ArbG Hagen, Urteil vom 16.07.2019 - 4 Ca 391/19
Fundstelle
openJur 2019, 30255
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2019 aufgelöst werden wird.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 25 % und die Beklagte zu 75 %.

4. Der Streitwert wird auf 14.400,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung.

Der 45 Jahre alte, geschiedene Kläger, der 1 unterhaltsberechtigtes Kind hat, ist seit dem 18.03.2000 bei der Beklagten als Produktionshelfer beschäftigt. Er erzielt eine durchschnittliche Vergütung in Höhe von 3.600,00 Euro brutto monatlich.

Die Beklagte ist ein Zulieferungsbetrieb für Automobilhersteller. Sie beschäftigt ständig mehr als 10 Arbeitnehmer.

Ein Betriebsrat ist gewählt.

Hauptauftraggeberin der Beklagten war bis 31.03.2019 die W-Gruppe. Für diese entwickelte und produzierte die Beklagte eine besonders leichte Hintersitzlehnenstruktur ebenso wie spezielle Sitzwannen. Ca 75 % der Produktionsmitarbeiter waren mit Aufträgen für die W-Gruppe beschäftigt, ebenso betrugen die mit ihr erzielten Umsätze mehr als 75 % der Gesamtumsätze der Beklagten. Die W-Gruppe hatte zum 31.03.2019 ihre gesamte Kundenbeziehung zur Beklagten gekündigt. Ein gerichtliches Vorgehen der Beklagten gegen die W-Gruppe bezüglich eines späteren Ausstiegs bzw. einer Verschiebung des Kündigungstermins blieb erfolglos.

Aus diesem Grund lud die Beklagte den Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss sowie die Schwerbehindertenvertretung zu einer ersten Information am 24.09.2018 ein. Mit Email vom 05.10.2018 übersandte sie dem Betriebsrat die Informationen betreffend die personellen Maßnahmen, über die im Interessenausgleich verhandelt werden sollte. Es wurde ein Entwurf eines Interessenausgleichs mit 3 Anlagen (Organigramm alt, Organigramm neu und Maßnahmenliste) für weitere Verhandlungen übersandt.

Am 16.10.2018 fand diesbezüglich eine Sitzung statt. Nachdem ein neuer Verhandlungstermin nicht gefunden werden konnte, leitete die Beklagte am 18.10.2018 ein Einigungsstelleneinsetzungsverfahren ein. Mit Beschluss des Arbeitsgerichts Hagen vom 02.11.2018 (Az.: 2 BV 19/18) wurde die Einigungsstelle eingesetzt, die hiergegen seitens des Betriebsrats eingelegte Beschwerde wurde am 07.12.2018 durch das Landesarbeitsgericht Hamm (Az.: 13 TaBV 80/18) zurückgewiesen.

Außerhalb des Einigungsstellenverfahrens fand am 22.10.2018 eine weitere Verhandlung zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat statt, anlässlich derer diesem Änderungen mitgeteilt wurden. Zudem verhandelten die Betriebsparteien am 07.11.2018 und 22.11.2018 ergebnislos.

Am 02.11.2018 ließ die Beklagte dem Betriebsrat zudem das Schreiben "Unterrichtung nach § 17 KSchG" nebst Anlagen (erneut Entwurf Interessenausgleich und Sozialplan, Maßnahmenliste) zukommen und wies auf die Notwendigkeit zum Ausspruch der Kündigungen noch im November hin.

Am 15.01.2019 sowie 24.01.2019 tagte dann die Einigungsstelle unter dem Vorsitz des Einigungsstellenvorsitzenden M sowohl zum Interessenausgleich als auch Sozialplan. In diesem Zusammenhang hatte die Beklagte dem Betriebsrat mit Anschreiben vom 11.01.2019 die Verhandlungsunterlagen zum damaligen Verhandlungsstand zukommen lassen, wobei die Einzelheiten hier zwischen den Parteien streitig sind. Der hierbei überreichte Entwurf vom 11.01.2019 enthält unter der Ziffer III. 5 folgende Regelung:

"5. Kündigungsanhörungen

Die Arbeitgeberin hat gegenüber dem Betriebsrat die Anhörungsverfahren zu den beabsichtigten Kündigungen der betroffenen Arbeitnehmer, die in der Maßnahmeliste (Anlage 3) namentlich gesondert genannt sind, am 05.10.2018 mit Korrekturen am 22.10.2018 und 11.01.209 eingeleitet. Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat sind sich einig, dass der Betriebsrat die für betriebsbedingte Kündigungen der betroffenen Arbeitnehmer erforderlichen Informationen erhalten hat, die Arbeitnehmer in der anliegenden Maßnahmeliste mit der richtigen für sie in Betracht kommenden Maßnahme bezeichnet sind (Änderungskündigungen mit Ä und Beendigungskündigungen mit k), die Arbeitgeberin die nach §§ 102 ff. BetrVG erforderlichen Informationen dem Betriebsrat erteilt sind und der Betriebsrat dazu vollständig angehört ist und die dort genannten personellen Maßnahmen erforderlich sind. Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat sind sich einig und stellen ausdrücklich klar, dass die dieser Vereinbarung beigefügten Anlagen keine Namenslisten i.S.des § 1 Abs. 5 KSchG darstellen."

Am 25.01.2019 sandte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten an den Anwalt des Betriebsrats die für sie unterschriftsreife Version des Interessenausgleichs vom 24.01.2019 (Anlage BC 20 zum Schriftsatz der Beklagten vom 12.04.2019). Diese endgültige Version enthält die Regelung zur Betriebsratsanhörung, die zuvor unter Ziffer III 5 aufgeführt war, nicht mehr.

Auch wenn der Interessenausgleich in der Einigungsstelle nicht unterschrieben worden war, näherten die Beteiligten sich jedoch so weit an, dass jedenfalls die Beklagte eine Unterschrift bis zum 29.01.2019 erwartete.

Sie setzte dem Betriebsrat sodann eine Frist zur Unterzeichnung des Interessenausgleichs bis zum 29.01.2019 um 10:00 Uhr und erklärte, sie werde die Verhandlungen für gescheitert erklären, wenn der Interessenausgleich bis zu diesem Zeitpunkt nicht durch den Betriebsrat unterzeichnet sei. Eine Unterzeichnung durch den Betriebsrat erfolgte nicht.

Unter dem 29.01.2019 erstattete die Beklagte gegenüber dem Arbeitsamt die Massenentlassungsanzeige. Diese ging bei der Agentur für Arbeit am 29.01.2019 ein (Anlage BC 27 zum Schriftsatz der Beklagten vom 12.04.2019).

Mit Schreiben vom 29.01.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 31.07.2019.

Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.02.2019, der am 19.02.2019 bei dem erkennenden Gericht eingegangen ist, Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung erhoben.

Der Kläger bestreitet das Vorliegen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes, Die Stilllegung der Produktion zum 31.03.2019, des Wegfalls der Arbeitsaufgaben des Klägers, sowie einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl (vgl. Schriftsatz vom 14.06.2019 Bl. 139 ff. d.A.).

Ferner bestreitet der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 BetrVG. Mit Nichtwissen bestreitet er den Entwurf eines Interessenausgleichs vom 11.01.2019 in den Briefkasten des Betriebsrats, sowie das Überreichen sämtlicher Unterlagen an den Betriebsratsvorsitzenden am 05.10.2018. Weiter bestreitet er mit Nichtwissen, dass am 11.01.2019 ebenfalls die Anlage "Gesamtpersonalliste mit allen Informationen nach §§ 102 ff., 111 BetrVG, und 15, 17 KSchG eingeworfen wurde, sowie dass dieser Anlage alle Sozialdaten der klagenden Partei und alle persönlichen Daten aller Mitarbeiter enthielt. Mit Nichtwissen bestreitet er auch, dass der Betriebsrat konkret zu seiner Kündigung gehört worden sei.

