LG Braunschweig, Urteil vom 15.03.1952 - 1 K Ms 13/51
Titel
Remer-Prozess
Fundstelle
openJur 2019, 28125
  • Rkr:
Rubrum

IM NAMEN DES VOLKES!

In der Strafsache gegen

den Generalmajor a.D. Otto Ernst Remer, geboren am 18.8.1912 in Neubrandenburg, wohnhaft in Varel in Oldenburg, verheiratet

wegen übler Nachrede

hat die Dritte Strafkammer des Landgerichts Braunschweig auf Grund der Sitzungen vom 7., 8., 10. und 11. März 1952, an denen teilgenommen haben:

Landgerichtsdirektor Heppe als Vorsitzender,

Landgerichtsrat Hallermann,

Landgerichtsrat Tietz, als beisitzende Richter,

Mechaniker Robert Witzel, Denstorf,

Einrichter Rudolf Strauss, Braunschweig, als Schöffen,

Generalstaatsanwalt Dr. Bauer,

Staatsanwalt Herzog

als Beamte der Staatsanwaltschaft,

Justizassistent Bergmann

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

am 15. März 1952 für Recht erkannt:

Tenor

Der Angeklagte wird wegen übler Nachrede in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Gefängnisstrafe von

3 — drei — Monaten

verurteilt.

Den Verletzten, dem Bundesinnenminister Dr. Lehr, der Landesgerichtsrätin Marion Gräfin Yorck von Wartenburg, der Frau Annedore Leber, dem Referendar Uwe Jessen und dem cand. phil. Alexander von Hase wird die Befugnis zugesprochen, den erkennenden Teil des Urteils auf Kosten des Angeklagten innerhalb von 4 Wochen nach Mitteilung von der Rechtskraft des Urteils in den Tageszeitungen: "Die Welt", "Braunschweiger Zeitung" und "Braunschweiger Presse" je einmal bekannt zu machen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der den Nebenklägern erwachsenen Kosten trägt der Angeklagte.

Gründe

I. Persönliche Verhältnisse des Angeklagten

Der Angeklagte stammt aus Neubrandenburg in Mecklenburg. Er hat im September 1938 mit Marga von Blaese die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind 3 Kinder von jetzt 11, 4 und 2 Jahren hervorgegangen.

Nach Absolvierung des humanistischen Gymnasiums ist der Angeklagte im Jahre 1932 als Fahnenjunker bei dem Infanterie-Regiment Nr. 4 eingetreten. 1935 ist er Offizier geworden.

Während des Krieges hat er, abgesehen von einer etwa 1/4 Jahr dauernden Unterbrechung im Sommer 1944, die ihn als Kommandeur der in Berlin als Wacheinheit stationierten Teile des Regimentes "Groß-Deutschland" sah, stets an der Front gestanden.

In die Zeit seines Berliner Kommandos fiel der von Angehörigen des "Goerdeler-Kreises" und des "Kreisauer Kreises" am 20. Juli 1944 unternommene Versuch, die nationalsozialistische Herrschaft durch einen Staatsstreich zu beseitigen.

Der Angeklagte, der zunächst in Unkenntnis des geplanten Umsturzes die Befehle seines zu den Verschwörern gehörenden Vorgesetzten, des Generals von Hase, ausgeführt hatte, hat sich, nachdem er von Goebbels über den geplanten Umsturz ins Bild gesetzt worden war, nach einem Ferngespräch mit Hitler an der Niederschlagung des Umsturzversuches beteiligt, ohne dabei jedoch eine maßgebliche Rolle zu spielen.

Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 hat sich der Angeklagte zunächst als Maurer betätigt und ist zur Zeit 2. Vorsitzender der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP).

II. Die Vorgänge am 3. Mai in Braunschweig

Am 3. Mai 1951 hielt die SRP im "Schützenhaus" in Braunschweig aus Anlaß der bevorstehenden niedersächsischen Landtagswahl eine von etwa 1000 Personen besuchte öffentliche Wahlversammlung ab. Als Redner trat neben einem SRP-Funktionär namens Haas auch der Angeklagte auf. Nach Beendigung seiner Ausführungen, die sich im wesentlichen auf die politischen Ziele der SRP bezogen, meldete sich ein Diskussionsredner, der Zeuge Egon Schultz, zu Wort und forderte den Angeklagten auf, zu den Ereignissen vom 20. Juli 1944 Stellung zu nehmen. Schultz machte im Zuge seiner Ausführungen dem Angeklagten unter anderem zum Vorwurf, daß er sich durch sein Verhalten am 20. Juli 1944 mitschuldig an dem gemacht habe, was nach diesem Zeitpunkt noch über Deutschland hereingebrochen sei. In diesem Zusammenhang wies Schultz auf die Zerstörung Dresdens und Braunschweigs hin und schloß mit der Äußerung, daß ihm, Remer, doch die Schamröte ins Gesicht steigen müsse, wenn er an den 20. Juli 1944 denke.

Diese Ausführungen riefen unter der im Saal anwesenden Anhängerschaft des Angeklagten erhebliche Erregung hervor, die sich in starker Unruhe und lauten, zum Teil drohenden Zwischenrufen entlud. Der Angeklagte stellte sich jedoch schützendvor den Diskussionsredner und beschwichtigte die aufgebrachten Versammlungsteilnehmer durch die Erklärung, daß er selbst dem Diskussionsredner die gebührende Antwort erteilen werde.

Nachdem darauf wieder Ruhe eingetreten war, ergriff der Angeklagte zu einer längeren Entgegnung das Wort und führte unter anderem aus:

"Ich glaube, zum 500. Mal wird dieses Thema wieder aufs Tapet gebracht. Ich würde nicht heute auf der politischen Ebene stehen, wenn ich nicht heute 100 % von der Richtigkeit meiner Handlungsweise am 20. Juli 1944 überzeugt wäre. Ich würde in der gleichen Situation genau noch einmal dasselbe tun. Es ist notwendig, daß gerade am Problem des 20. Juli 1944 die Gemüter sich klären müssen. Es wird die Zeit kommen, in der 'man' oder 'mancher' — der genaue Wortlaut hat sich insoweit nicht klären lassen — schamhaft verschweigt, daß man zum 20. Juli 1944 gehört hat. Ich bin für meine Person weitaus bescheidener und nehme nur das kleine geschichtliche Verdienst in Anspruch, den an sich schon mißglückten Putsch für Berlin vereitelt zu haben. Sie können überzeugt sein, es gibt eine Reihe von sogenannten Widerstandskämpfern, die, als die Dinge schiefgingen, sich gegenseitig verrieten. Diese nehmen heute große Staatspensionen in Empfang. Wenn ich in Berlin nicht so gehandelt hätte, wäre allein schon der Putsch mit den Kräften des Ersatzherres blutig zusammengeschossen. Das hätte das Leben vieler unschuldiger deutscher Soldaten zur Folge gehabt. Das verhindert zu haben, rechne ich mir noch heute als Verdienst an. Wenn man schon bereit ist, Hochverrat zu begehen, dann bleibt die Frage offen, ob nicht in sehr vielen Fällen dieser Hochverrat gleich Landesverrat ist. Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Auslande bezahlt wurden. Sie können Gift darauf nehmen, diese Landesverräter werden eines Tages vor einem deutschen Gericht sich zu verantworten haben. Zweifellos wäre es zu einem Bürgerkrieg gekommen. Es steht weiter fest, daß der Russe durchgerückt wäre bis zur Westgrenze Deutschlands. Wäre der 20. Juli 1944 gelungen, wäre heute schon das deutsche Problem eindeutig im russischen Sinne gelöst worden. Das verhindert zu haben, rechne ich mir als Verdienst mit an. Wenn wir Frontsoldaten damals bereit waren, bis 5 Minuten nach 12 zu kämpfen und heute wieder angetreten sind zur Wiederherstellung des Deutschen Reiches, sind wir nur unserer inneren Linie treu geblieben."

Die vorstehend wiedergegebenen Ausführungen des Angeklagten beziehen sich ausnahmslos auf die Ereignisse des 20. Juli 1944 sowie auf die hinter dem Staatsstreich stehenden Männer, das heißt, auf die Angehörigen des "Goerdeler-Kreises" und des "Kreisauer Kreises", zu denen auch neben dem Bundesminister Dr. Lehr die verstorbenen Widerstandskämpfer General von Hase, Professor Dr. Jessen, Graf Yorck von Wartenburg und Dr. Julius Leber gehört haben. Insbesondere richtet sich der Satz: "Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Ausland bezahlt wurden" gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944.

In dem letztgenannten Satz der Diskussionsrede des Angeklagten liegt nicht nur das in der Bezeichnung "Landesverräter" enthaltene Werturteil über die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, sondern darüber hinaus, wie sich aus dem Zusammenhang der Ausführungen des Angeklagten eindeutig ergibt, dem Sinne nach auch die Behauptung der Tatsache, daß die Männer des 20. Juli 1944 zum Teil in starkem Maße Landesverrat verübt hätten und vom Ausland dafür bezahlt worden seien.

Diese von dem Angeklagten behauptete, jedes einzelne Mitglied des "Goerdeler-Kreises" und des "Kreisauer Kreises" in der Ehre kränkende und daher zum Strafantrag berechtigende Tatsache, ist nicht erweislich wahr. Ihre Verlautbarung war rechtswidrig.

Subjektiv hatte der Angeklagte den Willen, die Tatsachenbehauptung zur Kenntnis der Versammlungsteilnehmer zu bringen. Er hatte ferner das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit seiner Verlautbarung und war sich auch ihrer ehrenkränkenden Eigenschaft bewußt, und zwar mit der Erkenntnis der Beziehung auf die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 als eine festumrissene Personenmehrheit dergestalt, daß jedes einzelne Mitglied dieser Personenmehrheit in seiner Ehre gekränkt wurde. Schließlich wußte der Angeklagte auch, daß eine große Zahl der Männer des 20. Juli 1944 nicht mehr unter den Lebenden weilte, und daß die von ihm behauptete Tatsache als eine besonders verletzende und rohe Kundgebung der Mißachtung, eine Verunglimpfung des Andenkens der verstorbenen Widerstandskämpfer darstellte.

Diese tatsächlichen Feststellungen beruhen zum Teil auf der Einlassung des Angeklagten, im übrigen auf den beschworenen Aussagen der Zeugen Walter Wenzel, Margarethe Sievers, Erwin Miether, Martin Berkle, Emil Block, Gustav Espey, Karl Glorius, Hermann Dröge, Holm Schellmann, Bernhard Ackermann, Artur Riemann, Egon Schultz, Gerhard Albrecht sowie auf dem zum Gegenstand der Verhandlung gemachten und verlesenen, von der Zeugin Sievers gefertigten Auszug aus der Diskussionsrede des Angeklagten (Bl. 17 d. A.) und auf dem gleichfalls zum Gegenstand der Verhandlung gemachten und verlesenen Polizeibericht (Bl. 5 d. A.).

III. Beweiswürdigung

Nach Anklage und Eröffnungsbeschluß soll der Angeklagte die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 durch die nachstehend wiedergegebenen Sätze seiner Diskussionsrede im Sinne der üblen Nachrede beleidigt und dadurch zugleich das Andenken der verstorbenen Widerstandskämpfer verunglimpft haben. Die fraglichen Sätze lauten: "Es wird die Zeit kommen, in der man schamhaft verschweigt, daß man zum 20. Juli 1944 gehört hat. Wenn man schon bereit ist, Hochverrat zu begehen, dann bleibt die Frage offen, ob nicht in sehr vielen Fällen dieser Hochverrat gleich Landesverrat ist. Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Ausland bezahlt wurden."

Der Angeklagte hat in erster Linie geltend gemacht, daß der Bundesinnenminister Dr. Lehr nicht zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 gehöre und daher nicht verletzt und auch nicht antragsberechtigt sei.

