OLG Hamm, Beschluss vom 26.02.1974 - 5 Ss 3/74
Fundstelle
openJur 2019, 26214
  • Rkr:
Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere große Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.

Gründe

Das Schöffengericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlichen Vergehens gegen § 11 BetmG und § 398 AbgO zu einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe und zu 300,- DM Geldstrafe, ersatzweise zu weiteren zehn Tagen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafkammer hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Diesem Urteil liegen im wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde:

Am 13. September 1972 verhandelte der Angeklagte in einer Gastwirtschaft mit dem Zeugen ... wegen des Ankaufs von Haschisch. Beide kamen überein, daß der Angeklagte etwa 100 gr zu einem Preise von 3,- DM für 1 gr erwerben sollte. Das Haschisch war unverzollt eingeführt worden, was der Angeklagte wußte. Darauf führen beide in dem Pkw des Zeugen zu einer Schuttkuhle, in der dieser das Haschisch versteckt hatte. Er holte, während der Angeklagte in dem Pkw wartete, eine Platte Haschisch. Mit einer Briefwaage, die der Angeklagte mit sich führte, wogen sie das Haschisch ab, wobei sich ein Gewicht von etwa 115 gr ergab. Dann händigte der Zeuge dem Angeklagten das Haschisch aus. Den Preis von 300,- DM bezahlte der Angeklagte sofort. Auf dessen Wunsch stopfte der Zeuge sodann eine Pfeife mit etwas Tabak und Haschisch, um dieses auszuprobieren. Noch während beide rauchten, erschien eine Polizeistreife in Zivil. Der Zeuge, der die Polizeibeamten erkannt hatte, forderte den Angeklagten auf, das Haschisch schnell durch das Fenster zu werfen. Der Angeklagte versteckte es aber stattdessen unter seinem Sitz. Dort wurde es von den Polizeibeamten gefunden.

Die Revision des Angeklagten, die ohne nähere Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts rügt, mußte zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache führen.

Allerdings sind die Feststellungen zum Tathergang nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, er habe kein Haschisch von dem Zeugen gekauft, sondern nur mit ihm von dessen Haschisch geraucht. Die Strafkammer hat sich mit dieser Einlassung in einer eingehenden Beweiswürdigung auseinandergesetzt und ist in rechtsfehlerfreier Weise zu den wiedergegebenen Feststellungen gelangt.

Der Schuldspruch gibt aber schon, wie noch darzulegen sein wird, zu Zweifeln Anlaß.

1.)

Rechtlich unhaltbar ist der Strafausspruch.

Die Strafkammer ist der Auffassung, die von dem Angeklagten erworbene Menge sei eine "nicht geringe Menge" i.S. des § 11 Abs. 4 Nr. 5 BetmG und hat die Strafe aus dem erhöhten Strafrahmen des § 11 Abs. 4 BetmG entnommen. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar ist die Menge Haschisch, die der Angeklagte erworben hat, sicherlich nicht gering. Gleichwohl ist sie noch keine "nicht geringe Menge" im Sinne dieser Bestimmung.

Das BetmG verwendet im § 11 Abs. 5 den Begriff "geringe Menge", bei deren Besitz oder Erwerb zum eigenen Verbrauch das Gericht von Strafe absehen kann und im § 11 Abs. 4 Nr, 5 und Nr. 6a den Begriff "nicht geringe Menge", bei deren Einfuhr, Besitz oder Weitergabe ein besonders schwerer Fall mit einem erhöhten Strafrahmen (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) gegeben ist. Aus dieser Begriffsverwendung kann aber nicht geschlossen werden, daß immer dann, wenn ein Täter eine Menge Betäubungsmittel besitzt, die die "geringe Menge" Übersteigt, schon der Besitz einer "nicht geringen Menge" gegeben ist mit der Folge, daß ein besonders schwerer Fall vorliegt. Das "nicht gering" schließt nicht nahtlos an "gering" an; denn dann bliebe kein Anwendungsbereich für den normalen Strafrahmen des § 11 Abs. 1 BetmG (vgl. BayObLG NJW 73/669).

