FG Münster, Beschluss vom 21.01.2020 - 11 V 3213/19 AO
Fundstelle
openJur 2020, 1378
  • Rkr:
Tenor

Die Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 22.10.2019 (Geschäftszeichen .../Int. - VE-Lux.(EHST2) wird bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über den als Einspruch zu behandelnden Antrag vom 08.01.2020 aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im hiesigen, auf Aussetzung der Vollziehung gerichteten Verfahren gegen eine aufgrund eines Beitreibungsersuchens des luxemburgischen Staates vom Antragsgegner erlassene Pfändungs- und Einziehungsverfügung.

Nach eigenen Angaben erhielt der Antragsteller einen Anfechtungsbescheid der luxemburgischen Finanzverwaltung wegen Lohnsteuerzahlungen. Mit Schreiben vom 28.08.2018 (Bl. 9ff. der Gerichtsakte -d.GA.-) wandte er sich gegen diesen Bescheid, der sich weder in der beigezogenen Beitreibungsakte des Antragsgegners befindet, noch auf Aufforderung des Gerichts durch den Antragsteller vorgelegt worden ist. Zur Begründung führte er aus, dass nicht er, sondern die X. GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG) der richtige Adressat der Forderung sei. Er selbst sei Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der KG.

Mit an die Anschrift des Antragstellers gerichtetem Bescheid von "LE GOUVEREMENT DU GRAND-DUCHE´DE LUXEMBOURG Administration des contribution directes Bureau de recette Luxenbourg" vom 12.12.2018 (Bl. 12 d.GA) wurde die KG mit der Betriebsstätte Luxemburg unter der Adresse T.-Straße 02 in ... N. hinsichtlich Lohnsteuer und Nebenleistung in Höhe von insgesamt 29.163,58 € in Anspruch genommen. Daraufhin zeigte der Antragsteller durch Schreiben vom 17.12.2018 (Bl. 14 d.GA) gegenüber den luxemburgischen Finanzbehörden an, dass die KG nicht unter dieser Anschrift, sondern unter der Adresse M.-Straße 03 in ... S. firmiere. Er wies darauf hin, dass über das Vermögen der KG das Insolvenzverfahren eröffnet und als Insolvenzverwalter Herr V. A., ebenfalls ansässig M.-Straße 03 in ... S., bestellt sei.

Nach Angaben des Antragstellers erfolgte keine Reaktion der luxemburgischen Behörden hierauf.

Aus den Verwaltungsvorgängen ergibt sich, dass der Antragsgegner von dem Finanzamt Direction des Contributions Bureau de recette Luxembourg im Wege des Ersuchens um Beitreibung und/oder Sicherungsmaßnahmen nach dem Beitreibungsgesetzes der Europäischen Union aufgefordert worden ist, aus Haftungsbescheiden zu vollstrecken. Dieses Amtshilfeersuchen beruht auf dem Gesetz vom 07.12.2011 über die Durchführung der Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Bundesgesetzblatt - BGBl - I 2011, 2592, im Folgenden: EUBeitrG) sowie der diesem Gesetz zu Grunde liegenden Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16.03.2010 über Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen (ABl. L 84 vom 31.03.2010, im Folgenden: EU-Beitreibungsrichtlinie). Ausweislich der Angaben in dem zu diesem Zwecke übersandten einheitlichen Vollstreckungstitel handelte es sich bei den beizutreibenden Forderungen um solche aus einem gegenüber dem Antragsteller von den luxemburgischen Steuerbehörden erlassenen Haftungsbescheid für Steuerschulden der KG vom 03.11.2017. Dieser liegt dem erkennenden Senat im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht vor, da er sich weder in der beigezogenen Beitreibungsakte des Antragsgegners befindet, noch auf Aufforderung des Gerichts durch den Antragsteller vorgelegt werden konnte.

Der Antragsgegner stellte dem Antragsteller eine Zahlungsaufforderung vom 02.09.2019, hinsichtlich deren Einzelheiten auf das in der beigezogenen Beitreibungsakte des Antragsgegners enthaltene Exemplar Bezug genommen wird, mit Postzustellungsurkunde zu. Darin waren die Steuerschulden, wegen der das Vollstreckungsersuchen an den Antragsgegner ergangen war, mit insgesamt 30.239,86 € beziffert.

Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit seinem beim Finanzgericht (FG) Münster gestellten, auf Aussetzung der Vollziehung dieser Zahlungsaufforderung gerichteten Antrag (Az.: 11 V 2824/19 AO). Durch Beschluss vom 09.10.2019 lehnte das FG Münster diesen Antrag ab.

Am 22.10.2019 erließ der Antragsgegner daraufhin eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung für die Beitreibungsforderung in Höhe von 30.433,86 EUR gegenüber der kontoführenden Bank des Antragstellers, der Bank Y.. Die Verfügung, hinsichtlich deren Einzelheiten auf das in Kopie zur Gerichtsakte gelangte Exemplar Bezug genommen wird (Bl. 5ff. d.GA.), wurde der Bank Y. am 24.10.2019 zugestellt, enthielt das Geschäftszeichen ".../Int.-VE-Lux. (EHST2)" und wies -u.a.- den folgenden Wortlaut auf:

"Herr P. H. (...) schuldet dem Land Nordrhein-Westfalen Abgaben in Höhe von 30.433,86 EUR. (...)"

Der Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, war außerdem eine Rückstandsaufstellung beigefügt, hinsichtlich deren Inhalt auf das in der beigezogenen Beitreibungsakte des Antragsgegners befindliche Exemplar der Pfändungs- und Einziehungsverfügung Bezug genommen wird.

Die kontoführende Bank des Antragstellers teilte in ihrer Drittschuldnererklärung vom 07.11.2019 mit, dass die von der Pfändung betroffenen Konten im Zeitpunkt der Pfändung kein ausreichendes Guthaben ausgewiesen hätten, die Pfändung künftiger Forderungen aber vorgemerkt worden sei.

Daraufhin hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung gestellt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Seinem Aussetzungsantrag sei stattzugeben, weil über seinen gegenüber den luxemburgischen Finanzbehörden erhobenen Einspruch gegen den Haftungsbescheid noch nicht entschieden sei. Ein Titel, welcher der Vollstreckung zugrunde liegen könnte, läge ihm bis zum heutigen Tag nicht vor. Unzutreffend habe der Antragsgegner zudem in dem angefochtenen Bescheid mitgeteilt, dass wegen einer Forderung des Landes Nordrhein-Westfalen vollstreckt werde; vielmehr bleibe die streitgegenständliche Forderung eine solche der luxemburgischen Finanzverwaltung, auch wenn sie nach § 9 Abs. 1 EUBeitrG "wie eine inländische Forderung vollstreckt" werde. Damit erweise sich die Pfändungs- und Einziehungsverfügung als missverständlich und unwirksam. Die Vollstreckungsvorschriften der Abgabenordnung (AO) seien auf Maßnahmen einer luxemburgischen Vollstreckungsbehörde nicht anwendbar. Er, der Antragsteller, hafte nicht für Steuerverbindlichkeiten der KG, da nicht er, sondern vielmehr die Komplementär-GmbH der KG deren geschäftsführende Vertreterin der KG (gewesen) sei. Diese sei - wenn überhaupt - für Steuerverbindlichkeiten der KG haftbar zu machen. Die Bescheide der luxemburgischen Behörden seien demnach falsch, irreführend und vor diesem Hintergrund unwirksam. Überdies könne er, der Antragsteller, auch deshalb nicht für Steuerverbindlichkeiten der KG in Anspruch genommen werden, weil ihn im Hinblick auf deren Entstehung kein Verschulden treffe.

Durch am 08.01.2020 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat der Antragsteller - ohne zuvor Einspruch gegen die streitgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung erhoben zu haben - einen gerichtlichen Antrag auf Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung gestellt. Nachdem der Antragsgegner in dem unter dem Az. 11 K 64/20 AO geführten Verfahren die Zustimmung zur Sprungklage durch Schriftsatz vom 14.01.2020 verweigert hatte, ist dieses Verfahren durch gerichtliche Verfügung vom 15.01.2020 zur Behandlung als Einspruchsverfahren an den Antragsgegner abgegeben worden.