Der Zeuge Professor Dr. Albrecht hat jedoch glaubhaft bekundet, daß die Zugehörigkeit des Bundesinnenministers Dr. Lehr zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 außer Zweifel stehe. Er selbst, so hat der Zeuge im einzelnen ausgesagt, sei im Laufe des Krieges des öfteren im Hause Dr. Lehrs mit Angehörigen des Goerdeler-Kreises zusammengetroffen. Bei diesen Zusammenkünften sei über die Beseitigung des Hitler-Regimes gesprochen worden. Außerdem habe er auch, gleichfalls in der Wohnung Dr. Lehrs, Gespräche mit Industriellen geführt, um deren Einstellung zu einem Staatsstreich zu sondieren.

Dr. Lehr habe ferner für Dr. Goerdeler, mit dem er des öfteren in Berlin im Hospiz am Anhalter Bahnhof zusammengetroffen sei, einen Verfassungsentwurf ausgearbeitet. Diesen Entwurf habe er auch in seiner, des Zeugen Gegenwart, Dr. Goerdeler überreicht. Wenn Dr. Lehr s. Z. nicht festgenommen worden sei, so offenbar nur deshalb, weil er auf Grund seiner Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus besonders vorsichtig gewesen sei.

Auf Grund dieser Aussage sieht die Strafkammer als erwiesen an, daß der Bundesinnenminister Dr. Lehr zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 gehört.

Zu seiner Diskussionsrede hat sich der Angeklagte dahin eingelassen, daß er erst nach Beendigung seiner Wahlrede, durch einen sehr scharfen von dem Diskussionsredner Schultz vorgetragenen Angriff veranlaßt, zum 20. Juli 1944 Stellung genommen habe.

Er habe dieses Thema mindestens 500mal in Versammlungen erörtert und kenne daher seine Formulierung genau. Da im übrigen genug Material über seine Stellungnahme zum 20. Juli 1944 existiere, sei es verwunderlich, daß gerade im vorliegenden Fall auf Grund nicht hieb- und stichfester Unterlagen Anklage erhoben worden sei. Der Polizeibericht greife lediglich einzelne Sätze heraus, zum Teil sogar nur Ausschnitte aus den Sätzen und lasse wesentliches vermissen. Die Anklage vollends stütze sich auf Satzteile aus dem unvollständigen Bericht und stelle sie in eine sinnentstellende innere Beziehung zueinander.

Ebenso handele es sich bei den aus dem Stenogramm übertragenen Aufzeichnungen der Zeugin Sievers lediglich um eine unvollständige Wiedergabe der Diskussionsrede. Gerade die zum Verständnis seiner Einstellung zum Problem des Hoch- und Landesverrates wichtigsten Sätze seien nicht aufgezeichnet worden. So werde denn durch die Aufzeichnungen der Zeugin Sievers wie auch durch den Polizeibericht ein verzeichnetes und somit auch unzutreffendes Bild entworfen, das nicht seiner Auffassung über Hoch- und Landesverrat entspreche.

Seine von jeher vertretene grundsätzliche Auffassung, von der abzuweichen er auch jetzt keine Veranlassung sehe, gehe dahin, daß er den aus politischer Überzeugung oder aus Gewissensnot den inneren Umsturz anstrebenden Widerstandskämpfern seine Achtung nicht versage. Das gelte auch für die Gegner des nationalsozialistischen Regimes und insbesondere für die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Alle diejenigen Widerstandskämpfer aber, die während des Krieges mit den Feinden in Verbindung gestanden hätten, lehne er jedoch aufs Entschiedenste als Landesverräter ab.

Dieser seiner grundsätzlichen Auffassung, so hat der Angeklagte weiter ausgeführt, habe er auch in der Diskussionsrede am 3. Mai 1951 Ausdruck verliehen. Dabei sei er so vorgegangen, daß er nach den einleitenden Worten über die Ereignisse des 20. Juli 1944 und seine eigene Rolle bei diesen Ereignissen die Widerstandsliteratur erwähnt und unter Hinweis darauf, daß bereits eine Anzahl der über den 20. Juli 1944 veröffentlichten Bücher und Broschüren nicht mehr im Handel sei, ausgeführt habe: "Es wird die Zeit kommen, in der mancher — nicht ,man‘ — verschweigt, daß er zum 20. Juli 1944 gehört hat. ‘ Damit habe er zum Ausdruck bringen wollen, daß mancher, der sich zunächst sehr voreilig über seine Beteiligung am 20. Juli 1944 publizistisch geäußert habe, nunmehr hinsichtlich seines Widerstandes sehr viel vorsichtiger geworden sei.

Nach weiteren Ausführungen zum 20. Juli 1944 sei er auf den Eid — insbesondere den Fahneneid — zu sprechen gekommen und habe dann eine Definition des Hoch- und Landesverrates gegeben. Daran anknüpfend sei er auf das Attentat vom 20. Juli 1944 eingegangen und habe ausgeführt, daß er den Männern des 20. Juli 1944, soweit sie den inneren Umsturz aus politischem Idealismus angestrebt hätten, Achtung zolle. Erst im Anschluß daran habe er geäußert, es bleibe aber die Frage offen, inwieweit, vor allem im Kriege, Hochverrat gleich Landesverrat sei.

Über den vom Ausland bezahlten Landesverrat habe er sich in dem Sinne geäußert, daß ohne Zweifel feststehe, daß in vielen Fällen Landesverrat verübt worden sei, daß aber diejenigen, die im Kriege mit dem Auslande Nachrichten ausgetauscht oder gar Bezahlung angenommen hätten, Landesverräter gewesen seien und sich eines Tages vor einem deutschen Gericht zu verantworten haben würden. Dabei habe er speziell an die Mitglieder der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" gedacht. Ob er diese Widerstandsgruppe in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich erwähnt habe, könne er allerdings mit Sicherheit nicht mehr sagen. Jedenfalls habe er die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, die im übrigen ganz allgemein gesehen nicht als eine fest-umrissene Personenmehrheit aufgefaßt werden könnten, nicht treffen wollen, soweit sie Mitglieder des engeren Kreises, d. h. des "Goerdeler-Kreises" und des "Kreisauer Kreises" seien. Eine nicht festumrissene und nicht einmal ab-grenzbare Personenmehrheit wie die der Widerstandskämpfer im allgemeinen sei aber nicht beleidigungsfähig im Sinne des Gesetzes, so daß die Strafbarkeit im Hinblick darauf, daß er nicht eine festumrissene Personenmehrheit angesprochen habe, entfalle.

1. Bezeichnung der Widerstandskämpfer als Hochverräter

Nach Ansicht der Strafkammer ist die Äußerung des Angeklagten: "Wenn man schon bereit ist, Hochverrat zu begehen ..." entsprechend der Vorstellung und dem Willen des Angeklagten als Tatsachenbehauptung in der Richtung aufzufassen, daß die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 Hochverrat begangen hätten.

Die Strafkammer ist jedoch der Einlassung des Angeklagten gefolgt, soweit er behauptet, er habe dem Satz: "Wenn man schon bereit ist, Hochverrat zu begehen, dann bleibt die Frage offen, ob nicht in sehr vielen Fällen Hochverrat gleich Landesverrat ist", weitere Ausführungen über den Hochverrat vorangestellt, in denen er die Hochverräter seiner Achtung versichert habe.

Diese Einlassung ist um so wahrscheinlicher, als der fragliche Satz in den Aufzeichnungen der Zeugin Sievers und ebenso in dem Polizeibericht mit dem voranstehenden Satz ganz offensichtlich keinen Zusammenhang auf weist. Demnach ist davon auszugehen, daß der Angeklagte weitere Ausführungen zum Thema Hochverrat gemacht hat. Welchen Inhalt diese Ausführungen gehabt haben, hat sich in der Hauptverhandlung nicht mit völliger Sicherheit klären lassen. Unter Berücksichtigung der Aussagen der Zeugen Wenzel, Dröge und Schellmann zu diesem Punkt ist jedoch die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß der Angeklagte zwischen "Hochverrätern" aus Gewissensnot und "Landesverrätern" unterschieden und gegen die Erstgenannten einen ehrenkränkenden Vorwurf nicht erhoben, sondern vielmehr erklärt hat, daß er Achtung vor ihnen habe.

Die Strafkammer hat sich daher nicht nur auf den Standpunkt gestellt, daß der Angeklagte längere grundsätzliche Ausführungen zu dem Thema Hochverrat gemacht hat, sondern hat zugunsten des Angeklagten auch unterstellt, daß diese Ausführungen den von ihm behaupteten Inhalt gehabt haben. Hat der Angeklagte aber ausdrücklich erklärt, daß er vor den aus ideellem Antrieb bzw. aus Gewissensnot handelnden Hochverrätern, insbesondere auch vor den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944, soweit sie nur den inneren Umsturz erstrebt hätten, Achtung habe, so ist ihm subjektiv das Bewußtsein von dem ehrenkränkenden Charakter seiner hier behandelten Äußerung nicht nachzuweisen. Ein Verstoß gegen die §§ 186, 189 StGB, und auch gegen § 185 StGB, ist daher insoweit zu verneinen, da sämtliche genannten Vorschriften auf der inneren Tatseite das Bewußtsein von der ehrenkränkenden Eigenschaft einer objektiv ehrbemakelnden Kundgebung fordern.

Eines Eingehens auf die Gutachten der Moraltheologen Professor Iwand, Professor Dr. Wolf und Professor Dr. Angermair sowie des Generalleutnants a.D. Friebe, die sich mit der Frage des Fahneneides sowie mit der Frage des "Tyrannenmordes" bzw. speziell mit dem Attentat auf Hitler befaßt haben, bedarf es nicht, weil die behandelten Probleme sich auf die vom Angeklagten nicht angezweifelte Berechtigung zum inneren Widerstand gegen das Hitler-Regime beziehen und zu dem weiter unten behandelten Widerstand durch Fühlungnahme mit dem Ausland keine Stellung nehmen. Da mithin das Problem der Bedeutung und Tragweite des Fahneneides sowie der Beurteilung des 20. Juli 1944 im Offizierskorps für die Urteilsfindung unerheblich ist, erübrigt sich die eventualiter von der Verteidigung zu diesen Problemen beantragte Vernehmung der sachverständigen Zeugen Generalfeldmarschall a.D. Manstein, Generalfeldmarschall a.D. Kesselring, Generaloberst a.D. Guderian, Pfarrer Siebert, Groß-Admiral a.D. Dönitz, General-Admiral a.D. Boehm, Admiral a.D. Assmann, General a.D. Wenk, General a.D. Ramke, General a.D. Sachsenheimer, General a.D. Hausser, Generalmajor a.D. Tolsdorf und Oberst a.D. Rudel. Ebenso bedurfte es auch nicht der Anhörung der eventualiter von der Staatsanwaltschaft zu den gleichen Fragen benannten Sachverständigen General a.D. Heusinger, General a.D. Hossbach, General a.D. Speidel. Schließlich war auch die im Hinblich auf die Gutachten der oben genannten Moraltheologen von der Verteidigung eventualiter beantragte Aussetzung der Verhandlung und die Anhörung des Herrn Johannes Fleischer als Sachverständiger zu den von den Moraltheologen behandelten Problemen nicht erforderlich.

2. Die Äußerungen des Angeklagten über den Landesverrat

Die Einlassung des Angeklagten zu seiner Äußerung: "Diese Verschwörer waren zum Teil in starkem Maße Landesverräter, die vom Ausland bezahlt wurden", ist nach Überzeugung der Strafkammer nicht zutreffend, sondern ist vielmehr lediglich als eine in den Rahmen der Verteidigung eingefügte Schutzbehauptung zu werten. Bei der Würdigung der Einlassung des Angeklagten kommt der Frage nach der Zielrichtung seiner Äußerung über die Landesverräter insofern besondere Bedeutung zu, als in der Tat, wie der Angeklagte zutreffend geltend gemacht hat, nur eine festumrissene Personenmehrheit in ihren einzelnen Mitgliedern, nicht aber eine nicht abgegrenzte oder abgrenzbare Mehrheit von Personen beleidigt werden kann.

