OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.03.2018 - 6 B 67/18
Fundstelle
openJur 2019, 18133
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 L 1460/18

1. Erfolgreicher Antrag eines Hauptbrandmeisters auf Freihaltung von zwei Beförderungsplanstellen der Besoldungsgruppe A 9 Z LBesO NRW als Zugführer, Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt.

2. Zur Verpflichtung des Dienstherrn, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich zu fixieren.

3. Ein in einem Auswahlverfahren unterlegener Beamter hat ein Recht auf Einsicht in einer Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilungen des ausgewählten Bewerbers, soweit dies erforderlich ist, um seinen Bewerbungsverfahrensanspruch geltend zu machen.

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 13.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Das Verwaltungsgericht hat es der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur Neubescheidung untersagt, die beiden bei der städtischen Feuerwehr zu besetzenden Stellen der Besoldungsgruppe A 9 Z LBesO NRW als Zugführer, Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt, den Beigeladenen zu übertragen. Der Antragsteller habe einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die Auswahlentscheidung sei fehlerhaft und verletze den Antragsteller in seinem Anspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung (Art. 33 Abs. 2 GG). Daraus ergebe sich in Verbindung mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Verpflichtung des Dienstherrn, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen, um eine sachgerechte Kontrolle durch den unterlegenen Bewerber und ggf. das Gericht zu ermöglichen. Danach sei die Auswahlentscheidung fehlerhaft. Ein Besetzungsvorgang mit einer Dokumentation der Erwägungen, die unter Berücksichtigung des Leistungsgrundsatzes zur Auswahl der Beigeladenen geführt hätten, existiere nicht. Die erstmals im gerichtlichen Eilverfahren vorgenommene Erläuterung genüge nicht den Anforderungen an eine hinreichende Dokumentation der Auswahlentscheidung. Es erscheine auch nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller bei einer sorgfältigen und nachvollziehbaren neuen Auswahl zum Zuge kommen könne.

Mit der Beschwerde werden keine durchgreifenden Einwendungen gegen die näher begründeten Feststellungen des Verwaltungsgerichts erhoben.

Die Beschwerde macht ohne Erfolg geltend, entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sei eine hinreichende Dokumentation der Auswahlentscheidung gegeben. Dies folgt schon daraus, dass die Antragsgegnerin auch im Beschwerdeverfahren - trotz mehrfacher Aufforderungen sowohl seitens des Antragstellers als auch seitens des Gerichts - keinerlei Verwaltungsvorgänge über das Auswahlverfahren für die beiden streitgegenständlichen Stellen vorgelegt hat. Auch sonst lässt sich ihrem Vorbringen in keiner Weise entnehmen, dass ein solcher Auswahlvorgang oder wenigstens eine schriftliche Fixierung der der Auswahlentscheidung zugrunde liegenden wesentlichen Auswahlerwägungen existiert. Sollte ein Besetzungsvorgang gleichwohl existieren, wird er von der Antragsgegnerin entgegen der gerichtlichen Aufforderung dem Gericht und dem Antragsteller nicht offengelegt. Ein solches Verhalten, über dessen Gründe nur spekuliert werden könnte, wäre gleichfalls rechtswidrig.

Die Antragsgegnerin geht fehl, soweit sie meint, den Dokumentationsverpflichtungen sei damit genüge getan, dass der Antragsteller am 15. Mai 2017 seine dienstliche Beurteilung und am 23. August 2017 (und damit vor dem gerichtlichen Eilverfahren) ein Schreiben mit detaillierten Erwägungen zur Auswahlentscheidung erhalten habe.

Auf welche Weise der unterlegene Antragsteller auf der Grundlage nur seiner eigenen dienstlichen Beurteilung Kenntnis von den wesentlichen Auswahlerwägungen erhalten haben soll, ist nicht ansatzweise verständlich. Daraus kann der Antragsteller weder Anhaltspunkte für sein Abschneiden im Vergleich zu den Mitbewerbern entnehmen noch wird ersichtlich, welche Bewertungen und ggf. auch Hilfskriterien für die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin maßgeblich waren.