Nach Auskunft des Antragsgegners durch Schreiben vom 07.01.2020 sind bei diesem aufgrund der streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung inzwischen Zahlungen der Bank Y. i.H.v. 11.172,52 € eingegangen.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),

die Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom 22.10.2019 (Geschäftszeichen .../Int. - VE-Lux.(EHST2)) ohne Sicherheitsleistung aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass ihm - im Gegensatz zu den luxemburgischen Behörden - keine Befugnis zur Berücksichtigung von Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der titulierten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach zustünde. Die streitgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung sei rechtmäßig, insbesondere sei sie ermessensfehlerfrei. Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bestünden nicht. Insbesondere weise diese zutreffend darauf hin, dass der Antragsteller dem Land Nordrhein-Westfalen Abgaben schulde. Innerhalb des Vollstreckungsverfahrens gelte diejenige Körperschaft als Gläubigerin der zu vollstreckenden Ansprüche, der die Vollstreckungsbehörde angehöre (§ 252 AO). Sofern eine Vollstreckungsbehörde auf Ersuchen einer anderen Vollstreckungsbehörde Vollstreckungsmaßnahmen ausführe, trete die ersuchte Vollstreckungsbehörde an die Stelle der ersuchenden Vollstreckungsbehörde (§ 250 Abs. 1 AO). Vor diesem Hintergrund sei die Bezeichnung des Landes Nordrhein-Westfalen als Gläubigerin der titulierten Forderung zutreffend. Weitere Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bestünden nicht; insbesondere habe - aufgrund des Schriftverkehrs im Vorfeld des Erlasses der Pfändungs- und Einziehungsverfügung - dem Antragsteller klar sein müssen, auf welche Forderungen sich diese bezogen habe. Da für die Wirksamkeit der vorgenommenen Forderungspfändung gemäß § 309 Abs. 1 Satz 1 AO lediglich die Mitteilung der Höhe des gepfändeten Betrages gegenüber dem Drittschuldner die Bezeichnung der gepfändeten Ansprüche erforderlich sei, dürften etwaige Verfahrens- bzw. Formfehler in einem Einspruchsverfahren bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung darüber hinaus geheilt werden können.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie den Inhalt der Gerichtsakten des hiesigen Verfahrens sowie des unter dem Aktenzeichen 11 V 2824/19 AO geführten Verfahrens und der beigezogenen Steuerakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

1. Der Antrag ist zulässig -hierzu a)- und begründet -hierzu b)-.

a) Der Antrag, die Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 22.10.2019 auszusetzen, ist statthaft; ihm wohnt überdies trotz teilweiser Zahlung des Drittschuldners ein Rechtsschutzbedürfnis inne.

aa) Die Pfändungsverfügung nach § 309 der Abgabenordnung (AO) ist ebenso wie die Einziehungsverfügung nach § 314 AO ein vollziehbarer Verwaltungsakt, der nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 69 Abs. 2 Satz 2 bis 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vom Gericht der Hauptsache ausgesetzt werden kann. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO).

Unschädlich ist dabei, dass der Antragsteller nicht vor Anstrengung des auf AdV gerichteten gerichtlichen Verfahrens den Antragsgegner um AdV der Pfändungs- und Einziehungsverfügung ersucht hat, da die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 22.10.2019 ein "anfechtbarer" Verwaltungsakt i. S. von § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO ist, gegen den als Vollstreckungsmaßnahme nach § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO ohne vorherigen Antrag bei der Finanzbehörde unmittelbar beim FG die Aussetzung begehrt werden kann. Denn eine Vollstreckung droht jedenfalls dann, wenn sich der Aussetzungsantrag - wie im vorliegenden Fall - unmittelbar gegen einen Verwaltungsakt im Vollstreckungsverfahren richtet.

Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 22.10.2019 ist auch ein "angefochtener" Verwaltungsakt i. S. von § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO.

