VG Gelsenkirchen, Urteil vom 04.04.2016 - 5 K 2652/14
Fundstelle
openJur 2019, 17034
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks M.------straße Nr. 22, Gemarkung I. , Flur 21, Flurstück 170 in F. , das mit einem Mehrfamilienwohnhaus bebaut ist. Hinter dem Wohnhaus befindet sich eine Stellplatzanlage mit insgesamt 12 Garagen.

Die Kläger sind Eigentümer des südlich an das Grundstück des Beigeladenen angrenzenden Grundstückes M.------straße 24, das ebenfalls mit einem Mehrfamilienwohnhaus bebaut ist. Durch Bauschein der Beklagten vom 12. Dezember 1951 in Verbindung mit dem Dispensbeschluss des Oberbürgermeisters der Beklagten vom 20. Juni 1947 wurden dem damaligen Grundstückseigentümer der Wiederaufbau- nach kriegsbedingten Schäden - und der Umbau des Wohnhauses genehmigt.

Der Grenzabstand des Gebäudes des Beigeladenen zum Grundstück der Kläger beträgt auf der gesamten Gebäudetiefe von 16,99 m 3 m. Der Abstand des Wohngebäudes der Kläger zur Grundstücksgrenze beträgt im vorderen Bereich hin zur M.------straße 3 m, verspringt nach etwa 4 Metern um 50 cm zur Grundstücksgrenze hin, so dass der Grenzabstand auf den folgenden 8 Metern lediglich 2,50 m beträgt. Danach verspringt das Gebäude nach hinten zurück. Im weiteren Verlauf beträgt der Grenzabstand etwa 4 Meter.

Quelle: Tim-Online, http://www.timonline.nrw.de/timonline/initParams.do;jsessionid=2DEE1935E07BFF6FF8DC1B315823D32F, abgerufen am 24. März 2016.

Die Grundstücke befinden sich in unbeplantem Gebiet. Unter dem 8. Mai 2014 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für den Umbau des Wohnhauses und die Erweiterung der Garagenanlage. Genehmigt wird die Erweiterung einer Dachterrasse auf dem Flachdach im rückwärtigen Bereich, ein Balkon im Erdgeschoss, zwei Dachgeschossterrassen, die Errichtung zweier zusätzlicher Garagen und eines zusätzlichen Stellplatzes auf der vorhandenen Stellplatzanlage sowie eines Stellplatzes auf der den Klägern abgewandten Gebäudeseite.

Die Kläger haben am 7. Juni 2014 Klage gegen die Baugenehmigung vom 8. Mai 2014 erhoben, zu deren Begründung sie vortragen: Das Vorhaben halte die Abstandflächen nicht ein verletze das Gebot der Rücksichtnahme. Ein Abstandflächennachweis sei nicht erbracht worden. Insofern die Beklagte vortrage, eine Abstandfläche sei in den Bauvorlagen fehlerhaft eingezeichnet, erschließe sich nicht, inwieweit auf dieser Grundlage eine Baugenehmigung habe erteilt werden können. Die Beklagte könne sich nicht auf das Schmalseitenprivileg des § 6 Abs. 6 BauO NRW berufen. Die Abstandflächenfrage werde durch den Umbau eines Gebäudeteils und der Errichtung der Dachterrasse neu aufgeworfen. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei dem Nachbarn nur einmalig die geringere Abstandfläche zuzumuten. Eine mehrfache Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs sei nicht zulässig. Durch den Umbau der Terrasse ohne Sichtschutz fühlten sich die Mieter der M.------straße 24 wie auf dem Präsentierteller, die "Riesenfläche" der Terrasse ohne jeden Sichtschutz einer Aussichtsplattform gleich ermögliche belastende Einsichtnahmemöglichkeiten nicht nur auf die Terrassen ihres Gebäudes, sondern auch in die Wohnräume. Außerdem entstehe Lärm beim Begehen der Holzplanken auf der Terrassenfläche. Unzulässig sei auch die Erweiterung der Stellplatzanlage. Durch die Genehmigung dreier weiterer Stellplätze steige die Lärmbelastung. Die Zufahrt erfolge entlang der Grundstücksgrenze, was eine besondere Belastung darstelle. In der näheren Umgebung gebe es keine vergleichbaren Garagenhöfe. Die Notwendigkeit für die Genehmigung vierer zusätzlicher Stellplätze sei nicht ersichtlich, da die Anzahl der Wohnungen im Gebäude des Beigeladenen von 17 auf 9 reduziert worden sei. Schon die vorhandenen 12 Stellplätze lägen weit über dem Richtwert von einem Stellplatz je Wohneinheit. Die Genehmigung der weiteren Stellplätze führe zu einer weiteren Verlärmung des hinteren Grundstücksbereiches und zu einer Wertminderung ihres Grundstückes. Folgte man der Auffassung der Beklagten, hätte es der Bauherr in der Hand, sukzessive eine Garage nach der anderen im rückwärtigen Bereich zu errichten, da mit jeder einzelnen Garage jeweils nur eine geringfügige Immissionsbelastung einhergehe.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich,

