Hessisches LSG, Urteil vom 17.04.2013 - L 4 SO 323/11 KL
Fundstelle
openJur 2019, 37499
  • Rkr:
Tenor

Der Schiedsspruch der Schiedsstelle gemäß § 80 SGB XII vom 15. November 2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch der hessischen Schiedsstelle gemäß § 80 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), mit dem die sog. Investitionskosten für das Alten- und Pflegeheim A. in A-Stadt festgesetzt worden sind.

Die Klägerin betreibt seit 1. August 2003 in A-Stadt auf Mietbasis das A. Altenhilfezentrum mit 65 vollstationären Pflegebetten. Erstmalig wurden mit Vereinbarung der Beteiligten vom 23. April 2004 die betriebsnotwendigen Investitionskosten gemäß § 82 SGB XII auf 14,74 Euro täglich festgesetzt.

Mit Schreiben vom 29. Juni 2011 forderte die Klägerin den Beklagten zu Verhandlungen über die Höhe der Investitionskosten auf. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung am 25. August 2011 blieben zwischen den Beteiligten verschiedene Positionen u. a. im Bereich Gebäudemiete, Miete Einrichtung und Ausstattung und Instandhaltung sowie der Ausnutzungsgrad der Einrichtung streitig.

Hierauf rief die Klägerin am 15. September 2011 die Schiedsstelle gemäß § 80 SGB XII an und beantragte auf der Basis ihrer Kalkulation die Festsetzung eines Investitionskostensatzes von 18,57 Euro pflegetäglich. Zur Auslastung verwies die Klägerin darauf, dass im Rahmen der Vereinbarung über die Investitionskosten vom 23. April 2004 der Beklagte eine Auslastung von 98 % unterstellt habe, die in der Realität nie erreicht worden sei, sondern zwischen maximal 95,34 % (2007) und 85,91 % (2010) geschwankt habe. In allen bisher geschlossenen Vereinbarungen über die Entgelte für Pflege, soziale Betreuung, Unterkunft und Verpflegung (2004, 2007, 2009, 2010), an denen auch der Beklagte als Sozialhilfeträger beteiligt gewesen sei, hätten die Vertragspartner eine Auslastung von 95,38 % vereinbart; allenfalls diese Auslastungsquote könne berücksichtigt werden. Demgegenüber verwies der Beklagte darauf, dass die bei der erstmaligen Berechnung der Investitionskosten zugrunde gelegte Auslastungsquote von 98 % hessenweit Grundlage für die Ermittlung des Entgeltes sei und bislang sowohl für bestehende als auch für neue Einrichtungen angewandt werde.

Nach mündlicher Verhandlung am 15. November 2011 setzte die Schiedsstelle gemäß § 80 SGB XII mit Beschluss vom selben Tag die betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen für das A. Altenzentrum A-Stadt auf 15,18 Euro pflegetäglich - bezogen auf eine Laufzeit vom 5. September 2011 bis 31. August 2012 - fest. Hinsichtlich der zwischen den Beteiligten streitigen Positionen im Bereich Instandhaltung und Instandsetzung, Miete, Einrichtung und Leasing ermittelte die Schiedsstelle einen berücksichtigungsfähigen Betrag von 352.870,03 Euro. Der Auslastungsgrad sei nach der Praxis der Schiedsstelle mit 98 % zugrunde gelegt, so dass sich bei 65 Plätzen und 365 Tagen 23.250,5 Abrechnungstage ergäben. Die so ermittelten betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen betrügen 15,18 Euro pflegetäglich.

Gegen den ihr am 6. Dezember 2011 zugestellten Schiedsspruch hat die Klägerin am 21. Dezember 2011 Klage zum Hessischen Landessozialgericht erhoben, mit der sie sich allein gegen die von der Schiedsstelle zugrunde gelegte Auslastungsquote von 98 % wendet.

