OLG Hamburg, Urteil vom 21.03.2019 - 3 U 105/18
Fundstelle
openJur 2020, 2360
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 10. Januar 2018, Geschäfts-Nr. 315 O 348/17, abgeändert:

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 18. September 2017 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Verfügungsantrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Antragstellerin zur Last.

Das vorliegende Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.

Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin aus Heilmittelwerbe- und Wettbewerbsrecht auf Unterlassung in Anspruch.

Die Parteien sind konkurrierende Pharmaunternehmen. Die Antragstellerin vertreibt unter anderem das Arzneimittel N.® (Wirkstoff: FG.), welches zur Verkürzung der Dauer von Neutropenien sowie zur Verminderung der Häufigkeit neutropenischen Fiebers bei Patienten, die gegen eine maligne Erkrankung mit zytotoxischer Chemotherapie behandelt werden (Anlage ASt 1/Fachinformation). Die Antragsgegnerin vertreibt das Arzneimittel L. ® (Wirkstoff: LiFG.), das für die gleiche Indikation zugelassen worden ist (Anlage ASt 2/Fachinformation).

In der Zeit vom 29. Juni bis zum 1. Juli 2017 fand in Berlin die 37. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie statt. Im Verlauf dieser Tagung wurde die Antragstellerin spätestens am 1. Juli 2017 auf eine Werbekarte der Antragsgegnerin aufmerksam, die dort abgegeben wurde (Anlagen ASt 3, ASt 8 und ASt 9).

Mit Schreiben vom 1. August 2017 ließ die Antragstellerin die Antragsgegnerin hinsichtlich verschiedener dort verwendeter werblicher Angaben, unter Fristsetzung zum 4. August 2017, 12.00 Uhr, abmahnen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Angaben irreführend seien (Anlage ASt 5). Der telefonisch erfolgten Bitte der Antragsgegnerin, die Frist bis zum 8. August 2017 zu verlängern, hat die Antragstellerin nur insoweit entsprochen, als die für den 4. August 2017, 12.00 Uhr, gesetzte Frist bis zum 4. August 2017, 24.00 Uhr, verlängert wurde. Mit Antwortschreiben vom 4. August 2017 ließ die Antragsgegnerin hinsichtlich eines Teils der monierten Werbeangaben eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgeben. Im Übrigen wurden die geltend gemachten Ansprüche jedoch zurückgewiesen (Anlage ASt 6). Die teilweise erfolgte Unterlassungsverpflichtungserklärung ließ die Antragstellerin mit Schreiben vom 7. August 2017 annehmen (Anlage ASt 7).

Nachfolgend hat die Antragstellerin am 10. August 2017 den vorliegenden Verfügungsantrag beim Landgericht Hamburg eingereicht.

Am 23. August 2017 erteilte die Kammer der Antragstellerin telefonisch einen Hinweis, der nach dem bei der Akte befindlichen Vermerk vom 23. August 2017 dahin ging, dass der Verfügungsantrag derzeit unschlüssig sei. Relevante Teile der Verbindungsanlagen seien nicht hinreichend lesbar, z. B. die Fußnoten. Die verwendeten Fachbegriffe und Grafiken erschlössen sich nicht von selbst, seien also zu erläutern. Das Verständnis des angesprochenen Verkehrs werde weder begründet noch werde angegeben, warum es falsch sei. Zudem fehle die für den einseitigen Erlass erforderliche Anfangsglaubhaftmachung. Einer Stellungnahme werde bis zum 1. September 2017 entgegen gesehen. Bei einem weiteren Telefonat am 31. August 2017 teilten die Antragstellervertreter dem Gericht mit, dass noch vorgetragen werden solle, der entscheidende Mitarbeiter der Antragstellerin aber erst am Montag, den 4. September 2017, aus dem Urlaub zurückkommen werde. Ein Schriftsatz werde dann kurzfristig erfolgen. Nachfolgend trugen die Antragstellervertreter sodann mit Schriftsatz vom 6. September 2017 weiter vor.

Nachfolgend erließ das Landgericht Hamburg antragsgemäß die Beschlussverfügung vom 18. September 2017, mit der der Antragsgegnerin bei Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten wurde,

für das Arzneimittel L. ® (Wirkstoff LiFG.) mit den folgenden Aussagen zu werben und/oder werben zu lassen:

1. mit der nachfolgend wiedergegebenen Darstellung

- Einblendung der Werbung -

und/oder

2. „LiFG.® - Der langwirksame glycoPEGylierte G-CSF mit der einzigartigen Molekülstruktur und charakteristischer Kinetik2“

und/oder

3. „Erhöhter Widerstand gegen Abbau durch Elastase“

und/oder

4. „Pharmakokinetisches Profil mit hoher Wirkstoffkonzentration im Nadir“

und/oder

5. mit der nachfolgend wiedergegebenen Darstellung

- Einblendung der Werbung -

jeweils wie aus der ANLAGE ersichtlich.

Hiergegen hat sich die Antragsgegnerin mit ihrem Widerspruch vom 13. November 2017 gewendet. Mit Schreiben vom gleichen Tag hat die Antragsgegnerin eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung hinsichtlich des Verbots zu I. 2. abgegeben (Anlage AG 8).