Die oben festgestellten Sätze aus der Diskussionsrede des Angeklagten entsprechen mit 2 Einschränkungen der aus dem Stenogramm übertragenen Niederschrift der Zeugin Sievers. Diese Zeugin hat dazu bekundet, daß ihre Aufzeichnungen zwar nicht vollständig seien, daß sie aber alle ihr wichtig erscheinenden Sätze in der richtigen Reihenfolge wörtlich mitgeschrieben und bereits am nächsten Morgen auch fehlerlos übertragen habe. Ein Hörfehler könne allenfalls insoweit vorliegen, als der Angeklagte möglicherweise in dem Satz "Es wird die Zeit kommen, in der man schamhaft verschweigt..." anstelle von "man" mancher gesagt haben könne. An die von ihr nicht mitgeschriebenen Teile der Diskussionsrede könne sie sich nicht mehr erinnern.

Auf Grund dieser glaubhaften Aussage hat die Strafkammer festgestellt, daß der Angeklagte die in den Aufzeichnungen der Zeugin Sievers enthaltenen Sätze so gebracht hat, wie sie in dem Auszug (Bl. 17 d. A.) niedergelegt sind. Das gilt allerdings mit den oben bereits erwähnten Einschränkungen, deren eine sich auf die Frage nach der Formulierung "man" oder "mancher" bezieht, deren andere die Einfügung der Worte "zum Teil" in den Satz "diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen ..." zum Gegenstand hat.

Was die Worte "man" und "mancher" anbetrifft, so ist die Klärung dieser Frage für die Entscheidung unerheblich, so daß es der eventualiter von der Verteidigung beantragten Vernehmung des Zeugen Haas insoweit nicht bedurfte.

Hinsichtlich der zweiten Einschränkung hat die Strafkammer die für den Angeklagten günstigere Formulierung aus dem von den Zeugen Block, Miether, Espey und Berkle verfaßten Polizeibericht (Bl. 5 d. A.), der im übrigen fast wörtlich mit den Aufzeichnungen der Zeugin Sievers übereinstimmt, als von dem Angeklagten verwandt unterstellt. Demgemäß war davon auszugehen, daß der Angeklagte gesagt hat "diese Verschwörer waren zum Teil in starkem Maße Landesverräter...".

Über die Behauptung des Angeklagten, er habe seine Ausführungen allgemein auf die Widerstandskämpfer gemünzt und habe dabei eine klare Unterscheidung zwischen Hoch- und Landesverrätern getroffen, gibt weder der Bericht der Zeugin Sievers noch der Polizeibericht Aufschluß.

Die Frage, ob der Angeklagte neben den oben festgestellten, sich ausschließlich auf die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 beziehenden Äußerungen noch weitere Ausführungen über Widerstandskämpfer im allgemeinen gebracht hat, konnte mit eindeutiger Sicherheit nicht geklärt werden. Ebenso ist demzufolge nicht geklärt worden, ob der Angeklagte hinsichtlich der Widerstandskämpfer im allgemeinen eine klare Unterscheidung zwischen Hoch- und Landesverrätern gemacht hat.

Die Strafkammer hielt die Klärung beider Fragen für unerheblich, da diesen Fragen keinerlei Bedeutung für die Entscheidung beizumessen ist, und zwar deshalb nicht, weil unbeschadet etwaiger weiterer Ausführungen des Angeklagten über die Widerstandskämpfer im allgemeinen jedenfalls feststeht, daß sich die oben festgestellten Äußerungen auf die "Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, d. h. auf eine, wie weiter unten noch dargelegt werden wird, festumrissene Personenmehrheit bezogen haben.

Daß dem aber so gewesen ist, hat die Strafkammer auf Grund der glaubhaften Aussagen der Zeugen Wenzel, Sievers, Block, Miether und Espey festgestellt.

Die Zeugen Block, Miether und Espey haben als überwachende Polizeibeamte an der Versammlung am 3. Mai 1951 teilgenommen. Sie haben übereinstimmend bekundet, daß sich die Äußerungen des Angeklagten: "Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Ausland bezahlt wurden", eindeutig auf die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 bezogen habe.

Die Zeugen Wenzel und Sievers haben sich zwar nicht mit der gleichen Bestimmtheit wie die Zeugen Block, Miether und Espey geäußert, haben aber dennoch übereinstimmend ausgesagt, daß sie die Äußerung des Angeklagten: "Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Ausland bezahlt wurden", auf die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 bezogen hätten. Diese-Auffassung der Zeugen hat denn auch in der von em Zeugen Wenzel überreichten Pressenotiz, die nach seiner Bekundung auf -von ihm in der DPA-Zentrale eingereichten Bericht beruht, unmißverständlich ihren Niederschlag gefunden. Wäre der Zeuge Wenzel nicht der estimmten, auch in der Hauptverhandlung von ihm wiedergegebenen Auf-assung ü er die Zielrichtung der Äußerung des Angeklagten gewesen, so wurde er zweifellos die doch immerhin politisch wichtige Meldung nicht so abgefaßt haben, wie er es nach seiner Bekundung tatsächlich getan hat und wie es auch die überreichte Pressenotiz ersehen läßt.

Wenn die Zeugen Wenzel und Sievers im übrigen in der Hauptverhandlung lediglich ihren subjektiven Eindruck wiedergegeben haben, so nach Ansicht der Strafkammer deshalb, weil sie im Bewußtsein des Umstandes, daß der Angeklagte noch weitere, infolge langen Zeitablaufes nicht mehr in ihrem Gedächtnis haftende Ausführungen gemacht hat, diese Ausführungen in Rechnung gestellt und sich dadurch zu besonders vorsichtiger Gestaltung ihrer Aussage veranlaßt gesehen haben.

Erfahren mithin die Aussagen der Zeugen Block, Miether und Espey durch die Bekundung der Zeugen Wenzel und Sievers eine wesentliche Bestätigung, so läßt darüber hinaus auch die von dem Angeklagten gewählte Formulierung einen Schluß auf die Zielrichtung seiner sich auf die "Landesverräter" beziehenden Ausführungen zu. Der Satz "Diese Verschwörer waren zum Teil Landesverräter, die vom Ausland bezahlt wurden", knüpft nach Überzeugung der Strafkammer offensichtlich an den voranstehenden, sich unstreitig auf die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 beziehenden Satz an: "Wenn man schon bereit ist, Hochverrat zu begehen, dann bleibt die Frage offen, ob nicht in sehr vielen Fällen dieser Hochverrat gleich Landesverrat ist." Das Wort "diese" weist eindeutig auf die im vorhergehenden Satz erwähnten Hochverräter hin und stellt die Verbindung zu der damit in erkennbarem gedanklichen Zusammenhang stehenden Äußerung dar, daß die Hochverräter zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen seien.

Da außerdem der Angeklagte von dem Zeugen Schultz unmißverständlich auf die Ereignisse des 20. Juli 1944 angesprochen worden war, ist auch kein Anlaß ersichtlich, der ihn veranlaßt haben sollte, von dem klar umrissenen Thema abzuweichen. Daß der Angeklagte auch gerade dem 20. Juli 1944 besondere Bedeutung im Rahmen seiner Ausführungen beigemessen hat, ergibt sich eindeutig aus seiner Äußerung, daß sich die Gemüter am 20. Juli 1944 klären müßten. Welche Frage aber bedurfte überhaupt einer Klärung, wenn nicht die der inneren Einstellung zu dem Verhalten der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944!

Schließlich liegt aber auch die Bezeichnung eines Teiles der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 als Landesverräter durchaus auf der Linie, die der Angeklagte vertritt. Nach der von ihm dargelegten grundsätzlichen Einstellung lehnt er alle Widerstandskämpfer als Landesverräter ab, die während des Krieges mit dem Feinde in Verbindung gestanden haben. Nun haben aber, wie auch dem Angeklagten als Kenner der Widerstandsliteratur nicht verborgen geblieben sein kann, mehrere Mitglieder des "Goerdeler-Kreises" und des "Kreisauer Kreises" mit dem feindlichen Ausland Verbindung gehabt. Diese Männer haben also nach der grundsätzlichen Auffassung des Angeklagten "Landesverrat" begangen.

Da sich der Angeklagte aber in seiner Diskussionsrede mit den Problemen des 20. Juli 1944 auseinandergesetzt und auch ausdrücklich erklärt hat, daß die Gemüter sich am Problem des 20. Juli 1944 klären müßten, liegt hier kein Grund ror, der ihn von der Wertung des Verhaltens der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 abgehalten haben könnte. Diese Wertung war auch im Sinne der "Klärung der Gemüter" besonders wichtig und ist von dem Angeklagten nach Überzeugung der Strafkammer seiner grundsätzlichen Einstellung entsprechend dem Sinne nach dahingehend vorgenommen worden, daß die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 zum Teil Hochverrat, zum Teil aber vom Ausland bezahlten Landesverrat begangen hätten.

Demgegenüber kann der Bekundung des Zeugen Schellmann entscheidender Beweiswert nicht beigemessen werden. Der Zeuge Schellmann hat zwar bekundet, daß der Angeklagte nach einem Eingehen auf die Widerstandsliteratur allgemein von Widerstandskämpfern gesprochen und dann den Satz: »Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Ausland bezahlt wurden" angeknüpfl habe. Das erscheint jedoch im Hinblick auf den oben erörterten Zusammenhang dieses Satzes mit dem vorhergehenden Satz sowie im Hinblick auf die gleichfalls erörterte Formulierung an sich schon nicht glaubhaft, ganz abgesehen von den bestimmten gegenteiligen Aussagen der Zeugen Miether, Block und Espey. Der Zeuge Schellmann hat denn auch eingeräumt, daß er unmittelbar an dem Ausgang des verhältnismäßig großen Saales stehend, infolge der im Saal herrschenden Unruhe möglicherweise einem Mißverständnis zum Opfer gefallen sein könne. Im übrigen deutet auch seine Bekundung, der Angeklagte habe von dem Landesverrat erst ganz am Ende seiner Ausführungen gesprochen, und zwar so prononciert, daß er, der Zeuge, sofort an die "Rote Kapelle" gedacht habe, darauf hin, daß sich das Erinnerungsbild des Zeugen verschoben hat und daß er die auf die Männer des 20. Juli 1944 bezüglichen Ausführungen mit möglicherweise am Ende der Rede stehenden Ausführungen allgemeiner Art über die Widerstandskämpfer zusammenzieht. Denn nach den auch insoweit mit dem Polizeibericht übereinstimmenden Aufzeichnungen der Zeugin Sievers steht fest, daß die hier behandelte Äußerung des Angeklagten keineswegs am Ende der Diskussionsrede gestanden hat, sondern vielmehr von Ausführungen, die sich eindeutig auf den 20. Juli 1944 bezogen, eingerahmt war.

Von den übrigen Tatzeugen hat außer den Zeugen Glorius und Dröge keiner Bekundungen in der Richtung gemacht, daß der Angeklagte über die Widerstandskämpfer schlechthin gesprochen habe. Die vorstehend genannten Zeugen meinen sich zu erinnern, daß der Angeklagte ganz allgemein gesagt habe, ein Teil der Hochverräter habe mit dem Ausland bzw. mit dem Feind in Beziehung gestanden und dadurch Landesverrat begangen. Außerdem haben die Zeugen auch der Auffassung Ausdruck verliehen, daß der Angeklagte in diesem Zusammenhang von der "Roten Kapelle" gesprochen habe. Die Strafkammer steht jedoch auf dem Standpunkt, daß diese Aussagen nicht geeignet sind, den Angeklagten wirksam zu entlasten. Daß der Angeklagte möglicherweise auch über die Widerstandskämpfer im allgemeinen gesprochen hat, schließt, wie schon dargelegt, nicht aus, daß er die beleidigende Äußerung speziell gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 gerichtet hat. Da die Zeugen außerdem eingeräumt haben, daß sie sehr viele Versammlungen des Angeklagten besucht hätten, muß bei ihnen auch die Möglichkeit einer durch Verwechslung bedingten Erinnerungstäuschung in Rechnung gestellt werden.

