LG Bochum, Beschluss vom 04.10.2018 - I-7 T 224/18
Fundstelle
openJur 2019, 27165
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 16 XVII 21/04
Tenor

Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Gr ü n d e :

I.

Der Betroffene leidet an einer mittelschweren bis schweren geistigen Behinderung als Folge eines hypoxischen Hirnschadens. Bis Februar 2004 wurde er von seinen Eltern bzw. seinem Vater und seiner Stiefmutter im häuslichen Rahmen versorgt. Am 18.02.2004 zog er in das Wohnheim H. Von 1994 bis 2016 war er in der Behindertenwerkstatt D tätig. Bis zum Einzug in das Heim war es den Angehörigen möglich, sämtliche Angelegenheiten des Betroffenen auch ohne Einrichtung einer Betreuung zu regeln. Im Zusammenhang mit dem Heimeinzug erwies sich eine gesetzliche Vertretung des Betroffenen jedoch als notwendig, zumal eine Operation bzw. die Einrichtung eines Sparkontos anstanden. Nach Einholung eines Sozialberichts und eines Sachverständigengutachtens des Psychiaters Dr. U vom 12.05.2004 sowie einer persönlichen Anhörung des Betroffenen bestellte das Amtsgericht Bochum mit Beschluss vom 16.06.2004 den Vater des Betroffenen zum Betreuer, und zwar mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden und sonstigen Institutionen, Postangelegenheiten und Heimangelegenheiten. Die Betreuung wurde wiederholt verlängert. Nach dem Tod des Vaters des Betroffenen bestellte das Amtsgericht Bochum mit Beschluss vom 30.05.2011 den Beteiligten zu 2) als Betreuer. Auf Bitte des Beteiligten zu 2), ihn von der Vermögenssorge und organisatorischen Angelegenheiten zu entlasten, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 10.10.2016 der Beteiligte zu 3) als Betreuer für die Aufgabenkreise Postangelegenheiten, Vermögenssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden und sonstigen Institutionen bestellt.

Der Betroffene hat weitere Geschwister, nämlich die Beschwerdeführerin und den Bruder I, wohnhaft in Herne. Die Beschwerdeführerin und der Beteiligte zu 2) sind zerstritten.

Am 05.02.2018 erschien die Beschwerdeführerin auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts. Sie gab an, sie hätte gerne Akteneinsicht und würde gerne auch als Betreuerin bestellt werden. Sie würde am liebsten in allen Bereichen Mitbestimmungsrecht haben. Mit Verfügung vom 06.02.2018 übersandte das Amtsgericht die Eingabe der Beschwerdeführerin an die Beteiligten und gab diesen Gelegenheit zur Stellungnahme, verbunden mit der Frage, ob der Akteneinsicht zugestimmt werde. Die Beteiligten zu 2) und 3) stimmten der Akteneinsicht durch die Beschwerdeführerin zu. Der Beteiligte zu 2) widersprach unter Anführung einer Begründung dem Wunsch der Beschwerdeführerin, als Betreuerin bestellt zu werden bzw. Mitbestimmungsrechte zu haben.

Mit Verfügung vom 26.02.2018 übersandte das Amtsgericht Bochum die Akte dem Amtsgericht Erding mit der Bitte, der Beschwerdeführerin auf dortiger Geschäftsstelle Akteneinsicht zu gewähren. Mit derselben Verfügung benachrichtigte es die Beschwerdeführerin entsprechend. Am 08.03.2018 und am 14.03.2018 nahm die Beschwerdeführerin beim Amtsgericht Erding Akteneinsicht. Eine Stellungnahme, die sie am 14.03.2018 einreichte, wurde vom Amtsgericht Erding gemeinsam mit der Akte dem Amtsgericht Bochum zugesandt und der Akte beigefügt. In der Stellungnahme teilte die Beschwerdeführerin unter anderem mit, sie stehe in der 14. und 15. Kalenderwoche für einen Anhörungstermin zur Verfügung. Mit Verfügung vom 20.03.2018 teilte das Amtsgericht Bochum der Beschwerdeführerin mit, dass Anhörungstermine in der 14. und 15. Kalenderwoche nicht stattfinden. Das Schreiben des Beteiligten zu 3) vom 26.03.2018 übersandte das Gericht an den Betroffenen und den Beteiligten zu 2).

