LG Münster, Urteil vom 28.08.2018 - 3 S 141/17
Fundstelle
openJur 2019, 33743
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 48 C 831/16
Tenor

Das Urteil des Amtsgerichts Münster vom 29.09.2017 - 48 C 831/16 - wird teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.384,34 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

- aus einem Betrag in Höhe von 1.307,00 € seit dem 03.10.2015 sowie

- aus einem Betrag von 77,34 € seit dem 10.11.2015

zu zahlen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 35 %, der Beklagte zu 65 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das Amtsgericht hat dem Kläger auf seine Forderungen lediglich 2,74 € zuzüglich Zinsen zugesprochen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein darüber hinaus gehendes erstinstanzliches Begehren weiter.

II.

Die Berufung hat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Das Amtsgericht hat dem Kläger rechtsfehlerhaft weiteren Schadensersatz für den erlittenen Sachschaden an seinem Fahrzeug versagt (hierzu 1.). Hinsichtlich der begehrten Mietwagenkosten folgt die Kammer nicht dem Ergebnis des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens, was zu einer Erhöhung der noch zu ersetzenden Kosten auf 77,34 € führt (hierzu 2.).

1.

Das Amtsgericht geht fehl in seiner Einschätzung, dass sich der Kläger für sein Fahrzeug einen Restwert von 7.507,- € - in Höhe des Restwertangebotes der Fa. U - anrechnen lassen müsse. Stattdessen entspricht der Restwert dem Verkaufswert von 6.200,- €.

Der Geschädigte eines Verkehrsunfalles darf bei seiner Schadensersatzforderung grundsätzlich den Restwert zugrundelegen, den er tatsächlich für das Fahrzeug erzielt hat. Auf einen von einem Sachverständigen ordnungsgemäß ermittelten und mitgeteilten Restwert darf er vertrauen, unabhängig davon, ob der Schädiger einen höheren Restwert nachweist oder ein höheres Ankaufangebt vorlegt (vgl. Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 16. Aufl. 2016, § 249 BGB Rn. 127). Eine Pflicht, zunächst dem Schädiger die Möglichkeit der besseren Verwertung einzuräumen, gibt es nicht. Nur dann, wenn vor der Veräußerung vom Versicherer ein annahmefähiges Angebot unterbreitet wird, ist der Geschädigte grundsätzlich gehalten, dieses anzunehmen.

Auch das Amtsgericht geht zutreffend von diesen Erwägungen aus (S. 4 des angefochtenen Urteils), zieht aber aus dem konkreten Ablauf die falschen Schlüsse:

Dabei kann es dahinstehen, ob der Kläger sich tatsächlich - wie er vorgetragen hat - am Tag des Fahrzeugverkaufs (14.09.2015) vorher beim Sachverständigen telefonisch über die von diesem eingeholten Restwertangebote informierte. Ebenso kann offen bleiben, ob der Kläger auf eine solche mündliche Auskunft des Sachverständigen vertrauen durfte. Denn es kann ausgeschlossen werden, dass sich für ihn ein niedrigerer Schaden ergeben hätte, wenn er - wie das Amtsgericht von ihm fordert - zunächst den Eingang des schriftlichen Gutachtens abgewartet hätte. Auch bei einem solchen "pflichtgemäßem" Alternativverhalten hätte der Kläger das Fahrzeug zwar nicht mehr am 14.09.2015, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 15.09.2015 oder in den Folgetagen für den höchsten im Gutachten genannten Restwert - 6.200,- € - an das Autohaus O veräußert. Es kann ausgeschlossen werden, dass er mit dem Verkauf so lange zugewartet hätte, bis ihn das Restwertangebot der Beklagten vom 28.09.2015 erreicht hätte. Eine Veräußerung zum Wert von 6.200,- € war dem Kläger auch zuzugestehen; auf diesen Wert durfte er jedenfalls ab dem Eingang des schriftlichen Gutachtens vertrauen, weil der Gutachter ordnungsgemäß, entsprechend den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, drei Restwertangebote eingeholt und offengelegt hatte. Die denkbare Verletzung der Schadenminderungspflicht (Nichtabwarten des schriftlichen Gutachtens) hat sich deshalb nicht auf die Höhe des Schadens ausgewirkt.

Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass der Kläger es durch sein Verhalten - Verkauf des Fahrzeugs noch vor Gutachtenerstattung auf telefonischen Zuruf des Sachverständigen - der beklagten Versicherung unmöglich gemacht hat, ein Restwertangebot vorzulegen. Dass eine Versicherung Restwertangebote nicht mehr rechtzeitig vorlegen kann, ist indes Ausfluss der oben dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung, nach der der Geschädigte der Versicherung hierzu keine Möglichkeit einräumen muss, und keine Besonderheit des hier vorliegenden Einzelfalls.

2.

Die dem Kläger zu ersetzenden Mietwagenkosten sind mit insgesamt 1.100,74 € zu bemessen, sodass dem Kläger noch 77,34 € zustehen. Die Kammer folgt bei der Schadensbemessung nicht dem vom Amtsgericht eingeholten Gutachten, das als Mittelwert 1.026,24 € ergeben hatte.

Die Schätzung eines Schadens wie auch die Anwendung des richterlichen Ermessens im Beweisverfahren unterliegt in der Berufungsinstanz der vollständigen Nachprüfung. Dabei darf das Berufungsgericht seine eigene Überzeugung und seine eigene Ermessensentscheidung an die Stelle der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts setzen (Prütting in Münchener Kommentar zu ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287 Rn. 35). Das Berufungsgericht darf auch eine andere Schätzungsgrundlage als das Amtsgericht wählen. Sogar in dem Fall, dass es die erstinstanzliche Entscheidung zwar für vertretbar hält, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, darf es nach seinem Ermessen eine eigene Bewertung vornehmen (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2011, Az. VI ZR 300/09, Rn. 22, juris).

Als vorzugswürdige Grundlage zur Schätzung des erforderlichen Betrages gem. § 287 ZPO sieht die Kammer bei Mietwagenkosten grundsätzlich die Bildung eines arithmetischen Mittels aus den zwei gängigen Mietpreisspiegeln - Schwacke und Fraunhofer - an (vgl. etwa Urteil vom 12.01.2016 - 03 S 55/15; Urteil vom 13.04.2018 - 03 S 137/17). Hierdurch kann der zu ersetzende Normaltarif bestimmt werden. Das OLG Hamm (Urteil vom 20.7.2011, Az. 13 U 108/10, Rn. 11, juris) und das OLG Köln (OLG Köln, Schaden-Praxis 2010, 396) haben diese Berechnungsweise für zulässig erklärt. Der BGH hat ferner die Anwendung beider Listen und auch die Bildung eines arithmetischen Mittels für zulässig erklärt (vgl. Urteil vom 12. April 2011, Az. VI ZR 300/09, Rn. 18, juris, BGH, Urteil vom 18.5.2010, Az. VI ZR 293/08).

Die Kammer folgt dieser "Fracke"-Methode auch im vorliegenden Fall trotz des eingeholten Gutachtens. Denn losgelöst von der Frage, ob eine Beweiserhebung in dieser Form mit dem Zweck des § 287 ZPO - die (auch kostenmäßige) Vereinfachung der Schadensbemessung für das Gericht und die Parteien - vereinbar ist, kann das Gutachtenergebnis jedenfalls sachlich nicht überzeugen:

So wurde die telefonische Umfrage durch den Sachverständigen am 07.12.2016 durchgeführt, das konkrete Ersatzfahrzeug wurde allerdings im September 2015 angemietet. Eine Inflationskorrektur fand im Gutachten indes nicht statt, obwohl es aus der Schwacke- und der Fraunhofer-Erhebung allgemeine Erkenntnis ist, dass die Mietpreise der Inflation ausgesetzt sind (wenngleich die Preissteigerungsrate möglicherweise niedriger ist als die allgemeine Geldinflation, vgl. hierzu auch die klägerischen Angaben im Schriftsatz vom 22.06.2016, Bl. 93 d.A.). Die Aussage des Sachverständigen, dass sich die Mietwagenpreise Ende 2016 "im Grunde um das Niveau des Jahres 2015" bewegt hätten, erscheint nicht plausibel, jedenfalls auch nicht wissenschaftlich begründet.

Weiter führte der Zeitpunkt der telefonischen Umfrage dazu, dass dort alle Fahrzeuge Winterreifen besaßen; im September 2015 waren Winterreifen aber noch nicht geboten, auch der Kläger hat kein Fahrzeug mit Winterreifen angemietet.

