AG Recklinghausen, Beschluss vom 25.02.2020 - 60 XIV(L) 28/20 u
Fundstelle
openJur 2020, 3433
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag des Polizeipräsidiums Recklinghausen vom 25.02.2020 wird als unzulässig zurückgewiesen.

Der Betroffene ist unverzüglich freizulassen.

Gründe

I.

Die betroffene Person befand sich seit dem 25.02.2020, 10:48 Uhr in polizeilichem Gewahrsam.

Als Grund für die Ingewahrsamsnahme hat die Polizeibehörde vorgetragen, diese sei erforderlich, da die Identität der betroffenen Person auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden könne (§ 12 Abs. 2 Satz 3 PolG NRW).

Im Einzelnen hat die Polizeibehörde zur Begründung dieses Antrags vorgetragen:

Am 25.02.2020 sei das Polizeipräsidium Recklinghausen um 6.27 Uhr durch den Werkschutz der Fa. Uniper darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass sich Störer unbefugt Zutritt zum Steinkohlekraftwerk Datteln 4 verschafft hätten.

Insgesamt seien 11 Personen auf das umfriedete Gelände eingedrungen und hätten beide Portalkratzer und den Verladekran besetzt. Die Förderbände seien aus Sicherheitsgründen abgestellt worden.

Die männliche Person UPDAT 02, im nachfolgenden Betroffener, habe die Förderbandanlage bestiegen und sich dort mittels Lock-On befestigt.

Die Lösung sei durch Polizeikräfte durchgeführt worden. Der Betroffene habe sich dagegen gesperrt. Der Betroffene habe keine Angaben zu seinen Personalien gemacht. Auch Ausweispapiere oder sonstige Gegenstände, die eine Identifizierung ermöglichen würden, seien nicht mitgeführt worden. Auch eine Identifizierung mittels elektronischer Fingerabdruckerfassung und abschließendem Systemabgleich sei nicht möglich gewesen, da die dazu notwendigen Papillarlinien verklebt gewesen seien. Eine freiwillige Reinigung der Fingerkuppen mit Aceton sei von dem Betroffenen abgelehnt worden.

Mangels Identitätsfeststellung könnten derzeit keine gefahrenabwehrrechtlichen Maßnahmen durchgeführt werden.

Daher sei der Betroffene in Gewahrsam genommen worden. Eine zweifelsfreie Identitätsfeststellung des Betroffenen sei ohne deren Mitwirkung innerhalb von 12 Stunden nicht möglich.

Angesichts der verklebten Fingerkuppen, des Nichtmitführens von Ausweispapieren und der Verweigerung der Störer, Angaben zu ihren Personalien zu machen, sei die Annahme begründet, dass diese ihre Identitätsfeststellungen innerhalb von 12 Stunden vorsätzlich verhindern wollten.

Das Polizeipräsidium hat mit Antrag vom 25.02.2020, eingegangen bei Gericht um 18:20 Uhr, die Anordnung der Ingewahrsamnahme für 3 Tage begehrt, weil laut einer Beurteilung des Dr. med. H. ein Erfahrungswert dafür vorliege, dass Sekundenkleber ohne weitere Maßnahmen durch natürliche Abschilferung der oberen Hautzellen innerhalb von 2 - 3 Tagen von den Fingerkuppen abgeht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftstücke nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist bereits unzulässig.

Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 36 Abs. 1, Abs. 2 PolG NRW i.V.m. § 416 FamFG zuständig.

Das Verfahren für eine Entscheidung nach § 36 Abs. 1 PolG NRW richtet sich gemäß § 36 Abs. 2. S. PolG NRW nach den §§ 415 ff. FamFG.

Die Begründung des Freiheitsentziehungsantrages ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwingend;

ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags.

(vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2012 - V ZB 119/12 -, juris)

Denn das Vorliegen eines zulässigen Antrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht (BGH, a.a.O.).

Die Begründung des Antrags muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Danach bestimmen sich Inhalt und Umfang der notwendigen Darlegungen. Sie dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen. (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2012 - V ZB 119/12 -, Rn. 7, juris)

Für Freiheitsentziehungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung und zu der notwendigen Haftdauer

verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 und 4 FamFG).