Denn der Antragsteller hat die dem Drittschuldner am 24.10.2019 zugestellte Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 22.10.2019 mit Klageschriftsatz vom 08.01.2020 angefochten. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Klage aufgrund der seitens des Antragsgegners verweigerten Zustimmung zur Sprungklage nach § 45 Abs. 3 Alt. 1 FGO an den Antragsgegner abgegeben worden ist und nunmehr als Einspruch behandelt wird. Die Anfechtung erfolgte nach Aktenlage auch innerhalb noch offener Einspruchsfrist, denn nach den in der Beitreibungsakte des Antragsgegners befindlichen Aktenausfertigungen der Pfändungs- und Einziehungsverfügung und des Anschreibens an den Antragsteller waren diesen keine Rechtsbehelfsbelehrungen beigefügt, weshalb insoweit dahinstehen kann, oder der Antragsteller durch den Antragsgegner überhaupt über die Forderungspfändung bei der Bank Y. in Kenntnis gesetzt worden ist. Die demnach einzuhaltende Jahresfrist nach § 356 Abs. 2 AO ist durch den am 08.01.2020 bei Gericht eingegangenen Antrag jedenfalls gewahrt worden. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass der Antrag, die Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 22.10.2019 auszusetzen, schon vor Anfechtung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung durch am 08.01.2020 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz gestellt worden ist. Denn bei dem Erfordernis eines "angefochtenen Verwaltungsaktes" i.S.v. § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO handelt es sich um eine Sachentscheidungsvoraussetzung, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen muss (Gosch in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 150. Lieferung, § 69, Rn. 113). Dies ist vorliegend der Fall.

bb) Dem Antrag auf Aufhebung der Vollziehung fehlt auch nicht etwa aufgrund der teilweisen Zahlung des Drittschuldners an den Antragsgegner das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Mit der teilweisen Zahlung hat die angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung nämlich noch nicht ihre Erledigung gefunden. Denn die Forderungen, derentwegen gepfändet worden ist, bestehen - in aufgrund der Tilgung reduzierter Höhe - noch immer. Insofern hat der Antragsteller sowohl das mit der Pfändung an ihn gerichtete Verbot, Zahlungen an den Schuldner (den Gläubiger der Antragstellerin) zu leisten (das sog. Arrestatorium), als auch die Anordnungen zur Überweisung der gepfändeten Guthaben bis zur vollständigen Tilgung des jeweiligen Betrages, der in der Verfügung als Gesamtbetrag bezeichnet ist, auch weiterhin zu befolgen. Dass es sich dabei lediglich noch um einen Teilbetrag der ursprünglichen Forderung handelt, vermag daran nichts zu ändern. Genauso wenig wie der Antragsgegner verpflichtet wäre, Pfändungs- und Einziehungsverfügungen schon allein deshalb aufzuheben, weil auf ihrer Grundlage ein nicht unerheblicher Teilbetrag bereits realisiert ist, sind die von dieser Maßnahme Betroffenen (vorliegend der Antragsteller und die Bank Y.) in diesem Stadium des Verfahrens daran gehindert, gegen deren weitere Geltung - auch vorläufigen - Rechtsschutz zu beantragen.

b) Der zulässige Aussetzungsantrag ist auch begründet.

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die in der Sache angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung rechtmäßig ist.

aa) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes -BFH-, vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 31.01.2002 V B 108/01, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 198, 208, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2004, 622). Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 25.11.2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484). Wegen der Eilbedürftigkeit des auf Aussetzung der Vollziehung gerichteten Verfahrens findet eine Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere auf die Akten der Finanzbehörde und auf die präsenten Beweismittel statt. Das Gericht muss den Sachverhalt in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht weiter aufklären (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 21.07.1994 IV B 78/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1995, 116).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 22.10.2019, da diese - inhaltlich unzutreffend - das Land Nordrhein-Westfalen als Gläubigerin der Vollstreckungsforderung benennt. Dabei kann die Frage, ob dieser Mangel die Pfändungsverfügung unwirksam und nichtig macht, weil der Fehler auch offenkundig im Sinne des § 125 Abs. 1 AO ist, d. h. jeder verständige Dritte bei Unterstellung der Kenntnis aller in Betracht kommenden Umstände in der Lage ist, den Fehler der Verwaltungsmaßnahme in seiner besonderen Schwere zu erkennen (ständige Rechtsprechung vgl. BFH, Urteil vom 22.10.2002 VII R 56/00, BStBl II 2003, 109 m.w.N.), im Streitfall dahinstehen, nachdem der Antragsteller die Pfändungs- und Einziehungsverfügung rechtzeitig angefochten und (nur) die Aufhebung der Verfügung bzw. im hiesigen Verfahren die Aufhebung der Vollziehung der Verfügung beantragt hat. Ebenfalls kann aus Sicht des erkennenden Senats dahinstehen, ob der Antragsteller überhaupt im Rahmen der Anfechtung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung erfolgsversprechend Einwendungen gegen die titulierte Forderung vorbringen kann.