1. die Baugenehmigung der Beklagten vom 8. Mai 2014 aufzuheben,

2. "die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger einen neuen Bescheid unter Beachtung der nachbarrechtlichen Interessen der Kläger zu erteilen."

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt zur Begründung vor: die Abstandflächen seien eingehalten. In den Verwaltungsvorgängen sei eine Abstandflächenberechnung enthalten, in der die Abstandfläche Nr. 4 jedoch nicht korrekt eingezeichnet sei. Das Gesamtgebäude sei am 27. Juni 1969 unter Anwendung der nordrheinwestfälischen Bauordnung in der Fassung vom 25. Juni 1962 genehmigt worden. Danach habe das Gebäude einschließlich des Anbaus die erforderliche Abstandfläche von 3 m gemäß § 7 Abs. 2 der damals geltenden Bauordnung eingehalten. Von der Umbaumaßnahme sei äußerlich gesehen nur der Anbau des Hauses betroffen. Die Fassade des Hauptbaukörpers bleibe unverändert. Daher könne für die Abstandflächenermittlung das Schmalseitenprivileg in Anspruch genommen werden. Jedoch halte das Wohngebäude der Kläger die erforderliche Abstandfläche nicht ein, weil der Grenzabstand zum Teil nur 2,50 m betrage. Die Genehmigung der zusätzlichen Stell- und Garagenplätze begründe keinen Nachbarrechtsverstoß. Die Vorprägung des rückwärtigen Bereiches durch die vorhandene Stellplatzanlage spreche dagegen. Die Zufahrt erfolge bereits gegenwärtig entlang der Grundstücksgrenze. Die Stellplätze schlössen sich an die hintere Garagenbebauung an. Die Garage Nr. 1 befinde sich im hintersten Bereich des Garagenhofes und damit entfernt vom klägerischen Gebäude, was gegen unzumutbare Immissionen spreche. Gemäß § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NRW seien Garagen nebst Zuwegung sogar unmittelbar an der Nachbargrenze hinzunehmen. Die Dachterrasse füge sich nach Art und Maß der Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Durch die Terrasse ermöglichte Einsichtnahmemöglichkeiten seien in innerstädtischen Bereichen nach obergerichtlicher Rechtsprechung regelmäßig hinzunehmen.

Der Beigeladene beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beteiligten haben im gerichtlichen Ortstermin vom 29. Oktober 2015 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit durch Beschluss der Kammer vom 14. Dezember 2015 gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen worden ist, entscheidet den Rechtsstreit mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist bezüglich des Antrags zu 1. zulässig, aber unbegründet.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Aufhebung der zugunsten des Beigeladenen erteilten Baugenehmigung der Beklagten vom 8. Mai 2014, da diese nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt und die Kläger daher nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Ein Verstoß gegen das Abstandflächenrecht können die Kläger nicht geltend machen.