Die Strafkammer sieht demnach auf Grund des Beweisergebnisses als erwiesen an, daß der Angeklagte die Äußerung: "Diese Männer waren zum Teil in starkem Maße Landesverräter, die vom Ausland bezahlt wurden", ausschließlich auf die Männer des 20. Juli 1944 bezogen hat und sie auch so von seinen Zuhörern bezogen wissen wollte.

Die Verteidigung hat nun noch folgende Beweisanträge eventualiter gestellt, auf die einzugehen sich die Strafkammer aus den jeweils bei den einzelnen Beweisanträgen angegebenen Gründen nicht veranlaßt gesehen hat.

1. Vernehmung des Grafen Westarp als Zeuge darüber, daß er dem Zeugen Dr. John gegenüber die Auffassung der SRP und Remers über Hoch-und Landesverrat dargelegt habe, und zwar vor dem 3. Mai 1951 und in dem Sinne, daß dem Hochverräter, der aus nationaler Einstellung gehandelt und keine Verbindung zum Feinde gehabt habe, die Hochachtung nicht versagt werden solle. Daß dies aber anders sei bei solchen Widerstandskämpfern, die in Verbindung mit dem Feinde gestanden hätten, und die Landesverräter seien.

Diese in das Wissen des Zeugen Westarp gestellte Tatsache hat die Strafkammer als wahr unterstellt.

2. Vernehmung der Herren Bollbrinker, Pfarrer Siebert, Dr. Hagen und Brecht als Zeugen dafür, daß der Angeklagte durch sein Verhalten in Berlin Blutvergießen verhindert habe.

Die hier behauptete Tatsache ist, da das Verhalten des Angeklagten am 20. Juli 1944 nicht Gegenstand des Verfahrens bildet, als für die Entscheidung unerheblich angesehen worden.

3. Vernehmung der Herren Dr. Ertel, Georgi, Heinz, Siebert, Hagen, Bock, Schlee, Massenbach, Zeidler als Zeugen dafür, daß der Angeklagte nie zum Verschwörerkreis gehört habe und nie am 20. Juli 1944 "umgefallen" sei.

Diese Tatsache ist als wahr unterstellt worden.

4. Vernehmung des Generalrichters a.D. Röder, des Oberreichsanwalts a.D. Lautz und die Vernehmung von Huppenkoten, John, Sonderegger sowie die Beiziehung der Akten gegen Huppenkoten und Röder zum Nachweis dafür, daß ein Teil der Widerstandskämpfer Landesverräter gewesen sei.

Die Strafkammer hat zu diesem Beweisantrag in Übereinstimmung mit den weiter unten stehenden Darlegungen als wahr unterstellt, daß ein Teil der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 Handlngen begangen hat, die dem äußeren Tatbestand des Landesverrates entsprechen. Die Frage, ob diese Handlungen den Tatbestand des Landesverrates tatsächlich erfüllen, ist aber als reine Rechtsfrage der Beurteilung der Zeugen entzogen und muß der Entscheidung der erkennenden Strafkammer Vorbehalten bleiben. Ebenso können auch die Akten gegen Huppenkoten und Generalrichter a.D. Röder lediglich über die bereits als wahr unterstellten Handlungen der Widerstandskämpfer Aufschluß geben. An eine etwaige rechtliche Würdigung dieser Handlungen durch die s.Z. erkennenden Gerichte wäre die Strafkammer nicht gebunden.

5. Vernehmung des Herrn Haas zum Beweis dafür, daß der Angeklagte in der Versammlung am 3.5.1951 eine klare Unterscheidung zwischen Hoch- und Landesverrätern bei den Widerstandskämpfern allgemein und auch bei den am 20. Juli 1944 Beteiligten gemacht habe, und daß nur diejenigen, die Landesverrat verübt hätten, zur Verantwortung vor ein deutsches Gericht gezogen werden sollten. Daß ferner der Angeklagte in seiner Rede zunächst auf Veröffentlichungen und Broschüren hingewiesen habe, die jetzt zum Teil nicht mehr erschienen oder aus dem Verkehr gezogen seien, und daran angeschlossen habe, "es wird die Zeit kommen, in der mancher schamhaft verschweigt, daß er zum 20. Juli 1944 gehört hat".

Der Umstand, daß der Angeklagte in der Versammlung am 3. Mai 1951 eine klare Unterscheidung zwischen Hoch- und Landesverrätern u. U. auch bei den Widerstandskämpfern allgemein gemacht hat, ist für die Entscheidung unerheblich, da die im Bericht der Zeugin Sievers aufgezeichneten Ausführungen des Angeklagten eindeutig als auf die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 bezüglich festgestellt worden sind und die außerhalb der aufgezeichneten Ausführungen liegenden Erklärungen des Angeklagten nicht Gegenstand des Verfahrens sind.

Daß der Angeklagte hinsichtlich der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 zwischen Hoch- und Landesverrätern klar unterschieden hat, entspricht den Feststellungen der Strafkammer. Als wahr wird unterstellt, daß der Angeklagte nur diejenigen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 vor ein Gericht gezogen wissen will, die nach seiner Auffassung Landesverrat begangen haben.

6. Vernehmung des Amtsgerichtsrats Schütte zum Nachweis dafür, daß der Angeklagte bei seiner gerichtlichen Vernehmung nicht auf die Einzelheiten der dpa-Meldung hingewiesen und auch nicht aufgefordert sei, zu den einzelnen Formulierungen Stellung zu nehmen.

Diese Tatsachenbehauptung ist für die Entscheidung unerheblich, da die Entscheidung nicht auf dem Vernehmungsprotokoll des Amtsgerichts in Varel beruht.

IV. Rechtliche Würdigung

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, daß er die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 durch die Äußerung: "Diese Verschwörer sind z. T. in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Auslande bezahlt wurden", in ihrer Ehre gekränkt und dadurch gegen die §§ 186, 189, 73 StGB, § 1 der VO vom 8.12.1931 (RGBl. I, 742), und die §§ 187a, 2a StGB, verstoßen habe.

Strafanträge sind gestellt worden, und zwar form- und fristgerecht von

1. dem Bundesinnenminister Dr. Robert Lehr

2. der Landgerichtsrätin Gräfin Yorck von Wartenberg

3. der Witwe Annedore Leber

4. dem Gerichtsreferendar Uwe Jessen

5. dem cand. phil. Alexander von Hase.

Die unter Ziffer 2—5 genannten Antragsteller sind als Hinterbliebene verstorbener Widerstandskämpfer antragsberechtigt im Sinne des § 189 Abs. 2 StGB. Die unter Ziffer 4 und 5 aufgeführten Antragsteller sind auf ihren Antrag durch Beschluß des erkennenden Gerichts als Nebenkläger zugelassen worden.

Wie bereits oben festgestellt, richtete sich die den Gegenstand des Verfahrens bildende Äußerung gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, also gegen eine Personenmehrheit.

Nun ist allerdings, abgesehen von den gesetzlichen, hier nicht vorliegenden Ausnahmen der §§ 196, 197 StGB, grundsätzlich nur eine Beleidigung von wirklichen, nicht aber von fingierten Personen, also nicht eine Beleidigung von juristischen Personen oder Personenmehrheiten als solchen denkbar. Eine Beleidigung, die sich äußerlich gegen eine Personenmehrheit richtet, kann jedoch, auch ohne daß der einzelne genannt ist, sämtliche zu der Gesamtheit gehörenden Einzelpersonen treffen. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die beleidigende Äußerung nach der Vorstellung des Beleidigers alle Mitglieder eines fest abgegrenzten oder doch zumindest bestimmt abgrenzbaren Personenkreises derartig kennzeichnet, daß auf sie der Verdacht unehrenhaften Verhaltens fällt. (RGSt. 52 160; 68, 120; 73, 67, Leipz. Kommentar 1951 Bd. 2 S. 136; Mühlmann-Bommel StGB. 1949 Seite 422.) Dabei ist es dann unwesentlich, ob der Beleidiger die unter die Sammelbezeichnung fallenden Personen nach Person, Name oder Zahl kennt. (RGSt. u. A. in 31,185; Mühlmann-Bommel a. a. O.)

Im vorliegenden Falle richtet sich die Äußerung des Angeklagten gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, mithin gegen eine im Gegensatz zu der Behauptung des Angeklagten durch den Goerdeler-Kreis und den Kreisauer Kreis festumrissene Personengruppe, die im Bewußtsein der Allgemeinheit durchaus abgegrenzt ist. Im Hinblick auf die von dem Angeklagten gewählte einschränkende Formulierung, "Diese Verschwörer sind zum Teil.. könnte nun allerdings der Gedanke aufkommen, daß nur ein Teil der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 betroffen und die Ehre der übrigen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 nicht unmittelbar berührt würde. Dennoch richtet sich aber die Äußerung des Angeklagten gegen sämtliche Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, weil durch den Ausspruch des Angeklagten der Verdacht der Verübung bezahlten Landesverrats auf jeden von ihnen fallen muß. (RGSt. 66, 128.)

Die Strafkammer vertritt, wie gleichfalls schon oben festgestellt, auch den Standpunkt, daß in der hier behandelten Äußerung des Angeklagten die Behauptung einer Tatsache im Sinne des § 186 StGB, zu erblicken ist. Wenn auch der Begriff der Tatsache etwas Geschehenes oder etwas Bestehendes voraussetzt, das zur Erscheinung gelangt und in die Wirklichkeit getreten und somit dem Beweis zugänglich ist, so können dennoch auch innere Vorgänge und Zustände unter den Begriff Tatsache fallen, sofern sie zu bestimmten äußeren Geschehnissen in Beziehung gesetzt werden, durch die sie in das Gebiet der wahrnehmbaren äußeren Welt getreten sind. Rechtsirrig wäre es jedenfalls, wenn ein abfälliges Werturteil, das zu bestimmten, die Ehre berührenden Tatsachen in erkennbare Beziehung gesetzt ist, der Anwendung des § 186 StGB, entzogen würde. (So RGSt. u. A. in 64, 10; Mühlmann-Bommel S. 428.)

Eine derartige Beziehung der an sich ein Werturteil enthaltenen Bezeichnung "Landesverräter" zu einer Tatsachenbehauptung tritt deutlich erkennbar durch den Relativsatz: "Die vom Ausland bezahlt wurden" zutage. Davon abgesehen, ist die Strafkammer aber auch der Auffassung, daß es dem Angeklagten in erster Linie nicht darauf ankam, ein Werturteil zu fällen, sondern vielmehr darauf, zum Ausdruck zu bringen, daß die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 zum Teil Landesverrat verübt hätten. Das folgert die Strafkammer einmal aus dem mit der Bezeichnung "Landesverräter" im Zusammenhang stehenden schon genannten Relativsatz. Denn die Behauptung, daß die Widerstandskämpfer vom Ausland bezahlt worden seien, kann nur so verstanden werden, daß die Widerstandskämpfer für den verübten Landesverrat Geld vom Ausland bekommen hätten. Wenn nicht für verübten Landesverrat, wofür sonst sollten wohl die Widerstandskämpfer Auslandsgelder bekommen haben. Zum anderen ergibt aber auch die Ankündigung, daß sich die Landesverräter eines Tages vor einem deutschen Gericht zu verantworten haben würden, eindeutig, daß der Angeklagte den Widerstandskämpfern die Verübung schimpflichen Landesverrates ansinnen wollte.