Zuletzt wurde die telefonische Umfrage an einem Mittwoch durchgeführt. Laut Gutachten soll aber der fiktive Anmietzeitpunkt auf denselben Wochentag angegeben worden sein wie der Unfalltag, um Wochenendangebote auszuschließen. Der Unfalltag/erste tatsächliche Anmiettag war ein Dienstag. Der Sachverständige hat also offenbar an einem Mittwoch dem angerufenen Vermieter angegeben, das Fahrzeug solle ab nächsten Dienstag gemietet werden. Hierdurch wird die reale Situation, in der sich der Kläger befand, missachtet. Dieser brauchte sofort ein Ersatzfahrzeug. Die Tarife für kurzfristig bereitgestellte Fahrzeuge sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit höher als bei längeren Vorlaufzeiten.

Durch das Gutachten wurde mithin keineswegs ein belastbareres Ergebnis erzielt als bei der "Fracke"-Methode. Im Gegenteil wurde insbesondere durch die vorgegebene Vorlaufzeit im Sachverständigengutachten eine methodische Schwäche wiederholt, die der Fraunhofer-Erhebung regelmäßig vorgeworfen wird.

Nach der vorzugswürdigen "Fracke"-Methode ergibt sich zugunsten des Klägers folgender Betrag:

Arithmetisches Mittel zwischen Fraunhofer und Schwacke für 21 Tage ist nach der unstreitigen Darstellung der Klägerseite ein Betrag von 1.223,04 €. Hierfür will die Klägerseite die Kosten einer konkret vereinbarten "erweiterten Haftungsreduzierung" i.H.v. 499,80 € zusetzen, anschließend 10 % ersparte Aufwendungen abziehen und sodann 20 % unfallbedingten Aufschlag machen.

Die Kosten der "erweiteren Haftungsreduzierung" (vulgo: Vollkaskoversicherung) sind nach der Rspr. des OLG Hamm (Urteil vom 18. März 2016 - 9 U 142/15 -, juris) indes bei der Anwendung der "Fracke"-Methode nicht hinzuzusetzen. Denn sowohl Fraunhofer als auch Schwacke fragen Normaltarife ab, in denen Vollkasko mit Selbstbehalt bereits eingeschlossen ist.

Auch ein Zuschlag von 20 % für "unfallbedingte Mehrkosten" ist nicht begründet. Konkrete Mehrleistungen, die vom Normaltarif abweichen, hat der Kläger nicht in Anspruch genommen. Der allgemeine Umstand, dass für den Vermieter das Vorhalten und die Vermietung von Unfallersatzfahrzeugen mit größeren Gemeinkosten verbunden ist (schlechtere Planbarkeit, ggf. größeres Zahlungsrisiko, weil der Mieter damit rechnet, die Leistungen der gegnerischen Versicherung überwälzen zu können, dies sich aber später als unrichtig erweist), ist bei einer Kombination von Schwacke und Fraunhofer bereits in sich angemessen abgebildet. Denn Schwacke ermittelt "offen" die Kosten für sofort anzumietende Unfallersatzwagen, dort sind also diese Zuschläge bereits enthalten; Fraunhofer ermittelt "verdeckt" die Kosten für Mietwagen mit Vorlaufzeit, kommt also dem Mietpreis näher, der bei einem funktionierenden Markt zu erwarten wäre, bei dem der Mieter selbst zahlen muss. Aus der Kombination der beiden Listen ohne Zuschläge wird gerecht abgebildet, dass der Vermieter tatsächlich im gewissen Umfang höhere Preise für Unfallersatzwagen rechtfertigen kann, gleichzeitig aber der Geschädigte in der Regel keine ernsthaften Preisverhandlungen mit dem Vermieter führt oder Preisvergleiche anstellt, weil er weiß, dass ihm Kostenersatz vom Gegner zusteht.

Zu ersetzen sind demnach nach der "Fracke"-Methode 1.223,04 € abzüglich 10 % ersparter Aufwendungen, das sind 1.100,74 €. Reguliert sind hiervon 1.023,40 €, dem Kläger stehen also noch 77,34 € zu.

Der Urteilstenor war danach insgesamt klarstellend neu zu fassen. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

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