LG Bochum, Urteil vom 04.08.2016 - I-2 O 143/14
Fundstelle
openJur 2019, 34601
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 7 U 68/16
Tenor

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld i. H.v. 70.000 € nebst Zinsen i. H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 31.5.2016 zu zahlen.

Die Beklagten werden ferner als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 72.402,30 € nebst Zinsen i. H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6.4.2016 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die dem Kläger aus Anlass des Unfalls vom 23.2.2007 entstehen werden, soweit Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagten werden schließlich als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i. H.v. 2480,44 € nebst Zinsen i. H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.5.2016 freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 12 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 88 %.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i. H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Zahlung des angemessenen Schmerzensgeldes und materiellen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 23.2.2007 gegen 5:21 Uhr in E auf der X Straße in Höhe der Hausnummer ... ereignete. Die Beklagte zu 1) fuhr von einem Tankstellengelände auf die Fahrbahn der X Straße und stieß mit ihrem PKW Honda mit dem amtlichen Kennzeichen ...#, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, gegen das auf der Fahrbahn sich nähernde Motorrad des Klägers. Der Kläger wurde durch den Zusammenprall auf die Gegenfahrbahn geschleudert und kollidierte ein zweites Mal mit einem auf der Gegenfahrbahn sich nähernden Pkw. Durch das Unfallereignis erlitt der Kläger erhebliche Verletzungen, unter anderem ausgedehnte Gesichtsweichteilverletzungen, knöcherne Verletzungen im Bereich des Gesichtsschädels, frontale Kontusionsblutungen und multiple oberflächliche Hautabschürfungen im Bereich der Extremitäten. Der Umfang der Verletzungen im Einzelnen sowie die Verletzungsfolgen sind zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte zu 2) leistete vorprozessual auf den geltend gemachten Schaden des Klägers 70.000 €.

Der Kläger behauptet, er leide aufgrund des Verkehrsunfalls vom 23.2.2007 an Dauerkopfschmerzen mit wenigen schmerzfreien Zeiten, an Schlafstörungen, Dauermüdigkeit, Schwindel, Gangstörungen, Muskelzuckungen in Armen und Beinen, fehlender Belastungsfähigkeit, Nervenschmerzen, Taubheitsgefühlen im Gesicht sowie im rechten Bein sowie an Licht und Geräuschempfindlichkeit. Er sei darauf angewiesen, dauerhaft Tramadol-Tabletten einzunehmen. Ferner leide er unter Gleichgewichtsstörungen und Schwindel sowie gravierenden Dauerschmerzen, die er nur mit starken Schmerzmitteln auszuhalten vermöge. Sein Wesen habe sich derart verändert, dass er unfallbedingt im jetzigen Zeitpunkt einer dauerhaften Partnerschaft mit den notwendigen Fähigkeiten zur Kommunikation wie auch zum Kompromiss und zur Auseinandersetzung mit dem Partner nicht mehr gewachsen sei. Infolge des Unfalls könne er seinen Hobbys nicht mehr nachgehen. Ihm sei jegliche sportliche Betätigung aufgrund des Unfalls nicht mehr möglich. Er leide an Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen. Es bestehe die Gefahr, dass er durch die Einnahme von Medikamenten und Schmerzmitteln abhängig werde und es hierdurch zu weitergehenden gravierenden gesundheitlichen Schädigungen komme. Ferner hätten die Medikamente Hydromorphon und Paladon durch stärkere Medikamente ersetzt werden müssen, da die angegebene Dosierung nicht mehr ausgereicht habe. Er sei in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert zu einem erheblichen Anteil. Er habe in den letzten elf Monaten vor Zahlung von Verletztengeld einen monatlichen Nettodurchschnittsverdienst von 2518,90 € pro Monat erzielt. Seit April 2007 habe sich sein tatsächliches Einkommen vermindert, weil der entgangene Verdienst durch Entgeltfortzahlung und Verletztengeld nicht vollständig kompensiert worden sei. Insgesamt ergäbe sich für den Zeitraum von April 2007 bis einschließlich März 2016 ein Verdienstausfallschaden in Höhe von 35.876,99 €. Für die Berechnung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 22.3.2016 (Bl. 170 ff. der Akten) Bezug genommen. Schließlich habe er auch einen Haushaltsführungsschaden erlitten. Aufgrund seiner hochgradigen gesundheitlichen Einschränkungen bereite es ihm erhebliche Schwierigkeiten, den Haushalt zu führen. Durch den erlittenen Unfall benötige er wesentlich mehr Zeit, seinen Haushalt zu bewerkstelligen. Einfachste Arbeiten und die Organisation solcher Arbeiten stellten für ihn eine erhebliche Herausforderung dar. Zeitweise sei es ihm überhaupt nicht möglich, eine Arbeit im Haushalt zu verrichten. Für die Zeit bis zum 1.11.2007 habe er in einem Haushalt mit seiner Ehefrau und seinen minderjährigen Kindern zu viert gelebt. Anschließend sei er aus dem ehelichen Haushalt ausgezogen und habe allein gelebt. Seit dieser Zeit habe er alle Arbeiten im Haushalt selbst erledigen müssen. Hierfür sei ein Zeitaufwand von wöchentlich 20 Stunden zur Haushaltsführung anzusetzen. Ab Sommer 2010 habe er mit seiner zweiten Ehefrau in einem Zweipersonenhaushalt gelebt. Seit Juli 2011 lebe er von seiner zweiten Ehefrau wieder getrennt in einem ein Personenhaushalt. Insgesamt ergebe sich für die Jahre 2007-2016 ein Haushaltsführungsschaden i.H.v. 45.963,00 €. Erwerbsschaden und Haushaltsführungsschaden zusammen addierten sich zu einem Gesamtbetrag i.H.v. 81.839,99 €.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 80.000 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 31.5.2016 zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn Schadensersatz in Höhe von ein 81.839,99 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6.4.2016 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihnen sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihm aus Anlass des Unfalls vom 13.2.2007 entstehen werden,