Nach § 6 Abs. 1 BauO NRW sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Gemäß § 6 Abs. 2 BauO NRW müssen die Abstandflächen auf dem Grundstück selbst liegen. Abstandflächen dürfen sich ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn durch Baulast gesichert ist, dass sie nur mit in der Abstandfläche zulässigen baulichen Anlagen überbaut werden und auf die auf diesen Grundstücken erforderlichen Abstandflächen nicht angerechnet werden. Gemäß § 6 Abs. 4 BauO NRW bemisst sich die Tiefe der Abstandfläche nach der Wandhöhe; sie wird senkrecht zur Wand gemessen. Als Wandhöhe gilt das Maß von der Geländeoberfläche bis zur Schnittlinie der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand. Das sich ergebende Maß ist H. Gemäß § 6 Abs. 5 BauO NRW beträgt die Tiefe der Abstandflächen, soweit in einer örtlichen Bauvorschrift nach § 86 Abs. 1 Nr. 6 nichts anderes bestimmt ist, 0,8 H. Gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW genügt auf einer Länge der Außenwände und von Teilen der Außenwände von nicht mehr als 16 m gegenüber jeder Grundstücksgrenze und gegenüber jedem Gebäude auf demselben Grundstück als Tiefe der Abstandflächen 0,4 H, in Kerngebieten 0,25 H, mindestens jedoch 3 m.

Vorliegend kann offen bleiben, ob das Vorhaben des Beigeladenen mit § 6 BauO NRW vereinbar ist. Dies wäre der Fall, wenn sich der Beigeladene auf das Schmalseitenprivileg des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW berufen könnte. Dazu müsste die von ihm und der Beklagten vertretene Rechtsauffassung zutreffen, dass dieses Privileg allein in Bezug auf den eingeschossigen Anbau in Anspruch genommen werden kann und sich die Frage einer abstandflächenrechtlichen Neubewertung des gesamten Gebäudes nicht stellt. Gegen § 6 BauO NRW würde allerdings verstoßen, träfe die Rechtsauffassung der Kläger zu, durch die angefochtene Baugenehmigung werde die Abstandflächenfrage für das gesamte Gebäude neu aufgeworfen. Dann wäre dem Beigeladenen eine Berufung auf das Schmalseitenprivileg verwehrt, da die Gesamtlänge seines Gebäudes gegenüber der Grundstücksgrenze mehr als 16 m - nämlich 16,99 m - beträgt.

Die Frage eines Abstandflächenverstoßes kann dahinstehen, da sich die Kläger im Einzelfall hierauf nicht berufen könnten. Der Eigentümer eines Grundstückes, auf dem bauliche Anlagen stehen, die selbst nicht mit den Abstandflächenvorschriften vereinbar sind, muss eine Verletzung dieser Vorschriften durch eine Bebauung auf dem Nachbargrundstück dulden, wenn sie mit dem Rechtsverstoß vergleichbar ist. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung,

OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2016 - 10 A 447/14 , juris Rn. 77 ff.; Urteil vom 29. Oktober 2012 - 2 A 723/11 -, juris Rn. 91 f.; Beschluss vom 15. Dezember 2008 - 10 B 1020/08 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. September 2010 - 3 S 1752/10 -, juris Rn. 5; BayVGH, Urteil vom 4. Februar 2011 - 1 BV 08.131 -, juris Rn. 37,

hindert ein eigener Abstandflächenverstoß den dadurch begünstigten Eigentümer zwar nicht schlechthin daran, die Baurechtswidrigkeit eines nachbarlichen Vorhabens unter dem Gesichtspunkt des Abstandflächenrechts anzugreifen. Aus dem auch im öffentlichen Baurecht zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben ist jedoch abzuleiten, dass in einer derartigen Situation nur solche Rechtsverstöße abgewehrt werden können, die den Eigentümer stärker beeinträchtigen als sein eigener Rechtsverstoß das Nachbargrundstück beeinträchtigt. Für die Vergleichbarkeit der Rechtsverstöße ist neben dem Grenzverlauf auch die Qualität der beeinträchtigten Belange unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalls von Bedeutung. Die Vergleichbarkeit der die Nachbarn wechselseitig beeinträchtigenden Rechtsverstöße ist nicht allein mathematisch auf der Grundlage der jeweiligen Grenzabstände zu ermitteln. Vielmehr ist bei der Bewertung der Beeinträchtigungen neben dem Grenzabstand auch die Qualität der Beeinträchtigung von wesentlicher Bedeutung. Es macht beispielsweise einen Unterschied für die Beeinträchtigung aus, auf welcher Länge dieAbstandflächenvorschriften missachtet werden, in welcher Himmelsrichtung vom Nachbargrundstück aus gesehen dies geschieht, welche Höhe der betreffende Bauteil aufweist, welche Emissionen (Lärm, Licht, Staub oder Gerüche) mit der Nutzung verbunden sind und welche Brandgefahren davon ausgehen.

OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2016 - 10 A 447/14 -, juris Rn. 78 f.

Nach dieser Maßgabe können die Kläger sich nicht auf einen unterstellten Abstandflächenverstoß berufen, da ihr Gebäude ebenfalls das Abstandflächenrecht in einer den Beigeladenen in seinen subjektiven Rechten verletzenden Weise verletzt und der Verstoß jedenfalls gleichwertig ist. Auf den Abstandflächenverstoß hat die Beklagte in der Klageerwiderung bereits schriftsätzlich hingewiesen.

Das Gebäude der Kläger hält gegenüber der Grundstücksgrenze auf einer Länge von 8 Metern den - nach der zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung im Jahre 1951 geltenden Baupolizeiverordnung des Verbandspräsidenten für den Siedlungsverband S. vom 24. Dezember 1938 maßgeblichen - Mindestabstand zur Grundstücksgrenze nicht ein. Nach dessen § 8 ist bei der hier vorliegenden offenen Bauweise ein seitwärtiger Abstand (Bauwich) von 3 Metern zur Grundstücksgrenze zu beachten. Das Gebäude der Kläger hält auf einer Länge von 8 m jedoch nur einen Abstand von 2,50 m zur Grundstücksgrenze ein. Die Ausnahme für Treppenräume, Aborte, Kleiderablagen, Speisekammern und Vorplätze - wonach ein Mindestabstand von 2,50 zulässig ist, vgl. § 8 Rn. 19 der zitierten Baupolizeiverordnung - greift nicht, da das Wohngebäude der Kläger diesen Mindestabstand auf der gesamten Gebäudefront aufweist, wie aus Bild Nr. 2 der anlässlich des Ortstermins gefertigten Fotografie hervorgeht. Die zitierte Ausnahmebestimmung setzt allerdings voraus, dass die Vorbauten in Höhe des Fußbodens des ersten Obergeschosses enden.

Die Abstandflächenverstöße wären auch gleichwertig. Rein geometrisch betrachtet überwiegt der Verstoß der Kläger. Die von ihrem Gebäude ausgehenden Abstandfläche liegt auf einer Fläche von 4 Quadratmetern - 8 Metern mal 0,50 cm -nicht auf ihrem Grundstück. Bezogen auf den Beigeladenen wäre in Bezug auf eine Gebäudetiefe von 99 cm - für die das Schmalseitenprivileg nicht griffe - die Abstandfläche nach Maßgabe von 0,8 H zu berechnen; bei einer Gebäudehöhe von 4,5 m (siehe Abstandflächenberechnung, A 4) errechnet sich ein Abstand von 3,6 m. Die außerhalb der Grundstücksgrenze des Beigeladenen liegende Abstandfläche betrüge damit etwa einen halben Quadratmeter (0,99 cm mal 0,60 cm). Zugunsten der Kläger ist in Rechnung zu stellen, dass die von der Dachterrasse ausgehenden Einwirkungen auf ihr Grundstück schwerwiegender sind als der von dem geschlossenen Gebäudeteil ihres Wohnhauses ausgehende Verstoß. Dennoch sind die Abstandflächenverstöße in der Gesamtbetrachtung als gleichwertig ansehen. Den von der Dachterrasse ausgehenden umfassenderen Einsichtnahmemöglichkeiten auf Grundstück und Gebäude der Kläger ist einerseits entgegen zu halten, dass die Nutzung nur in sehr geringem Umfang - nämlich in Bezug auf 99 cm - unzulässig wäre, und andererseits, dass die Dachterrasse nur zu den geeigneten Jahreszeiten genutzt werden kann und für den Rest des Jahres ungenutzt bliebe.