(1) Nach § 309 Abs. 1 AO hat die Vollstreckungsbehörde bei Pfändung einer Geldforderung dem Drittschuldner (hier: der Bank Y.) in der Verfügung zu verbieten, an den Vollstreckungsschuldner (hier: den Antragsteller) zu zahlen, und dem Vollstreckungsschuldner zu gebieten, sich jeder Verfügung über die Forderung zu enthalten.

Dabei gehört die Angabe, wegen welcher Forderung gepfändet wird, nach der Rechtsprechung des BFH zum notwendigen Inhalt der Pfändungsverfügung (BFH-Urteil vom 18.07.2000 VII R 101/98, BFHE 192, 232, BStBl II 2001, 5). Denn die Rechtswirkung der Pfändungsverfügung besteht in dem Entstehen eines Pfändungspfandrechts der Vollstreckungsbehörde an der Forderung des Pfändungsschuldners gegen den Drittschuldner (§ 282 Abs. 1 AO), also in der Belastung derselben mit dem Recht des Pfändungsgläubigers, aus der Sache Befriedigung für eine Forderung zu suchen (§ 282 Abs. 2 AO i.V.m. den §§ 1273, 1204 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-). Es besteht mithin eine für das Pfandrecht wesentliche Beziehung zwischen der gepfändeten Forderung und einer (bestimmten) Forderung des Pfändungsgläubigers (vgl. auch BFH-Urteil vom 8.2.1983 VII R 93/76, BFHE 137, 557, BStBl II 1983, 435). Die gepfändete Forderung sichert nur dessen Anspruch auf Befriedigung für diese bestimmte Forderung, nicht für irgendwelche sonstigen Ansprüche, die er noch gegen den Pfändungsschuldner haben oder nach der Pfändung noch hinzuerwerben mag. Wird in der Pfändungsverfügung die Forderung des Vollstreckungsgläubigers - vorliegend richtigerweise der luxemburgischen Steuerbehörden (siehe (2)) - nicht bzw. nicht zutreffend bezeichnet, so fehlt es mithin an der Angabe eines wesentlichen Merkmals einer solchen Verfügung.

Deshalb muss der Bezug auf eine Forderung, die durch das Pfandrecht gesichert wird, in der Pfändungsverfügung hinreichend zum Ausdruck kommen (BFH-Urteil vom 18.07.2000 VII R 101/98, BFHE 192, 232, BStBl II 2001, 5). Das gilt grundsätzlich auch für die Pfändungsverfügung nach der AO, die Verwaltungsakt i.S. des § 118 AO ist (BFH-Beschluss vom 4.2.1992 VII B 119/91, BFH/NV 1992, 789) und inhaltlich bestimmt sein muss (§ 119 Abs. 1 AO). Es gilt auch für die Fassung der Pfändungsverfügung, die dem Drittschuldner bekannt gemacht wird und ihm nach § 309 Abs. 2 Satz 1 AO bekanntgegeben werden muss, um überhaupt ein Pfändungspfandrecht zu begründen. Denn die in § 309 Abs. 2 Satz 2 AO vorgeschriebene Zustellung der Pfändungsverfügung an den Drittschuldner ist nicht nur Mitteilung des Erlasses eines anderweitigen Verwaltungsakts; sondern vielmehr Wirksamkeitsvoraussetzung der Pfändungsverfügung (§ 309 Abs. 2 Satz 1 AO).