Somit hat der Angeklagte durch die Verlautbarung der inkriminierten Äußerung insgesamt eine Tatsache behauptet. Daß diese Tatsache geeignet ist, die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 verächtlich zu machen, also ehrenkränkenden Charakter hatte, bedarf im Hinblick darauf, daß der bezahlte Landesverrat nach der in der Allgemeinheit aller Ehrliebenden wurzelnden Überzeugung wohl die schimpflichste Straftat darstellt, keiner weiteren Darlegung.

Die Äußerung des Angeklagten war auch objektiv rechtswidrig. Denn für den Vollbestand der Ehre und darum auch des Achtungsanspruches streitet eine gesetzliche, wenn auch wie weiter unten dargelegt werden wird — widerlegbare Vermutung. Grundsätzlich stehen die Rechtsgenossen unter dem Rechtsbefehl, sich jeder Äußerung der Nichtachtung eines anderen so lange zu enthalten, als nicht die behauptete Ehreinbüßung bewiesen werden kann. (RGBl. 2, 481: Leipziger Kommentar S. 139.)

§ 186 StGB, setzt demnach weiter voraus, daß die behauptete ehrenkränkende Tatsache nicht erweislich wahr ist, und zwar mit der Folge, daß die Erweislichkeit der behaupteten Tatsache als Strafausschließungsgrund anerkannt wird (RGSt. 65, 422, Mühlmann-Bommel S. 429; a. M. Leipziger Kommentar S. 141; hier wird die Erweislichkeit als Klarstellung der fehlenden Tatbestandsmäßigkeit bezeichnet).

Der Angeklagte hat sich denn auch darauf berufen, und zwar unter Hinweis auf die Zeugen Dr. John und von Schlabrendorff sowie auf die verstorbenen Widerstandskämpfer Dr. Goerdeler, v. Hase, Trott zu Solz und Bon-hoeffer, daß ein Teil der Widerstandskämpfertdes 20. Juli 1944 mit dem Feind Verbindung gehabt und auch militärische Geheimnisse von höchster Bedeutung verraten habe (so Oster und Gisevius).

Damit hat der Angeklagte den Wahrheitsbeweis angeboten.

Wie gerichtsbekannt und offenkundig ist, haben in der Tat mehrere Angehörige der an dem Unternehmen des 20. Juli 1944 beteiligten beiden Widerstandsgruppen mit dem Ausland Verbindung gehabt, um den inneren Umsturz durch Fühlungnahme mit den Feindmächten abzuschirmen. So Dr. Goerdeler, von Hassell, von Trott zu Solz, Dr. John, von Schlabrendorff und Bonhoeffer.

Auf keinem dieser Männer ruht aber auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme auch nur der Schatten des Verdachtes, jemals für irgendeine mit dem Widerstandskampf in Verbindung stehende Handlung vom Ausland bezahlt worden zu sein.

Was nun den vom Angeklagten erhobenen Vorwurf des Landesverrates anbetrifft, so ist es zu einer richtigen Würdigung des Verhaltens der Männer, die mit dem Ausland Verbindung gehabt haben, unerläßlich, die Verhältnisse in Deutschland seit 1933 und die Kriegslage im Jahre 1944 einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Denn nur auf Grund solcher Betrachtung kann die Handlungsweise der Widerstandskämpfer aufgehellt und in das richtige Licht gerückt werden.

A. Zustände in Deutschland ab 1933

Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wurde, wie gerichtsbekannt und offenkundig ist, durch die nationalsozialistische Staatsführung in einer ganzen Reihe von Fällen schwerstes Unrecht gesetzt.

Der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 wurde von den nationalsozialistischen MaAthabern mißbraucht, um den greisen Reichspräsidenten von Hindenburg zum Erlaß der Verordnung zum Schutze von Volk und Staat von 28. Februar 1933 zu veranlassen. Durch diese Verordnung wurden die wichtigsten Grundrechte der persönlichen und politischen Freiheit, wie: Persönliche Freiheit, freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht, Hausrecht, Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis aufgehoben. Ferner wurde bestimmt, daß die Reichsregierung Befugnisse der Landesregierung übernehmen könne, soweit in einem Land die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen nicht getroffen würden. Sicherungen gegen Mißbrauch und Übergriffe enthielt die Verordnung im Gegensatz zu den gesetzlichen Regelungen vergangener Zeiten nicht mehr, so nicht die Pflicht zur Vorführung vor den Richter innerhalb 24 Stunden nach der Festnahme und auch nicht das Recht der Beschwerde oder das Recht auf einen Verteidiger und auf Akteneinsicht. Damit war dem auf Unterdrückung jeder oppositionellen Meinungsäußerung gerichteten politischen Terror Tür und Tor geöffnet.

Dieser Terror äußerte sich nicht nur in der Einweisung zahlreicher Gegner des nationalsozialistischen Regimes in die inzwischen errichteten Konzentrationslager, sondern auch in zahllosen Fällen der Verfolgung aus politischen Gründen.

Insbesondere kam es in dem ehemaligen Lande Braunschweig zu den weithin berüchtigten Gleichschaltungsaktionen, bei denen Menschen lediglich um ihrer politischen Gesinnung willen oft wochenlang ihrer persönlichen Freiheit widerrechtlich beraubt, auf’s schwerste mißhandelt und in einer Reihe von Fällen in den Tod getrieben wurden. Die zahlreichen Prozesse vor dem Schwurgericht in Braunschweig haben, gipfelnd in den Verfahren gegen den ehemaligen braunschweigischen Ministerpräsidenten Klagges, ein erschütterndes Bild von der Brutalität entworfen, mit der unter Billigung der nationalsozialistischen Machthaber jede Opposition und jede freie politische Meinungsäußerung niedergeknüppelt und dadurch erstickt wurde.

So nur ist es zu verstehen, daß die Bevölkerung, soweit sie sich nicht zum Nationalsozialismus bekannte, eingeschüchtert durch handgreiflichen Terror und durch ständige Drohungen mit dem jeder richterlichen Nachprüfung entrückten Freiheitsentzug im Konzentrationslager, die in der Folgezeit von der nationalsozialistischen Staatsführung verübten Rechtsbrüche im wesentlichen ohne äußerlich in Erscheinung tretenden Widerstand über sich ergehen ließ.

Aus der Vielzahl der Fälle, in denen in einer dem Recht hohnsprechenden Weise verfahren wurde, sei hier nur die sogenannte "Röhm-Affäre", bei der Hunderte von Menschen ohne gerichtliche Untersuchung und ohne richterliches Urteil getötet wurden, sowie die nach den Begriffen aller anständigen Deutschen unvorstellbar grausame Verfolgung und Ausrottung der Juden in Deutschland und nach Ausbruch des Krieges auch in den von Deutschland besetzten Gebieten genannt. All das war schreiendes Unrecht und des deutschen Volkes wahrhaft unwürdig.

Ein Staat, dessen Staatsführung aber derartiges Unrecht nicht nur duldet, sondern zur Durchsetzung der politischen Ziele unter Außerachtlassung der unabdingbaren Menschenrechte bewußt durchführt oder durchführen läßt, kann nicht mehr beanspruchen, als Rechtsstaat, d.h. als ein in jeder Beziehung unter Wahrung rechtsstaatlicher Garantien nach rechtsstaatlichen Grundsätzen regierter Staat bezeichnet zu werden. Wenn demnach der nationalsozialistische Staat in diesem Sinne als ein Unrechtsstaat anzusehen ist, so allerdings nicht mit der Konsequenz, daß damit sämtliche Rechtsakte und Gesetze, deren viele als nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar bereits von den Besatzungsmächten aufgehoben worden sind, nichtig wären und die vom nationalsozialistischen Staat geschlossenen Verträge der Gültigkeit entbehrten.

Die Strafkammer verwendet vielmehr den Begriff Unrechtsstaat lediglich im Hinblick auf die oben erwähnten Unrechtsfälle, und zwar ohne damit zu der Frage nach der verfassungsmäßigen Legalität des "Dritten Reiches" Stellung zu nehmen.

B. Die Kriegslage am 20. Juli 1944

Der zweite Weltkrieg, der am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen seinen Anfang nahm, führte nach großen Anfangserfolgen im weiteren Verlaufe zu einer immer ungünstigeren Entwicklung für Deutschland. Diese Entwicklung zeichnete sich bereits durch das Stedtenbleiben der Offensive um Moskau im Herbst 1941 ab und führte dann über die einer Katastrophe gleichkommenden Niederlage bei Stalingrad zu der aussichtslosen Lage im Juli 1944.

Der Sachverständige Professor Dr. Schramm, der als Historiker ab 1943 mit der Führung des Kriegstagebuches im Wehrmachtsführungsstab, dem Spitzenstab für die drei Wehrmachtsteile unter Generaloberst Jodl, beauftragt war, hat sich gutachtlich über die Kriegslage in der Zeit um den 20. Juli 1944 zusammenfassend folgendermaßen geäußert:

1. Die militärische Lage war an den Fronten so bedrohlich, z. T. bereits so katastrophal, daß der Krieg am 20. Juli 1944 bereits als verloren angesehen werden mußte.

2. Das Heer war ausgebrannt, die Wehrwirtschaft trat in einen Schrumpfungsprozeß ein, die Treibstofflage drohte die Wehrmacht schließlich zum Stehen zu bringen. Außenpolitische Möglichkeiten gab es nicht mehr, solange Hitler selbst noch führte.

3. Es gab keine Möglichkeiten, die dem Krieg eine andere Wendung hätten geben können. Der Ausgang des Krieges kann weder durch Sabotage noch durch Verrat erklärt werden.

4. Wie man die Dinge auch wendet, von welcher Ebene, aus welchem Sektor heraus man auch den Krieg betrachten mag, der Krieg war am 20. Juli 1944 verloren. Die Schlußkatastrophe war gewiß, nur über ihr Datum konnte man noch streiten.

Die Strafkammer schließt sich dem Gutachten des Sachverständigen sowie der vorstehend wiedergegebenen Zusammenfassung uneingeschränkt an.

Der eventualiter von der Verteidigung beantragten Vernehmung weiterer sachverständiger Zeugen für die Beurteilung der militärischen Lage 1944, nämlich der S. 11 bereits aufgeführten sachverständigen Zeugen bedurfte es nicht. Nach Auffassung der Strafkammer sind diese Personen nicht als sachverständige Zeugen, obwohl sie als solche benannt sind, anzusehen, sondern als Sachverständige. Und zwar deshalb, weil ihre Bekundung sich auf eine Beurteilung der Kriegslage im Juli 1944 erstrecken soll, mithin nicht überwiegend die Bekundung von Tatsachen umfaßt, sondern im entscheidenden Teil die auf Grund besonderer Fachkunde aus den Tatsachen vorzunehmende, rein gutachtliche Beurteilung der Kriegslage zum Gegenstand hat. Die Vernehmung weiterer Sachverständiger hält die Strafkammer aber nicht für erforderlich. Die Sachkunde des Professors Dr. Schramm steht außer jedem Zweifel. Er hat nach seinen Darlegungen an den täglichen Lagebesprechungen teilgenommen und hat auch sämtliche operativen Akten, die ausgehenden Anfragen und Befehle sowie die eingehenden Meldungen und Lageberichte, darunter auch die geheimsten Akten zur Einsicht bekommen. Er hat somit einen weit umfassenderen Überblick über die Gesamtlage gehabt, als ihn die von der Verteidigung benannten Personen infolge der engen Bindung an ihr begrenztes Aufgabengebiet sich zu verschaffen in der Lage waren. Die eventualiter von der Staatsanwaltschaft beantragte Verlesung einer Erklärung des Generals a.D. Heusinger erübrigte sich daher. Diese Erklärung ist demzufolge auch nicht berücksichtigt worden. Professor Dr. Schramm ist auch als Historiker und ehemaliger Stabsoffizier imstande, die Lage richtig zu eurteilen. Die von der Verteidigung benannten Personen verfügen nicht über Forschungsergebnisse, die denen des Professors Dr. Schramm überlegen erscheinen. Schließlich ist das umfassende Gutachten auch nicht mangelhaft, geht nicht von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus und enthält keine Widersprüche in sich.