4. die Beklagten darüber hinaus gesamtschuldnerisch zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 280,44 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.5.2016 freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs sowie die Höhe der geltend gemachten Erwerbsschäden und Haushaltsführungsschaden. Der seitens der Beklagten zu zwei gezahlte Schmerzensgeldbetrag i.H.v. 70.000 € sei angemessen und ausreichend, um einen Ausgleich für die seitens des Klägers erlittenen Beeinträchtigungen zu gewähren. Die vom Kläger geltend gemachten Schmerzensgeldbeträge seien übersetzt. Die vom Kläger beschriebenen Beeinträchtigungen seien zu bestreiten. Der Verdienstausfallschaden sei nicht zutreffend berechnet. Der vom Kläger angesetzte fiktive Nettodurchschnittsverdienst von 2518,90 € sei zu hoch. Ferner müsse sich der Kläger für ersparte Aufwendungen pauschal 10 % von dem berechneten netto Entgelt abziehen lassen. Es werde bestritten, dass der Kläger im Jahr 2010 ein alternatives Arbeitsverhältnisse bei der Firma U als Techniker mit einem Bruttomonatsgehalt von 4500 € angetreten hätte, etc. Ferner bestreiten die Beklagten den vom Kläger geltend gemachten Haushaltsführungsschaden. Der Kläger sei durchaus in der Lage, seinen Haushalt selbst zu führen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten der Sachverständigen Dr. C und Dr .G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der schriftlichen Gutachten verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zum überwiegenden Teil begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes i.H.v. 70.000 €. Der Anspruch folgt aus §§ 7, 17, 11 StVG sowie aus §§ 823, 253 BGB. Dem Grunde nach ist zwischen den Parteien nicht streitig, dass die Beklagten in vollem Umfang für die durch das Unfallereignis vom 23.2.2007 beim Kläger eingetretenen materiellen und immateriellen Schäden haften. Den Kläger selbst traf an dem Verkehrsunfall keine Schuld. Die Betriebsgefahr des von der Beklagten zu 1 gesteuerten Fahrzeugs wird dagegen durch ein erhebliches Verschulden der Beklagten zu 1 erhöht. Die Beklagte zu 1 ist aus einer Grundstückseinfahrt eines Tankstellengeländes auf die Fahrbahn der X Straße gefahren. Hierbei hatte sie die Vorfahrt des Verkehrs auf der X Straße zu beachten und sich gemäß § 10 StVO so zu verhalten, dass jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Angesichts des fahrlässigen Verhaltens der Beklagten zu 1, das auch die deliktische Haftung der Beklagten gemäß §§ 823 ff. BGB begründet, fällt die vom Motorrad des Klägers ausgehende Betriebsgefahr bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 StVG nicht mehr ins Gewicht. Für die durch den Unfall erlittenen körperlichen Verletzungen sowie neurologischen und psychischen Beeinträchtigungen kann der Kläger gemäß §§ 11 S. 2 StVG, 253 Abs. 2 BGB eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind im Rahmen der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes alle nachteiligen Folgen für die körperliche und seelische Verfassung des Verletzten, wie Schmerzen, Unbehagen, seelische Belastungen, der Eintritt einer Wesensänderung und die Schmälerung der Lebensfreude zu berücksichtigen. Im Rahmen der Genugtuungsfunktion kann aufseiten des Schädigers der Grad des Verschuldens zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes führen (Palandt-Heinrichs § 253 Rn. 15 ff.). Nach diesen Grundsätzen hält die Kammer ein Schmerzensgeld von insgesamt 140.000 € für angemessen und ausreichend. Die Kammer geht im unterstellten Einverständnis der Parteien davon aus, dass die seitens der Beklagten zu 2 pauschal auf alle geltend gemachten Schäden geleistete Zahlung von 70.000 € auf den Schmerzensgeldanspruch des Klägers zu verrechnen ist. Daraus ergibt sich der Anspruch des Klägers, ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. (140.000 € ./. 