Die Antragsgegnerin hat zur Begründung ihres Widerspruchs ausgeführt, dass schon kein Verfügungsgrund vorliege. Die Antragstellerin habe durch ihr eigenes zögerliches Verhalten gezeigt, dass ihr die Sache nicht dringlich sei. Es liege aber auch kein Verfügungsanspruch vor, da die streitgegenständlichen Aussagen nicht irreführend seien.

Die Antragsgegnerin hat zunächst beantragt,

die einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin hat zunächst beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 18. September 2017 zu bestätigen.

Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt, dass die Dringlichkeitsvermutung nicht wiederlegt worden sei. Sie habe die Sache hinreichend zügig betrieben. Zudem seien die streitgegenständlichen Angaben irreführend.

In der Widerspruchsverhandlung vom 10. Januar 2018 haben die Parteien den Rechtsstreit im Hinblick auf den Unterlassungsantrag zu Ziffer I. 2. übereinstimmend für erledigt erklärt.

Nachfolgend hat die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 18. September 2017 im Übrigen aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Antragstellerin hat beantragt,

die einstweilige Verfügung im Übrigen zu bestätigen.

Mit Urteil vom 10. Januar 2018 hat das Landgericht die Beschlussverfügung vom 18. September 2017 hinsichtlich der verbliebenen Ziffern I. 1., I. 3., I. 4., I. 5. und II. bestätigt und der Antragsgegnerin auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung vom 6. Juni 2018, die sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens form- und fristgerecht eingelegt und begründet hat.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10. Januar 2018, Az. 315 O 348/17, abzuändern und die einstweilige Verfügung vom 18. September 2017, Az. 315 O 348/17, unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags aufzuheben.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 28. Februar 2019 Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet.

I.

Vorliegend fehlt es bereits an einem Verfügungsgrund, denn die Dringlichkeitsvermutung gemäß § 12 Abs. 2 UWG ist durch das zögerliche Vorgehen der Antragstellerin widerlegt worden.

1.

Die Vermutung der Dringlichkeit ist widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es „ihm nicht eilig ist“ (st. Rspr. BGH, GRUR 2000, 151, 152 – Späte Urteilsbegründung; OLG München, WRP 2008, 972, 976; OLG Hamburg, GRUR-RR 2010, 57; OLG Koblenz, GRUR 2011, 451, 452; OLG Celle, WRP 2014, 477, 478; KG, GRUR-RR 2015, 181, 182; OLG Stuttgart, WRP 2018, 369, Rn. 41). Das ist der Fall, wenn er längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grobfahrlässig nicht kennt (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 37. Auflage, 2019, UWG § 12 Rn. 3.15c). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Partei das Verfahren mit dem nötigen Nachdruck verfolgt und damit ihr Interesse an einer dringlichen Rechtsdurchsetzung in einem Eilverfahren dokumentiert hat, ist eine Gesamtbetrachtung ihres prozessualen und vorprozessualen Verhaltens geboten (OLG Hamburg, WRP 2013, 196, 198, juris Rn. 28).

Die Bemessung des Zeitraums des zulässigen Zuwartens ist umstritten. Einige Oberlandesgerichte wenden starre Fristen an (vgl. dazu die Übersichten bei Köhler/Bornkamm/Feddersen/ Köhler, UWG, 37. Auflage, 2019, § 12 Rn. 3.15b; bei Harte/Henning/Retzer, UWG, 4. Auflage, 2016, Anh. zu § 12 Rn. 917 ff.), wobei die Tendenz dieser Rechtsprechung dahin geht, für den Regelfall eine Frist von 1 Monat zugrunde zu legen.

Es erscheint jedoch sachgerecht, stets eine Einzelfallwürdigung (unter Berücksichtigung der Art des Verstoßes, der Erforderlichkeit von Ermittlungen, der Reaktion des Gegners auf eine Abmahnung usw.) vorzunehmen (hierfür OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 366, 367 OLG Hamburg, WRP 2007, 675 OLG Köln, GRUR 1993, 567 OLG Köln, GRUR 1993, 685; OLG Brandenburg, WRP 1998, 97).

Die Entscheidungen des OLG Hamburg zu den zeitlichen Anforderungen an ein hinreichend zügiges Vorgehen des Anspruchstellers bewegen sich in einem Bereich von ca. 6 bis 8 Wochen zwischen der Kenntnis vom Rechtsverstoß und der Stellung des Verfügungsantrags, wobei dem Anspruchsteller ein umso zügigeres Handeln nach der Zurückweisung der Abmahnung abzuverlangen ist, wenn zwischen der Kenntnis vom Wettbewerbsverstoß und dem Ausspruch der Abmahnung bereits viel Zeit vergangen ist.