Aber auch der Hinweis auf das Schreiben vom 23. August 2017 trägt nicht. Dieses Schreiben ist nicht geeignet, den vom Bundesverfassungsgericht u.a. in seinen Beschlüssen vom 25. November 2015 - 2 BvR 1461/15 - (juris, Rn. 14) und vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 - (juris, Rn. 20 ff.) aufgestellten Anforderungen an die Dokumentation von Auswahlentscheidungen - diese hat das Verwaltungsgericht auf S. 4 f. der Beschlussabschrift ausführlich dargestellt; darauf wird Bezug genommen - hinreichend Rechnung zu tragen.

Ein allein an einen einzelnen Mitbewerber gerichtetes Schreiben, wie hier das vom 23. August 2017, genügt bereits dem mit einer sachgerechten Dokumentation verfolgten Ziel einer transparenten Auswahlentscheidung nicht ansatzweise. Die mit der Dokumentationsverpflichtung weiter bezweckte verfahrensbegleitende Absicherung der Einhaltung der Maßstäbe des Art. 33 Abs. 2 GG und der korrespondierenden Rechtsschutzgewährleistungen der Bewerber war mit diesem Schreiben ebenfalls nicht annähernd gewährleistet. Es wurde offenbar erst nach der eigentlichen Auswahlentscheidung vom Fachbereich Recht und Versicherung der Antragsgegnerin erstellt. Es wurde auch nur deswegen verfasst, weil sich der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 14. Juli 2017 an die Antragsgegnerin gewandt hatte; darin hatte dieser um die Mitteilung der Gründe der Auswahlentscheidung gebeten, nachdem dem Antragsteller seine Nichtberücksichtigung ausschließlich telefonisch mitgeteilt worden war.

Der mit der Beschwerde weiter geltend gemachte Umstand, dass Beurteilungen "ihrem Wesen nach grundsätzlich geheim zu halten" seien, entbindet den Dienstherrn ebenfalls nicht von seiner aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Verpflichtung, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Im Übrigen steht einem in einem Auswahlverfahren unterlegenen Beamten aus Gründen effektiver Rechtsschutzgewährung nicht nur ein Recht auf Kenntnis des Beurteilungsergebnisses, sondern weitergehend auf Einsicht in die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilungen des ausgewählten Bewerbers zu, soweit dies erforderlich ist, um seinen Bewerbungsverfahrensanspruch geltend zu machen.

Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. März 2016 - 10 B 10215/16 -, IÖD 2016, 118 = juris, Rn. 7; VG Berlin, Beschluss vom 31. März 2017 - 26 L 339.16 -, juris, Rn. 28.

Dieser Anspruch findet seine Grundlage in Art. 19 Abs. 4 GG. Soweit der 12. Senat des beschließenden Gerichts im Urteil vom 24. Juli 1980 - 12 A 1880/79 -, juris Rn. 24 (eingeschränkt aber bereits dort Rn. 25 f.), eine abweichende Rechtsauffassung vertreten haben sollte, ist daran nicht festzuhalten. Es geht aus mehreren Gründen fehl, wenn die Antragsgegnerin dem entgegenhält, die Beurteilungen gehörten gemäß § 104 Abs.1 Satz 4 LBG NRW zu den Personalakten, die geheim zu halten seien. Nicht nur existiert heute die genannte Vorschrift nicht (mehr) und enthält die geltende Bestimmung des § 104 LBG NRW keine Regelung des genannten Inhalts; die Antragsgegnerin setzt sich überdies mit der Vorschrift des § 87 Abs. 2 LBG NRW und der Notwendigkeit effektiver Rechtsschutzgewährung nicht auseinander.