70.000 € =) 70.000 € zu verlangen. Für die Bemessung des Schmerzensgeldes steht aus Sicht der Kammer die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldanspruchs im Vordergrund. Der Kläger erlitt durch das Unfallereignis erhebliche und schwerwiegende Verletzungen, unter denen er auch heute noch leidet und in Zukunft leiden wird. Hervorzuheben ist das durch den Unfall hervorgerufene offene Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades mit multiplen osteosynthetisch versorgten Schädelfrakturen (Le Fort-III- Fraktur rechts und Le Fort-II- Fraktur links mit Trümmerung der frontalen Kalotte der Stirnhöhlenvorder- und -hinterwand, Nasenbein-/Collumfraktur links, paramediane Unterkieferfraktur rechts) und parenchymat-ösen / subarachnoidalen ein Blutungen sowie einem diffusen Hirnödem, Liquorfistel mit frontobasaler Deckung am 22.5.2007, Lungenkontusion dorsal beidseitig, chronische neuropathische Schmerzen mit einer Dysästhesie / Hyperalgesie im rechten Gesichtsbereich und am rechten Fuß, chronische Schmerzerkrankung mit somatischen und psychischen Anteilen sowie der vollständige Verlust des Geruchssinns. Ein Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades ist ein schwer wiegendes Trauma, das mit einer längeren Bewusstlosigkeit des Betroffenen einhergeht und üblicherweise Folgeschäden hervorruft. Diese Folgeschäden werden vom Kläger als wiederkehrender chronischer Kopfschmerz und Schwindel beschrieben. Der Sachverständige Dr C hat aufgrund der von ihm durchgeführten Untersuchung des Klägers die von ihm beschriebenen Beschwerden im wesentlichen bestätigt und insbesondere ausgeführt, dass der Kläger seine Angaben ohne Aggravitations- bzw. Simulationstendenz gemacht hat. Der Sachverständige hat jedenfalls die vom Kläger beschriebenen chronischen Schmerzen bestätigt, wenngleich er nicht ausgeschlossen hat, dass die Behandlung des Klägers mit schmerzlindernden Opiumspräparaten (insbesondere Tramadol) in Zukunft reduziert oder gar abgesetzt werden kann. Entscheidend ist aus Sicht der Kammer, dass trotz einer nicht auszuschließenden und für den Kläger auch zu erhoffenden Linderung seiner Schmerzen diese Schmerzen chronisch sind und ihn sein ganzes Leben lang belasten werden. Gleiches gilt für den Verlust des Geruchssinns, der sich ebenfalls als dauerhafte Folge des Unfalls darstellt und mit dem nach Auffassung der Kammer ein deutlicher Verlust an Lebensfreude und Lebensqualität einhergeht. In diesem Zusammenhang hält es die Kammer für nicht unwesentlich, dass der Geruchssinn auch Einfluss auf die Fähigkeit hat, Speisen und Getränke zu schmecken. Fehlt der Geruchssinn, so ist auch der Geschmack sind deutlich eingeschränkt. Der Kläger ist darüber hinaus seit dem Unfall nicht mehr in der Lage, in seinem erlernten Beruf oder auch nur in irgend einem anderen Beruf zu arbeiten. Für einen zum Zeitpunkt des Unfalls erst 42 Jahre alten Mann ist dies eine erhebliche Einschränkung für seine Lebensführung. Dem Kläger fehlen seit dem Unfall berufliche Herausforderungen und die mit der Arbeit verbundenen sozialen Kontakte. Auch in seiner privaten Lebensführung ist der Kläger seit seinem Unfall deutlich eingeschränkt und belastet. Die Ehe mit seiner ersten Ehefrau ist schon wenige Monate nach dem Unfall zerbrochen. Eine zweite Ehe, die der Kläger im Jahr 2010 eingegangen war, wurde ebenfalls nach ca. einem Jahr geschieden. Der neuropsychologische Sachverständige Dr. G hat die Angaben des Klägers bestätigt, dass sich unfallbedingt das Partnerschaftsverhalten des Klägers geändert hat. Vor dem Unfall sei er ein Familienmensch gewesen. Seit seinem Unfall sei er nicht mehr in der Lage mit einer Partnerin in einer gemeinsamen Wohnung zusammen zu leben. Die mit einer Partnerschaft verbundene Nähe und Enge könne er nicht mehr aushalten. Seine Fähigkeit zur konstruktiven Auseinandersetzung sei reduziert. Darüber hinaus leidet der Kläger, wie der Sachverständige weiter ausführt, an Konzentrations -und Aufmerksamkeitsstörungen. Die Gefahr, dass