OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.04.2017 - 6 A 277/16
Fundstelle
openJur 2019, 17908
  • Rkr:
Verfahrensgang

Die Dokumentationsverpflichtung des Dienstherrn erstreckt sich auch auf die Berufungsgespräche, die für die Entscheidung über die Berufung eines Professors ausschlaggebend waren. Ein nach der Auswahlentscheidung gefertigtes Erinnerungsprotokoll reicht nicht aus.

Die Gleichstellungsbeauftragte kann nicht freiwillig auf die Teilnahme an den Berufungsgesprächen verzichten, wenn sie nach den rechtlich bindenden Vorgaben zu beteiligen ist (hier: als Mitglied der Berufungskommission).

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3. Dezember 2015 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 35.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

I. Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

1. Die Beklagte wendet sich zunächst gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ernennung des Beigeladenen sei zu Lasten des Klägers rechtswidrig, weil es an einer hinreichenden Dokumentation der Erwägungen fehle, die die Auswahl des Beigeladenen und damit auch die Ablehnung der Bewerbung des Klägers trügen.

Zu Unrecht wirft die Beklagte dem Verwaltungsgericht vor, es stelle überzogene Anforderungen. Vielmehr folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten um Beförderungsämter aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG die Verpflichtung des Dienstherrn, die seiner Entscheidung zugrundeliegenden wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen und dem unterlegenen Bewerber im Wege der Akteneinsicht zugänglich zu machen. Dadurch soll der für die Auswahlentscheidung zuständigen Stelle eine vollständige Bewertungsgrundlage geschaffen und dem Bewerber sowie ggf. dem Gericht eine sachgerechte Kontrolle ermöglicht werden.

Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 -, NVwZ 2007, 1178 = juris, Rn. 20 ff.; BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - 1 WB 55.13 -, juris, Rn. 27; OVG NRW, Urteil vom 21. Juni 2012 - 6 A 1991/11 -, DÖD 2012, 228 = juris, Rn. 89, sowie Beschluss vom 25. August 2014 - 6 B 759/14 -, juris, Rn. 34 f.

Dass eine derartige Dokumentation hier vorgelegen hat, ist auch dem Zulassungsvorbringen nicht zu entnehmen. Dabei ist entgegen der Darstellung der Beklagten kein "ausuferndes Verlaufsprotokoll zu jedweder Besprechung im mehrmonatigen Berufungsverfahren" gefordert. Entscheidungserheblich ist hier der Umstand, dass es an jedweder Dokumentation des Verlaufs des Berufungsgesprächs am 5. März 2013 fehlt, das für die Berufungsentscheidung ausschlaggebend war.

Das "Ergebnisprotokoll Berufungsverfahren" vom 6. März 2013 benennt die Mitglieder der Berufungskommission sowie die Kandidaten und hält weiter allein fest: "Die Kommission kommt einstimmig zu dem Ergebnis, Herrn Dr. W. auf Platz 1 und Herrn Dr. B. auf Platz 2 der Berufungsliste zu setzen. Der Listenplatz 3 bleibt unbesetzt." Darüber hinaus existiert lediglich eine am 5. Juli 2013 von der Berufungskommission offenbar aus der Erinnerung gefertigte Übersicht der Qualitäten der vier Kandidaten. Diese ist in jeder Hinsicht unzureichend. Dies gilt zunächst hinsichtlich des Zeitpunkts der Erstellung. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend näher ausgeführt, dass die Auswahlentscheidung des Präsidenten bereits zuvor gefallen war und der Zweck des erneuten Treffens der Berufungskommission wohl darin lag, nachträglich die Gründe für die am 5. März 2013 gefällte Entscheidung zu dokumentieren. Damit setzt sich das Zulassungsvorbringen schon nicht auseinander. Auch inhaltlich genügt die Übersicht nicht den Anforderungen, weil daraus nicht ansatzweise ersichtlich ist, worauf die Bewertungen mit Plus- und Minuszeichen in den Bereichen fachliche Kompetenz, Sozial- und Teamkompetenz, Kommunikationskompetenz und Lehrprobe beruhen. Gefordert ist im Übrigen kein Wortlautprotokoll, vielmehr hätte eine stichwortartige Zusammenfassung der Fragen und Antworten sowie der Lehrprobe genügt. Schließlich ist die Übersicht defizitär, weil an deren nachträglicher Erstellung nicht alle Mitglieder der Berufungskommission mitgewirkt haben. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die mit dem Zulassungsvorbringen nicht substantiiert angegriffen werden, wird Bezug genommen.