Nach Eingang der Stellungnahme des Beteiligten zu 2) vom 10.04.2018 lehnte das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss einen Betreuerwechsel und die Bestellung der Beschwerdeführerin zur Zusatzbetreuerin ab. Dieser Beschluss wurde der Beschwerdeführerin am 11.05.2018 förmlich zugestellt. Mit Schreiben vom 16.05.2018 hat die Beschwerdeführerin gegen die Ablehnung Beschwerde erhoben und mit Schreiben vom 12.06.2018 zur Begründung ihrer Beschwerde Bedenken gegen eine ausreichende Versorgung des Betroffenen mit Hilfsmitteln (Brille, Hörgerät, orthopädische Schuhe) und Zahnersatz ausgeführt. Das Amtsgericht hat den Beteiligten die Beschwerde und die Beschwerdebegründung übersandt. Mit Beschluss vom 17.07.2018 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

Die Kammer hat mit Verfügungen vom 25.07.2018 und 08.08.2018 rechtliche Hinweise erteilt, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 296 f. und Bl. 299 GA verwiesen wird.

II.

Ein gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthaftes und zulässiges Rechtsmittel liegt nicht vor.

Die Beschwerde der Frau X gegen den Beschluss vom 02.05.2018 ist bereits deshalb nicht zulässig, weil eine Beschwerdeberechtigung gem. § 303 Abs. 2 Halbsatz 2 FamFG nicht gegeben ist. Zwar gehört sie als Schwester des Betroffenen zu dem in § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG genannten Personenkreis. Diesem Personenkreis steht jedoch gem. § 303 Abs. 2 Halbsatz 2 FamFG nur ein Beschwerderecht zu, wenn die genannten Personen im ersten Rechtszug am Verfahren beteiligt worden sind. Daran fehlt es hier. Die Schwester wurde an dem zum Erlass des Beschlusses vom 02.05.2018 führenden Verfahren im ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht Bochum nicht beteiligt.

Dabei meint Beteiligung im Sinne des § 303 FamFG nicht die eigeninitiative Teilnahme eines Angehörigen, etwa durch Einreichung von Schreiben. Eine Beteiligung gemäß § 303 Abs. 2 FamFG erfordert, dass dem Angehörigen vom Amtsgericht erkennbar die Rolle eines Verfahrensbeteiligten zugedacht wird. Es muss sich um eine gerichtliche Hinzuziehungsentscheidung handeln (Keidel-Budde, FamFG, 18. Aufl., § 303, Rn. 26, § 274, Rn. 20).

Die Prüfung eines Betreuerwechsels und einer Bestellung von Frau X als zusätzliche Betreuerin erfolgte zwar auf Anregung der Frau X vom 05.02.2018. Bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses hat das Amtsgericht aber nur die Beteiligten zu 1) bis 3) zur Stellungnahme zu dieser Anregung aufgefordert. Die Schreiben der Beteiligten hat es Frau X nicht übersandt. Aus der gesetzlichen Systematik folgt, dass sich aus der Anregung eines Amtsverfahrens und dessen Einleitung noch nicht ergibt, dass die Anregung als Beteiligung anzusehen ist. Wortlaut und Sinn des § 274 Abs. 4 FamFG und des § 7 Abs. 3 FamFG ("können", "kann") ergeben, dass eine gerichtliche Entscheidung über die Hinzuziehung zu treffen ist. Die Beteiligung durch das Amtsgericht ist ein weiterer über die bloße Einleitung des Verfahrens gem. § 24 FamFG hinausgehender Verfahrensschritt.

Auch die Gewährung von Akteneinsicht aufgrund der Verfügung des Amtsgerichts Bochum vom 26.02.2018 stellt keine Beteiligung im Sinne des § 303 Abs. 2 FamFG dar. Zwar hatte das Amtsgericht Bochum Frau X von der Versendung der Akte an das Amtsgericht Erding zum Zwecke ihrer Einsicht benachrichtigt. Einen bestimmten Verfahrensgegenstand, zu dem Gelegenheit zur Stellungnahme bestand, hatte das Amtsgericht Bochum bei dieser Gelegenheit aber nicht bezeichnet. Insofern stellt die Akteneinsicht einen neutralen Vorgang dar, welcher der Information der Frau X diente. Auch die Akteneinsicht ist nach der gesetzlichen Systematik von der Hinzuziehung zu unterscheiden. Auch für die Akteneinsicht besteht in § 13 FamFG eine gesonderte Regelung. Die Beteiligung durch das Amtsgericht ist deshalb auch insoweit ein weiterer darüber hinausgehender Verfahrensschritt.