Dieser Anwendungsbereich für den normalen Strafrahmen darf nicht zu eng bemessen werden. Das gilt insbesondere für den Fall des Besitzes von Betäubungsmitteln durch den Verbraucher. Mit der verschärften Strafandrohung des § 11 Abs. 4 Nr. 5 und Nr. 6a BetmG sollen nach dem Willen des Gesetzgebers vornehmlich die Händler, nicht so sehr die Verbraucher, erfaßt werden (BayObLG a.a.O.; Joachimski, Betäubungsmittelrecht, § 11 Rdz. 27). Daraus folgt, daß der Besitz einer bei einem Verbraucher üblichen Menge noch nicht einen besonders schweren Fall, also eine "nicht geringe Menge" darstellen soll. Davon kann erst dann die Rede sein, wenn allein aus der Menge der Betäubungsmittel der Schluß naheliegt, daß diese nicht mehr zum Eigenverbrauch, sondern zur Weitergabe an Dritte bestimmt sind (BayObLG a.a.O.).

Nach Ansicht des BayObLG ist eine "nicht geringe Menge" i.S. des § 11 Abs. 4 Nr. 5 BetmG dann gegeben, wenn der Konsumentenpreis mehr als 1.000 DM beträgt. Ob diese Wertgrenze in jedem Falle eine brauchbare Abgrenzungsfunktion erfüllt, mag offenbleiben. Denkbar wäre, daß die Unterscheidung nach dem "Genußwert" oder "Gebrauchswert" vorgenommen wird, den die in Betracht kommende Menge für einen Endverbraucher hat. Denn es könnte bei einem plötzlich - aus welchen Gründen auch immer - eintretenden Überangebot, einer Rauschgiftschwemme, ein eklatanter Preisverfall bei einer bestimmten Sorte von Betäubungsmitteln eintreten oder es könnte sich ein stark unterschiedliches Preisniveau zwischen mehreren Bezirken bilden. In solchen oder ähnlichen Lagen wäre der (Schwarzmarkt-)Preis kein zuverlässiges Kriterium, der eine gerechte und dem Sinne des Gesetzes entsprechende Abgrenzung der besonders schweren Fälle ermöglichte. Als "nicht geringe Menge" in diesem Sinne kommt vielmehr ein Quantum in Betracht, das bei Anlegung eines durchschnittlichen Maßstabes deutlich über den Vorrat hinausgeht, den ein Verbraucher normalerweise für den Eigenbedarf anzulegen pflegt. Damit wird zwar nicht für jeden den denkbaren Fall ein gleichsam wie aus einer Tabelle ablesbarer Beurteilungsmaßstab gewonnen; es werden aber sachlich ungerechtfertigte Ergebnisse vermieden, die bei einer starren Wertgrenze von 1.000 DM auftreten müssen, etwa, wenn es von der Höhe der Gewinnspanne abhängt, die der Händler bei der Weitergabe des "Stoffes" - z.B. wegen erhöhten Risikos - auf seinen Selbstkostenpreis aufschlägt, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt oder nicht. Bei der Beurteilung dieser Präge kommt es in erster Linie darauf an, welche mögliche Gefährdung (nicht nur) Dritter von den in Betracht kommenden Betäubungsmitteln ausgeht, und nicht so sehr auf den Schwarzhandeiswert der Ware. Daher liegt es um so näher, es auf den Gebrauchs- oder Genußwert abzustellen, den die fragliche Menge des vom Täter verbotswidrig innegehabten Rauschgiftes für einen Endverbraucher hat. Damit wird zugleich eine Begünstigung des Verkehrs mit verunreinigten oder sonst qualitativ minderwertigen - und daher billigeren - Betäubungsmitteln vermieden, wie es bei Zugrundelegung einer bloßen Preisgrenze von 1.000,- DM (oder eines anderen Betrages) der Fall wäre (s. zu diesem Fragenkreis auch den Aufsatz von Wechsung und Hund in NJW 1973; 1729 mit abl. Kritik zu dem angeführten Urteil des BayObLG sowie den dort bezeichneten Beschluß des OLG Karlsruhe 3 Ws 74/72 vom 25.7.1972).