Er meint dass die Betriebsratsanhörung - die behauptete Übermittlung unterstellt - jedenfalls nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Auch bei Abschluss eines Interessenausgleichs sei der Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung zu hören. Dies gelte erst recht, wenn kein Interessenausgleich abgeschlossen sondern lediglich Verhandlungen hierüber geführt worden seien. Die Beklagte habe die Personen, Kündigungsgründe und Termine in ihren Anhörungen auch hier genauso detailliert darzustellen, wie bei jeder sonstigen Einzelkündigung. Dass die Beklagte dies getan hätte, lasse sich weder dem Vortrag der Beklagten noch den beigefügten Anlagen entnehmen. Ein individuelles Anhörungsschreiben gebe es nicht.

Zudem bestreitet er, dass der Betriebsrat Kenntnis über den Grund des Wegfalls seines Arbeitsplatzes, und mangelnde anderweitige Einsetzbarkeit gehabt habe. Die entsprechende Unternehmerentscheidung sowie deren Kausalität für den Wegfall seines Arbeitsplatzes seien dem Betriebsrat nicht mitgeteilt worden. Da es auf die soziale Auswahl und mehrere Arbeitnehmer ankomme, seien auch die hierfür wesentlichen Gesichtspunkte anzugeben gewesen.

Schließlich bestreitet er das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige, sowie die ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahrens gem. § 17 KSchG (vgl. Schriftsätze vom 14.06.2019 Bl. 139 ff. d.A. und vom 09.07.2019 Bl. 273 ff. d.A.).

Die Beklagte sei zudem zur Weiterbeschäftigung zu verurteilen. Es bedürfe keiner Neuschaffung eines Arbeitsplatzes, da der Geschäftsbetrieb der Beklagten fortgeführt werde, was zwingend bedeute, dass Arbeit vorhanden sei. Die Behauptung eine Weiterbeschäftigung sei nicht möglich sei zudem dadurch widerlegt, dass die Beklagte trotz des Auftragsverlustes zum 31.03.19 sämtliche gekündigten Mitarbeiter zumindest bis zum 28.06.2019 weiterbeschäftigt worden seien. Daraus ergebe sich, dass eine Weiterbeschäftigung möglich sei ohne dass die Beklagte einen nicht zu ersetzenden Nachteil erleide, denn Leistung und Gegenleistung stünden im Einklang. Insoweit sei der Antrag auf Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit zurückzuweisen.

Hilfsweise begehrt der Kläger die Zahlung eines Nachteilsausgleichs und beruft sich darauf, dass auch ein nicht ausreichender Versuch eines Interessenausgleichs Nachteilsausgleichsansprüche nach sich ziehe (vgl. Schriftsätze vom 03.05.2019 Bl. 99 ff. d.A. und vom 09.07.2019 Bl. 273 ff. d.A.). Im Übrigen hätten die Betriebsparteien nach dem Ausspruch der Kündigungen weiter verhandelt. Entgegen der Behauptung der Beklagten sei die Situation auf dem Arbeitsmarkt schlecht. Er werde unter Berücksichtigung seiner Qualifikation sehr schwer eine neue Arbeitsstelle finden können (vgl. Schriftsatz vom 09.07.2019, Bl. 273 ff. d.A.)

Der Kläger beantragt,

1. Festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2019 aufgelöst werden wird.

2. Die Beklagte zu verurteilen, ihn für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziffer 1) nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Produktionshelfer weiter zu beschäftigen.

3. Hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu Ziffer 1 die Beklagte zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs gem. § 113 BetrVG zu verurteilen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 43.200,00 Euro nicht unterschreiten sollte.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hilfsweise beantragt sie,

die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils auszuschließen.

Der Kläger beantragt,

den Hilfsantrag zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Rechtsansicht, die Kündigung sei aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.

Hierzu behauptet sie, sie habe aufgrund des Wegfalls des Auftrags der Kundin Volkswagen die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Betriebsteil, der ausschließlich für W produziert habe zum 31.03.2019 still zu legen. Es sei beschlossen worden, dass von den ca. 460 Mitarbeitern ca. 166 Mitarbeiter incl. Azubis verteilt auf Verwaltung und Produktion verbleiben sollten, mit der Vorgabe, möglichst das Know-How im Unternehmen zu halten (vgl. Schriftsatz vom 12.04.2019 Bl. 25 ff. d.A.). Dabei sei auch die unternehmerische Entscheidung getroffen worden, sich von allen Produktionshelfern zu trennen, soweit es sich nicht um Betriebsratsmitglieder handelt. Die Aufgaben für Produktionshelfer, die nach Schließung des W-Betriebsteils noch anfielen, würden zukünftig von den Maschinenbedienern miterledigt werden. Hinsichtlich der Produktionshelfer sei daher eine Sozialauswahl auch entbehrlich, bezogen auf die anderen Berufsgruppen sei eine ordnungsgemäße Sozialauswahl nach Punkten vorgenommen worden (vgl. Schriftsatz vom 12.04.2019 Bl. 25 ff. d.A. sowie nochmals ausführlicher im Schriftsatz vom 05.07.2019 Bl. 171 ff. d.A.).

Sie vertritt die Rechtsauffassung, sie habe den bei ihr gewählten Betriebsrat ordnungsgemäß i.S.v. § 102 BetrVG angehört.

Hierzu behauptet sie, sie habe am 11.01.2019 ein Anschreiben folgenden Inhalts

"Sehr geehrter Herr B, sehr geehrtes Betriebsratsgremium

Anbei der korrigierte IA sowie die überarbeitete SP-Liste für den BR.

Einzige nennenswerte Änderungen sind die Folgenden:

Zwei neue Kündigungen erfolgen, die bisher nicht geplant waren:

Statt P muss A gekündigt werden.Neu ist auch die Kündigung von L und T.

1 Ä und mehre K werden infolge neuen Sonderkündigungsschutzes nicht ausgesprochen.

Soweit Sonderkündigungsschutz im Mai ausläuft, werden die hier geplanten Kündigungen auf Mai verschoben und erst nach Ablauf des Schutzes ausgesprochen.

1 Eigenkündigung erspart eine Kündigung für einen dauerhaften Sonderkündigungsgeschützen (C)."

sowie den Interessenausgleich, in dem die beabsichtigte Kündigung, der Arbeitswegfall, die unternehmerische Entscheidung sowie die Sozialauswahl aufgeführt seien, in den hausinternen Postkasten des Betriebsrats eingeworfen.

Es sei eine Anlage überschrieben mit "Gesamtpersonalliste mit allen Informationen nach §§ 102 ff., 111 BetrVG und 15, 17 KSchG für die personellen Maßnahmen (ordentliche und außerordentliche Kündigungen mit sozialer Auslauffrist) die ab Ende Januar 2019 innerhalb von 30 Tagen (soweit Schwerbehinderte oder ihnen Gleichgestellte betroffen sind oder Elternzeitler allerdings erst nach Vorlage der behördlichen Zustimmung) erfolgen soll" beigefügt gewesen. Diese habe alle Sozialdaten der klägerischen Partei und alle persönlichen Daten aller Mitarbeiter insbesondere Tätigkeit, Berufsgruppe, Eintrittsdatum, Geburtsdatum, Alter zum Kündigungszeitpunkt 29.01.2019, Kündigungsfrist, Familienstand, Kinderfreibetrag, Schwerbehinderung, sonstiger Sonderkündigungsschutz, Punkte in Summe und für die einzelnen Merkmale (Alter, Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung, Unterhaltspflichten), beabsichtigte Maßnahme für den betroffenen Mitarbeiter, wenn zu kündigen dann "K".

Ebenfalls beigefügt gewesen sei der Ausdruck der Exeldatei "SP neue Berechnungsliste Stand 11.01.2019". Aus dieser habe sich ebenfalls ergeben, dass sie im Januar 2019 die Kündigungen habe aussprechen wollen. Hierin enthalten seien auch die Sozialdaten aller Mitarbeiter einschließlich ihrer Tätigkeiten. Damit und unter Hinzuziehung auch der sonstigen Ausführungen der Geschäftsführung und der Prozessbevollmächtigten der Beklagten in den Interessenausgleichsverhandlungen sowie den dem Betriebsrat bekannten betrieblichen Verhältnissen und den Ausführungen im Interessenausgleich seien für den Betriebsrat erkennbar die Vergleichsgruppen festgelegt und die beabsichtigten Entlassungen dargestellt.