Die dem Drittschuldner zuzustellende Pfändungsverfügung muss dem Drittschuldner mit dem für ihre Rechtswirkungen wesentlichen Inhalt bekannt gemacht werden und wird nur so wirksam, wie sie ihm bekannt gemacht worden ist. Zum wesentlichen Inhalt einer Pfändungsverfügung gehört aber die Angabe, wegen welcher Forderung(en) der Vollstreckungsbehörde sie ausgebracht wird, weil erst dies den Inhalt des Pfandrechts konstituiert, das durch die Verfügung entstehen soll (BFH-Urteil vom 18.07.2000 VII R 101/98, Sammlung der Entscheidungen des BFHE 192, 232, BStBl II 2001, 5 m.w.N.). Die Angabe ist Bestandteil des Regelungsinhalts der Pfändungsverfügung, nicht nur der Begründung dieser Verfügung (BFH-Urteil vom 08.02.1983 VII R 93/76, BFHE 137, 557, BStBl II 1983, 435).

Die Kennzeichnung der beizutreibenden Forderung ist dabei auch und insbesondere für den Drittschuldner von Bedeutung. Erst aus der Höhe der noch bestehenden und zu vollstreckenden Forderung ergibt sich der Umfang des Pfändungspfandrechts hinsichtlich der zu pfändenden Forderung (BFH-Beschluss vom 19.11.1963 VII 18/61 U, BFHE 78, 59, BStBl III 1964, 22) und damit der Inhalt des Eingriffs in die Rechte des Drittschuldners; erst auf Grund der Kenntnis der Höhe der Vollstreckungsforderung kann der Drittschuldner ermessen, ob z.B. Zahlungen an den Vollstreckungsgläubiger zum Erlöschen des Pfandrechts an der gegen ihn gerichteten Forderung geführt haben, so dass er sich wegen seiner Schuld ausschließlich mit diesem auseinandersetzen muss (BFH-Urteil vom 18.07.2000 VII R 101/98, BFHE 192, 232, BStBl II 2001, 5). Wenn dies nach der Rechtsprechung des BFH bereits in Anbetracht der (Gesamt-) Höhe der beizutreibenden Forderungen gilt, muss dies nach Ansicht des erkennenden Senats erst recht im Hinblick auf den zutreffenden Forderungsinhaber - den Vollstreckungsgläubiger - gelten. Denn nur bei Kenntnis des (zutreffenden) Vollstreckungsgläubigers vermag der Drittschuldner zu beurteilen, ob durch ihn geleistete Zahlungen tatsächlich zu einem Erlöschen des Pfandrechts an der gegen ihn gerichteten Forderung führen bzw. geführt haben.

Von der Notwendigkeit, dass die Vollstreckungsforderung in der Pfändungsverfügung kenntlich gemacht wird, gehen offensichtlich auch die Vorschriften der AO aus. Nach § 260 AO ist in der Pfändungsverfügung der Schuldgrund anzugeben, d.h. die beizutreibende Forderung genau zu bezeichnen - dazu gehört auch die zutreffende Angabe des Forderungsinhabers. Diese Vorschrift hat nicht nur für die dem Pfändungsschuldner bekanntzugebende Ausfertigung der Pfändungsverfügung Bedeutung; sie betrifft vielmehr den Inhalt der Pfändungsverfügung schlechthin. Allerdings modifiziert § 309 Abs. 2 Satz 2 AO die vorgenannte allgemeine Regelung über den Inhalt einer Pfändungsverfügung hinsichtlich der im Falle einer Vollstreckung in Forderungen an den Drittschuldner zuzustellenden Ausfertigung der Verfügung dahin, dass in dieser der beizutreibende Geldbetrag nur in einer Summe, ohne Angabe der Steuerarten und der Zeiträume, für die er geschuldet wird, bezeichnet werden "soll". § 309 Abs. 2 Satz 2 AO setzt demnach gerade voraus, dass ohne diese Sonderregelung an sich auch dem Drittschuldner die vollstreckte Forderung zu benennen wäre und beinhaltet eine Modifikation dieses Erfordernisses (nur) im Hinblick auf die Bezeichnung des beizutreibenden Geldbetrages, nicht jedoch im Hinblick auf die Benennung des Forderungsinhabers.