Für den vorliegenden Fall ist allerdings ohne entscheidende Bedeutung, was als maßgebliches Abgrenzungskriterium zu gelten hat, denn der Erwerb von 115 gr Haschisch fällt sicherlich nicht so sehr aus dem Rahmen des Üblichen, daß dafür nur der Strafrahmen des § 11 Abs. 4 BetmG angemessen wäre.

Da wegen des Kaufpreises von 300,- DM auch nach der Auffassung des BayObLG noch keine "nicht geringe Menge" i.S. des § 11 Abs. 4 Nr. 5 BetmG vorliegt, weicht der Senat bei seiner Entscheidung nicht von dem genannten Urteil ab, so daß eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 GVG nicht erforderlich ist.

Die Strafkammer hat mithin die Strafe einem hier nicht in Betracht kommenden Strafrahmen entnommen, so daß das Urteil im Strafausspruch aufzuheben war. Es ist nicht auszuschließen, daß die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Beurteilung zu einer geringeren Strafe gelangt wäre, auch wenn der Strafrahmen des § 11 Abs. 1 BetmG Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren zuläßt.

2.)

Der Senat hat es für geboten erachtet, die Aufhebung des Urteils auch auf den Schuldspruch zu erstrecken, da dieser unklar ist.

Die Strafkammer hat lediglich festgestellt, daß der Angeklagte Haschisch erworben hat. Nach dem früheren Opiumgesetz wurde unter Haschisch das aus indischem Hanf gewonnene Harz und dessen Zubereitungen verstanden (§ 9 OpiumG). Inzwischen hat sich aber der Sprachgebrauch gewandelt. Neben diesem eigentlichen Haschisch werden auch die Blätter und Blüten des indischen Hanfs, die in getrocknetem Zustand zum Rauchen verwendet werden, als Haschisch bezeichnet (OLG Celle, NJW 1972, 349; BayObLG GA 73, 27; Joachimski, § 1 Rdz. 8). Der Begriff Haschisch ist also im allgemeinen Sprachgebrauch mehrdeutig. Das Betäubungsmittelgesetz verwendet ihn überhaupt nicht mehr. Es unterscheidet vielmehr zwischen "Blüten oder Fruchtständen der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen, denen das Harz nicht entzogen worden ist, ausgenommen die mit solchen Ständen vermengten Samen sowie die Blätter, die kein Harz enthalten" (§ 1 Abs. 1 Nr. 1d BetmG) und "Extrakte und Tinkturen" solcher Stoffe (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 BetmG) einerseits, sowie zwischen "Rückständen des Rauchopiums, Cannabis-Harz und seinen Zubereitungen" (§ 1 Abs. 4 Nr. 3 BetmG) andererseits. Im ersten Fall besteht kein absolutes Veräußerungsverbot. Bei unerlaubtem Verkehr (§ 3 BetmG) mit diesen Produkten erfolgt die Bestrafung aus § 11 Abs. 1 Nr. 1 BetmG. Im zweiten Fall, in dem ein absolute Verkehrsverbot ausgesprochen ist (§ 9 BetmG mit eng begrenzten Ausnahmen), erfolgt sie aus § 11 Abs. 1 Nr. 6 BetmG.

Die Strafkammer wird daher festzustellen haben, ob das Haschis aus getrockneten Pflanzenteilen oder aus Harz bestand. Wenn es aus getrockneten Pflanzenteilen bestand, muß zusätzlich festgestellt werden, daß keine Genehmigung nach § 3 BetmG vorgelegen hat, was sich sonst erübrigt. Die Feststellung der Beschaffenheit des Haschisch kann durch Augenschein oder Zeugenbeweis erfolgen, weil das Harz trotz üblicher Zusätze von Pflanzenteilen oder gar Sand zur Verminderung seiner Klebrigkeit seine feste Konsistenz; erkennbar behält, während die getrockneten Pflanzenteile als grünes bis braunes Pulver von tabakähnlicher Beschaffenheit sind (OLG Celle, a.a.O.; Joachimski, § 1 Rdz. 8). Dafür, daß das Haschisch hier Cannabis Harz enthielt, könnte die Tatsache sprechen, daß es in Form einer Platte in den Verkehr gebracht worden ist.

Nach alledem war das Urteil in vollem Umfange aufzuheben.

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