Unmittelbar nach Zugang dieses Schreibens beim Betriebsrat habe die Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 15.01.2019 in der Einigungsstelle gegenüber dem Betriebsrat geäußert, dass die Kündigungen nun im Januar erfolgen müssten entweder mit oder mit gescheitertem Interessenausgleich. Im Anschluss an diese Erklärung seien die Betriebsparteien alle Punkte des Interessenausgleichs durchgegangen, so auch den Punkt III. 5. Der Betriebsrat habe daher zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Beklagte hier vom Einleiten einer Kündigungsanhörung nach § 102 BetrVG ausging. Er habe die Gelegenheit gehabt, sich hiermit auseinander zu setzen. Letzlich habe der Betriebsrat später entschieden, die stärkste Form der Stellungnahme - eine Zustimmung - nicht abzugeben und habe erklärt, er wolle die Ziffer 5 nun doch verändert haben, weil alles was nach Zustimmung zur Kündigung aussehen könne, gelöscht werden müsse.

Bereits zuvor am 05.10.2018 habe sie dem Betriebsratsvorsitzenden einen Entwurf des Interessenausgleichs, die Anlage 3 SP Maßnahmenplanliste Stand 05.10.2018, Organigramm Stand 04.10.2018 und Organigramm mit geplantem Stand ab April 2019, Bedarf Maschinenführer Presswerk, Sozialplanentwurf, SP Bepunktung mit Organigrammverweis und Sozialauswahl und Abfindung, Kopie der Arbeitsstunden für Januar bis September 2018 übergeben und damit die Betriebsratsanhörung eingeleitet.

Die Kündigungen seien im Oktober 2018 nicht ausgesprochen worden, weil der Interessenausgleich zu diesem Zeitpunkt nicht unterzeichnet worden und die Verhandlungen noch nicht gescheitert gewesen seien.

Der Betriebsrat habe zudem aus den vorherigen Verhandlungen zum Abschluss eines Interessensausgleichs, insbesondere der Verhandlungen vom 22.10.2018, in welchem die Betriebsparteien Punkt für Punkt den Interessenausgleich, der dem vom 11.01.2019 entsprochen habe, durchgegangen seien, sowie aus den weiteren Verhandlungen vor der Agentur für Arbeit unter anderem am 07.11.2018 und 22.11.2018 über den Interessenausgleich und Sozialplan und die dortigen Informationen, Kenntnisse über die unternehmerische Entscheidung, den Arbeitswegfall, die betriebsbedingten Gründe für die Kündigung des klägerischen Arbeitsverhältnisses sowie die getroffene Sozialauswahl.

Damit hätten dem Betriebsrat ab dem 12.01.2019 alle Informationen zur beabsichtigten Kündigung des klägerischen Arbeitsverhältnisses vorgelegen.

Seit Beginn der Informationen und Verhandlungen habe sie erklärt, dass die Kündigungen so schnell als möglich ausgesprochen werden sollten. Bei den Terminen am 24.09.2018, 22.10.2018 und 22.11.2019 habe sie deutlich gemacht, dass man eigentlich im Oktober 2018 kündigen wollte, weil die Auslauflöhne sonst gegen den Sozialplantopf gerechnet werden müssten. Im Termin am 22.11.2018 habe sie gesagt, dass der Oktober ja vorbei sei, man aber hoffen würde, im Dezember 2018 mit dem Interessenausgleich fertig zu sein und kündigen zu können. Die schnelle Kündigungsabsicht sei auch in dem Verfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle über den Interessenausgleich wiederholt worden. Im Verhandlungstermin vor dem LAG Hamm habe sie die Hoffnung geäußert, dass die Betriebsratsseite es ermögliche, dass die Kündigungen noch im Dezember 2018 ausgesprochen werden könnten. Als dann endlich am 15.01.2019 erstmals die Einigungsstelle getagt habe, habe sie unter Hinweis auf die Dringlichkeit des Ausspruchs der Kündigungen darauf gedrungen, dass zuerst über den Interessenausgleich verhandelt werde. Sie habe deutlich gemacht, dass die Kündigungen nun aber im Januar 2019 erfolgen müssten, ein weiteres Zuwarten sei nicht möglich, aber ja man könne noch in den Folgetagen über einzelne Maßnahmen beraten. Es sei erklärt worden, dass die Kündigungen auch dann ausgesprochen würden, wenn die Verhandlungen über den Interessenausgleich und Sozialplan scheitern.

Sie vertritt die Rechtsansicht, der Arbeitgeber müsse keine "Glocke klingeln" und rufen, dass er nun eine Kündigungsanhörung mache, wenn jedenfalls aus den Umständen und der Gesamtschau erkennbar sei, dass eine Kündigungsanhörung laufe, weil dem Betriebsrat alle maßgeblichen Informationen vor lägen und ihm eine unbedingte Kündigungsabsicht mitgeteilt worden sei. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit gebiete es, bei Zweifeln nachzufragen, weshalb Missverständnisse nicht zu ihren Lasten gingen.

Es sei hier für den Betriebsrat unverkennbar gewesen, dass er nach § 102 BetrVG angehört worden sei.

Schon bei Einleitung der Beteiligungsverfahren habe sie durch Überreichen des ersten Entwurfs des Interessenausgleichs und der gleichzeitig ersten Vorlage der Gesamtpersonalliste mit allen Sozialdaten deutlich gemacht, dass sie sämtlich notwendigen Verfahren habe verbinden wollen.

Sie habe den Betriebsrat durch Übergabe des Interessenausgleichs gebeten, sein Einverständnis zur Kündigung des Klägers zu erklären indem sie ihn aufgefordert habe, den Interessenausgleich vom 11.01.2019, der eine Unterschriftzeile für den Betriebsrat vorgesehen habe und in Ziffer III.5 eine ausdrückliche Bestätigung zum Anhörungsverfahren enthalte, abzuschließen.

Die Beklagte vertritt ferner die Rechtsansicht, das Konsultationsverfahren sei vor Ausspruch der Kündigung durchgeführt und die Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG erstattet worden. Sie sei am 29.01.2019 morgens um 08:55 Uhr durch persönliche Übergabe der Originalunterlagen in der Geschäftsstelle der zuständigen Agentur für Arbeit abgegeben worden.

Sie behauptet, der Betriebsrat sei insbesondere mit Schreiben vom 02.11.2018, das zusätzlich mit "Unterrichtung nach § 17 KSchG" überschrieben gewesen sei, über die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel Beschäftigten, den Zeitraum in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollte, sowie die Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie die Berechnung etwaiger Abfindungen schriftlich informiert worden. In der Folgezeit hätten die Betriebsparteien über die beabsichtigten Entlassungen sowie einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt. Auch während dieser Verhandlungen sei der Betriebsrat entsprechend informiert worden. Wegen des weiteren Vortrags wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 12.04.2019 (Bl. 25 ff. d.A.), sowie vom 05.07.2019 (Bl. 171 ff. d.A.) Bezug genommen.

Einen Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs habe der Kläger nicht. Es sei versucht worden, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich abzuschließen. In der Einigungsstellenverhandlung am 24.01.2019 habe die Prozessbevollmächtigte der Beklagten ausdrücklich erklärt, dass dann wenn der Interessenausgleich nun nicht bis zum 29.01.2019 morgens um 10:00 Uhr unterschrieben vorläge, die Verhandlungen als gescheitert anzusehen seien. Sie habe unter Verweis darauf, dass ihr die Zeit davon laufe darauf aufmerksam gemacht, dass sie dann auch im Januar 2019 kündigen werde. Die eigentlich unterschriftsreife Fassung des Interessensausgleichs vom 24.01.2019 sei am 25.01.2019 an den Anwalt des Betriebsrats gesandt worden und habe am 28.01.2019, spätestens am 29.01.2019 unterzeichnet werden sollen. Am 28.01.2019 um 17.32 Uhr habe der Betriebsrat mitgeteilt, er habe noch keine Möglichkeit gehabt sich angemessen mit dem Interessenausgleich auseinander zu setzen. Nach weiteren Verhandlungen habe man dann am 28.01.2019 einen gemeinsamen Lösungsvorschlag gefunden, so dass man davon ausgegangen sei, der Betriebsrat werde bis zum Ablauf der gesetzten Frist am 29.01.2019 um 10:00 Uhr den Interessenausgleich unterzeichnen. Bis 10:00 Uhr sei gleichwohl keine Unterzeichnung erfolgt. Die Verhandlungen seien daraufhin von ihr für gescheitert erklärt worden.