Sie meint, die Schiedsstelle habe es versäumt, alle für die Abwägung relevanten Erkenntnisse zu gewinnen. Die Schiedsstelle habe nicht die tatsächliche Auslastung ihrer Einrichtung berücksichtigt, die in den Jahren 2005 bis 2010 bei durchschnittlich lediglich 90,05 % gelegen habe. Ungeachtet dieser tatsächlichen Auslastungsquote sei jedenfalls die niedrigere Auslastungsquote von 95,38 % zu berücksichtigen, die sich aus den mit dem Beklagten und den Pflegekassen über Jahre hinweg abgeschlossenen Pflegesatz- bzw. Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen ergebe. Die Auslastungsquote könne nur einheitlich für alle Vergütungsbestandteile kalkuliert werden. Es sei widersprüchlich, wenn der Beklagte im Rahmen der Investitionsbetragsberechnung auf einer höheren Auslastungsquote beharre. Darüber hinaus hätte die regionale Auslastungsquote im Landkreis Hersfeld-Rotenburg beachtet werden müssen, die ausweislich der Pflegestatistik in vollstationären Pflegeeinrichtungen bei durchschnittlich 92,9 % liege. Hinzuweisen sei ferner auf die Verfahrensweise in Rheinland-Pfalz, wo eine Auslastungsquote von 95 % zugrunde gelegt werde, und auf die entsprechende Regelung im Hessischen Rahmenvertrag nach § 79 SGB XII. Zwar werde dieser Vertrag gemeinhin nur auf Einrichtungen der Behindertenhilfe angewandt, aus Gründen der Gleichbehandlung könne jedoch für Pflegeeinrichtungen mit einer eher höheren Fluktuation nichts anderes gelten. Inwieweit die von der Schiedsstelle behauptete "Entscheidungspraxis" tatsächlich bestehe, auf welchen Tatsachen sie beruhe und wie sich dieser Auslastungsgrad errechne, bleibe völlig unklar. Insoweit handele es sich um eine willkürliche, weil durch die Beteiligten nicht überprüfbare Festsetzung, die an keinen objektivierbaren Maßstab gebunden sei. Ein angenommener Auslastungsgrad von 98 % sei auch wirklichkeitsfremd, da bei einer durchschnittlichen Verweildauer der Pflegebedürftigen von ca. einem halben Jahr und einer (konservativ gerechneten) Aus- und Einzugszeit der Bewohner von jeweils drei Tagen sich bereits eine maximale Auslastungsquote von lediglich 96,71 % ergebe. Sie - die Klägerin - habe nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung auch nicht damit rechnen können, dass sich die Schiedsstelle auf eine eigene Entscheidungspraxis zur Auslastungsquote berufe. Insoweit sei ein Hinweis erforderlich gewesen.

Soweit der Beklagte darauf abstelle, die Auslastung der Einrichtung falle in das unternehmerische Risiko des Trägers, sei darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Gestehungskosten immer zu berücksichtigen seien, wenn sie plausibel dargelegt seien und einer wirtschaftlichen Betriebsführung entsprächen. Das bedeute im Umkehrschluss, dass die im Rahmen der Kalkulation berücksichtigte Auslastungsquote zumindest annähernd der tatsächlichen Auslastung nahe kommen müsse, anderenfalls ein Unternehmer seine tatsächlichen Kosten nicht effektiv auf alle Bewohner umlegen könne.

Die Klägerin beantragt,

den Schiedsspruch der Hessischen Schiedsstelle gemäß § 80 SGB XII vom 15. November 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, die Schiedsstelle habe im Rahmen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums entschieden. Eine Auslastungsquote von 98 % sei hessenweit üblich und werde bei allen bestehenden als auch bei neuen Einrichtungen angewandt. Die Auslastungsquote von 98 % berücksichtige die durch Ein- und Auszugszeiten von Pflegebedürftigen entstehenden Leerstände sachgerecht. Auslastungsquoten unterhalb dieses Wertes seien nur in besonderen Ausnahmefällen denkbar, etwa bei einer Neuzulassung einer Einrichtung. Es sei das unternehmerische Risiko der Einrichtung, die geschaffenen Plätze zu besetzen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Gründe

Für die vor dem Hessischen Landessozialgericht gegen die Entscheidung der Schiedsstelle erhobene Klage ist das Gericht nach § 29 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im ersten Rechtszug zuständig.