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte ferner darauf, eine nähere Dokumentation sei entbehrlich, weil "die Chancenlosigkeit des Klägers evident" sei. Mangels jeglicher Niederschrift der gestellten Fragen und gegebenen Antworten sowie des Inhalts der Lehrprobe in den Berufungsgesprächen am 5. März 2013 lässt sich gerade nicht feststellen, dass der Kläger chancenlos war.

2. Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte weiter gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Teilnahme von Prof. U. mit beratender Stimme an den Berufungsgesprächen vom 5. März 2013 sei unzulässig gewesen, weil die Besorgnis der Befangenheit bestanden habe. Die Beklagte meint, Prof. U. sei nicht befangen gewesen, weil er als Doktorvater des Beigeladenen diesen in positiver wie negativer Hinsicht gut gekannt habe. Nach dem vom Verwaltungsgericht hier angewandten § 21 Abs. 1 VwVfG NRW reicht es aber aus, wenn die Besorgnis der Befangenheit besteht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ohne dass sich die Beklagte damit auseinandergesetzt hätte, muss nur ein Grund vorliegen, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteilische Amtsausübung zu rechtfertigen. Ferner zeigt das Zulassungsvorbringen schon deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung auch in diesem Punkt auf, weil das Verwaltungsgericht gerade nicht auf die Funktion des Prof. U. als Doktorvater abgestellt hat, sondern auf dessen sich über Jahre erstreckende Zusammenarbeit mit dem Beigeladenen am Lehrstuhl sowie seine besondere Rolle im Berufungsverfahren.

3. Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich ferner keine ernstlichen Zweifel an der weiteren Annahme des Verwaltungsgerichts, die Auswahl sei darüber hinaus verfahrensfehlerhaft gewesen, weil entgegen dem von der Beklagten geregelten Verfahren ("Prozess Berufungsverfahren") weder die Gleichstellungsbeauftragte noch ihre Vertreterin an den Berufungsgesprächen vom 5. März 2013 teilgenommen habe. Dass diese beide krankheitsbedingt verhindert gewesen wären, wird schon nicht substantiiert dargelegt. Auf den Gesichtspunkt, es habe sich um vier männliche Kandidaten gehandelt, weshalb gleichstellungsrelevante Aspekte keine Rolle gespielt hätten, kann sich die Beklagte nicht berufen. Nach ihren eigenen Vorgaben durch den "Prozess Berufungsverfahren" ist die Gleichstellungsbeauftragte - unabhängig vom Geschlecht der Bewerber - Mitglied jeder Berufungskommission (vgl. auch § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LGG). Dies entspricht den gesetzlichen Vorgaben, die den Kreis der mitwirkungspflichtigen Maßnahmen nicht auf "frauenrelevante" einengen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 2015 - 6 A 589/12 -, NWVBl. 2015, 461 = juris, Rn. 83 ff.

Dass die Hochschule entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts an diese Verfahrensregelung nicht gebunden gewesen wäre, macht die Beklagte mit dem Zulassungsantrag nicht geltend.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, die Gleichstellungsbeauftragte habe freiwillig auf ihre Teilnahme an den Berufungsgesprächen verzichtet. Mit dem zutreffenden Hinweis des Verwaltungsgerichts, dass ein solcher Verzicht nicht aktenkundig ist, setzt sich das Zulassungsvorbringen schon nicht auseinander. Dies gilt auch für die weitere Annahme in den Urteilsgründen, dass die Beklagte von ihren bindenden Vorgaben "Prozess Berufungsverfahren" nicht absehen könne, worin ein Verzicht nicht vorgesehen sei. Das Verwaltungsgericht hat zudem zutreffend auf die Rechtsprechung des Senats hingewiesen, wonach die Beteiligungsvorschriften weder zur Disposition der Gleichstellungsbeauftragten noch der Beklagten stehen.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 13. Februar 2001 - 6 A 3438/00 -, NVwZ-RR 2001, 592 = juris, Rn. 18, und vom 19. Juni 2015 - 6 A 589/12 -, a. a. O., Rn. 10 4ff.

4. Ohne Erfolg macht die Beklagte weiter geltend, die Verfahrensfehler seien nach § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Voraussetzung hierfür wäre, dass offensichtlich ist, dass sie die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst haben.

Mangels Dokumentation der Berufungsgespräche am 5. März 2013 lässt sich aber gerade nicht feststellen, dass die Befangenheit von Prof. U. für die Auswahlentscheidung ohne Relevanz war. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass vollkommen ungewiss ist, wie ein anderer externer Vertreter der Professorenschaft die Leistungen der vier Kandidaten beurteilt hätte.