der Kläger durch die chronische Einnahme von Schmerzmitteln abhängig werde, hält der Sachverständige ebenfalls für gegeben. Zusammengefasst hat der Kläger durch das Unfallereignis einen kompletten Bruch seiner bisherigen Lebensführung erlitten. Fast alles, was das Leben für ihn zuvor lebenswert gemacht hat, hat er verloren: Seine Ehe ist zerbrochen, die Fähigkeit partnerschaftliche Bindungen und Beziehungen einzugehen fehlt oder ist zumindest deutlich reduziert. Der Kläger hat seinen Arbeitsplatz verloren und kann auch keinen Beruf mehr ausüben. Er hat chronische Schmerzen, kann nicht mehr riechen und nur noch eingeschränkt schmecken. Der Leidensweg des Klägers und insbesondere die Aussicht, sein weiteres Leben keine engere Partnerschaft führen zu können, nicht mehr arbeiten zu können, unter ständigen Schmerzen zu leiden und nicht mehr riechen zu können, rechtfertigen nach Auffassung der Kammer ein Schmerzensgeld, das deutlich über 100.000 € liegt. Die Kammer hält ein Schmerzensgeld von 140.000 € insgesamt für angemessen. Gegenüber der Schmerzensgeldvorstellung der Klägerseite von ca. 150.000 € hat die Kammer einen Abschlag i.H.v. 10.000 € vorgenommen, um damit dem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, dass nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr C jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass der Kläger für die Zukunft eine gewisse Linderung seiner Beschwerden erfährt. Einen höheren Abschlag hält die Kammer allerdings nicht für angemessen, da nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr G die Einschränkungen des Klägers dauerhaft verbleiben werden und nur noch dezente Leistungsverbesserungen zu erwarten sind. Die Kammer weist schließlich darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur so genannten mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, sondern eine mittelbare Wirkung dahin entfalten, dass die Wertordnung der Grundrechte auch bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe des nachgeordneten einfachen Rechts einfließen müssen. Die Kammer ist der Auffassung, dass der überragende Stellenwert, den das Leben und die körperliche Unversehrtheit nach der Wertordnung der Grundrechte genießen, von der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht ausreichend bei der Auslegung der §§ 253 Abs. 2 BGB, 11 S. 2 StVG und bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt wird. Es ist kein Zufall, dass Leben und körperliche Unversehrtheit nach dem Generaltatbestand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als erstes Grundrecht im Grundrechtskatalog genannt werden, noch vor dem Grundrecht der Freiheit der Person. Ohne Leben und körperliche Unversehrtheit sind alle anderen Rechte nichts wert. Billig i.S.d. §§ 253 BGB, 11 S. 2 StVG ist im Falle der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit einer Person nur eine Geldentschädigung, die diesem überragenden Stellenwert des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2, S. 1 GG Rechnung trägt. Es fällt insbesondere schwer nachzuvollziehen, wenn im Falle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts billige Entschädigungen von mehreren Hunderttausend ausgeurteilt werden (Fall L), während für den Verlust eines Beines nur Beträge um 20.000 € zugesprochen werden. Juristisch mag es nachvollziehbare Erklärungen für ein solches Auseinanderdriften der Entschädigungsbeträge geben, etwa den Gedanken der Abschreckung und Prävention im Falle der Persönlichkeitsverletzung durch finanzkräftige Presseorgane. In der Bevölkerung werden solche juristischen Erwägungen jedoch nicht mehr verstanden, sondern als unbillig empfunden (Prominentenbonus). Das Gesetz beabsichtigt jedoch in §§ 253 Abs. 2 BGB, 11 S. 2 StVG mit der Bezugnahme auf den Billigkeitsgedanken (billige Entschädigung in Geld) gerade das Rechtsgefühl der Bevölkerung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes mit einzubeziehen.