Den oben umrissenen Verhältnissen also sahen sich die Männer des 20. Juli 1944 gegenüber. Daß diese Verhältnisse, wie auch der Angeklagte nicht ernstlich in Zweifel gezogen hat, gebieterisch die Beseitigung des Hitler-Regimes verlangten, bedarf, weil aus sich ohne weiteres verständlich, einer weiteren Darlegung nicht.

Ist damit die zum Widerstandskampf berechtigende Situation allgemein gekennzeichnet, so hat als weiterer Sachverständiger der Historiker Dr Seraphim die Motive der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 in seinem ausführlichen Gutachten, dem sich die Strafkammer uneingeschränkt anschließt, wie folgt zusammengefaßt:

1. Wiederherstellung geordneter Verhältnisse in Deutschland durch Beseitigung des Regimes.

2. Erhaltung des deutschen Volkes und Staates in Freiheit und Unabhängigkeit.

Als dann, so hat der Sachverständige weiter ausgeführt, die ständige Verschlechterung der Kriegslage und die in Casablanca von den Alliierten aufgestellte Forderung auf bedingungslose Kapitulation die Aussichten auf eine glückliche oder auch nur Ausgleichsmöglichkeiten bietende Beendigung des Krieges mehr und mehr zunichte gemacht habe, sei z.B. von Hassell der Auffassung gewesen, daß trotz der Verschlechterung der Lage der Aufstand durchgeführt werden müsse, einfach aus Gewissensgründen. Es müsse gezeigt werden, daß das andere Deutschland wirklich existiere und gehandelt und alles dafür eingesetzt habe, von innen heraus den notwendigen Wandel zu vollziehen. Graf von Stauffenberg habe sich der von General von Treskow vertretenen Ansicht angeschlossen: "Das Attentat auf Hitler muß erfolgen um jeden Preis. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem der Staatsstreich versucht werden, denn es kommt nicht auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig."

Zusammenfassend, so hat der Sachverständige Dr. Seraphim geschlossen, könne er nur sagen: "Die Beweggründe der Führer des deutschen Widerstandes, trotz allem noch in letzter Minute den Versuch zum Aufstand gegen Hitler und sein Regime zu unternehmen, entsprang der Hoffnung, bei Gelingen der Welt zu zeigen, daß auch unter schwersten äußeren Verhältnissen von innen heraus der Wandel zum Rechtsstaat, zur Sittlichkeit und geordneten Verhältnissen von Deutschen durchgeführt sei. Für den Fall des Mißlingens sollte das Fanal des anderen Deutschland beweisen, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit und der Nationalsozialismus nicht das gleiche gewesen sei.

Des weiteren hat die Strafkammer zu der Frage nach den Motiven der Widerstandskämpfer auch noch die Zeugen Dr. John, Müller, von Hase, Jessen, Gräfin Yorck von Wartenburg, Kleffel, von Schlabrendorff, Albrecht, Lukaschek, van Husen und Bonhoeffer vernommen und das Protokoll über die durch das Amtsgericht Brakel durchgeführte kommissarische Vernehmung der Zeugin von Hase verlesen. Sämtliche eben genannten Zeugen haben das Gutachten des Sachverständigen Dr. Seraphim im Ergebnis im wesentlichen glaubhaft unter ihrem Eide bestätigt. Der Zeuge Dr. John hat bekundet, daß es seine Absicht gewesen sei, Deutschland vor dem katastrophalen Ende zu bewahren, sein Ziel, die völlige Zerstörung Deutschlands durch sinnlose Weiterführung des Krieges zu verhindern.

Der Zeuge von Hase, der Sohn des im Zuge der Ereignisse vom 20. Juli 1944 hingerichteten ehemaligen Stadtkommandanten von Berlin, General von Hase, hat bekundet, daß sich sein Vater aus christlichen, ethischen und soldatischen Motiven den Widerstandskämpfern angeschlossen habe mit dem Ziel, das deutsche Volk vor der sicheren Katastrophe zu bewahren. Im gleichen Sinn hat sich auch die Zeugin von Hase bei ihrer kommissarischen Vernehmung geäußert.

Der Zeuge Jessen, Sohn des gleichfalls hingerichteten Widerstandskämpfers Professor Dr. Jessen hat ausgesagt, sein Vater habe nicht nur den totalen Verlust des Krieges verhindern, sondern auch die Hinmordung tausender Menschen beenden wollen.

Auf der gleichen Linie liegt die Aussage der Zeugin Gräfin Yorck von Wartenburg, Witwe des hingerichteten Widerstandskämpfers Graf Yorck von Wartenburg, ihr Mann habe dem Kreisauer Kreis angehört und sei deshalb zu den Widerstandskämpfern gestoßen, weil er der Ansicht gewesen sei, der Krieg müsse beendet werden.

Besonders eindrucksvoll hat der Zeuge Kleffel geschildert, daß der verstorbene Oberbürgermeister von Leipzig, Dr. Goerdeler, ihm anläßlich eines Besuches die zum Widerstand treibenden und berechtigenden Beweggründe durch Zitate aus Hitlers Buch "Mein Kampf" entwickelt habe. Goerdeler, so hat der Zeuge behandelt, habe sich im Laufe des Gesprächs erhitzend schließlich Hitlers Buch aus dem Bücherschrank geholt, die Seite 104 aufgeschlagen und zitiert: "Wenn durch die Hilfsmittel der Regierungsgewalt ein Volkstum dem Untergang entgegengeführt wird, dann ist Rebellion eines jeden Angehörigen eines solchen Volkes nicht nur Recht, sondern Pflicht", und auf der nächsten Seite: "Menschenrecht bricht Staatsrecht". Dann habe Goerdeler die Seite 593 auf geschlagen und daraus vorgelesen: "In einer Stunde, da ein Volkskörper sichtlich zusammenbricht und allem Augenschein nach der schwersten Bedrückung ausgeliefert wird, dank des Handelns einiger Lumpen, bedeuten Gehorsam und Pflichterfüllung diesem gegenüber doktrinären Formalismus, ja einen Wahnwitz, wenn andererseits durch Verweigerung von Gehorsam und Pflichterfüllung die Errettung eines Volkes von seinem Untergang ermöglicht würde."

Der Zeuge von Schlabrendorff hat über die Beweggründe, die ihm zum Kampf gegen das Hitlerregime veranlaßt haben, ausgesagt, er habe in dem Nationalsozialismus die Verletzung der Menschenrechte und der von Gott gegebenen Gebote gesehen. An die Stelle des Rechts sei die nackte verfassungswidrige Gewalt gesetzt worden. Die Einstellung der nationalsozialistischen Führerschaft erhelle mit besonderer Deutlichkeit aus der Äußerung Görings gegenüber dem Staatssekretär von Bismarck: "Ich bin stolz darauf, nicht zu wissen, was Recht ist." So habe sich denn in ihm die Überzeugung gefestigt, daß Gewalt gegen Gewalt gesetzt werden müsse und daß es ein Gebot der Pflicht und der Ehre sei, die Gewaltherrschaft Hitlers zu stürzen. Einmal, um im Innern an Stelle von Gewalt wieder Recht zu setzen, und zum anderen, um der "Welt zu zeigen, daß Deutschland mit der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus nicht einverstanden gewesen sei. Seiner und der übrigen Widerstandskämpfer Ziel sei demgemäß die Rettung des deutschen Landes und der deutschen Ehre vor der Welt gewesen. Er sei zutiefst davon überzeugt, daß keine der Persönlichkeiten um Beck, also der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, soweit sie dem Goerdeler-Kreis angehört hätten, irgendwelche Handlungen begangen habe, um dem Vaterland zu schaden.

Der Zeuge Lukaschek stand nach seiner Aussage dem Kreisauer Kreis nahe. Bei Zusammenkünften mit dem Grafen Yorck von Wartenburg, so hat der Zeuge bekundet, sei über die nach dem Zusammenbruch zu ergreifenden Maßnahmen gesprochen worden. Von der Aufnahme irgend welcher Verbindungen zum Auslande sei ihm nichts zu Ohren gekommen. Auch über den Plan, Hitler gewaltsam zu beseitigen, habe er keine Einzelheiten gewußt. Graf von Stauf-fenberg habe ihm lediglich gesagt, daß die militärische Lage völlig aussichtslos sei, und daß nur noch der Tyrannenmord aus christlicher Verantwortung bleibe.

Wie der Zeuge Lukaschek gehörte auch der Zeuge van Husen dem Kreisauer Kreis an. Er hat sich nach seiner Bekundung diesem Kreis angeschlossen, weil er den Krieg von vornherein für aussichtslos angesehen hat und die Aufstellung eines Programms für die Wiederaufrichtung des niedergebrochenen Vaterlandes für erforderlich hielt.

Der Zeuge Bonhoeffer, Bruder des hingerichteten Pfarrers Bonhoeffer, hat die Beweggründe, die seinen Bruder in die Reihei. der Widerstandskämpfer geführt haben, dahingehend umrissen, daß sein Bruder Adolf Hitler als den Antichrist betrachtet habe. Von dem Antichrist habe er sein Vaterland, dem er mit allen Fasern seines Herzens angehangen habe, befreit wissen wollen.

Auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Seraphim und auf Grund der vorstehend wiedergegebenen Zeugenaussagen hat die Strafkammer festgestellt, daß die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, mögen bei den Einzelnen nun christliche, rechtliche, soldatische, politische oder soziale Erwägungen auslösend gewirkt haben, durchweg aus heißer Vaterlandsliebe und selbstlosem bis zur bedenkenlosen Selbstaufopferung gehendem Verantwortungsbewußtsein gegenüber ihrem Volk die Beseitigung Hitlers und damit des von ihm geführten Regimes erstrebt haben. Nicht mit der Absicht, dem Reich oder der Kriegsmacht des Reiches zu schaden, sondern allein mit der Absicht, beiden zu helfen.

Diese Feststellung gilt auch für diejenigen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, die im Zuge der Vorbereitung des Umsturzes im Inneren Verbindung mit dem Ausland aufgenommen haben, um zu prüfen, wie das Ausland ein solches Vorhaben aufnehmen würde, und um die Erschütterung, die ein Umsturz im Innern nun einmal naturnotwendig mit sich bringen muß, abzufangen.

Daß die vorstehend genannten Widerstandskämpfer nur dieses Ziel im Auge hatten, als sie die Verbindung mit dem Ausland aufgenommen haben, ergibt sich aus den Bekundungen der Zeugen Dr. John und von Schlabrendorff.

Der Zeuge von Schlabrendorff hat über seine bereits oben erörterte Aussage hinaus zum Ausdruck gebracht, daß die Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes allein nicht ausreichend erschienen sei, und daß die Auslandsverbindungen ganz bewußt deshalb angeknüpft worden seien, um für Deutschland zu retten, war irgend zu retten gewesen sei.

Über Ziel und Zweck der Auslandsverbindungen gibt außerdem noch eine von dem Sachverständigen Dr. Seraphim im Rahmen seines Gutachtens zitierte Tagebuchnotiz von Hassells Aufschluß: "Jeder Regimeänderung steht aber als Haupthindernis der Vorgang von 1918 entgegen, d. h. die deutsche Sorge (vor allem der Generäle), es könne ebenso kommen wie damals, als man den Kaiser preisgab. Daher ist ohne ein entsprechendes autoritatives statement im besprochenen Sinne überhaupt keine Aussicht für eine deutsche, einem Verständigungsfrieden günstige Regimeänderung."

