LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2017 - L 6 SF 61/17 ER
Fundstelle
openJur 2019, 24652
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 26 AS 5548/16 ER
Tenor

Der Antrag des Antragstellers, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 04.01.2017 einstweilen auszusetzen, wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner.

Gründe

Die Entscheidung beruht auf § 199 Abs. 2 SGG. Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.

Der Antrag ist zulässig. Der vom Antragsteller mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts vom 04.01.2017 ist ein vollstreckbarer Titel (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Er enthält die Verpflichtung des Antragstellers, den Antragsgegnern Arbeitslosengeld II ab dem 14.12.2016 bis zum 31.03.2017, längstens bis zur Entscheidung über den Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid vom 13.12.2016 zu gewähren. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (s § 175 Satz 1 und 2 SGG).

Der Antrag ist unbegründet. Die Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG ist eine Ermessensentscheidung (s BSG SozR 4-1500 § 154 Nr. 1; LSG BW Beschluss vom 26.01.2006 - L 8 AS 403/06 ER; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 11. Aufl. § 199 Rdnr 8 mwN; aA BSG SozR 3-1500 § 199 Nr. 1). Sie erfordert regelmäßig die Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten (s Leitherer aaO mwN). Bei der Bewertung der Umstände des Einzelfalls können auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels von Bedeutung sein (s BSG SozR 4 aaO). Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es aber regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände, die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel als solcher regelmäßig verbunden sind. Dies folgt aus der Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsmittel Berufung und Beschwerde schon grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben (§ 154 Abs. 1 iVm § 86 a; § 154 Abs. 2 SGG (Berufung); § 175 Satz 1 und 2 SGG (Beschwerde)) (vgl. hierzu auch BSG Beschluss vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R) und - bezogen auf die hier eingelegte Beschwerde - keiner der in § 175 Satz 1 und 2 SGG aufgeführten Tatbestände gegeben ist, der ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung nach sich zieht.

In einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mit dem Aussetzungsantrag ebenfalls eine nur vorläufige Regelung über die Aussetzung der Vollstreckung bis zur Beendigung des Instanzenzuges erstrebt. Ist aber schon das in der Hauptsache geführte Eilverfahren im Sinne eines nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 4 SGG effizienten Rechtsschutzes darauf gerichtet, durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen abzuwenden, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (s etwa BVerfG Beschluss vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03; BVerfG aaO), so bedarf es für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG im Eilverfahren der Glaubhaftmachung weiterer schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als in dem schmalen Zeitfenster bis zur Entscheidung über die Beschwerde (zur Glaubhaftmachung s Bay LSG Beschluss vom 08.02.2006 - L 10 AS 17/06 ER; LSG BW Beschluss vom 24.06.2008 - L 7 AS 2955/08 ER). Damit ist der Anwendungsbereich des § 199 Abs. 2 SGG auch und gerade in Eilverfahren von vorneherein auf nur wenige Fallgestaltungen beschränkt.

In Anwendung dieser Maßstäbe hat der Antrag keinen Erfolg. Die Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten, ergibt hier keinen Vorrang der Interessen des Antragstellers.

Für den eher kurz bemessenen Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung im Eilverfahren hat der Antragsteller weder zusätzliche Nachteile geltend gemacht, noch sind solche erkennbar, die über die Gefahr des Ausfalls der Rückforderung hinausgehen und durch die Aussetzung nach § 199 Abs. 2 SGG abgewendet werden könnten. Als Nachteil auf Seiten des Antragstellers ist lediglich zu berücksichtigen, dass er - würde die Zwangsvollstreckung nicht einstweilen ausgesetzt - eine etwaige Rückforderung ggfs. nicht realisieren kann, wenn auf die Beschwerde hin der angefochtene Beschluss ganz oder teilweise geändert wird. Dieses unverändert bestehende Risiko kann allein schon nicht dazu führen, den o.a. zusätzlichen wesentlichen Nachteil zu begründen, weil es dem Rechtsmittelverfahren als solchem immanent ist.

Das Interesse der Antragsgegner hingegen ist auf die Zahlung vorläufig zuerkannter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gerichtet. Dabei handelt es sich um existenzsichernde Leistungen. Ihre Gewährung entspricht einer verfassungsrechtlichen, dem Schutz der Menschenwürde dienenden Pflicht des Staates (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). In dieser Konstellation sind Interessen des Antragstellers kaum denkbar und auch hier nicht ersichtlich, die gegenüber der existenzsichernden Funktion der zuerkannten Leistungen überhaupt und zudem deutlich überwiegen.

Es liegt auch kein Fall vor, der ausnahmsweise eine andere Gewichtung gebieten könnte. U. a. handelt es sich bei dem angefochtenen Beschluss auch nicht um eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen offensichtlich gesetzeswidrige Entscheidung, an der der Antragsteller nicht zumutbar festgehalten werden dürfte (zur Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels bei Entscheidungen nach § 199 Abs. 2 SGG vgl. BSG Beschluss vom 09.05.2001 - B 3 KR 47/01 R; Leitherer aaO). Selbst wenn sich die vom Antragsteller zum Aufenthaltsrecht der Antragsgegner und damit zum Anordnungsanspruch vertretene Meinung als die im Ergebnis die überzeugende Rechtsauffassung erweisen sollte, sind doch die vom Sozialgericht angestellten Erwägungen nicht offensichtlich rechtsirrig, sondern angesichts des Prüfmaßstabs im Eilverfahren jedenfalls vertretbar. Entsprechendes gilt für den Anordnungsgrund. Das Sozialgericht befindet sich ohne weiteres in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 7. Senats (LSG NRW Beschluss vom 16.11.2015 - L 7 AS 1729/15 B ER). Der erkennende Senat, der die ursprünglich gemeinsam mit dem 19. und allen anderen Fachsenaten des LSG NRW vertretene Auffassung bereits Anfang 2015 aufgegeben hat, wird ggfs. im Hauptsacheverfahren (Beschwerdeverfahren) die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung auch mit Blick auf die Kosten der Unterkunft prüfen, ohne Einengung auf ein Zeitfenster ab Erhebung der Räumungsklage (vgl. LSG NRW Beschluss vom 25.08.2015 - L 6 AS 653/15 B ER).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar.

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