Die Beklagte behauptet, der Interessenausgleich sei vor Ausspruch der Kündigung für gescheitert erklärt worden. Nach Ausspruch der Kündigung sei nur noch über den Sozialplan verhandelt worden.

Entgegen der Behauptung des Klägers sei die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht schlecht. Die Leiterin der Agentur für Arbeit, Frau M, habe erklärt, dass es reichlich Stellen auf dem Arbeitsmarkt gebe.

Sie vertritt die Ansicht, die Beklagte könne nicht zur Weiterbeschäftigung verpflichtet werden, jedenfalls sei die vorläufige Vollstreckbarkeit auszusetzen. Die Weiterbeschäftigung des Klägers führe zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung der Beklagten. Es sei gerichtsbekannt, dass es mehr als 170 Klageverfahren gebe. Gerichtsbekannt sei auch, dass mehr als 75 % der Aufträge und Umsätze der Beklagten durch den Entfall der W-Produktion weggefallen seien. Von einem Jahresumsatz noch im Jahr 2018 in Höhe von 100 Millionen Euro werde sie im Jahr 2019 wahrscheinlich nur einen Jahresumsatz von 19 Millionen Euro erreichen. Die gekündigten Arbeitnehmer seien inzwischen entweder durch Ablauf der Kündigungsfrist ausgeschieden, oder aber freigestellt denn es gebe keine Arbeit mehr für sie. Mangels Material könne sie keinen Arbeitnehmer in der W-Produktion beschäftigen. Mangels Arbeit könne sie den Kläger auch nicht an einem anderen, bereits besetzten Arbeitsplatz beschäftigen. Die Arbeiten seien nicht teilbar, zwei Menschen könnten nicht einen Knopf drücken, zwei Arbeiter nicht dieselben Handgriffe gleichzeitig an derselben Maschine machen. Sie könne den Kläger nur daneben setzen und zugucken lassen. Am 03.06.2019 habe der Wirtschaftsprüfer erklärt, dass die Beklagte Insolvenz anmelden müsse, wenn sie 100.000,00 Euro in den Sozialplan stecke. Vor diesem Hintergrund würde die Weiterbeschäftigung des Klägers nicht nur keinen Mehrwert für sie haben, sondern sie würde auch zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung führen. Die Gefahr einer Insolvenz sei schon bei einem weiter zu beschäftigenden Kläger sehr nah.

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Kammerverhandlung vom 16.07.2019 Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung dass die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2019 das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.07.2019 beendet hat. Die Beklagte ist hingegen nicht zur Weiterbeschäftigung verpflichtet.

1.

In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Der Kläger ist länger als 6 Monate gem. § 1 Abs. 1 KSchG bei der Beklagten, die ständig mehr als 10 Arbeitnehmer i.S.v. § 23 KSchG beschäftigt, tätig.

Ferner hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.02.2019, der am 19.02.2019 bei dem erkennenden Gericht einging innerhalb der 3-wöchigen Klagefrist gem. § 4 KSchG Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung erhoben.

2.

Es kann dahin stehen, ob die Kündigung sich als sozialwidrig erweist, denn jedenfalls hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht nachvollziehbar vorgetragen, dass sie den bei ihr gewählten Betriebsrat vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung ordnungsgemäß i.S.v. § 102 BetrVG angehört hat.

3.

Die Beklagte hat das Anhörungsverfahren nach Auffassung der erkennenden Kammer hinsichtlich der streitgegenständlichen Kündigung vom 29.01.2019 nicht gem. § 102 Abs. 1 BetrVG eingeleitet und damit auch nicht die Frist zur Stellungnahme des Betriebsrats von einer Woche i.S.v. § 102 Abs. 2 BetrVG in Gang gesetzt.

a) Gem. § 102 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder beabsichtigten Kündigung anzuhören. Die erforderliche Anhörung gliedert sich gem. § 102 Abs. 1 und 2 BetrVG in zwei aufeinanderfolgende Verfahrensabschnitte, die nach ihrem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat voneinander abzugrenzen sind (BAG, 07.12.1979 - 7 AZR 1063/77 - Juris; BAG 26.05.1977 - 2 AZR 135/76 - Juris). Zu den Aufgaben des Arbeitgebers gehört es, unter Beachtung der in § 102 Abs. 1 BetrVG umschriebenen Erfordernisse das Anhörungsverfahren einzuleiten. Da die Einleitung des Anhörungsverfahrens durch den Arbeitgeber den Zweck hat, den Betriebsrat zu einer Stellungnahme zu der beabsichtigten Kündigung binnen einer Woche zu veranlassen ist erforderlich, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Stellungnahme zu einer konkreten Kündigungsabsicht auffordert. Anderenfalls ist weder der Beginn des Anhörungsverfahrens und damit einhergehend das Ende des Anhörungsverfahrens durch Ablauf der Frist zur Stellungnahme eindeutig feststellbar. Eine ausdrückliche Aufforderung an den Betriebsrat, zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen, ist nur dann nicht erforderlich, wenn der Betriebsrat der Mitteilung des Arbeitgebers entnehmen kann, dass er damit den Zweck verfolgt, seiner Anhörungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu genügen (BAG 07.12.1979 - 7 AZR 1063/77 - Juris; BAG AP Nr. 2 zu § 102 BetrVG; BAG AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972). Wenn aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls die vom Arbeitgeber erklärte Kündigungsabsicht und auch die mitgeteilten Kündigungsgründe nicht ohne Weiteres als Einleitung des Anhörungsverfahrens aufgefasst werden können, muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat über die Mitteilung der Kündigungsabsicht und der Kündigungsgründe hinaus eindeutig zu erkennen geben, dass er das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG einleiten will (KR-Rinck, 12. Aufl. 2019, § 102 BetrVG Rn. 109). Unklarheiten bzw. Missverständnisse gehen zu Lasten des Arbeitgebers (vgl. LAG Düsseldorf, 01.08.1974 - 7 Sa 469/74 - DB 1974, 1917- 1918; LAG Hamm, 09.12.1976 - 8 Sa 1098/76 - DB 1977, 1515-1516; Däubler-Bachner, 16. Auflage 2018, § 102 BetrVG Rn. 55). Ein Anhörungsverfahren wird somit dann wirksam eingeleitet, wenn der Arbeitgeber einen Kündigungsentschluss fasst und diesen gegenüber dem Betriebsrat eindeutig zu erkennen gibt sowie seine Mitteilungspflichten gegenüber dem Betriebsrat erfüllt (BAG, 16.05.2002 - 8 AZR 319/01, Rn. 87 - Juris).

b) Eine ausdrückliche Aufforderung zur Stellungnahme zur Kündigung des Klägers ist unstreitig nicht erfolgt. Eine solche konkrete Aufforderung trägt auch die Beklagte nicht vor.

