tarifliche Jahresleistung. Danach haben Angestellte und Auszubildende bei einem ungekündigten Arbeitsverhältnis, das seit dem 04.01. bis einschließlich 31.12. des laufenden Fälligkeitsjahres besteht, Anspruch auf die Zahlung einer tariflichen Jahresleistung, die maximal 95% des jeweiligen zum Fälligkeitszeitpunkt gültigen monatlichen Tarifgehalts. Teilzeitbeschäftigte erhalten eine anteilige Jahresleistung nach dem Verhältnis ihrer Arbeitszeit zur Vollzeit. Daneben bestehen für den Fall des unterjährigen Beginns und Endes des Arbeitsverhältnisses sowie bei ruhenden Arbeitsverhältnissen pro rata temporis-Regelungen. § 2 und § 4. der Betriebsvereinbarung sowie der Gehaltstarifvertrag bzw. das Lohnrahmenabkommen der E. NRW und § 9 MTV haben damit den gleichen Gegenstand. Die Regelungen der streitbefangenen Betriebsvereinbarung treten - ungeachtet einer etwaigen dadurch hervorgerufenen Besserstellung - in Konkurrenz zu den tariflichen Bestimmungen. Auf eine Tarifbindung der Beklagten kommt es danach nicht mehr an. Wie das Landesarbeitsgericht Köln mit Urteil vom 19.05.2017, Az. 10 Sa 892/16 daher zutreffend und von den Parteien letztlich unbeanstandet entschieden hat, sind die Regelungen in § 2 und § 4. der Betriebsvereinbarung mit Rücksicht auf den Tarifvorrang nach § 77 Abs. 4. Satz 1 BetrVG unwirksam.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen können weder die klagende Partei noch die übrigen Mitarbeiter der Beklagten Ansprüche aus der Betriebsvereinbarung vom 19.02.2014 herleiten.

2. Der klagenden Partei stehen die geltend gemachten Ansprüche auch nicht nach den Grundsätzen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu.

a. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gebietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz dem Arbeitgeber, der Teilen seiner Arbeitnehmer freiwillig nach einem bestimmten erkennbaren generalisierenden Prinzip Leistungen gewährt, Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln. Untersagt ist ihm danach sowohl eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe als auch eine sachfremde Gruppenbildung (BAG, Urteil vom 06.07.2011 - 4 AZR 596/09 -, Rn. 23 m.w.N., juris). Dabei gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz bei Fragen der Vergütung nur eingeschränkt; insoweit hat der Grundsatz der Vertragsfreiheit für individuell ausgehandelte Gehälter Vorrang. Erfolgt die Vergütung jedoch nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip, indem er bestimmte Voraussetzungen oder bestimmte Zwecke festlegt, greift der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz auch im Bereich der Entgeltzahlung (BAG, Urteil vom 25.01.2012 - 4 AZR 147/10 - , Rn. 57, juris).

aa. Voraussetzung für die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist, dass der Arbeitgeber durch ein eigenes gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung geschaffen hat. Danach knüpft die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gleichbehandlung seiner Arbeitnehmer nicht unmittelbar an die Leistung selbst an, sondern vielmehr an das von ihm zugrunde gelegte, selbstbestimmte generalisierende Prinzip. Bei bloßem - auch vermeintlichem - Normvollzug gilt dieser dagegen nicht. Es fehlt insoweit an einer eigenen Verteilungsentscheidung des Arbeitgebers, wenn er subjektiv keine eigenen Anspruchsvoraussetzungen bildet, sondern sich - wenn auch irrtümlicherweise - verpflichtet sieht, eine aus seiner Sicht wirksame Regelung nur vollziehen zu müssen. Anders verhält es sich, wenn der Arbeitgeber nach Kenntnis von seinem Irrtum die bis dahin ohne Rechtsgrund erbrachten Leistungen weitergewährt und rechtlich mögliche Rückforderungsansprüche nicht geltend macht. Ab diesem Zeitpunkt erbringt er bewusst zusätzliche freiwillige Leistungen aufgrund eigener Entscheidung, die ihrerseits dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz genügen muss (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urteil vom 21.11.2013 - 6 AZR 23/12; BAG, Urteil vom 27.06.2012 - 5 AZR 317/11 -, Rn. 17; BAG, Urteil vom 21.05.2014 - 4 AZR 50/13 -, Rn. 20, jeweils juris ). Ein Anspruch nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kann sich demnach erst dann ergeben, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der Unwirksamkeit oder des tatsächlichen Inhalts einer Betriebsvereinbarung weiterhin Leistungen erbringt. Denn dann handelt es sich nicht mehr um reinen Normenvollzug.