Die Klage ist zulässig, sie richtet sich zutreffend nicht gegen die Schiedsstelle, sondern gegen den Beklagten als örtlich für die Einrichtung zuständigen Träger der Sozialhilfe als Vertragspartner des Klägers (§ 77 Abs. 1 Satz 2 und 5 SGB XII). Nach § 77 Abs. 1 Satz 6 SGB XII war eine Nachprüfung der Entscheidung der Schiedsstelle in einem Vorverfahren nicht notwendig. Die Klägerin hat auch die nach § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGG geltende einmonatige Klagefrist des § 87 Abs. 1 SGG eingehalten. Bei dem Schiedsspruch handelt es sich um den Verwaltungsakt einer Behörde im Sinne des § 1 Abs. 2 SGB X, gegen den zulässiger Weise die Anfechtungsklage gegeben ist (HLSG, Urteil vom 25. Februar 2011, L 7 SO 237/10 KL m. w. N.).

Einer Beiladung der Schiedsstelle bedurfte es nicht. Die Schiedsstelle ist als hoheitliches Vertragshilfeorgan ohne eigene materielle Rechte in das Vereinbarungsverfahren eingeschaltet und deshalb auch nicht an einem Anfechtungsverfahren gegen den Schiedsspruch in einer Weise materiell-rechtlich beteiligt, die ihre selbständige Verfahrensbeteiligung erforderlich erscheinen lassen könnte.

Die zulässig erhobene Anfechtungsklage ist in der Sache begründet. Der Beschluss der Schiedsstelle ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Schiedsstelle hat bei ihrer Entscheidung über den Investitionsbetrag die Grenzen des ihr eröffneten Beurteilungsspielraums nicht beachtet.

Für die Bemessung des Investitionsbetrags ergeben sich die rechtlichen Grundlagen aus §§ 75, 76 SGB XII. Wird eine stationäre oder teilstationäre Leistung von einer Einrichtung erbracht, ist der Träger der Sozialhilfe zur Übernahme der Vergütung für die Leistung nur verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband eine Vereinbarung über

1. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen (Leistungsvereinbarung),

2. die Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzt (Vergütungsvereinbarung) und

3. die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen (Prüfungsvereinbarung) besteht.

Die Vereinbarungen müssen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen (§ 75 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB XII).

Bei zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 72 SGB XI richten sich Art, Inhalt, Umfang und Vergütung der der ambulanten und teilstationären Pflegeleistungen sowie der Leistungen der Kurzzeitpflege und der vollstationären Pflegeleistungen sowie der Leistungen bei Unterkunft und Verpflegung und der Zusatzleistungen in Pflegeheimen nach den Vorschriften des Achten Kapitels des Elften Buches, soweit nicht nach § 61 weitergehende Leistungen zu erbringen sind. Satz 1 gilt nicht, soweit Vereinbarungen nach dem Achten Kapitel des Elften Buches nicht im Einvernehmen mit dem Träger der Sozialhilfe getroffen worden sind. Der Träger der Sozialhilfe ist zur Übernahme gesondert berechneter Investitionskosten nach § 82 Abs. 4 des Elften Buches nur verpflichtet, wenn hierüber entsprechende Vereinbarungen nach dem Zehnten Kapitel getroffen worden sind (§ 75 Abs. 5 SGB XII). Nach § 76 Abs. 1 SGB XII muss die Vereinbarung über die Leistung die wesentlichen Leistungsmerkmale festlegen, mindestens jedoch die betriebsnotwendigen Anlagen der Einrichtung, den von ihr zu betreuenden Personenkreis, Art, Ziel und Qualität der Leistung, Qualifikation des Personals sowie die erforderliche sächliche und personelle Ausstattung. In die Vereinbarung ist die Verpflichtung der Einrichtung aufzunehmen, im Rahmen des vereinbarten Leistungsangebotes Leistungsberechtigte aufzunehmen und zu betreuen. Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Vergütungen für die Leistungen nach Abs. 1 bestehen nach Abs. 2 S. 1 und 2 mindestens aus den Pauschalen für Unterkunft und Verpflegung (Grundpauschale) und für die Maßnahmen (Maßnahmepauschale) sowie aus einem Betrag für betriebsnotwendige Anlagen einschließlich ihrer Ausstattung (Investitionsbetrag).