c) Auch eine konkludente Aufforderung zur Stellungnahme zur Kündigung des Klägers liegt nicht vor. Der Betriebsrat konnte an dem Verhalten der Beklagten zu keinem Zeitpunkt deutlich erkennen, dass und wann diese den Zweck verfolgte, ihrer Anhörungspflicht gem. § 102 Abs. 1 BetrVG zu genügen. Sie trägt vor, die Anhörung bereits am 05.10.2018 und durch Mitteilung von Änderungen am 22.10.2018 eingeleitet zu haben. Sodann will sie das Anhörungsverfahren am 12.01.2019 durch Einwurf des Entwurfs eines Interessenausgleichs am Abend des 11.01.2019 eingeleitet haben. Es kann insoweit dahin stehen, ob die Unterlagen am Abend des 11.01.2019 in den Briefkasten des Betriebsrats oder den Briefkasten der Schwerbehindertenvertretung eingeworfen wurden, denn jedenfalls hat die Beklagte, selbst wenn die Unterlagen in den richtigen Briefkasten gelangt sein sollten, hierdurch nicht hinreichend deutlich gemacht, dass jetzt die einwöchige Frist beginnen sollte, während der der Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung i.S.v. § 102 Abs. 2 BetrVG Stellung nehmen konnte. Schließlich will sie das Anhörungsverfahren am 15.01.2019 durch Mitteilung der unbedingten Kündigungsabsicht während der Einigungsstellenverhandlung eingeleitet haben. Wenn das Anhörungsverfahren nach eigener Einlassung der Beklagten über drei Monate andauerte - nämlich die gesamte Zeit in der die Betriebsparteien Verhandlungen über einen Interessenausgleich führten - hätte es ihrerseits der Mitteilung eines konkreten Zeitpunkts des Beginns der Frist zur Stellungnahme gem. § 102 Abs. 2 BetrVG bedurft. Denn der Betriebsrat hat nur dann die Möglichkeit von seinem Recht zur Stellungnahme bzw. von seinem Widerspruchsrecht - das vor dem Hintergrund des § 102 Abs. 5 BetrVG von besonderer Bedeutung ist - Gebrauch zu machen, wenn er auch weiß dass sich nunmehr die Kündigungsabsicht konkretisiert hat und er angehört wird. Wann dies bei dem über drei Monate andauernden Zeitraum der Fall gewesen ist, wäre dem Betriebsrat seitens der Beklagten unmissverständlich mitzuteilen gewesen um Klarheit über Beginn und Ende der Frist zur Stellungnahme zu gewährleisten.

Insoweit greift auch die seitens der Beklagten zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.04.2013 - 6 AZR 49/12 - Juris im vorliegenden Fall nicht. Dieser Entscheidung lag ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde. Dort wurde dem Betriebsrat deutlich mitgeteilt, dass er gem. § 102 Abs. 1 BetrVG zu einer Kündigung angehört wurde. Fraglich war lediglich ob die Anhörung zurückgewiesen werden konnte, weil sie durch einen Vertreter oder Boten erfolgt war und der Betriebsrat keine Gewissheit darüber hatte, ob tatsächlich eine Vertretungsmacht vorlag. Hier hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der Betriebsrat aufgrund des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit gehalten ist, insoweit nachzufragen. Der Unterschied zum vorliegenden Fall besteht jedoch darin, dass der dortige Betriebsrat wusste, dass er angehört wurde. Er hatte damit die Möglichkeit sich mit der Kündigungsabsicht auseinanderzusetzen, so dass dem Sinn und Zweck von § 102 Abs. 1 BetrVG Genüge getan ist. Genau dieser Sinn und Zweck kann hingegen nicht erfüllt werden, wenn der Betriebsrat nicht erkennen kann, dass er angehört wird. Er kann sich dann nicht mit der Kündigungsabsicht auseinander setzen. Zweifel darüber ob überhaupt eine Anhörung vorliegt, gehen aus diesem Grunde zu Lasten der Arbeitgeberin, somit der Beklagten.

Der Betriebsrat konnte auch dem beigefügten Begleitschreiben nicht entnehmen, dass die Beklagte nunmehr einen konkreten Kündigungsentschluss gefasst hatte und mit der Übergabe des Entwurfs des Interessenausgleichs den Zweck verfolgte, ihrer Anhörungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu genügen. Das Begleitschreiben enthält keinen Hinweis darauf, dass es sich um eine Anhörung zur Kündigung im Sinne von § 102 Abs. 1 BetrVG handeln sollte, sondern führt lediglich auf, welche Unterlagen überreicht worden sind. Aus welchen Umständen der Betriebsrat hier hätte erkennen können, dass er zur beabsichtigten Kündigung des Klägers angehört werden sollte, wurde seitens der Beklagten nicht vorgetragen. Insbesondere musste der Betriebsrat nicht aufgrund des Inhalts des Interessenausgleichs oder der Überschrift von mit überreichten Anlagen davon ausgehen, dass aktuell eine Anhörung zu einer Kündigung i.S.v. § 102 BetrVG erfolgen sollte. Der Zweck von § 102 Abs. 1 BetrVG besteht darin, den Betriebsrat zur Stellungnahme zu einer konkreten Kündigung zu veranlassen (vgl. BAG 26.05.1977 - 2 AZR 135/76 - Juris). Um diesen Sinn und Zweck der Norm zu wahren, muss für den Betriebsrat ohne Weiteres deutlich erkennbar sein, dass es sich um eine solche Anhörung handelt, denn der Normzweck würde unterlaufen, wenn der Betriebsrat gehalten wäre Nachforschungen anzustellen oder sämtliche Unterlagen erst dahingehend auszulegen, ob sich darin versteckte Hinweise finden, dass möglicherweise eine Anhörung im Sinne von § 102 BetrVG vorliegen soll.

Weiter muss die Beklagte sich auch entgegen halten lassen, dass sie jedenfalls im Rahmen der Durchführung des Konsultationsverfahrens mit Schreiben vom 02.11.2018 ausdrücklich gegenüber dem Betriebsrat erklärt hat, dass es sich um eine Unterrichtung nach § 17 KSchG für den Ausspruch von Kündigungen im November 2019 handeln sollte (vgl. Anlage BC1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 03.05.2019). Ihr waren daher offensichtlich ihre Verpflichtungen aus betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht bekannt, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb sie auf einen deutlichen Hinweis darauf, dass in der Überlassung des Entwurfs des Interessenausgleichs gleichzeitig eine Betriebsratsanhörung i.S.v. § 102 Abs. 1 BetrVG zu sehen sein sollte, verzichtet hat.

d) Entgegen der Ansicht der Beklagten hat eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung zudem nicht aufgrund der Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans in Zusammenhang mit der Übersendung der Entwürfe des Interessenausgleichs in der jeweiligen Fassung stattgefunden, auch wenn dem Betriebsrat durch die geführten Verhandlungen und die Übergabe diverser Unterlagen zweifelsohne der Kündigungssachverhalt und die Sozialdaten bekannt waren.

aa) Zwar kann das Verfahren nach § 102 BetrVG mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verbunden werden (BAG, 28.08.2003 - 2 AZR 377/02 - Juris; BAG, 20.05.1999 - 2 AZR 532/98 - Juris). Die Möglichkeit beide Verfahren miteinander zu verbinden, bedeutet jedoch nicht, dass in den Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich zugleich die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG zu den auszusprechenden Kündigungen zu sehen wäre (BAG, 20.05.1999 - 2 AZR 532/98 Rn. 11 - Juris). Nach ständiger Rechtsprechung des BAG, der sich die Kammer anschließt, unterliegt die Betriebsratsanhörung in solchen Fällen keinen erleichterten Anforderungen ( vgl. APS-Koch, 5. Aufl., § 102 BetrVG, Rdnr. 117a; BAG Urt. v. 18.01.2012, - 6 AZR 407/10-, juris, Rdnr. 33).