bb. Liegen danach der Leistung bestimmte, vom Arbeitgeber formulierte oder formulierbare Voraussetzungen zugrunde, muss die vom Arbeitgeber damit selbst geschaffene Gruppenbildung gemessen am Zweck der Leistung sachlich gerechtfertigt sein. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn die Differenzierungsgründe unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Leistung auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruhen und nicht gegen verfassungsrechtliche Wertentscheidungen oder gesetzliche Verbote verstoßen. Damit wird die Bestimmung der vom Arbeitgeber autonom festgesetzten "Tatbestandsmerkmale" für die festgesetzte Leistung einer Rechtfertigungsprüfung am Maßstab des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes unterzogen. Lässt sich die mit der arbeitgeberseitigen Festlegung der Anspruchsvoraussetzungen bei der "Normaufstellung" verbundene Ausgrenzung anderer Arbeitnehmer, die diese Anforderungen nicht erfüllen, gemessen am Zweck der Leistung nicht sachlich rechtfertigen, ist hinsichtlich der Arbeitnehmer, die dadurch in nicht gerechtfertigter Weise von der Leistung ausgeschlossen werden, der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.

cc. Rechtsfolge einer Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist die "Korrektur" der arbeitgeberseitig bestimmten gleichbehandlungswidrigen Voraussetzung. Die sachlich nicht gerechtfertigte Gruppenbildung führt im Ergebnis zu einer Anpassung dieses Merkmals durch ein gleichbehandlungskonformes. Der Arbeitnehmer, der ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt wurde, kann die Leistung, von der er nach der Regelbildung des Arbeitgebers wegen Nichterfüllung des gleichbehandlungswidrigen Tatbestandsmerkmals ausgeschlossen war, von diesem verlangen, wenn es keine weiteren Voraussetzungen gibt oder wenn etwaige weitere Voraussetzungen von ihm erfüllt werden (BAG, Urteil vom 21. Mai 2014 - 4 AZR 50/13 -, Rn. 23, juris).

dd. Nach dem im deutschen Zivilprozessrecht geltenden Grundsatz, der auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren gilt, trägt (grundsätzlich) derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen (vgl. etwa BAG, Urteil vom 18.05.2017 - 8 AZR 74/16 -,Rn. 42; BAG, Urteil vom 18.06.2015 - 8 AZR 848/13 (A) -, Rn. 11, juris). Eine klagende Partei, die sich auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beruft, muss demnach grundsätzlich alle den jeweiligen Anspruch begründenden Tatsachen darlegen und im Streitfall auch beweisen.

b. Gemessen an diesen Grundsätzen sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht gegeben. Die Beklagte hat die Leistungen nach §§ 2 und 4. der streitbefangenen Betriebsvereinbarung bis zum 19.05.2017 in Vollzug der vermeintlich wirksamen Betriebsvereinbarung und nicht aufgrund einer privatautonomen Verteilungsentscheidung erbracht. Es steht nicht zur vollen Überzeugung der Kammer fest, dass die Beklagte bzw. ihr H. im Zeitpunkt der Leistungsgewährung vor dem 19.05.2017 Kenntnis von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung hatte.

aa. Eine Kenntnis des Geschäftsführers von der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung ergibt sich nicht aus der streitigen Tatsachenbehauptung der klagenden Partei, der H. der Beklagten habe der Zeugin M.. kurz nach Abschluss der Betriebsvereinbarung mitgeteilt, dass er um deren Unwirksamkeit wisse. Diese Behauptung sieht die Kammer nach Durchführung der Beweisaufnahme und dem gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlungen nicht als erwiesen an.