Auch hinsichtlich der unterbliebenen Teilnahme der Gleichstellungsbeauftragten rechtfertigt der Vortrag der Beklagten nicht die Annahme, die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung sei auszuschließen. Der mangelnde Einfluss des Fehlers ist nur dann offensichtlich, wenn aufgrund der im Zeitpunkt der Sachentscheidung vorliegenden Tatsachen und Erwägungen ohne Weiteres erkennbar ist, dass diese ohne den Fehler in gleicher Weise ergangen wäre. Die Feststellung fehlender Kausalität wird regelmäßig nur dann möglich sein, wenn der hypothetische Wille der Behörde zweifelsfrei feststeht. Nachträgliche Bekundungen der Behörde, dass sie ohne den Fehler in der Sache die gleiche Entscheidung getroffen hätte, sind daher für sich genommen ohne Belang. So kann im Falle der fehlerhaften Nichtbeteiligung der Gleichstellungsbeauftragten die Erklärung des Dienstherrn, die Erwägungen der Gleichstellungsbeauftragten hätten seine Entscheidung unter keinen Umständen zu beeinflussen vermocht, nicht maßgeblich sein.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Juni 2010 - 6 A 470/08 -, juris, Rn. 81, und vom 17. Juli 2013 - 6 A 2296/11 -, juris, Rn. 45 ff.

Dies zugrundegelegt, kann mangels hinreichender Dokumentation nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung bei Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten anders ausgefallen wäre. Mit der zutreffenden Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich die Beklagte zum Beleg der fehlenden Beeinflussung nicht auf die Ergebnisse der erneuten Zusammenkunft (eines Teils) der Berufungskommission am 5. Juli 2013 berufen kann, weil die Personalentscheidung zu dem Zeitpunkt bereits gefallen war, setzt sich die Zulassungsbegründung schon nicht auseinander.

Das Verwaltungsgericht hat damit auch nicht etwa "die Gleichstellungsbeauftragte quasi zur Hüterin des Verfahrens ernannt", sondern lediglich im Einklang mit der von ihm zitierten Rechtsprechung angenommen, es sei nicht auszuschließen, dass die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten zum einen zur Aufdeckung der weiteren Verfahrensfehler und zum anderen zu einer anderen Einschätzung der Leistungen des Klägers und damit zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.

II. Die Beklagte hat ferner nicht dargelegt, dass die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen ist. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung ist daher eine solche Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die Beklagte formuliert schon keine Frage. Sollte sie für klärungsbedürftig halten, ob die Gleichstellungsbeauftragte auf die Teilnahme an Sitzungen der Berufungskommission verzichten kann, wäre diese Frage nicht entscheidungserheblich, da die Auswahlentscheidung bereits aus den vorstehend unter I. 1. und 2. genannten, selbstständig tragenden Gründen rechtswidrig ist. Im Übrigen ist, wie oben ausgeführt, in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die Beteiligungsvorschriften nicht disponibel sind. Dies gilt entgegen der Annahme der Beklagten nicht nur im Falle eines "Generalverzichts", sondern auch für einzelne Verfahrensabschnitte.

Vgl. zu einer solchen Fallgestaltung OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2001 - 6 A 3438/00 -, a. a. O., Rn. 18.

III. Mit der Antragsbegründung wird auch kein Verfahrensfehler dargetan, auf dem die Entscheidung beruht, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Die Beklagte meint, das Verwaltungsgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, indem es auf die fehlende Dokumentation verwiesen habe, statt selbst durch Beweisaufnahme die Fakten festzustellen. Insoweit fehlt es aber schon an der erforderlichen substantiierten Darlegung, dass die Beklagte auf die Erhebung etwaiger Beweise vor dem Verwaltungsgericht hingewirkt hat oder dass sich die unterbliebene Beweisaufnahme aufgrund bestimmter, zu benennender Anhaltspunkte dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen.

Vgl. allgemein etwa BVerwG, Beschluss vom 3. Juni 2014 - 2 B 105.12 -, juris, Rn. 26, m. w. N.

Darüber hinaus käme eine solche Sachverhaltsermittlung mit Blick auf die oben dargelegte Funktion der Dokumentation zu spät. Eine im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Begründung, mit der Auswahlerwägungen für die getroffene Entscheidung nachgeholt werden, genügt nicht der Dokumentationspflicht; sie kann deshalb nicht zur Begründung der Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung herangezogen werden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - 1 WB 55.13 -, juris, Rn. 31.

Vor diesem Hintergrund ist es erst recht nicht Sache des Gerichts, die Auswahlerwägungen im Nachhinein durch Beweisaufnahme zu ermitteln.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).