Im Fall der Klägerin, die ein zugelassene vollstationäre Pflegeeinrichtung im Sinne von § 72 SGB XI betreibt, ist aufgrund der Regelung in § 75 Abs. 5 S. 1 SGB XII ihre Vergütung für die Pflegeleistung und für Unterkunft und Verpflegung bereits im Rahmen der Vereinbarungen nach §§ 82 ff. SGB XI festgelegt, so dass im Rahmen der Leistungsvereinbarung nach § 76 SGB XII zwischen der Einrichtung und dem Träger der Sozialhilfe nur noch der Investitionskostenbetrag festzulegen ist. Infolge der Nichteinigung der Beteiligten war hierfür nach Ablauf der Frist des § 77 Abs. 3 S. 1 SGB XII die Schiedsstelle zuständig.

Die Entscheidungen der Schiedsstelle unterliegen dabei nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit (vgl. HLSG, Urteil vom 25. Februar 2011, a. a. O.; ebenso LSG Bayern, a. a. O.; LSG NRW, Urteil vom 29. September 2008, L 20 SO 92/06, juris). Den paritätisch aus Vertretern der Einrichtungen und der Sozialhilfeträger besetzten Schiedsstellen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) wird vom Gesetz als mit der zu regelnden Materie vertrautem und zu einer vermittelnden Zusammenführung von gegenläufigen Interessen der Beteiligten berufenem Gremium eine besondere Beurteilungskompetenz zugemessen. Den Schiedsstellen kommt deshalb eine Einschätzungsprärogative zu, die mit einer Einschränkung der gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten einhergeht. Es ist gerichtlich allein zu überprüfen, ob die Schiedsstelle die widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien ermittelt hat, sie alle für die Abwägung erforderlichen tatsächlichen Erkenntnisse gewonnen hat, und ob ihre Abwägung frei von Einseitigkeiten, in einem fairen und willkürfreien Verfahren sowie inhaltlich orientiert an den materiellen Vorgaben des Entgeltvereinbarungsrechts vorgenommen wurde. Zu den Schiedsstellen nach dem SGB XI hat das Bundessozialgericht (Urteile vom 29. Januar 2009, B 3 P 3/08 R und B 3 P 7/08 R) ausgeführt, der Schiedsspruch stellt seiner Natur nach einen Interessenausgleich durch ein sachnahes und unabhängiges Gremium dar. Insbesondere mit der paritätischen Zusammensetzung, dem Mehrheitsprinzip und der fachlichen Weisungsfreiheit nutzt der Gesetzgeber die Fähigkeit dieses Spruchkörpers zur vermittelnden Zusammenführung unterschiedlicher Interessen und zu einer Entscheidungsfindung, die nicht immer die einzig sachlich vertretbare ist und häufig Kompromisscharakter aufweist. Gleichwohl haben die Schiedsstellen eine umfassende Aufklärungspflicht und dürfen unter Beachtung des Beschleunigungsgebots Aufklärungsermittlungen auf beiden Seiten durchführen. Die Möglichkeit zum Erlass von sog. Beweislastentscheidungen ist nicht ausgeschlossen. Den Abschluss des Verfahrens bildet bei fehlender Einigung der Schiedsspruch, der mit einer hinreichenden Begründung zu versehen ist (vgl. BSGE 87, 199, 202 = SozR 3-3300 § 85 Nr. 1 S. 5 m. w. N.). Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze und des Entscheidungsspielraums der Schiedsstelle ist gerichtlich ausschließlich zu überprüfen, ob die Ermittlung des Sachverhalts in einem fairen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen Gehörs erfolgt ist, ob zwingendes Gesetzesrecht beachtet und ob der bestehende Beurteilungsspielraum eingehalten worden ist. Dies setzt voraus, dass die gefundene Abwägung durch die Schiedsstelle Eingang in die Begründung des Schiedsspruchs gefunden hat. Die Anforderungen hieran dürfen im Hinblick auf Stellung und Funktion der Schiedsstelle jedoch nicht überspannt werden. Die Schiedsstelle unterhält - jedenfalls im Wesentlichen - keinen eigenen Verwaltungsunterbau und ist deshalb in besonderer Weise auf die Mitwirkung der Beteiligten angewiesen. Es ist deshalb in der Regel nicht zu beanstanden, wenn sich die Schiedsstellenbegründung auf die in diesem Rahmen vorgebrachten Angaben der Beteiligten oder von ihren Mitgliedern selbst eingeführte Hinweise bezieht. Dies kann auch in knapper Form erfolgen, soweit dies für die Beteiligten verständlich ist und sich nicht auf Tatsachen bezieht, die in der Schiedsstellenverhandlung selbst in Zweifel gezogen worden sind (BSG a. a. O.). Diese Ausführungen des BSG können auf Schiedsstellenentscheidungen nach dem SGB XII entsprechend angewendet werden, weil die Strukturen des Vergütungsvereinbarungsrechtes im SGB XI und SGB XII wesentlich gleich ausgestaltet und in beiden Rechtsgebieten fachkundig besetzte Schiedsstellen zur Entscheidung von vertragsgestaltenden Verwaltungsakten berufen sind (so zutreffend LSG Bayern a. a. O.).