(1) Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Es muss zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen, dass eine behauptete Tatsache wahr ist (vgl. Foerste in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Auflage 2018, § 286 ZPO Rn. 18). Für die von § 286 ZPO geforderte Überzeugung des Tatrichters bedarf es aber keiner absoluten oder unumstößlichen Sicherheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BAG, Urteil vom 23.10.2014 - 2 AZR 865/13 -, Rn. 44, juris).

Wegen des Grundsatzes der Waffengleichheit, dem Anspruch auf rechtliches Gehör sowie des Rechts auf Gewährleistung eines fairen Prozesses und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes ist einer Partei, die für ein Vier-Augen-Gespräch anders als die Gegenpartei keinen Zeugen hat, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung des Gesprächs in den Prozess persönlich einzubringen. Zu diesem Zweck ist die Partei gem. § 448 ZPO zu vernehmen oder gem. § 141 ZPO anzuhören (BAG, Beschluss vom 22.05.2007 - 4. AZN 1155/06 -; BAG, Urteil vom 06.12.2001 - 2 AZR 396/00 -, jeweils zitiert nach juris; Geimer in: Zöller, ZPO, 4.. Aufl. 2018, Einleitung zu § 286, Rn. 123).

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen steht für die erkennende Kammer nach dem gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlung und der durchgeführten Beweisaufnahme nicht mit der für die Überzeugungsbildung erforderlichen Sicherheit die streitige Behauptung der klagenden Partei, der H. der Beklagten habe kurz nach Abschluss der Betriebsvereinbarung gesagt, dass er von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung Kenntnis habe, fest.

(a) Die Zeugin M.. hat bekundet, dass sie den H. der Beklagten maximal ein bis zwei Monate nach der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung vom 19.02.2014 im Rahmen einer Geschäftsleitersitzung darauf angesprochen habe, dass es nicht richtig sei, dass zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung eine Betriebsvereinbarung über Löhne geschlossen werde. Konkret habe sie gesagt, dass die Lohnerhöhung so nicht okay und es diskriminierend sei, wenn nur die Leute, die den neuen Arbeitsvertrag unterschreiben, 500,00 Euro erhalten. Der H. der Beklagten habe erwidert, dass er wisse, "dass das nicht richtig" sei und derjenige, dem das nicht passe, klagen könne. Das würde aber lange dauern. Bei diesem Gespräch habe sie dem H. der Beklagten gegenüber gesessen. Zudem seien auch weitere Mitglieder des Betriebsrats anwesend gewesen.

(b) Der H. der Beklagten hat hingegen im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegeben, dass er bis zum Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Köln keine Kenntnis von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung gehabt habe. Es habe mehrere Gespräche mit dem Betriebsrat, bei denen zum Teil auch Frau M.. anwesend gewesen sei, in Bezug auf die Betriebsvereinbarung gegeben. Ein Gespräch mit Frau M.. in dem er gesagt haben soll, dass er Kenntnis von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung habe, habe es mit Sicherheit nicht gegeben. Er sei Maschinenbauer und kein Jurist. Er habe nicht gewusst, dass die Betriebsvereinbarung unwirksam sei und es diesbezüglich "irgendwas mit dem Tarifvorrang zu beachten gibt." Er schließe keine Betriebsvereinbarungen ab, von denen er wisse, dass sie unwirksam seien. Die Betriebsvereinbarung sei durch den beratenden Arbeitgeberverband erstellt und von einer externen Kanzlei geprüft worden. Nachdem Herr Assessor L. und Herr P. ihm nach der Rückkehr von dem Termin beim Landesarbeitsgericht Köln von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung berichtet hätten, habe er den Anwalt in einem persönlichen Gespräch "angefaucht".