(2) Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 22.10.2019 erfüllt die unter (1) genannten Voraussetzungen für eine vollständige und inhaltlich zutreffende Benennung der Vollstreckungsforderung nicht, da sie nicht den richtigen Gläubiger der Vollstreckungsforderung benennt. Denn entgegen der Bezeichnung in der Pfändungund Einziehungsverfügung ist nicht das Land Nordrhein-Westfalen Gläubiger der titulierten Forderung, sondern (weiterhin) die luxemburgischen Finanzverwaltung.

Auf die streitbefangene Vollstreckung finden die Vorschriften der AO, insbesondere die unter (1) benannten Vorschriften, Anwendung. Denn nach § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 EUBeitrG werden Forderungen, für die in einem anderen Mitgliedstaat ein Vollstreckungstitel besteht, - also die vorliegend streitbefangene Forderung der luxemburgischen Steuerbehörden - wie eine inländische Forderung vollstreckt. Der dem ausländischen Vollstreckungsersuchen beigefügte einheitliche Vollstreckungstitel, dessen Inhalt im Wesentlichen dem des ursprünglichen Vollstreckungstitels entspricht (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 EU-Beitreibungsrichtlinie), gilt im Inland als vollstreckbarer Verwaltungsakt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 EUBeitrG).

Bei Anwendung der abgabenrechtlichen Vollstreckungsvorschriften verkennt der Senat nicht, dass nach § 252 AO innerhalb des Vollstreckungsverfahrens diejenige Körperschaft als Gläubigerin der zu vollstreckenden Ansprüche gilt, der die Vollstreckungsbehörde - hier der Antragsgegner - angehört und in dem Fall, in dem eine Vollstreckungsbehörde auf Ersuchen einer anderen Vollstreckungsbehörde Vollstreckungsmaßnahmen ausführt, die ersuchte Vollstreckungsbehörde - vorliegend der Antragsgegner - nach § 250 Abs. 1 AO an die Stelle der ersuchenden Vollstreckungsbehörde - hier die luxemburgischen Steuerbehörden - tritt. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners führt dies jedoch nach der Rechtsprechung des BFH nicht zu einem Übergang der Gläubigerrechte von der Körperschaft der ersuchenden Vollstreckungsbehörde auf die Körperschaft der ersuchten Vollstreckungsbehörde (BFH-Urteil vom 03.11.1983 VII R 38/83, BFHE 140, 9, BStBl II 1984, 185; Beermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 255. Lieferung 10.2019, § 250 AO, Rn. 35; Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 158. Lieferung 10.2019, § 250 AO, Rn. 11).

Für die Drittschuldnerin ist im vorliegenden Fall aus der ihr zugestellten Pfändungs- und Überweisungsverfügung nicht ersichtlich, dass - entgegen der Angabe in der Verfügung - Ansprüche der luxemburgischen Finanzverwaltung Gegenstand der Pfändung sein sollten. Allein dem in der Verfügung genannten Geschäftszeichen, das den Zusatz "Lux" enthält, ist nach Ansicht des erkennenden Senats nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass Gegenstand der Vollstreckung des Antragsgegners nicht dessen Forderungen, sondern Forderungen der luxemburgischen Steuerbehörden sein sollen. Dies muss zumal unter Zugrundelegung der insoweit relevanten Sichtweise der kontoführenden Bank des Antragstellers gelten, die gerade nicht durch einen etwaigen Schriftverkehr vor Erlass der Pfändungs- und Einziehungsverfügung hat Rückschlüsse auf Inhalt und Wesen der zu vollstreckenden Forderungen ziehen können.

Die damit fehlerhafte Bezeichnung der im vorliegenden Fall zur Vollstreckung gestellten Forderungen in Bezug auf den Forderungsinhaber birgt aus Sicht des Senats die Gefahr, dass die Drittschuldnerin in der - unzutreffenden - Annahme, es lägen der Vollstreckung auch (möglicherweise tatsächlich bestehende) Forderungen des Antragsgegners zugrunde, Zahlungen an den Antragsgegner leistet,.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

3. Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

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