Nicht nachvollziehbar ist schließlich das Vorbringen der Beschwerde zu den Anforderungen an die Begründung von Beurteilungen. Das Verwaltungsgericht hat an keiner Stelle eine unzureichende Begründung der Beurteilung des Antragstellers oder eines Mitbewerbers gerügt. Auch dass in den Beurteilungen zur Bewertung lediglich Punktwerte vergeben bzw. diese im sog. Ankreuzverfahren erstellt worden sind, wird im angefochtenen Beschluss nicht bemängelt.

Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es im Ergebnis zu keiner abweichenden Entscheidung führt, wenn man unterstellt, eine hinreichende Dokumentation der Auswahlgründe sei durch das Schreiben vom 23. August 2017 sowie das Vorbringen der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erfolgt. Denn es wird jedenfalls nicht erkennbar, in welcher Weise die Ausschöpfung der Beurteilungen, auf die sich die Antragsgegnerin zur Begründung ihrer Auswahlentscheidung nunmehr beruft, erfolgt ist. Bei gleicher Gesamtnote sollten neben der Auswertung der einzelnen Merkmale der Leistungsbeurteilung weiter die Befähigungsbeurteilung und deren Einzelfeststellungen herangezogen werden. In diesem Zusammenhang hat die Antragsgegnerin in ihrem Schreiben vom 23. August 2017 ausgeführt, bei der Ausschärfung der Einzelnoten würden die in der Stellenausschreibung beschriebenen "Schlüsselkompetenzen" (hohes Verantwortungsbewusstsein, kommunikative Fähigkeiten, Konfliktverhalten, Kooperationsfähigkeit) besonders berücksichtigt werden. Welchen konkreten Einzelmerkmalen der Beurteilungen mit Blick auf diese vier "Schlüsselkompetenzen" damit ein besonderes Gewicht zukommen soll, wird nicht erkennbar. Für den Antragsteller werden insgesamt sechs Bewertungen in den "vorstehend genannten Schlüsselkompetenzen" aufgezählt, ohne dass ersichtlich wäre, um welche Einzelmerkmale es sich dabei handelt. Auch wenn die genannten Qualifikationen sich - mindestens zum Teil - noch als Befähigungsmerkmale in der dienstlichen Beurteilung wiederfinden mögen, ist unerfindlich, wie die Antragsgegnerin auf sechs Bewertungen für nur vier Qualifikationsmerkmale kommt. Nicht klarer wird der Vorgang dadurch, dass bei dem Antragsteller im Parallelverfahren 6 B 72/18 fünf Bewertungen genannt werden.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin erscheint die Auswahl des Antragstellers schließlich auch zumindest möglich. Die nunmehr noch vorgelegte "Beurteilungsübersicht" führt daran nicht vorbei. Der Antragsteller ist danach einer von sechs Bewerbern, die im Gesamturteil der zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilung mit vier Punkten und mithin der Bestnote in der Konkurrenz bewertet sind. Die Auswertung der Einzelfeststellungen ist - wie oben ausgeführt - nicht nachvollziehbar. Die von der Antragsgegnerin ausweislich der Übersicht möglicherweise für ausschlaggebend gehaltene Entscheidung nach dem "tatsächlichen rechnerischen Gesamtwert" (Durchschnitt Leistungs- und Befähigungsbeurteilung) verbietet sich aus mehreren Gründen. Sie ersetzt die gebotene wertende Betrachtung verfehlt durch eine rein rechnerische Vorgehensweise und beachtet ungenügend das Gesamturteil der dienstlichen Beurteilungen, das nicht ohne Weiteres durch einen Rückgriff auf Einzelfeststellungen überspielt werden darf.

BVerfG, Beschluss vom 9. August 2016 - 2 BvR 1287/16 -, NVwZ 2017, 46 = juris, Rn. 81; OVG NRW, Beschluss vom 3. Februar 2014 - 6 B 1427/13 -, DÖD 2014, 184 = juris, Rn. 11.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).