Hiervon ausgehend erweist sich der Schiedsspruch als rechtwidrig, weil die Entscheidung, soweit es die streitgegenständliche Auslastungsquote angeht, nicht erkennen lässt, von welchen inhaltlichen Erwägungen die Schiedsstelle bei der Festlegung einer Auslastungsquote von 98 % ausgegangen ist. Bei der Bestimmung des betriebsnotwendigen Betrags, der sich aus den Investitionsaufwendungen (also insbesondere den Aufwendungen für die Herstellung oder Anschaffung der Pflegeeinrichtung, Mieten, Pachten, Instandsetzung und Unterhaltung) ergibt, bedarf es der Festlegung einer durchschnittlichen Belegungsquote der Einrichtung als Berechnungsfaktor für die pflegetäglichen Investitionsaufwendungen; denn es ist fluktuationsbedingt unmöglich, eine Pflegeeinrichtung über das gesamte Jahr kontinuierlich zu 100 % auszulasten. Die hierbei zu berücksichtigenden Aspekte sind allerdings nicht unmittelbar rechnerisch determiniert, sondern in erheblichem Maße von Erfahrungswissen hinsichtlich der besonderen Bedingungen von Pflegeeinrichtungen geprägt. Die sachkundig besetzte Schiedsstelle muss daher bei ihrer Entscheidung erwägen, welche Belegungsquote bei einer wirtschaftlich geführten, sparsamen und leistungsfähigen Pflegeinrichtung erwartet werden kann, und hat die von ihr als maßgeblich erachteten Entscheidungskriterien sodann in ihrer Entscheidung mitzuteilen.

Daran fehlt es im vorliegenden Fall, in dem sich die Schiedsstelle bei der Festsetzung einer Auslastungsquote von 98 % ohne weitere Begründung auf ihre diesbezügliche "Entscheidungspraxis" beruft. Der bloße Hinweis auf eine Entscheidungspraxis ohne jede Darlegung, auf welchen inhaltlichen Kriterien diese beruht, ermöglicht keine gerichtliche Überprüfung im Hinblick auf die genannten gesetzlichen Maßstäbe. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die der Entscheidungspraxis der Schiedsstelle zugrunde liegenden Kriterien z.B. aufgrund vorangegangener Beschlüsse zumindest in den betroffenen Fachkreisen allgemein bekannt gewesen oder im Rahmen der mündlichen Verhandlung erläutert worden wären.