II.

Der Kläger hat ferner gemäß §§ 7, 17, 11 S. 1 StVG, 823, 843, 249 BGB einen Anspruch auf Ausgleich der erlittenen materiellen Schäden von 72.402,30 €. Hinsichtlich des geltend gemachten Erwerbsschadens geht die Kammer davon aus, dass der Schadensersatzanspruch i.H.v. 32.289,30 € begründet ist. Im Grundsatz folgt die Kammer der Berechnung des Klägers für den Erwerbsschaden in den Jahren 2007-2016. Der Kläger hat für den zu erwartenden Netto-Durchschnittsverdienst für eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO ausreichend auf seine Nettoverdienste in den elf Monaten vor dem Unfall abgestellt. Zeiten der Kurzarbeit im Betrieb hat er berücksichtigt. Ebenso hält die Kammer es für plausibel, dass der Kläger nach der Insolvenz seines Arbeitgebers als qualifizierter Facharbeiter eine neue Stelle mit einem vergleichbaren Gehalt gefunden hätte. Die seitens der Beklagten hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch und werden jedenfalls dadurch aufgefangen, dass der Kläger für einen Zeitraum von immerhin neun Jahren bei der Berechnung des Erwerbsschadens die tariflichen Lohnerhöhungen nicht mit einbezogen hat. Zutreffend hat der Kläger auch im Rahmen der Vorteilsausgleichung die Leistung der Berufsgenossenschaft und des Rentenversicherungsträgers abgezogen und nur die Differenz zu seinem Gehalt als Schadensersatz eingefordert. Ein weiterer Abzug im Rahmen der Vorteilsausgleichung war jedoch insoweit zu machen, als ersparte Aufwendungen für Fahrten zur Arbeit, Berufskleidung etc. von dem geltend gemachten Schaden abzuziehen sind. Die Höhe der Vorteile durch ersparte Aufwendungen schätzt die Kammer gemäß § 287 ZPO auf den seitens der Beklagten geltend gemachten Anteil von 10 % des Erwerbsschadens. Von dem geltend gemachten Erwerbsschaden in Höhe von insgesamt 35.876,99 € war daher ein Betrag i.H.v. 3.587,69 € abzuziehen. Es verbleibt ein zuzusprechender Erwerbsschaden i.H.v. 32.289,30 €. Ferner kann der Kläger nach den genannten Vorschriften Ersatz seines Haushaltsführungsschadens i.H.v. 40.113 € verlangen. Für den Zeitraum von 2007-2014 folgt die Kammer in vollem Umfang der Berechnung des Klägers und schätzt den Haushaltsführungsschaden gemäß § 287 ZPO auf die von ihm geltend gemachten Beträge. Die Kammer geht aufgrund der feststehenden Verletzungen und erheblichen Beeinträchtigungen durch den Unfall und auch nach dem persönlichen Eindruck, den sie in der mündlichen Verhandlung im September 2014 von dem Kläger gewonnen hat, davon aus, dass im Jahre 2007 die Fähigkeit des Klägers zur Haushaltsführung vollständig und für den Zeitraum von 2008 bis einschließlich 2014 die Fähigkeit des Klägers zur Haushaltsführung um die Hälfte vermindert war. Für die Zeiten, in denen der Kläger mit seiner ersten Ehefrau und seiner Familie sowie später mit seiner zweiten Ehefrau zusammenlebte, ist der Haushaltsführungsschaden gemäß §§ 11 S. 1 StVG, 843 BGB unter dem Gesichtspunkt berechtigt, dass der Kläger seiner Unterhaltspflicht durch Übernahme der für Männer üblichen Haushaltsführungstätigkeiten, wie Rasenmähen, sonstige Gartenarbeiten, Fahrten, Reparaturen et cetera nicht mehr gerecht werden konnte. Für die Zeiten in denen der Kläger allein in einem Ein-Personen Haushalt lebte, rechtfertigt sich der geltend gemachte Haushaltsführungsschaden unter dem