Die Strafkammer hat daher weiter festgestellt, daß auch die Widerstandskämpfer Dr. Goerdeler, von Hassell, von Trott zu Solz, Dr. John, von Schlabrendorff und Bonhoeffer sowie etwaige weitere Widerstandskämpfer, die mit der gleichen Zielsetzung wie die vorgenannten Auslandsverbindungen aufgenommen haben, dem Reich und seiner Kriegsmacht nicht schaden wollten, sondern aus tiefster Sorge für den Fortbestand ihres Volkes gehandelt haben, um dem Reich und der Kriegsmacht des Reiches zu helfen.

Diese innere Einstellung war der Prüfung, ob die Aufnahme von Auslandsverbindungen als Landesverrat zu werten ist, zugrunde zu legen.

In der für den Verratstatbestand grundsätzlichen Vorschrift des § 88 StGB, in der 1944 geltenden Fassung heißt es: "Verrat im Sinne der Vorschriften dieses Absatzes begeht, wer mit dem Vorsatz, das Wohl des Reiches zu gefährden, das Staatsgeheimnis an einen anderen gelangen läßt."

Die Strafbestimmung des 1944 geltenden Rechts, die hier speziell in Frage kommen könnte, ist der ehemalige § 91 b Abs. 1 StGB.

Dieser lautet: "Wer im Inlande oder als Deutscher im Auslande es unternimmt, während eines Krieges gegen das Reich oder in Beziehung auf einen drohenden Krieg der feindlichen Macht Vorschub zu leisten, oder der Kriegsmacht des Reiches oder seiner Bundesgenossen einen Naditeil zuzufügen, wird mit dem Tode oder mit lebenslangem Zuchthaus bestraft."

Ohne Zweifel haben nun die Männer, die zur Vorbereitung des inneren Umsturzes mit dem Ausland Verbindung aufgenommen haben, durch die Verlautbarung des bevorstehenden Umsturzversuches den objektiven Tatbestand dieser Strafvorschrift erfüllt. Es fragt sich jedoch, ob auch die Voraussetzungen der inneren Tatseite gegeben sind.

Die Strafkammer hat diese Frage verneint. Der innere Tatbestand des Landesverrates, soweit er hier in Betracht kommt, erfordert, daß ein Deutscher vorsätzlich während eines Krieges gegen das Reich der Kriegsmacht des Reiches einen Nachteil zufügt.

Vorsätzlich handelt ein Tater nach in Rechtsprechung und Rechtslehre entwickelter Ansicht, wenn er den Tatbestand einer strafbaren. Handlung mit Wissen und Wollen verwirklicht. Dabei ist im allgemeinen unwesentlich, welches der Endzweck oder der Beweggrund des Taters ist.

Dieser engen Auslegung hat sich denn auch das Schöffengericht in Magdeburg in einem Präzedenzfall der deutschen Rechtsgeschichte, in der Strafsache gegen Rothardt (Urteil abgedruckt in dem Buch "Der Prozeß des Reichspräsidenten", Verlag für Sozialwissenschaft, Berlin 1925) angeschlossen. Bei diesem Prozeß ging es unter anderem um die Frage, ob die Beteiligung des späteren Reichspräsidenten Ebert an der Streikleitung eines Munitionsarbeiterstreiks im Jahre 1917 als Landesverrat anzusehen sei. Das Schöffengericht in Magdeburg hat seinerzeit diese Frage bejaht und hat dazu ausgeführt, daß die Absicht des Reichspräsidenten, den Streik durch Beteiligung an der Streikleitung schnellstens zu beendigen, Ziele außerhalb des Vorsatzes betreffe und daher gegenüber dem Vorsatz unerheblich sei.

Diese u. a. vom Reichsjustizminister a.D. Schiffer, von Professor Radbruch und von dem Geheimrat Kahl kritisierte Auffassung wird denn auch dem Vorsatz des s. Z. geltenden § 89 StGB., der dem 1944 in Kraft befindlichen § 91 b StGB, entspricht, nicht gerecht. Ausnahmsweise gehört nämlich zu dem Tatbestand einzelner Straftaten eine bestimmte Absicht, sei es, daß dies durch die Verwendung des Wortes "Absicht" selbst zum Ausdruck kommt, sei es, daß eine entsprechende Formulierung, wie z. B. "um ... zu", gebraucht wird (vergl. Mühlmann-Bommel S. 162). Um derartige Straftaten handelt es sich aber bei den 1944 in dem Abschnitt über den Landesverrat enthaltenen Vorschriften.

Sowohl die Formulierung des § 88 a F. StGB, als auch die des § 91 b a. F. StGB, läßt deutlich erkennen, daß die Absicht der Schadenszufügung als tatbestandsmäßige Voraussetzung anzusehen ist. Dieses Ergebnis steht im übrigen auch begrifflich mit dem Wesen des Landesverrats im Einklang. Denn der Landesverrat läßt seinem Wesensinhalt entsprechend eine andere Umgrenzung als die Aufnahme der Schadenszufügung in das Willensmoment nicht zu. Somit ist die Schadenszufügung auch von dieser Ebene aus gesehen tatbestandsmäßig erforderter und vorausgesetzter Willensinhalt.

Bei der Bestimmung des Willensinhaltes darf dann aber nicht die einzelne Episode für sich betrachtet werden, vielmehr muß, wie s. Z. Radbruch ausgeführt hat (der Prozeß des Reichspräsidenten a. a. O.), eine Güterabwägung, d. h. ein Vergleich der ungünstigen Teilwirkungen mit der erstrebten günstigen Gesamtwirkung vorgenommen werden.

Im gleichen Sinne hat auch das Reichsgericht in der grundlegenden Entscheidung, RGSt. 65, 422, ausgeführt, daß die Beweggründe und Endzwedce, die außerhalb des zu einem strafrechtlichen Tatbestand gehörigen Vorsatzes lägen, für die Frage, ob der Tatbestand verwirklicht sei, im allgemeinen als unerheblich bezeichnet werden müßten. Anders sei die Lage jedoch, wenn zu dem Tatbestand einer strafbaren Handlung das Merkmal der Zufügung eines Nachteils oder ein verwandtes Merkmal gehöre, wie z. B. das Verfügen zum Nachteil (§ 266 Abs. 1 Nr. 2 a. F. StGB.). Sei das der Fall, so sei im Einzelfall zu prüfen, ob nicht dieselbe Handlung, die eine Beeinträchtigung enthalte, einen Vorteil mit sich bringe, durch den die Beeinträchtigung aufgewogen oder überwogen werde. Dabei könne sich ein aus mehreren Einzelhandlungen bestehendes Verhalten bei natürlicher Betrachtung derart als äußere und innere Einheit darstellen, daß es unzulässig sei, aus dem Gesamtverhalten bestimmte Einzelhandlungen willkürlich herauszugreifen und unabhängig von den anderen zu beurteilen. In solchen Fällen sei vielmehr das Gesamtverhalten auf den Beeinträchtigungsgehalt, also auch daraufhin zu prüfen, ob nicht ein Nachteilsausgleich ("compensatio lucri cum damno") vorliege. Gelinge die Abwendung des größeren Nachteils, dann sei durch das einheitlich zu beurteilende Gesamt verhalten im Hinblick auf die hierdurch bewirkte "compensatio lucri cum damno schon der äußere Tatbestand des Landesverrates wegen des Mangels des Merkmals der Nachteilezufügung nicht erfüllt. Mißlinge die erstrebte Abwendung des größeren Nachteils, dann sei zwar der au ere Tatbestand des Landesverrats erfüllt, es sei dann aber im Zweifel der erforderliche Vorsatz nicht gegeben.

Bei der Prüfung, ob der Tater mit dem Bewußtsein und dem Willen gehandelt habe, der deutschen Kriegsmacht einen Nachteil zuzufügen, dürften wiederum nicht einzelne Handlungen aus dem Zusammenhang gerissen und für sich betrachtet werden, es müsse vielmehr ebenfalls das Gesamtverhalten ins Auge gefaßt werden. Ergebe sich, daß das Gesamtverhalten durch das Ziel beherrscht sei, von der Kriegsmacht des Deutschen Reiches größere Nachteile abzuwenden und nur zu diesem Zweck die geringer benachteiligenden Handlungen in Kauf zu nehmen, so fehle in Beziehung auf das Gesamt-verhalten, von dem jene tatbestandsmäßigen Einzelhandlungen nur untrennbare Teile seien, das Bewußtsein und der Wille zur Benachteiligung. Damit sei dann auch die Schuld des Taters zu verneinen.

Diese Ausführungen des Reichsgerichts decken sich in vollem Umfange mit der Rechtsauffassung der erkennenden Strafkammer.

Wendet man die vom Reichsgericht entwickelten Grundsätze auf die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 an, die mit dem Ausland Verbindung gehabt haben, so kann, unter Berücksichtigung der oben gekennzeichneten Zielrichtung ihres Gesamtverhaltens, ohne weiteres festgestellt werden, daß sie den geringeren Nachteil der Verlautbarung des bevorstehenden Umsturzes allein und ausschließlich deshalb in Kauf genommen haben, um das Reich und seine Kriegsmacht vor einem größeren Nachteil zu bewahren.

Damit ist dann aber das Bewußtsein und der Wille, d. h. der Vorsatz der Nachteilszufügung zu verneinen, so daß den hier in Rede stehenden Widerstandskämpfern der Vorwurf des Landesverrats nicht gemacht werden kann.

Wenn schließlich der Angeklagte der Auffassung ist und sich für berechtigt hält, diese Auffassung kund zu tun, daß die Gruppe der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 einzelne Personen mitumfaßt habe, die durch Preisgabe militärischer Geheimnisse an das feindliche Ausland Landesverrat begangen hätten, so hätte er allenfalls diese Personen dem Namen nach bezeichnen, oder sie wenigstens der Zahl nach nennen müssen. Seine Äußerung hätte dann allenfalls lauten dürfen: "Unter den Verschwörern des 20. Juli 1944 haben sich einzelne befunden, die Landesverrat begangen haben." Die von dem Angeklagten gewählte Ausdrucksweise mußte und sollte nach seinem Willen und seiner Vorstellung aber bei den Besuchern der Versammlung am 3. Mai 1951 den Eindruck erwecken, es habe sich bei den Männern des 20. Juli 1944 um ein Konglomerat von noch als tragbar anzuerkennenden "Hochverrätern" und im übrigen von unehrenhaften im Auslandssold stehenden Landesverrätern gehandelt.

Deshalb ist es nach Auffassung der Strafkammer im Rahmen des Wahrheitsbeweises unerheblich und kann daher auch dahingestellt bleiben, ob dem Kreis der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 als Ausnahme einzelne Personen angehört haben mögen, deren Handlungsweise u. U. von dem Angeklagten auch noch aus der heutigen Schau und unter Zugrundelegung der oben wiedergegebenen vom Reichsgericht entwickelten Grundsätze mit gewissem Recht als Landesverrat angesehen werden könnte. Denn selbst wenn man dem Angeklagten zubilligen wollte, daß er möglicherweise den verstorbenen General Oster, oder vielleicht auch Herrn Gisevius als wirkliche Landesverräter betrachten könnte, so berechtigte ihn diese Auffassung keinesfalls dazu zu erklären: »Diese Verräter sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Ausland bezahlt wurden." Ein Beweis für die Richtigkeit dieser gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 in ihrer Gesamtheit gerichteten Behauptung ist jedenfalls nicht erbracht. Es ist im Gegenteil, wie schon oben festgestellt, davon auszugehen, daß die Männer des 20. Juli 1944 in nahezu vollständiger Geschlossenheit eben keine Landesverräter gewesen sind. Eine so weitgehende Behauptung, wie der Angeklagte sie zur Diffamierung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 in ihrer Gesamtheit aufgestellt hat, ist somit nicht erweislich wahr.

Der von der Staatsanwaltschaft eventualiter beantragten Vernehmung des Generals a.D. Jenke und des Obersten a.D. Behrens darüber, daß angebliche Mitteilungen über den Einmarsch der deutschen Truppen in Holland, Dänemark, Norwegen und Frankreich nicht mit landesverräterischem Vorsatz und nicht in der in der Literatur vorgelegten Form erfolgt seien, bedurfte es daher ebensowenig wie der Vernehmung des Sohnes des verstorbenen Generals Oster über die Motive und Zielsetzung des Generals Oster bei seinem Widerstandskampf.