Der Begründungsmangel verpflichtet die Schiedsstelle, einen neuen Beschluss zu den betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen zu fassen und hierbei über die Frage der Auslastungsquote neu zu entscheiden. In diesem Rahmen wird die Schiedsstelle folgendes zu beachten haben:

Im Zusammenhang mit der gesonderten Berechnung der betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen nach Maßgabe von § 82 Abs. 3 SGB XI hat das BSG (Urteil vom 8. September 2011, B 3 P 2/11 R, Rz 40) sich auch zur Frage der Belegungsquote eines Pflegeheims geäußert und ausgeführt, dass eine fiktive Belegungsquote als Verteilungsmaßstab der gesonderten Berechnung dann angezeigt ist, wenn die Heimbewohner bei einer unterdurchschnittlichen Auslastung der Einrichtung - etwa in der Anlaufphase, wegen Kapazitätsüberschüssen oder wegen Mängeln der Einrichtung - vor einer übermäßigen Heranziehung zu den Kosten der Pflegeinfrastruktur zu bewahren seien. Soweit dabei auf durchschnittliche Belegungsquoten abgestellt werde, sei dies nur zulässig, wenn sich die Ausrichtung grundsätzlich an der typischen Vollauslastung einer wirtschaftlich geführten Einrichtung orientiere, die eher bei knapp unter 100 % als bei (im konkreten Fall berücksichtigten) 96 % liege. Jedenfalls werde zur Abgrenzung der nach § 82 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 SGB XI ausdrücklich von den Einrichtungen selbst zu tragenden Anlauf-, Umstellungs- und Schließungskosten sowie zum Schutz der Bewohner vor den wirtschaftlichen Folgen einer unzureichenden Auslastung der Pflegeinrichtung aus sonstigen Gründen durch Festsetzung eines unteren Auslastungsgrades und damit einer Mindestbelegungsquote sicherzustellen sein, dass das wirtschaftliche Risiko einer ungewöhnlich niedrigen Heimbelegung nicht von den Bewohnern zu tragen sei, sondern bei den Einrichtungen verbleibe ( BSG a. a. O. Rdnr. 41).

Diese Rechtsprechung ist zur Überzeugung des Senats auf den Bereich des SGB XII voll übertragbar. Denn es ist sicherzustellen, dass das wirtschaftliche Risiko einer unzureichenden Heimauslastung nicht von den Trägern der Sozialhilfe und damit von der Allgemeinheit getragen werden muss. Insoweit kommt die Festlegung einer Auslastungsquote von 98 % durchaus in Betracht, ohne dass auf die in der Vergangenheit tatsächlich niedrigere Auslastung der Klägerin Rücksicht genommen werden müsste. Die Schiedsstelle kann dabei berücksichtigen, dass nach dem Vortrag des Beklagten die Festlegung einer Auslastungsquote von 98 % einer in der Vergangenheit hessenweit einheitlich praktizierten Verfahrensweise zwischen den Pflegeinrichtungen und den Trägern der Sozialhilfe entspricht, somit auch bei den verschiedenen Einrichtungen der Klägerin Anwendung finden dürfte und nicht zuletzt bei der erstmaligen Vereinbarung der Beteiligten vom 23. April 2004 über die betriebsnotwendigen Investitionskosten gemäß § 82 SGB XII zugrunde gelegt wurde. Eine solche, über viele Jahre hinweg von den betroffenen Pflegeinrichtungen als auch der Klägerin akzeptierte Berechnungsweise wäre ein erhebliches Indiz dafür, dass entgegen dem diesbezüglichen Vortrag der Klägerin im Klageverfahren eine derartige Auslastungsquote tatsächlich erreicht werden kann und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entspricht. Es ist der Schiedsstelle aber auch nicht verwehrt, den Vortrag der Klägerin zu berücksichtigen, wonach bei der Vereinbarung der Pflegeentgelte in der Vergangenheit von einer niedrigeren Auslastung der Einrichtung ausgegangen worden ist, sofern sich feststellen lässt, dass dem sachliche Erwägungen zugrunde lagen. Schließlich kann sich die paritätisch mit Vertretern der Pflegeinrichtungen und der Sozialhilfeträger besetzte Schiedsstelle bei der Festlegung der als wirtschaftlich anzusehenden Auslastungsquote auf die Sachkunde und den Kenntnisstand seiner Mitglieder berufen. Bei ihrer Begründung braucht die Schiedsstelle im Übrigen nicht auf das gesamte Vorbringen der Beteiligten einzugehen, sondern kann sich darauf beschränken, die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die sie zu ihrer Entscheidung bewogen haben (§ 35 Abs. 1 S. 2 SGB X).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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