Gesichtspunkt, dass beim Kläger durch den Unfall eine Vermehrung seiner Bedürfnisse eingetreten war. Die vom Kläger angesetzten Wochenstunden hält die Kammer im Rahmen der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO für angemessen auf Grundlage der vom Kläger eingereichten Tabellen, die nach Auffassung der Kammer zutreffend den üblichen Zeitaufwand für solche Tätigkeiten widerspiegeln. Ebenso hält die Kammer im Rahmen der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO den vom Kläger angesetzten Bruttoarbeitslohn von neun Euro je Stunde für gerechtfertigt. Dies ergibt für das Jahr 2007 den vom Kläger mit 7920 € bezifferten Haushaltsschaden, der auch zu 100 % zu erstatten ist, weil der Kläger zu dieser Zeit Tätigkeiten im Haushalt überhaupt nicht mehr nachgehen konnte. Für die Jahre 2008-2014 ergibt sich auf Grundlage der vom Kläger zutreffend berechneten Beträge für die jeweiligen Jahre ein Gesamtbetrag i.H.v. 64.386 €. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass der Kläger zu 50 % in seiner Haushaltsführung beeinträchtigt war, so dass für diesen Zeitraum sich ein erstattungsfähiger Haushaltsschaden in Höhe von (64.386 € / 2 = 32.193 € ergibt. Rechnet man den Betrag wird 2007 i.H.v. 7920 € hinzu, so ergibt sich insgesamt ein erstattungsfähiger Haushaltsführungsschaden von 40.113 €. Für den Zeitraum ab 2015 geht die Kammer dagegen davon aus, dass der Kläger aufgrund der Fortschritte bei der Linderung seiner Beschwerden nunmehr in der Lage ist, seinen Haushalt in vollem Umfang alleine zu führen. Jedenfalls kann das Gegenteil für die Zeit ab 2015 nicht festgestellt werden. Die Kammer stützt sich insoweit auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. C (Seite 23, 25), wonach der Kläger inzwischen durchaus in der Lage sei seiner Haushaltsarbeiten selbst zu erledigen und er insoweit nicht wirklich beeinträchtigt sei. An anderer Stelle heißt es, dass der Kläger trotz qualitativer und quantitativer Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit in der Lage sei, bis zu 3 Stunden täglich einfache Arbeiten auszuführen. Auch hieraus ergibt sich, dass die vom Kläger angesetzte wöchentliche Zeit für die Haushaltsführung von etwa 20 Stunden für den Kläger zu leisten sein dürfte. Da diese Feststellungen erst im Jahr 2015 durch den Sachverständigen getroffen worden sind, geht die Kammer zu Gunsten des Klägers davon aus, dass erst ab dem Jahr 2015 die Besserung der Verhältnisse dazu geführt hat, dass der Kläger seinen Haushalt trotz seiner Einschränkungen in vollem Umfang wieder selbst versorgen kann. Soweit der Kläger die Klage auf einen Haushaltsführungsschaden für die Jahre 2015 und 2016 gestützt hat, war die Klage daher nicht begründet.

III.

Der geltend gemachte Feststellungsanspruch ist ebenfalls zulässig und begründet. Für die Feststellungsklage besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, da der Eintritt zukünftiger, jetzt nicht absehbarer Schäden nicht auszuschließen ist. Der Feststellungsanspruch ist auch nach den o.g. Ausführungen begründet, jedoch nur mit der aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkung.

IV.

Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten folgt aus § 286 BGB.

Zugesprochene Zinsen ergeben sich aus dem Gesetz.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.