Nicht gefolgt kann den Klägern mit ihrem Argument, es hätten der Beklagten keine prüffähigen Bauvorlage vorgelegen, so dass eine Abstandflächenberechnung nicht habe erfolgen können; in Bezug auf die - von der Beklagten als fehlerhaft eingezeichnet angesehene - Abstandfläche "A 4" sei nicht verständlich, weshalb eine fehlerhafte Berechnung einer Genehmigung zugrunde gelegt werden konnte. Die Kläger rügen damit allenfalls einen nicht drittschützenden Rechtsverstoß. Die Frage, ob der Baubehörde prüffähige Bauvorlagen vorgelegen haben und die Baugenehmigung insoweit zu Recht erteilt wurde, beeinträchtigt nicht die subjektiven Rechten eines Nachbarn. Die Kläger können sich nur darauf berufen, dass Abstandflächen nicht eingehalten wurden. Insoweit genügt es zwar für einen Verstoß, wenn die mit einem Grünstempel versehenen Bauvorlagen unbestimmt und die Abstandflächen nicht berechnet werden können. Dafür ist vorliegend aber nichts ersichtlich, weil die für die Abstandflächenberechnung erforderlichen Maße aus den Bauvorlagen hervorgehen.

Das Vorhaben des Beigeladenen verletzt aufgrund der vermehrten Einsichtnahmemöglichkeiten durch die Terrassen und Balkone nicht das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Maßgebliche planungsrechtliche Vorschrift ist aufgrund der Lage des Vorhabens im Innenbereich § 34 BauGB. Das in § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme soll angesichts der gegenseitigen Verflechtungen der baulichen Situation benachbarter Grundstücke einen angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich schaffen, der einerseits dem Bauherrn ermöglicht, was von seiner Interessenlage her verständlich und unabweisbar ist, und andererseits dem Nachbarn erspart, was an Belästigungen und Nachteilen für ihn unzumutbar ist. Die Beachtung des Rücksichtnahmegebots soll gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Die sich daraus ergebenden Anforderungen sind im Einzelfall festzustellen, wobei die konkreten Umstände zu würdigen, insbesondere die gegenläufigen Interessen des Bauherrn und des Nachbarn in Anwendung des Maßstabes der planungsrechtlichen Zumutbarkeit gegeneinander abzuwägen sind. Dabei kann desto mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Januar 1983 - 4 C 59.79 -, vom 28. Oktober 1993 - 4 C 5.93 - und vom 23. September 1999 - 4 C 6.98 -; OVG NRW, Beschluss vom 3. September 1999 - 10 B 1283/99 -; jeweils zitiert nach juris; sowie VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Juli 2014 - 5 K 3060/13 -.

Dabei reichen bloße Lästigkeiten für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine qualifizierte Störung im Sinne einer Unzumutbarkeit.

Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 17. Januar 2014 - 5 L 1469/13 - und vom 23. August 2013 - 6 L 737/13 - sowie Urteil vom 30. Oktober 2014 - 5 K 1588/13 -; BayVGH, Urteil vom 12. Juli 2012 - 2 B 12.1211 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2012 - 2 S 50.10 -; jeweils zitiert nach juris.

In einem bebauten innerstädtischen Wohngebiet haben die Kläger hinzunehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und das Bauordnungsrecht vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt werden und es dadurch zu Schattenwurf und Einsichtsmöglichkeiten kommt, die in einem bebauten Gebiet üblich sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. September 2014 - 7 B 1037/14 -, juris Rn. 10 f.; vom 1. Juni 2007 - 7 A 3852/06 -, BRS 71 Nr. 127, vom 9. Februar 2009- 10 B 1713/08 -, BRS 74 Nr. 181 und vom 14. Februar 2013 - 7 B 99/13 -.

Die geltend gemachten Lärmbelästigungen durch das auf der Dachterrasse verlegte Holzparkett konnten beim Ortstermin nicht nachvollzogen werden. Beim Betreten des Balkons waren überhaupt keine störenden Geräusche wahrzunehmen. Erst Recht ist daher nicht plausibel, dass auf dem Grundstück oder gar innerhalb des klägerischen Gebäudes Trittschall wahrgenommen werden kann.