Ein Zeitraum von ca. 1 Monat von der Kenntnis bis zur Abmahnung zuzüglich weiterer 2 Wochen bis zum Verfügungsantrag ist als „noch“ nicht dringlichkeitsschädlich angesehen worden (OLG Hamburg, MMR 2010, 178, juris Rn. 77). Ein Zeitraum von 5 ½ Wochen absoluter Untätigkeit zwischen Kenntnis und Abmahnung und – bei fehlender Abmahnung – ein Zeitraum von 6 Wochen bis zur Einreichung des Verfügungsantrags sind aber bereits als dringlichkeitsschädlich angesehen worden (OLG Hamburg, MD (VSW) 2009, 766, juris Rn. 72 bzw. OLG Hamburg, WRP 2007, 675, 677, juris Rn. 19). Der Antragsteller muss zudem nach Zurückweisung der Abmahnung zügig vorgehen. Lässt er trotz zügiger Abmahnung nach deren Zurückweisung fast 1 Monat bis zur Einreichung des Verfügungsantrags vergehen, kann das dringlichkeitsschädlich sein (OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 366, juris Rn. 31 f.).

Im Bereich der Heilmittelwerbung bewegt sich ein Zeitraum von ca. 6 Wochen zwischen dem Erhalt der angegriffenen Werbeunterlagen und der Abmahnung – auch mit Blick auf erhebliche Schwierigkeiten der im konkreten Fall zu beurteilenden inhaltlichen Fragen und angesichts eines in diesem Bereich im Interesse der ordentlichen Vorbereitung des Verfügungsverfahrens sachgerechten tendenziell großzügigeren Maßstabs – durchaus schon im „Grenzbereich zur verzögerlichen Behandlung“. Liegt dann zwischen der Abmahnung und der Einreichung des Verfügungsantrags ein weiterer Zeitraum von ca. 2 Wochen ist dies jedoch im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung noch nicht als dringlichkeitsunschädlich angesehen worden (OLG Hamburg, WRP 2013, 196, 199, juris Rn. 32).

2.

Hier liegen zwischen der Kenntniserlangung vom Wettbewerbsverstoß, welche spätestens am 1. Juli 2017 erfolgt ist, und der Einreichung des Verfügungsantrags beim Landgericht am 10. August 2018, 40 Tage, mithin fast 6 Wochen. Davon entfallen bereits 31 Tage, d. h. rund 4 ½ Wochen auf die Zeit zwischen der Kenntniserlangung der Antragstellerin und dem Ausspruch der Abmahnung am 1. August 2017, ohne dass bei Berücksichtigung der vorliegend streitigen Punkte ersichtlich wäre, weshalb die Antragstellerin so lange bis zum Ausspruch der Abmahnung gebraucht hat. Hinzu kommt, dass die Parteien sich bereits in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten zu ihren auch hier maßgeblichen Konkurrenzprodukten befanden (Anlage AG 6).

Hinzu kommt hier – anders als in den bereits entschiedenen o. g. Fällen – dass eine weitere Verzögerung zwischen der Einreichung des Verfügungsantrags am 10. August 2017 und dem Erlass der vorliegenden Beschlussverfügung am 18. September 2017 von insgesamt 5 ½ Wochen eingetreten ist, die jedenfalls zum Teil von der Antragstellerin zu vertreten ist. Zwar ist der Hinweis des Landgerichts, wonach der Verfügungsantrag noch unschlüssig sei, erst am 23. August 2017, d. h. fast zwei Wochen nach Einreichung des Antrags, erfolgt. Die Antragstellerin hat jedoch die Ergänzung ihres Vorbringens erst mit Schriftsatz vom 6. September 2017, d. h. 14 Tage (2 Wochen) nachdem dieser Hinweis erteilt worden war, vorgenommen.

Dies erweist sich angesichts der bereits zuvor eingetretenen Verzögerungen, insbesondere der zwischen Kenntniserlangung und Abmahnung vergangenen Zeit, bei der notwendigen Gesamtbetrachtung als zu lang. Wäre die Sache der Antragstellerin eilig gewesen, hätte sie den vom Landgericht angeforderten ergänzenden Vortrag mit der – wegen der schon lange zurückliegenden Kenntnis der streitigen Werbung – gebotenen Eile vorantreiben und den ergänzenden Vortrag unverzüglich halten müssen. Dies ist nicht geschehen, wobei hier offen bleiben kann, ob sich die Antragstellerin im Hinblick auf die Dringlichkeit nach § 12 Abs. 2 UWG überhaupt auf den vom Landgericht angegebenen Termin, den 1. September 2017, bis zu dem der Vortrag zu ergänzen war, berufen könnte.

Hinreichend nachvollziehbare Gründe, warum die Antragstellerin nicht unverzüglich weiter vorgetragen hat, sind nicht feststellbar. Soweit die Antragstellerin dazu ausgeführt hat, dass sich ein maßgeblicher Mitarbeiter noch im Urlaub befunden habe, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, dass dieser Umstand zu einer Verzögerung bei der Erstellung des ergänzenden Vortrags geführt hat bzw. führen musste. Die als Anlage ASt 10 vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Mitarbeiters Dr. S. vom 6. September 2017 vermag dies nicht zu begründen.

Mithin ist die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG widerlegt, so dass die Berufung der Antragsgegnerin Erfolg hat.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 6, 713 ZPO.