LG Stuttgart, Beschluss vom 22.02.2017 - 31 Ns 6 Js 124722/15
Fundstelle
openJur 2019, 27219
  • Rkr:
Rubrum

Landgericht Stuttgart

31. Kleine Strafkammer

Beschluss

vom 22. Februar 2017

in der Strafsache gegen

...

Verteidiger

Rechtsanwalt ...

Rechtsanwalt ...

wegen Hausfriedensbruchs

Tenor

Das Berufungsverfahren wird in die Lage zurückversetzt, die vor Erlass des Beschlusses der Berufungskammer vom 25. November 2016, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen wurde, bestand.

Die Berufung des Angeklagten wird angenommen, da sie nicht offensichtlich unbegründet ist.

Gründe

Das Berufungsverfahren wird in die Lage zurückversetzt, die vor Erlass des Beschlusses der Berufungskammer vom 25. November 2016, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen wurde, bestand.

Die Berufung des Angeklagten wird angenommen, da sie nicht offensichtlich unbegründet ist.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde am 26. Juli 2016 vom Amtsgericht Stuttgart -Strafrichterin- wegen des Vergehens des Hausfriedensbruchs zu der Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 40,- Euro verurteilt. Gegen das Urteil legte der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung ein, die er durch seinen Verteidiger Rechtsanwalt P... begründete. Das schriftliche Urteil wurde dem Verteidiger am 31. August 2015 zugestellt. Die Akten gingen am 22. September 2016 bei der Berufungskammer ein und dem Verteidiger wurde das hiesige Aktenzeichen mitgeteilt. Mit Beschluss vom 25. November 2016 verwarf die Berufungskammer die Berufung als unzulässig, weil die Berufung als offensichtlich unbegründet nicht angenommen wurde (§ 313 Abs. 1 und 2 StPO). Hierauf erhob der Verteidiger am 21. Dezember 2016 eine Anhörungsrüge nach § 33a StPO, die erst am 6. Februar 2017 zur Gerichtsakte kam mit einem Antrag des Verteidigers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines Kanzleiversehens. Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2017 stellte der Verteidiger Rechtsanwalt M... nach § 33a Satz 1 StPO den Antrag, das Verfahren durch Beschluss der Berufungskammer in die Lage zurückzuversetzen, die vor Erlass des Beschlusses vom 25. November 2016 bestand, sowie die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 26. Juli 2016 nach § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO anzunehmen. Die Staatsanwaltschaft ist dem Antrag des Verteidigers Rechtsanwalt M... entgegengetreten.

II.

1. Der Antrag auf Zurückversetzung des Verfahrens ist bereits begründet, weil der Angeklagte vor Verwerfung der Berufung zuvor nicht ausdrücklich über diese Möglichkeit belehrt worden ist.

Zwar ist dem Gesetz eine besondere Vorschrift, nach der die Berufungskammer den Angeklagten vor einer Verwerfung oder Annahme seiner Berufung nach § 313 StPO anhören muss, nicht zu entnehmen. Weder § 313 StPO noch die damit in Zusammenhang stehende Verfahrensvorschrift des § 322a StPO schreiben die vorherige Anhörung des Angeklagten vor. Es ist jedoch anerkannt, dass dem Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör dadurch Rechnung zu tragen ist, dass er über die Möglichkeit der Verwerfung einer Berufung ausdrücklich belehrt worden ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 4. November 1998 - 1 AR 1305/98 - 5 Ws 619/98, zitiert nach juris; OLG Koblenz, NStZ 1995, 251).

Eine solche Mitteilung, dass die Berufungskammer nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO zu entscheiden beabsichtigt, bedarf es durch die Kammer nur dann, wenn eine entsprechende Belehrung durch das Amtsgericht nicht nachweisbar erfolgt ist (vgl. OLG Koblenz a.a.O).