Durch diese Angaben soll dem Gericht eine hinreichende Tatsachengrundlage für seine Entscheidung und ggfs. für weitere Ermittlungen zugänglich gemacht werden (vgl. BGH, a.a,o., Tz. 14 m. w. N., zitiert nach juris). Die Angaben müssen dem Haftrichter ermöglichen, auf einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage seine Prognose grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Gründe zu erstrecken, die der Freiheitsentziehung entgegen stehen könnten.

Dafür ist nach hiesiger Auffassung insbesondere bei einem Antrag einer Freiheitsentziehung für die beantragte Dauer von mehr als 48 Stunden auch die Angabe zur Durchführbarkeit der Freiheitsentziehung mit konkretem Bezug zu einer dazu vorgehaltenen und den rechtlichen Anforderungen erfüllenden geeigneten Gewahrsamszelle zwingend. Denn die Haftanordnung ist unter Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Abschiebehaftsachen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - V ZB 73/15 -, Rn. 10, juris) schon dann als rechtswidrig anzusehen, wenn abzusehen ist, dass die Haft bzw. Ingewahrsamnahme in einer Einrichtung stattfindet, die den gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht gerecht wird. Insbesondere bei Dauergewahrsam ist daher u.a. sicherzustellen, dass eine angemessene Verpflegung, Körperpflege und auch ein Aufenthalt im Freien möglich ist. So sieht es gerade die Polizeigewahrsamsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in §§ 9, 11 und 12 vor.

Es gehört nach hiesiger Auffassung auch die Angabe dazu, dass die in Gewahrsam genommene Person gewahrsamsfähig ist bzw. anhand welcher Anhaltspunkte von dieser auszugehen ist, da im Falle anzunehmender Nicht-Gewahrsamsfähigkeit die Ingewahrsamsnahme bereits im Rahmen der regelmäßig vorzunehmenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit als rechtswidrig scheitern dürfte. Denn nach § 5 der Polizeigewahrsamsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen darf nur ins das Gewahrsam aufgenommen werden, wer gewahrsamsfähig ist.

Vorliegend wurde dem Gericht, welches sich im Übrigen zur Wahrung des Beschleunigungsgebotes selbst zur Gefangenensammelstelle begeben hat, da eine rechtzeitige Vorführung vor den Richter entgegen der Zusicherung durch die Polizei nicht veranlasst worden ist, trotz Aufforderung die ärztliche Dokumentation, die § 5 Abs. 3 der Polizeigewahrsamsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vorsieht, nicht vorgelegt. Vielmehr ist dem Gericht mitgeteilt worden, dass die betroffene Person die Untersuchung verweigert und der Arzt daher die "Nicht-Gewahrsamsfähigkeit" attestiert habe. Trotz erneuter Aufforderung durch das Gericht ist dem Gericht die Dokumentation nicht vorgelegt wurden.

Durch diese Vorgehensweise wurden dem Gericht entscheidungserhebliche Tatsachen vorenthalten, die es dem Gericht nicht ermöglichten, auf einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage seine Prognose grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Gründe zu erstrecken, die der Freiheitsentziehung entgegen stehen könnten.

Der Antrag war daher bereits als unzulässig zu verwerfen.

Eine Anhörung der betroffenen Person bedurfte es nicht mehr, da unverzüglich die Freilassung angeordnet worden ist und diese auch zugesichert wurde.

Eine Kostenentscheidung hat das Gericht versehentlich nicht getroffen. Nach § 430 FamFG hätten die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse auferlegt werden müssen.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gemäß §§ 429 Abs. 1, 58, 59 Abs. 3 FamFG gegeben. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Beschwerde ist bei dem Landgericht Bochum, Josef-Neuberger-Straße 1, 44787 Bochum schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Landgericht Bochum, Josef-Neuberger-Straße 1, 44787 Bochum eingegangen sein. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgegeben wurde. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen und soll begründet werden.

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