(c) Die Aussage der Zeugin M.. als auch die Angaben des Geschäftsführers der Beklagten sind gleichermaßen plausibel, widerspruchsfrei, detailreich und vom Lebenssachverhalt her möglich. Es ist auch sonst nichts erkennbar, woraus sich ergäbe, dass eine der Aussagen unzutreffend ist. Sowohl die Zeugin M.. als klagende Partei in einem im Zeitpunkt der Zeugenaussage noch rechtshängigen Parallelverfahren als auch der H. der Beklagten haben jeweils ein gegenläufiges erhebliches Eigeninteresse an dem Ausgang des Rechtsstreits. Nach dem Inhalt der mündlichen Verhandlung und der durchgeführten Beweisaufnahme kann die Kammer nicht erkennen, welche Aussage objektiv wahr und welche unzutreffend ist. Den Angaben der Zeugin M.. ist auch nicht deshalb der Vorzug vor den Ausführungen des Geschäftsführers der Beklagten zu geben, weil diese Zeugin, der H. der Beklagten aber Partei ist. Es entspricht den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen der Beweisaufnahme hinsichtlich eines Vier-Augen-Gesprächs, dass dies grade nicht gilt, sondern die an dem Gespräch beteiligte Partei zur Herstellung prozessualer Waffengleichheit zumindest informatorisch anzuhören ist und ihre Angaben in gleicher Weise wie die Aussage des auf der Gegenseite stehenden Zeugen der freien richterlichen Überzeugungsbildung zu unterziehen sind (vgl. BAG, Beschluss vom 22.05.2007 - 4. AZN 1155/06 -, Rn. 17; BGH, Urteil vom 27. September 2005 - XI ZR 216/04 -, Rn. 31 f., jeweils zitiert nach juris). Unter Berücksichtigung all dessen ist den Aussagen dasselbe Gewicht beizumessen.

(d) Angesichts dieser Gesamtumstände kann die erkennende Kammer nicht feststellen, wie die Dinge wirklich gewesen sind. Weder steht fest, dass der H. der Beklagten Kenntnis von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung vom 19.02.2014 kurz nach deren Unterzeichnung hatte noch ist das Gegenteil erwiesen. Ob es ein Gespräch zwischen der Zeugin M.. und dem H. der Beklagten betreffend die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung vom 19.02.2014 gegeben hat und welchen Inhalt dieses bejahendenfalls hatte, lässt sich nicht aufklären. Weder die Wahrheit noch die Unwahrheit der klägerischen Behauptung steht fest. Die damit gegebene Situation des sogenannten "non liquet" geht vorliegend zu Lasten der klagenden Partei, die für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes darlegungs- und beweisbelastet ist. Nach alledem kann nicht von einer Kenntnis des Geschäftsführers der Beklagten von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung vom 19.02.2014 ausgegangen werden.

cc. Soweit die klagende Partei eine etwaige Kenntnis des Geschäftsführers der Beklagten von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung auf die Annahme stützt, dass es völlig lebensfremd sei anzunehmen, dass die Beklagte und insbesondere deren H. von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung im Auszahlungszeitpunkt keine Kenntnis gehabt habe, da dieser erfahren und jahrelang in führender Stellung tätig gewesen sei, verfängt dies nach Ansicht der Kammer nicht. Die klagende Partei trägt weder greifbare tatsächliche Anhaltspunkte noch nachvollziehbaren Tatsachen vor, anhand derer auf den rechtlichen Kenntnisstand des Geschäftsführers der Beklagten in Bezug auf den Grundsatz des Tarifvorrangs geschlossen werden kann. Darüber hinaus sind der Grundsatz des Tarifvorrangs und die mit ihm in Zusammenhang stehenden Fragestellungen juristisch komplex. Dies zeigt sich auch daran, dass in dem Parallelverfahren, Az. 10 Sa 892/16 erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung in der zweiten Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Köln die Thematik des Tarifvorrangs überhaupt erörtert worden ist.

dd. Nicht nachvollziehbar ist für die Kammer, welche Schlussfolgerungen die klagende Partei aus dem Verhalten der Beklagten vor dem 19.05.2017 ziehen will. Die klagende Partei behauptet selbst nicht, dass bei den von ihr in Bezug genommenen Betriebsvereinbarungen die Frage des Tarifvorrangs und einer sich daraus möglicherweise ergebenden Unwirksamkeit von Betriebsvereinbarungen erörtert wurde. Tatsachen, anhand derer ggf. auf eine solche Kenntnis geschlossen werden könnte werden durch die klagende Partei nicht vorgetragen.