Nach diesen Grundsätzen hätte die Berufungskammer den Angeklagten zuvor über die Verwerfungsmöglichkeit unterrichten müssen. Zwar enthält die Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts den Vermerk „Rechtsmittelbelehrung wurde erteilt“. Ein solcher Vermerk spricht im Allgemeinen dafür, dass die Belehrung über die Rechtsmittel zutreffend und vollständig erteilt worden ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 274 Rdnr. 13). Diese Annahme erstreckt sich auf die Form und Frist der Einlegung der Berufung (§ 314 Abs. 1 und 2 StPO) und der Sprungrevision (§ 333 StPO), die nach § 35a Satz 2 StPO zu erläuternden Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 StPO über die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung des Urteils und des § 329 StPO über die Verwerfung der Berufung bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung sowie über die Möglichkeit der Anfechtung der Kostenentscheidung. Da die Belehrung über die Nichtannahme der Berufung und die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, begründet das Fehlen eines entsprechenden Zusatzes in der erstinstanzlichen Sitzungsniederschrift Zweifel daran, ob der Angeklagte über die mögliche Verfahrensweise nach §§ 313 Abs. 2, 322a Satz 1 StPO in Kenntnis gesetzt wurde (vgl. zu allem KG a.a.O.). Diese Zweifel sind im weiteren Verfahren nicht behoben worden, da diese Belehrung weder durch das Amtsgericht bei der Urteilszustellung, noch durch die Berufungskammer bei der Mitteilung des hiesigen Aktenzeichens erfolgte.

Das unterlassene rechtliche Gehör ist deshalb nachzuholen gewesen. Die Verteidiger und die Staatsanwaltschaft haben inzwischen zur Frage der Annahme der Berufung Stellung genommen.

2. Die Berufung wird nach § 313 Abs. 2 StPO angenommen.

Hinsichtlich der erstinstanzlich gemachten Angaben des Angeklagten zur Sache steht das angefochtene Urteil in einem Widerspruch zum Protokollinhalt. Während die Urteilsgründe davon ausgehen, dass der Angeklagte sich zum Tatvorwurf nicht eingelassen hat, ist dem erstinstanzlichen Protokoll zu entnehmen, dass der Angeklagte Angaben zur Sache gemacht hat. Ferner enthält das Protokoll die Feststellung, dass der Angeklagte „eine selbst verfasste Erklärung zum Thema Bundeswehr [verlas], in der er deutlich zum Ausdruck bringt, dass er Gegner der Bundeswehr ist.“ Der weitere Inhalt der Einlassung des Angeklagten wird im Protokoll nicht mitgeteilt.

Mit Schriftsatz des Verteidigers Rechtsanwalt M... vom 3. Januar 2017 wurde erstmals die vom Angeklagten in der erstinstanzlichen Sitzung abgegebene Erklärung im Wortlaut wiedergegeben. Da im Rahmen der Entscheidung über die Annahmeberufung nicht überprüft werden kann, ob dieser Wortlaut inhaltlich der vom Angeklagten tatsächlich verlesenen Erklärung entspricht, ist aufgrund des insoweit lückenhaften erstinstanzlichen Protokolls davon auszugehen, dass der nachträgliche Vortrag der Verteidigung zutrifft. Der Wortlaut der vom Angeklagten abgegebenen Erklärung hätte deshalb im angefochtenen Urteil, wenn auch nur zusammenfassend, als Sacheinlassung wiedergegeben werden müssen.

Es erscheint von vornherein nicht ausgeschlossen, dass die nicht berücksichtigte Sacheinlassung des Angeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung, der rechtlichen Beurteilung und einer etwaigen Strafzumessung von Bedeutung ist. Bei dieser Sachlage kann nicht von einer offensichtlich unbegründeten Berufung ausgegangen werden.

Mit der Annahme der Berufung ist die vom Verteidiger Rechtsanwalt P... am 6. Februar 2017 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegenstandslos.

3. Es wird umgehend der Termin zur Durchführung der Berufungshauptverhandlung bestimmt werden.