Auch die Genehmigung zweier zusätzlicher Garagen und zweier zusätzlicher PKW-Stellplätze verletzt weder drittschützendes Bauplanungs- noch Bauordnungsrecht.

Nach der drittschützenden Vorschrift des § 12 Abs. 2 BauNVO sind in Kleinsiedlungsgebieten, reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten sowie Sondergebieten, die der Erholung dienen, Stellplätze und Garagen nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig. Die Anforderungen des Gebotes der Rücksichtnahme beurteilen sich im Hinblick auf die einer Wohnnutzung gemäß § 12 Abs. 2 BauNVO zulässigerweise zugeordneten Stellplätze wie die Gebote des § 51 Abs. 7 Satz 1 BauO NRW, demzufolge Stellplätze so angeordnet und ausgeführt werden müssen, dass ihre Benutzung die Gesundheit nicht schädigt und die Erholung in der Umgebung nicht über das zumutbare Maß hinaus stören. Die Anzahl der zulässigen Stellplätze ist dabei gebiets- und nicht grundstücksbezogen zu ermitteln,

OVG NRW, Beschluss vom 4. Juli 2014 - 7 B 363/14 -, juris Rn. 4 m. w. N.; Beschluss vom 17. Januar 2011 - 7 B 1506/11 -, juris Rn. 21 ff.,

so dass entgegen der Auffassung der Beteiligten die Anzahl der Wohneinheiten im Gebäude des Beigeladenen und die dortige Gesamtwohnfläche nicht erheblich sind. Die Gesamtzahl von nunmehr 16 Stellplätzen deutet nicht darauf hin, dass der in dem Wohngebiet anfallende Bedarf durch sie nicht mehr gedeckt wird. Der Bedarf wird auch nicht durch die Anzahl der notwendigen Stellplätze beschränkt. Die Richtzahlen für den Stellplatzbedarf aus der Anlage zu Nr. 51.11 der Verwaltungsvorschrift zu § 51 BauO NRW enthält insoweit nur den Mindestbedarf,

vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28/91 -, juris Rn. 26; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - 10 L 765/10 -, juris Rn. 42.

Auch im Einzelfall ist die Genehmigung der zusätzlichen Stellplätze und Garagen nicht unzumutbar. Insoweit verweisen die Kläger auf den Beschluss des OVG NRW vom 5. November 2015,

- 10 B 1041/15 -, juris Rn. 5 m. w. N.,

wonach die Beantwortung der Frage, ob die Nutzung von Stellplätzen und Garagen unzumutbare Störungen in Form von Lärm oder Gerüchen iSd § 51 Abs. 7 Satz 1 BauO NRW hervorruft, anhand aller für den Einzelfall bedeutsamen Umstände und nicht abstrakt und generell nach festen Merkmalen zu erfolgen hat. Dabei kommt es entscheidend auf die konkrete Situation an, in der sich die Belästigungen auswirken können. Vor allem der Standort der Stellplätze und Garagen, seine Lage und Nähe zu den Nachbargrundstücken, die Art und Empfindlichkeit der dort stattfindenden Nutzungen sowie etwaige Vorbelastungen sind zu berücksichtigen. Schließlich ist für die Frage der Zumutbarkeit der Umfang der zu erwartenden Belästigungen von Bedeutung. So erfordert beispielsweise eine Zufahrt im stark geneigten Gelände den Einsatz von mehr Motorkraft und verursacht damit mehr Lärm und Abgase. Letzteres gilt auch für Rangiervorgänge, die für eine ordnungsgemäße Nutzung der Stellplätze und Garagen erforderlich sind.