ee. Gleiches gilt in Hinblick auf etwaige Versuche der Beklagten nach dem 19.05.2017 mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat Abreden über Lohnerhöhungen zu treffen. Allein dass die Beklagte bereit ist, ggf. ungeachtet einer etwaigen zwischenzeitlich eingetretenen Kenntnis von dem Grundsatz des Tarifvorrangs und dessen Sperrwirkung, gegen diesen Grundsatz verstoßende und damit unwirksame Betriebsvereinbarungen abzuschließen, kann daraus nicht darauf geschlossen werden, dass die Beklagte auch schon zu einem früheren Zeitpunkt eine etwaige dahingehende Kenntnis hatte. Einen Rückschluss auf den Kenntnisstand der Beklagten in der Vergangenheit vermag die Kammer daraus nicht zu ziehen.

4.. Die klagende Partei kann die begehrten Lohnerhöhungsleistungen und die Sonderzahlung auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB beanspruchen.

a. Gemäß § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Eine Benachteiligung i.S.v. § 612a BGB setzt nicht notwendig voraus, dass sich die Situation des Arbeitnehmers gegenüber dem bisherigen Zustand verschlechtert. Das Maßregelungsverbot kann auch verletzt sein, wenn dem Arbeitnehmer Vorteile vorenthalten werden, die der Arbeitgeber anderen Arbeitnehmern gewährt, weil sie ihre Rechte nicht ausgeübt haben (BAG, Urteil vom 17.03.2010 - 5 AZR 168/09 -, Rn. 28; BAG, Urteil vom 13.04.2011 - 10 AZR 88/10 -, Rn. 27; LAG Köln, Urteil vom 03.08.2012 - 5 Sa 67/12 -, Rn. 30, juris). Das Verbot ist aber nur dann verletzt, wenn zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Grund, d. h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet (BAG, Urteil vom 17.03.2010 - 5 AZR 168/09 -, Rn. 28; LAG Köln, Urteil vom 03.08.2012 - 5 Sa 67/12 -, Rn. 30, juris).

b. Danach hat die Beklagte nicht gegen das Maßregelungsverbot verstoßen. Die benachteiligende Maßnahme der Beklagten hatte ihren Grund nach dem beklagtenseitigen Vortrag darin, die Bereitschaft der betroffenen Mitarbeiter, neue Arbeitsverträge abzuschließen anzuerkennen und so zur Vereinheitlichung und Kosten- sowie Arbeitsreduzierung beizutragen. Zwar bleibt, wie das Landesarbeitsgericht Köln in seiner Entscheidung vom 19.05.2017, Az. 10 Sa 892/16, bereits ausgeführt hat, der Grund für das Bedürfnis nach Vereinheitlichung unsubstantiiert, da die Beklagte lediglich pauschal auf Arbeitserleichterungen und Kostenersparnisse im Bereich der Personalabteilung und Verwaltung im Betrieb der Beklagten verweist, ohne hierzu im Einzelnen konkrete Angaben zu machen. Allerdings ist im Rahmen des § 612a BGB auf die subjektive Komponente - das Motiv - abzustellen; ob hinreichende sachliche Gründe tatsächlich vorliegen, ist im Rahmen der Prüfung eines möglichen sachlichen Grundes beim Gleichbehandlungsgrundsatz zu prüfen (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 14.03.2007 - 5 AZR 420/06 -, Rn. 35, juris). Dem Vorbringen der insoweit darlegungsbelasteten (siehe hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.10.2012 - 5 Sa 268/12 -, Rn. 51, juris; Preis in: ErfK, BGB, 18. Auflage 2018, § 612a Rn. 22) klagende Partei lässt sich nicht auf hinreichend schlüssige tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen der subjektiven Komponente auf Arbeitgeberseite im Sinne einer Maßregelung nach § 612a BGB schließen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 495,91 Abs. 1, 269 Abs. 4. Satz 2 ZPO. Die klagende Partei hat als unterliegende Partei sowie aufgrund der erfolgten teilweisen Klagerücknahme die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Gründe, die Berufung nach § 64 Abs. 2 lit. a) i.V.m. Abs. 4. ArbGG gesondert zuzulassen, bestehen nicht.

IV. Die Streitwertfestsetzung im Urteil hat ihre rechtliche Grundlage in den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 495, 4. ff. ZPO.