Zu beachten ist, dass die Verhandlungen in der Einigungsstelle zum Abschluss eines Interessenausgleichs nicht ohne Weiteres gleichzeitig Betriebsratsanhörung i.S.v. § 102 Abs. 1 BetrVG sind. Zwar beziehen sich der Interessenausgleich und die Betriebsratsanhörung auf dieselbe mitbestimmungspflichtige Angelegenheit und sind eng miteinander verwoben. Es handelt sich jedoch nicht um ein einheitliches Verfahren. Soweit die gegenüber dem Betriebsrat bestehenden Pflichten aus § 111 BetrVG mit denen aus § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG und § 102 Abs. 1 BetrVG übereinstimmen, kann der Arbeitgeber sie gleichzeitig erfüllen. Dass und welche Verfahren gleichzeitig durchgeführt werden sollen, muss dabei hinreichend klargestellt sein (BAG, 18.01.2012 - 6 AZR 407/10, Rn. 33, 34 ff.; BAG, 20.09.2012 - 6 AZR 155/11, Rn. 47). Der Betriebsrat muss klar erkennen können, dass die stattfindenden Beratungen auch der Erfüllung der Anhörungspflichten aus § 102 BetrVG dienen sollen (vgl. zur Konsultationspflicht BAG, 26.02.2015 - 2 AZR 955/13, Rn. 17 - juris).

Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Einigungsstellenverhandlung am 15.01.2019, in der unter anderem der Entwurf des Interessenausgleichs vom 11.01.2019 beraten wurde, als Anhörung gem. § 102 BetrVG deklariert hat. Vielmehr handelte es sich um einen Termin, zu dem erstmals die gerichtlich eingesetzte Einigungsstelle mit dem Zweck der Verhandlung über den Interessenausgleich und Sozialplan tagte. Für den Betriebsrat war somit eben nicht deutlich, dass die Beklagte die Einigungsstellenverhandlung und die hier geführten Gespräche über den Interessenausgleich gleichzeitig als Anhörungstermin i.S.v. § 102 BetrVG nutzen wollte.

bb) Die Einleitung des Anhörungsverfahrens unter Beachtung der in § 102 Abs. 1 BetrVG umschriebenen Erfordernisse ist Aufgabe des Arbeitgebers. Dazu ist - wie oben unter Ziffer I 3 a) der Entscheidungsgründe ausgeführt - stets erforderlich, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat um die Stellungnahme zu einer konkreten Kündigungsabsicht ersucht. Sollen deshalb Interessenausgleich und Betriebsratsanhörung miteinander verbunden werden, so ist dies schon bei der Einleitung des Beteiligungsverfahrens klarzustellen (BAG, 20.05.1999 - 2 AZR 532/98 Rn. 11 - Juris).

cc) Wenn die Verbindung der beiden Verfahren bereits bei der Einleitung der Betriebsratsanhörung klarzustellen ist, muss folglich zunächst einmal deutlich sein, dass das Beteiligungsverfahren mit der Folge des Fristbeginns nach § 102 Abs. 2 BetrVG und damit einhergehend der Bestimmbarkeit des Fristablaufs begonnen hat. Hierfür muss die Beklagte - wie unter Ziffer I, 3 d) der Entscheidungsgründe dargelegt - unmissverständlich darauf hinweisen, dass sie das Anhörungsverfahren einleiten und die Verhandlungen zum Interessenausgleich mit der Betriebsratsanhörung verbinden will. Dass sich in den Entwürfen des Interessenausgleichs, die die Beklagte dem Betriebsrat am 05.10.2018 und 11.01.2019 überreicht hat, unter Ziffer III 5. die Klausel findet, dass sie gegenüber dem Betriebsrat die Anhörungsverfahren zu den beabsichtigten Kündigungen am 05.10.2018 mit Korrekturen am 22.10.2018 und 11.01.2019 eingeleitet hat reicht hierfür nicht aus. Naheliegend war vielmehr, dass die Übergabe des Entwurfs des Interessenausgleichs zur Vorbereitung der am 15.01.2019 abgehaltenen Einigungsstellensitzung mit dem Verhandlungsgegenstand "Interessenausgleich" erfolgt ist, und nicht - wie die Beklagte nunmehr vertritt - der Bitte um Zustimmung zur Kündigung diente, weil darin unter anderem auch die Ziffer III, 5 enthalten war.

Einen Hinweis darauf, dass und wann konkret die Beklagte das Anhörungsverfahren tatsächlich eingeleitet hat, in dem sie nämlich eindeutig erkennen ließ, dass der Betriebsrat nunmehr zur konkreten Kündigungsabsicht Stellung nehmen sollte - eine generelle Kündigungsabsicht gab die Beklagte dem Betriebsrat schließlich seit Oktober 2018 bekannt - enthält die Klausel im Übrigen nicht. Die Beklagte führt in dieser Klausel gleich drei Daten, nämlich den 05.10.2018, 22.10.2018 und 11.01.2019 auf, zu denen sie die Betriebsratsanhörung eingeleitet haben will. Auch hieraus geht unabhängig davon, ob die Klausel in der Einigungsstelle mit dem Betriebsrat besprochen worden ist, nicht klar hervor, wann denn nun eigentlich die Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG zu laufen begonnen haben soll.

Daher konnte der Betriebsrat durch das Überreichen der Betriebsvereinbarung im Entwurf, und die Besprechung auch der Ziffer III. 5 anlässlich der Verhandlungen über den Abschluss des Interessenausgleichs, nicht ohne weiteren ausdrücklichen Hinweis erkennen, dass die Beklagte dies als Einleitung der Anhörung i.S.v. § 102 Abs. 1 BetrVG verstand und dass (bzw. wann) seine Frist zur Stellungnahme beginnen sollte.

Vielmehr handelt es sich um eine typische Klausel zur Betriebsratsanhörung in einem Interessenausgleich, auf den sich die Betriebsparteien einigen können um das Beteiligungsverfahren abzuschließen und deren Unterzeichnung sich die Beklagte wünschte. Eine derartige Einigung wurde von der Beklagten im Einigungsstellenverfahren angestrebt, und deshalb in den Entwurf des Interessenausgleichs aufgenommen. Sie ist im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht zustande gekommen, so dass der Betriebsrat folglich auch nicht bestätigt hat, dass das Anhörungsverfahren abgeschlossen ist. Darüber hinaus sollte eine derartige Erklärung seitens des Betriebsrats offensichtlich auch gerade nicht abgegeben werden, was daraus ersichtlich ist, dass die unterschriftsreife letzte Version des Interessenausgleichs vom 24.01.2019 (Anlage BC 20 zum Schriftsatz der Beklagten vom 12.04.2019) diese Klausel nicht mehr enthält und keinerlei Aussage zu einer Betriebsratsanhörung trifft.

e) Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass die Verhandlungen über den Interessenausgleich unstreitig über den 12.01.2019 und auch über den 15.01.2019 hinaus weiter fortgeführt wurden.

Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Anhörung nach § 102 BetrVG ist jedoch, dass sich die Information auf einen aktuellen Kündigungsentschluss beziehen muss (KR-Etzel Rn. 54 sowie Däubler-Bachner, Kommentar zum BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 102 BetrVG Rn. 61 Seite 2204). Stehen bei einer beabsichtigten Betriebsänderung noch Verhandlungen über einen Interessenausgleich gemäß § 112 BetrVG aus, steht typischerweise noch nicht fest, ob die beabsichtigte Maßnahme tatsächlich und zum genannten Datum durchgeführt wird (Däubler-Bachner a. a. O. Rn. 61). Deshalb liegt in der Überreichung einer Liste mit von beabsichtigten Kündigungen betroffenen Arbeitnehmern während der Verhandlungen über einen Interessenausgleich keine Mitteilung nach § 102 BetrVG vor (LAG Hamm Urteil vom 09.12.1976 in EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 26 sowie Däubler-Bachner a. a. O. § 102 Rn. 61 Seite 2205).