Nach dieser Maßgabe sind im Einzelfall zwar aufgrund der Lage der Stellplätze im hinteren Grundstücksbereich stärkere Lärm- und Emissionsbelastungen als bei einer straßennäheren Stellplatzanlage zu konzedieren. Diese überschreiten jedoch nach der gerichtlichen Gesamtwürdigung aufgrund des im Ortstermin vom 29. Oktober 2015 gewonnenen Eindrucks - noch - nicht die Grenze zur Unzumutbarkeit. Bezogen auf Tiefgaragenstellplätze geht die bayrische Parkplatzlärmstudie,

Vgl. Parkplatzlärmstudie des Bayrischen Landesamtes für Umwelt, 6. Auflage, Tabelle 6, Seite 28,

von rund zwei Fahrzeugbewegungen pro Tag pro Stellplatz aus. Legt man diesen Maßstab an das Vorhaben des Beigeladenen an, wären durch die - drei nachbarrechtlich relevanten - zusätzlichen Stellplätze sechs Fahrzeugbewegungen mehr pro Tag entlang der Zufahrt, durch Rangieren sowie entsprechender Lärm durch Öffnen und Schließen der Fahrzeuge und Garagen zu erwarten. Der Stellplatz auf der anderen Seite des Gebäudes - Stellplatz 2 in der Abstandflächenermittlung - hat außen vor zu bleiben, weil er über eine eigene Zufahrt auf der anderen Gebäudeseite erschlossen wird.

Entscheidendes Gewicht kommt aber dem Umstand zu, dass die Stellplatzanlage mit bislang 12 Garagen bereits baurechtlich genehmigt ist und dadurch den rückwärtigen Bereich des Grundstücks seit Jahrzehnten maßgeblich prägt.

Vgl. zum Gesichtspunkt der Vorprägung OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2008 - 7 B 449/08 -, juris Rn. 6 ff.

Insoweit dürfte sich der vorliegende auch gegenüber dem vom OVG NRW im Beschluss vom 5. November 2015 zugrunde liegenden Sachverhalt unterscheiden, wo auf demselben Grundstück offensichtlich nicht bereits eine derartige Stellplatzanlage genehmigt wurde. Diese Vorprägung haben sich die Kläger entgegen zu halten.

Hinzu kommt, dass zusätzlicher Lärm vor den Stellplätzen - jedenfalls vor dem Stellplatz 1 und der Garage 2 - durch Rangieren und das Verschließen der Autotüren durch die Baukörper der ersten - straßennäheren - Garagenreihe teilweise abgeschirmt wird. Begegnungsverkehr auf der schmalen Zufahrt wird angesichts der zu erwartenden Anzahl an täglichen Fahrzeugbewegungen - insgesamt 30 - sehr selten sein. Sollte es dennoch dazu kommen, ist dem die Stellplatzanlage verlassenden Fahrer ein Zurücksetzen des Wagens ohne Weiteres möglich. Da die Zufahrt keine Kurve aufweist, kann er das entgegenkommende Fahrzeug frühzeitig erkennen und zurücksetzen. Beim Verlassen der Stellplatzanlage fällt auch die Steigung der Zufahrt nicht erheblich ins Gewicht. Ihr Befahren erfordert angesichts der heute üblichen deutlich erhöhten Motorleistung von Kraftfahrzeugen keine hohen Drehzahlen mehr, so dass keine unzumutbaren Lärm- oder Schadstoffwerte zu befürchten sind. Nach alledem ist auch im Einzelfall ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot - noch - nicht ersichtlich. Dem Argument der Kläger, die Beigeladene könne über die Vorprägung nunmehr stückweise noch weitere Stellplatzgenehmigungen erreichen, ist entgegen zu halten, dass mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung die beiden Stellplatzreihen nunmehr aufgefüllt sind. Nach alledem ist eine Unzumutbarkeit der Baugenehmigung durch die zusätzlichen Stellplätze - noch - nicht erreicht.

Der Klageantrag zu 2. ist bereits unzulässig, da die Kläger nicht klagebefugt sind iSd § 42 Abs. 2 VwGO. Sie haben unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt einen subjektiven Anspruch auf Erteilung einer neuen - anderen - Baugenehmigung zugunsten des Beigeladenen. Der Anspruch des Nachbarn erstreckt sich im öffentlichen Nachbarrecht nur auf die Anfechtung einer einem Dritten erteilten Baugenehmigung, die im Falle der Verletzung seiner subjektiven Rechte Erfolg hat. In diesem Fall ist es an dem Beigeladenen, erneut eine Baugenehmigung zu beantragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, da er einen Antrag gestellt und sich somit dem allgemeinen Prozessrisiko ausgesetzt hat, vgl. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.

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