Auch die Mitteilung durch Verfügung vom 20.03.2018, dass in der 14. und 15. Kalenderwoche keine Anhörungstermine stattfinden, stellt keine Beteiligung am Verfahren, sondern ebenfalls einen neutralen Vorgang dar. Er diente lediglich der Information der Beschwerdeführerin.

Ist ein Angehöriger aus dem privilegierten Personenkreis des § 303 Abs. 2 FamFG nicht am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt worden, wird ihm nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung die Beschwerdebefugnis versagt - und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen eine Beteiligung am erstinstanzlichen Verfahren nicht erfolgte (zum Ganzen: BGH, Beschluss vom 11.07.2018, XII ZB 471/17, zitiert nach Juris; BGH, BtPrax 2015, 109; Keidel-Budde, a.a.O., § 303, Rn. 27). Dies entspricht der gesetzlichen Systematik und ist ständige Rechtsprechung der Kammer.

Ob die Beschwerdeführerin in einem früheren Verfahrensstadium - etwa dem Erstverfahren zur Betreuerbestellung - vom Amtsgericht beteiligt wurde, kann dahinstehen. Eine Verfahrensbeteiligung im Erstverfahren zur Betreuerbestellung oder einem anderen zeitlich vorgelagerten Stadium genügt nicht, um eine Beschwerdeberechtigung für eine spätere Entscheidung über einen anderen Verfahrensgegenstand - hier den Betreuerwechsel bzw. die Bestellung einer zusätzlichen Betreuerin - zu begründen. Die Verfahrensbeteiligung muss gerade in dem Verfahren erfolgen, dessen abschließende Sachentscheidung angegriffen wird (BGH, BtPrax 2015, 109).

Schließlich stellt die Bekanntgabe des amtsgerichtlichen Beschlusses an die Angehörigen keine Beteiligung im Sinne des § 303 Abs. 2 FamFG dar. Dies ergibt sich bereits aus dem Begriff der Beteiligung. Eine Beteiligung setzt die Möglichkeit voraus, dass die "beteiligte" Person - in welcher Art und Weise auch immer - auf das Verfahren Einfluss nehmen kann. Wird lediglich der die Instanz abschließende Beschluss bekanntgegeben, ist eine solche Beteiligung in derselben Instanz nicht mehr möglich (BGH, FamRZ 2018, 197) .

Eine nachträgliche Erlangung der Beschwerdebefugnis nach Abschluss des ersten Rechtszuges, etwa im Rahmen des Abhilfeverfahrens nach Einlegung der Beschwerde, kommt nicht in Betracht. Nach § 303 Abs. 2 FamFG kommt es auf die tatsächliche Beteiligung der Angehörigen im ersten Rechtszug an. Diese endet jedoch mit Erlass des angefochtenen Beschlusses durch das Amtsgericht. Das sich auf eine Beschwerde anschließende Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 FamFG gehört nicht mehr zum ersten Rechtszug, sondern folgt diesem nach.

Die Beschwerde war deshalb als unzulässig zu verwerfen. Die Schwester des Betroffenen wurde mit Verfügungen vom 25.07.2018 und 08.08.2018 auf die Unzulässigkeit hingewiesen.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 70 Abs. 2 FamFG gegen diese Entscheidung ist geboten, da die Frage, ob die Gewährung von Akteneinsicht eine Beteiligung am Verfahren gemäß §§ 274, 7 FamFG darstellt, grundsätzliche Bedeutung hat.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft.

Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe in deutscher Sprache einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung (Datum des Beschlusses und Geschäftsnummer) sowie die Erklärung enthalten, dass Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt wird.

Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Rechtsbeschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung zu begründen. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge),

2. die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar

a) die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;

b) soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

Die Parteien müssen sich vor dem Bundesgerichtshof durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Rechtsbeschwerdeschrift und die Begründung der Rechtsbeschwerde von einem solchen unterzeichnet sein. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.

Fällt das Ende der Rechtsbeschwerdefrist oder der Begründungsfrist auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen allgemeinen Feiertag, so endet die Frist mit dem Ablauf des nächsten Werktages.

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