Hiervon ist erst recht auszugehen, wenn der Arbeitgeber wie im vorliegenden Fall - mehrfach zum Ausdruck bringt, die Kündigungen erst nach Abschluss des Interessenausgleichs aussprechen zu wollen. Diesen Eindruck hat die Beklagte dem Betriebsrat bei Betrachtung der weiteren Umstände des Einzelfalles vermittelt. So hat sie zunächst anlässlich der Verhandlungen zum Interessenausgleich und Sozialplan im Oktober 2018 erklärt, sie wünsche einen schnellen Abschluss der Betriebsvereinbarung um die Kündigungen noch im Oktober aussprechen zu können. Im Einigungsstellenverhandlungstermin am 22.11.2018 äußerte sie, sie hoffe noch im Dezember 2018 mit dem Interessenausgleich fertig zu sein, um kündigen zu können. Auch im Verhandlungstermin vor dem LAG Hamm hat sie nach ihrem eigenen Vortrag die Hoffnung geäußert, dass der Betriebsrat es ermögliche, dass die Kündigungen noch im Dezember 2018 ausgesprochen werden könnten. Im Einigungsstellenverhandlungstermin am 15.01.2019 äußerte sie unter Hinweis auf die Dringlichkeit des Ausspruchs der Kündigungen zunächst über den Interessenausgleich verhandeln zu wollen. Verständliches Motiv der Beklagten war insoweit, etwaigen Nachteilsausgleichsansprüchen der Arbeitnehmer aufgrund des Ausspruchs von Kündigungen ohne Interessenausgleich zu entgehen.

Am 24.01.2019 bzw. in den Folgetagen wurde der Entwurf des Interessenausgleichs schließlich noch geändert. Die Beklagte zeigte also ihrerseits noch Entgegenkommen und Verhandlungsbereitschaft, auch wenn sie in der Frage der auszusprechenden Kündigungen an sich hart blieb. Vergünstigungen bei der ins Auge gefassten Transfergesellschaft, aber auch das Zustimmungserfordernis des Betriebsrates für Folgekündigungen, letztlich aber auch die redaktionellen Änderungen, die jegliche

Hinweise auf eine etwaige Zustimmung durch den Betriebsrat, sind gewichtige Schritte, die zu einer veränderten Haltung des Betriebsrats hätten führen können. So hat dies die Beklagte selbst gesehen, da sie von erfolgversprechenden Verhandlungen ausging. Sie hoffte somit jedenfalls am 15.01.2019 nach wie vor, dass der Betriebsrat den Interessenausgleich unterzeichnen und damit gleichzeitig die ordnungsgemäße Durchführung des Anhörungsverfahrens im Interessenausgleich unter Ziffer 5 bestätigen werde. Sie vermittelte mithin den Eindruck, den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungen vom Abschluss des Interessenausgleichs abhängig zu machen. Der Betriebsrat musste daher bei Erhalt des Entwurfs des Interessenausgleichs vom 11.01.2019 nicht damit rechnen, dass losgelöst vom Abschluss des nach wie vor verhandelten Interessenausgleichs nunmehr gleichwohl Kündigungen ausgesprochen werden sollten. Hiervon musste er höchstens aufgrund der Äußerung es solle noch im Januar 2019 gekündigt werden, mit oder mit gescheitertem Interessenausgleich im Einigungsstellenverhandlungstermin am 15.01.2019 ausgehen. Warum er allein aufgrund dieser Äußerung anlässlich der Einigungsstellenverhandlung zum Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans nunmehr hätte wissen müssen, dass in dieser Äußerung eine Anhörung zu Kündigungen ohne Interessenausgleichs liegen sollte, während eigentlicher Sinn des Termins die Verhandlung über einen solchen war, erschließt sich nicht. Hierauf hätte aufgrund der Trennung der Verfahrensabschnitte nach Auffassung der Kammer aus Klarstellungsgründen deutlich hingewiesen werden müssen.

f) Schließlich ist eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 BetrVG zu einer Kündigung unabhängig vom Abschluss eines Interessenausgleichs auch durch die mündliche Erklärung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten anlässlich der Einigungsstellenverhandlung am 15.01.2019 nicht erfolgt. Auch wenn diese anlässlich der Einigungsstellenverhandlung erklärt haben sollte, dass die Kündigungen im Januar 2019 erfolgen würden, mit oder mit gescheitertem Interessenausgleich ist hierdurch das Anhörungsverfahren gem. § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden. Auch dieser Mitteilung lässt sich nicht entnehmen, dass die Beklagte damit den Zweck verfolgte ihrer Anhörungspflicht gem. § 102 Abs. 1 BetrVG zu genügen. Für den Betriebsrat war hierdurch aufgrund der Gesamtumstände noch immer nicht erkennbar, dass die Beklagte die Einigungsstellenverhandlung gleichzeitig als Betriebsratsanhörung zu Kündigungen außerhalb des Abschlusses eines Interessenausgleichs nutzen wollte. Er musste nicht davon ausgehen, dass es nicht nur um den Interessenausgleich und Sozialplan ging, sondern gleichzeitig durch etwaige Äußerungen der Beklagten ein Anhörungsverfahren eingeleitet werden sollte, denn die Beklagte äußerte schließlich seit Oktober gegenüber dem Betriebsrat, dass sie die Kündigungen dringend aussprechen wollte. Weshalb der Betriebsrat nun hätte erkennen können, dass es jetzt "Ernst" würde und er diese erneute Mitteilung anlässlich einer Einigungsstellenverhandlung nun als Einleitung der Anhörung verstehen sollte, erschließt sich nicht. Angesichts dieser Gesamtumstände hätte es an der Stelle nach Auffassung der erkennenden Kammer eines eindeutigen Hinweises durch die Beklagte bedurft.

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das gesamte Betriebsverfassungsrecht vom Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gem. § 2 Abs. 1 BetrVG geprägt ist. Die Zusammenarbeit ist so auszugestalten, dass bei den sich aus der Natur der Sache notwendig ergebenden Interessengegensätzen eine offene und ehrliche, am Gebot der Fairness orientierte Kommunikation stattfindet (BAG, 22.05.1956 - 1 ABR 2/59 - AP Nr. 3 zu § 23 BetrVG). Das schließt jegliche Schikane sowie mutwilliges und rechtsmissbräuchliches Verhalten aus. BAG, 03.10.1078 - 6 ABR 102/76 - AP Nr. 14 zu § 40 BetrVG 1972).

Eine nicht offenkundige sondern nur versteckte Einleitung einer Betriebsratsanhörung gem. § 102 BetrVG entspricht diesem Grundsatz nicht.

g) Im Übrigen scheint auch die Beklagte selbst sich nicht genau festlegen zu wollen, zu welchem Datum nun tatsächlich die Einleitung gem. § 102 Abs. 1 BetrVG erfolgt und die Frist gem. § 102 Abs. 2 BetrVG in Gang gesetzt wurde. Einerseits trägt sie vor, sie habe bereits am 05.10.2018 und mit Änderungen am 22.10.2018 und sodann am 11.01.2019 die Betriebsratsanhörung eingeleitet. Ferner soll das Verfahren am 15.01.2019 durch Mitteilung der Kündigungsabsicht eingeleitet worden sein. Hieran zeigt sich, dass selbst im Prozess kein konkreter Zeitpunkt des Fristbeginns erkennbar wird, so dass erst recht nicht davon auszugehen ist, dass der Betriebsrat diesen seinerzeit erkennen konnte. Wenn auch die Beklagten "nicht mit der Glocke klingeln" muss, so muss sie sich aber jedenfalls eindeutig verhalten und hinreichend deutlich den "Startschuss" zum Fristbeginn geben.

Die streitgegenständliche Kündigung ist mithin wegen des Verstoßes gegen § 102 BetrVG unwirksam.

4.

Da die Kündigung wie unter I. 3 der Entscheidungsgründe ausgeführt mangels ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung bereits unwirksam ist, kann dahin stehen, ob die Beklagte das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG ordnungsgemäß durchführt hat.

5.

Der auf Weiterbeschäftigung gerichteten Klageantrag zu 2. der auf der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 (BAG, 27.02.1985, - GS 1/84-, juris) beruht, hatte in dem hier zu entscheidenden Fall keinen Erfolg.