Die Strafkammer hatte ferner von Amts wegen zu prüfen, ob der Wahrheitsbeweis im Sinne des § 190 StGB, als erbracht anzusehen ist. Nach der genannten Vorschrift gilt der Wahrheitsbeweis als geführt, wenn die behauptete oder verbreitete Tatsache eine strafbare Handlung ist, und der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist. Das bedeutet auf den vorliegenden Fall angewandt, daß eine rechtskräftige Verurteilung einer größeren Zahl der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 wegen bezahlten Landesverrates grundsätzlich als Beweis der Wahrheit der von dem Angeklagten behaupteten ehrenkränkenden Tatsache anzusehen wäre.

Nun sind in der Tat viele der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 durch den damaligen Volksgerichtshof wegen Hoch- und Landesverrats verurteilt worden, so daß, obgleich die Einzelheiten der Verurteilung in den meisten Fällen nicht mehr festzustellen sind, der Gedanke der Anwendbarkeit des § 190 StGB, näheliegen könnte.

Die Strafkammer vertritt aber den Standpunkt, daß § 190 StGB, dem Angeklagten nicht zur Seite steht.

Die Annahme eines Entgeltes für eine landesverräterische Handlung ist m den 1944 geltenden Landesverratsvorschriften lediglich in dem § 90 i StGB, erwähnt. Diese Vorschrift, die sich gegen Deutsche richtete, die von einer ausländischen Regierung oder von jemand, der für eine ausländische Regierung tätig war, für eine Handlung, die das Wohl des Reiches gefährdete, ein Entgelt forderte, sich versprechen ließ oder annahm, hat den Urteilen des Volksgerichtshofes sicher nicht zu Grunde gelegen. Danach ist zumindest die im Zusammenhang mit dem Vorwurf landesverräterischen Handelns besonders ehrverletzende Behauptung der Bezahlung durch das Ausland nicht durch § 190 StGB, gedeckt.

Darüber hinaus darf auch nicht außer acht gelassen werden, daß die den Gegenstand der Aburteilung durch den Volksgerichtshof bildende Handlungsweise der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 allein und ausschließlich aus Gegnerschaft zum Nationalsozialismus begangen worden ist. Derartige Straftaten gelten aber in der britischen Zone nach Art. IV § 7 in Verbindung mit Art. I § 1 der Verordnung über die Gewährung von Straffreiheit vom 3. Juni 1947, ohne ausdrücklich gerichtliche Entscheidung als aufgehoben. Wenn diese Verordnung auch für den Sitz des ehemaligen Volksgerichtshofes, d. h. für Berlin, keine Gültigkeit hat, so meint die Strafkammer, der Verordnung doch entnehmen zu sollen, daß Urteile für Taten, die aus Gegnerschaft zum Nationalsozialismus begangen worden sind, als mit dem heutigen Rechtsdenken unvereinbar betrachtet werden müssen. Nimmt man hinzu, daß gerade die Prozesse vor dem Volksgerichtshof, wie gerichtsbekannt und offenkundig ist, durchaus den Charakter nationalsozialistischer Schau- und Propagandaprozesse trugen und rechtsstaatlicher Garantien weitgehend entbehrten, so erscheint der Strafkammer die Auffassung gerechtfertigt, daß die Urteile des Volksgerichtshofes gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 nicht als rechtskräftige Erkenntnisse im Sinne des § 190 StGB, anzusehen sind.

Neben dem Wahrheitsbeweis hat der Angeklagte sich auch noch darauf berufen, daß er in Abwehr des von dem Zeugen Schultz gegen ihn gerichteten Angriffes in Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB, gehandelt habe.

Nach § 193 StGB, ist die Äußerung einer ehrenrührigen Tatsache, die den äußeren und inneren Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt, nicht rechtswidrig, wenn und soweit diese Äußerung zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht wird.

Die Anerkennung der Wahrnehmung berechtigter Interessen als Rechtfertigungsgrund ist danach lediglich eine Anwendung des für die Fälle des Notstandes, der Interessenkollision, geltenden Grundsatzes der Güter- und Pflichtenabwägung. Dem Interesse, das durch § 193 StGB, geschützt wird, steht das Interesse am Schutze fremder Ehre entgegen. Berechtigte Interessen im Sinne des § 193 StGB, sind demgemäß nur solche, die das Recht selbst gegenüber dem Anspruch auf Achtung der Person anerkannt und zu deren Wahrnehmung der Handelnde befugt ist (RGSt. 24, 304).

Hiernach ist die Anwendbarkeit des § 193 StGB, grundsätzlich davon abhängig, daß die sich objektiv als Beleidigung darstellende Äußerung eine Angelegenheit betrifft, die den Tater wegen seines besonderen Verhältnisses zu ihr nahe angeht, und daß der Täter mit seiner Äußerung gerade für diese Interessen eintreten will.

Ohne Zweifel ist der Angeklagte durch den Zeugen Schultz in scharfer Form mit zumindest zum Teil unzutreffenden Vorwürfen angegriffen worden. Da der Angriff sich aber ausschließlich auf das Verhalten des Angeklagten am 20. Juli 1944 bezog, hätte sich der Angeklagte darauf beschränken können und müssen, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unter Schilderung seines für das Scheitern des Staatsstreiches vom 20. Juli 1944 verhältnismäßig bedeutungslosen Verhaltens zurückzuweisen. Dabei hätte er entsprechend der Schärfe des vorgetragenen Angriffs auch in gleich scharfer Form erwidern können, ohne daß ihm daraus ein Vorwurf zu machen gewesen wäre. Keinesfalls hätte er aber den ehrenkränkenden Vorwurf des bezahlten Landesverrates gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 in der von ihm gewählten Form erheben dürfen. Dieser Vorwurf liegt außerhalb dessen, was zur Abwehr beziehungsweise zur Klarstellung der erhobenen Vorwürfe erforderlich gewesen wäre (extensiver Exzeß; vgl. Leipziger Kommentar S. 136, 161) und läßt gerade dadurch eindeutig erkennen, daß insoweit der Wille des Angeklagten nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen, sondern allein auf eine Ehrenkränkung gerichtet war.

Damit entfällt dann aber der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB.

Daß der Angeklagte das Bewußtsein und den Willen hatte, durch seine Äußerung über den bezahlten Landesverrat eine ehrenrührige Tatsache zu verbreiten, die geeignet war, die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, und zwar mit der Erkenntnis der ohne weiteres klar zu Tage tretenden möglichen Beziehung auf sämtliche Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, kann nach Art und Inhalt der Verlautbarung nicht zweifelhaft sein.

Des weiteren hat der Angeklagte aber nach der Überzeugung der Strafkammer auch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit der Äußerung gehabt. Bei einer Tatsachenbehauptung im Sinne des § 186 StGB, wirkt sich nämlich die Vermutung für den ungeschmälerten Ehrbestand dahin aus, daß das Unrechtsbewußtsein nur bei der Überzeugung des Taters von der Erweislichkeit des erhobenen Vorwurfes entfällt (Leipziger Kommentar S. 136/137). Der bloße gute Glaube an die Wahrheit der behaupteten Tatsache hebt hingegen das Unrechtsbewußtsein nicht auf (Leipziger Kommentar a. a. O.). Die Überzeugung von der Erweislichkeit der Behauptung, die Männer des 20. Juli 1944 hätten bezahlten Landesverrat verübt, hat der Angeklagte aber sicher nicht gehabt.

Zur Zeit der Tat lag der totale Krieg, der durch Fortsetzung bis zum totalen Zusammenbruch unendliche Opfer gefordert hatte, bereits 6 Jahre zurück. Das von der nationalsozialistischen Staatsführung begangene Unrecht war jedermann offenbar geworden. Zahlreiche unstreitig auch dem Angeklagten bekannte Veröffentlichungen hatten Motive und Zielsetzungen der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 aufgehellt.

Daraus ist aber zu folgern, daß der Angeklagte, mag er sich unter Umständen auch in gutem Glauben an die Wahrheit seiner ehrenrührigen Behaup-tug befunden haben, doch keineswegs die Überzeugung der Erweislichkeit gehabt hat, so daß die Feststellung, der Angeklagte habe mit dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehandelt, gerechtfertigt ist.

Damit ist der äußere wie der innere Tatbestand des § 186 StGB, erfüllt, so daß der Angeklagte der öffentlich begangenen üblen Nachrede im Sinne dieser Vorschrift schuldig ist.

In Tateinheit (§ 73 StGB.) hat sich der Angeklagte durch die gleiche bereits nach § 186 StGB, gewürdigte Äußerung auch eines Vergehens gegen § 189 StGB, schuldig gemacht.

Durch den aus den oben dargelegten Gründen nicht zutreffenden ehrenkränkenden Vorwurf des bezahlten Landesverrates hat er in besonders roher, d. h. im Sinne des § 189 StGB, verunglimpfender Form seiner Mißachtung gegenüber den verstorbenen Widerstandskämpfern Ausdruck verliehen. Dessen war sich der Angeklagte auch bewußt.

§ 193 StGB. (Wahrnehmung berechtigter Interessen), dessen Anwendung gegenüber dem § 189 StGB, grundsätzlich möglich ist, greift aus den im Zusammenhang mit der Würdigung der Tat des Angeklagten nach § 186 StGB, aufgeführten Gründen, die auch hier zutreffen, nicht Platz.

Eine Verurteilung des Angeklagten nach der VO. des Reichspräsidenten vom 8.12.1931, bzw. nach dem heute an ihre Stelle getretenen § 187a StGB, kann nicht erfolgen. Dazu wäre der Nachweis erforderlich, daß der Angeklagte gewußt habe, daß der Bundesminister Dr. Lehr zum Kreise der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 gehört. Es ist dem Angeklagten aber nicht zu widerlegen, daß er eine solche Kenntnis nicht gehabt hat. Einer Freisprechung bedarf es insoweit nicht, weil ein Verstoß gegen die hier in Rede stehenden Strafvorschriften als in Tateinheit mit dem Vergehen gegen § 186 StGB, stehend angeklagt worden ist.

V. Strafzumessung

Der Angeklagte war am 3. Mai 1951, als er die hier zur Aburteilung stehende Tat beging, nicht vorbestraft. Das war strafmildernd zu berücksichtigen. Ebenso hat die Strafkammer eine durch den scharfen Angriff des Zeugen Schultz ausgelöste sicher nicht unerhebliche Erregung strafmildernd zugute gehalten. Schließlich durfte auch nicht übersehen werden, daß der Angeklagte, soweit der Strafkammer ersichtlich ist, sich im Kriege an den Fronten als tapferer Offizier gezeigt hat.

Andererseits ist festzustellen, daß der Angeklagte offenbar noch in den Anschauungen des Jahres 1944 lebt und sich von diesen Anschauungen auch sieben Jahre nach Kriegsende noch nicht hat lösen können. Was aber damals am 20. Juli 1944 verständlicher Irrtum war, ist heute als unbelehrbarer Trotz anzusehen.

Bei der Schwere des von dem Angeklagten erhobenen Vorwurfs kann daher seine Tat auch unter Berücksichtigung aller Milderungsgründe nur durch eine Freiheitsstrafe geahndet werden. Eine dem § 186 StGB, entnommene Gefängnisstrafe von 3 Monaten stellt nach Auffassung der Strafkammer eine schuldangemessene Sühne dar und ist dementsprechend verhängt worden.

Da die üble Nachrede öffentlich begangen ist, war den Beleidigten nach der zwingenden Vorschrift des § 200 StGB, auch ohne besondere Anträge die Veröffentlichungsbefugnis in der geschehenen Weise zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO.

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