Der Große Senat des BAG hat in der o.g. Entscheidung ausgeführt, dass - außer im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung - regelmäßig aufgrund der Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers besteht. Ergeht jedoch ein die Unwirksamkeit einer Kündigung feststellendes Urteil, überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers, es sei denn, es liegen besondere, hiergegen sprechende Umstände vor. Diese können sich, da persönliche bzw. verhaltensbedingte Gründe auf Seiten der Arbeitnehmer vorliegend nicht in Betracht kommen, auch aus wirtschaftlichen Gründen oder der tatsächlich fehlenden Möglichkeit zu Beschäftigung ergeben (vgl. APS-Koch, 5. Aufl., § 102 BetrVG, Rdnr. 240; LAG Hamm, Urt. v. 02.03.2012, - 10 Sa 1086/11-, juris, Stahlhacke/Preis/Vossen, 11. Aufl., § 6, Rdnr. 2263).

So liegt der Fall hier, denn nach dem neuerlichen Sachvortrag der Beklagten liegen erhebliche wirtschaftliche Gründe vor.

Bereits der Große Senat hat in seiner Grundsatzentscheidung ausgeführt, dass das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung dann überwiegen müsste, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde. Schon die gesetzliche Regelung des Weiterbeschäftigungsanspruchs des gekündigten Arbeitnehmers in § 102 Abs. 5 BetrVG gebe dem Arbeitgeber unter dieser Voraussetzung die Möglichkeit, sich durch einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung entbinden zu lassen. Beim Vorliegen solcher zusätzlichen, ihn besonders belastenden Umstände könne der Arbeitgeber also trotz eines bereits ergangenen, wenn auch noch nicht rechtskräftigen gerichtlichen Urteils, das die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt, seine Verurteilung zur Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die weitere Dauer des Rechtsstreits abwenden (BAG 27.02.1985 aaO, juris, Rdnr. 97, 98).

Nach dem Verständnis der Kammer kann also die Wertung bzw. die zur Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht ergangene Rechtsprechung zu § 102 Abs. 5 BetrVG auch auf die Fragen zum allgemeinen Beschäftigungsanspruch erstreckt werden. Nur am Rande erwähnt sei, dass sich diese Fragen im Übrigen auch weitgehend mit denen im Rahmen des Ausschlusses der Vollstreckbarkeit nach § 62 ArbGG decken.

Es genügt hierbei nicht, dass der Arbeitgeber mit der Entgeltfortzahlung belastet ist. Die unzumutbare wirtschaftliche Belastung muss vielmehr darin liegen, dass für den Arbeitgeber unmöglich oder wirtschaftlich sinnlos ist, den Arbeitnehmer bei unveränderten Arbeitsbedingungen zu beschäftigen. Der Arbeitgeber muss in diesen Fällen zusätzlich darlegen, dass die wirtschaftliche Belastung durch die Weiterbeschäftigung so gravierend ist, dass dadurch die Ertragslage des Betriebs tangiert wird und Auswirkungen für die Liquidität oder Wettbewerbsfähigkeit des Arbeitgebers nicht von der Hand zu weisen sind. Dies ist der Fall, wenn z.B. die Gefahr drohenden Liquiditätsverlusts oder nachweisbare negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit gegeben sind oder die wirtschaftliche Existenz des Betriebs durch die Lohnfortzahlung in Frage gestellt ist. Machen mehrere Arbeitnehmer einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend, so ist bei der Feststellung der unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung auf die Gesamtzahl der Weiterzubeschäftigenden abzustellen und nicht lediglich auf die Belastung, die von dem konkreten Arbeitnehmer ausgehen, von dessen Weiterbeschäftigungspflicht sich der Arbeitgeber entbinden lassen will ( vgl. Richardi-Thüsing, BetrVG, 16. Aufl., § 102 BetrVG, Rdnr. 257; APS-Koch, 5. Aufl., § 102, Rdnr. 222; F/E/S/T/L,29. Aufl., § 102 BetrVG, Rdnr. 119 m.w.N.).

Die Beklagte hat nunmehr vorgetragen, dass die gekündigten Arbeitnehmer inzwischen entweder aufgrund der abgelaufenen Kündigungsfrist oder aber weil sie freigestellt sind tatsächlich nicht mehr beschäftigt werden. Beschäftigungsmöglichkeiten gebe es nicht mehr, sie müsste den Kläger neben einen anderen Mitarbeiter setzten. Sie hat weiter vorgetragen, dass aufgrund des Auftragsverlustes der Jahresumsatz von 100 Millionen Euro auf ca. 19 Millionen Euro zurückgegangen ist. Aufgrund dieser Situation habe der Wirtschaftsprüfer mitgeteilt, dass schon bei einer Einlage von 100.000,00 Euro in den Sozialplan Insolvenz angemeldet werden müsste.

Durch die zeitlichen Verzögerungen seit Oktober 2018 muss das Vermögen der Beklagten zur Finanzierung der auslaufenden Kündigungsfristen herhalten, daneben floss Geld in die eingerichtete Transfergesellschaft.

Durch das im Rahmen der Einigungsstelle eingeholte Gutachten ist ferner dargelegt worden, dass es der Beklagten aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist, Abfindungen zu zahlen, mithin auch Zahlungen nach Ablauf der jeweiligen Kündigungsfristen zu erbringen.

Aufgrund des erheblichen Umsatzverlustes von 100 Millionen Euro auf 19 Millionen Euro pro Jahr ist die wirtschaftliche Existenz der Beklagten ersichtlich in Frage gestellt.

Der Kläger hat diese wirtschaftliche Situation und Existenzbedrohung auch nicht bestritten. Mit dem von der Beklagten vorgetragenen Gutachten hat er sich nicht auseinandergesetzt.

Er benennt auch keinen neuen Kunden, Auftrag etc., mit dem er während seiner Kündigungsfrist wertschöpfend beschäftigt werden könnte. Außerdem behauptet er nicht einmal, dass die ungekündigten Kollegen die verbleibende Arbeit nicht ohne ihn hätten erledigen können.

Hinzu kommt, dass nach der Rechtsprechung des Großen Senats zur Beachtung des Persönlichkeitsrechts der einzelnen Arbeitnehmer eben die tatsächliche Arbeitsleistung abgerufen werden müsste. Die Beklagte wäre daher gezwungen, die Arbeitnehmer mit sinnvollen, den arbeitsvertraglichen Bedingungen entsprechenden Tätigkeiten zu beschäftigen und sie nicht nur neben einen anderen Arbeitnehmer zu setzen. Hierdurch würden über die reinen Lohnzahlungskosten hinaus weitere Kosten für Maschinen, Material etc. anfallen, die zur Verschärfung der wirtschaftlichen Situation führen würden.

Nach alledem war der Antrag auf Weiterbeschäftigung abzuweisen.

II.

Über den nur hilfsweise geltend gemachten Antrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs war aufgrund des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. nicht zu entscheiden.

III.

Über den Antrag der Beklagten auf Ausschließung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils war nicht zu entscheiden, da der Weiterbeschäftigungsantrag abgewiesen wurde und der Nachteilsausgleichsanspruch nicht zur Entscheidung anfiel.

Der Bestandsschutzantrag hat keinen vollstreckungsfähigen Inhalt.

IV.

1.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 92 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative ZPO. Die Kosten des Rechtsstreits sind im Hinblick auf das jeweilige Obsiegen der Parteien verhältnismäßig geteilt worden. Die Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrags (Ziffer 2 der Klageschrift) im Kammertermin am 16.07.2019 (vgl. Sitzungsprotokoll auf S. 1) hatte keine Auswirkungen auf die Kostenverteilung. Für den allgemeinen Feststellungsantrag, der ergänzend zum Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 KSchG gestellt wird, fällt ein besonderer Streitwert nicht an (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 03.02.2003 - 9 Ta 520/02 - NZA-RR 2003, 321, 322 unter II.2. der Gründe m.w.N.).

Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung umfasst diese den gesamten Wert aller geltend gemachten Streitgegenstände, also auch der nunmehr zurückgenommenen Anträge.

2.

Die im Urteil gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG zu treffende Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes ist nach § 42 Abs. 3 S. 1 GKG, § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i. V. m. §§ 3 ff. ZPO vorgenommen worden.

Die Höhe des festgesetzten Streitwertes entspricht einem Vierteljahresbezug für den Bestandsschutz sowie einem Monatsbruttoeinkommen für den Weiterbeschäftigungsantrag.

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