LG Siegen, Urteil vom 23.03.2018 - 2 O 317/17
Fundstelle
openJur 2019, 12930
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht deliktische Schadensersatzansprüche geltend.

Gehard I erwarb am 18.09.2007 bei der F GmbH & Co. KG einen Pkw VW Tiguan mit einem EA 189 Dieselmotor, der vom VW-Abgasskandal betroffen ist, zum Kaufpreis von 38.985,00 €. Die Erstzulassung erfolgte am 11.12.2007.

Die Klägerin ist der Meinung, ihr stünden aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche gegen die Herstellerin wegen der verwendeten Manipulationssoftware zu. Sie behauptet, I, habe ihr seine Ansprüche abgetreten. Zum Zeitpunkt der Abtretungserklärung (15.02.2017) habe die Laufleistung 132.000 km betragen. Über die weitere Laufleistung, so die Klägerin, wisse sie nichts. Sie vertritt die Ansicht, hierauf komme es auch nicht an, weil ein Vorteilsausgleich nicht durchzuführen sei. Dies ergebe sich aus dem europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz, gegen den verstoßen würde, wenn man F2 Pflicht zum Nutzungsersatz bejahte. Denn ein Nutzungsersatz würde den Schadensersatzanspruch im Wesentlichen aufzehren. Dies hätte zur Folge, dass der Geschädigte faktisch daran gehindert wäre, seine auf europäischem Recht beruhenden Schadensersatzansprüche geltend zu machen, was dem Effektivitätsgrundsatz widerspräche.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 38.985 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKWs VW Tiguan Track & Field 2,0 I TDI mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer WVGZZZ5NZ8W011635 zu zahlen,

hilfsweise,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche entstandenen und künftigen Schäden zu ersetzen, die Herrn I, Dr.-Arnoldi-Straße 42, 57368 Lennestadt, aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte den PKW VW Tiguan Track & Field 2,0 I TDI mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer WVGZZZ5NZ8W011635 in Verkehr gebracht hat, obwohl dieser mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war und daher keinem genehmigten Fahrzeugtyp entspricht, entstanden sind bzw. entstehen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage bleibt erfolglos.

1)

Der Hauptantrag ist unschlüssig, weil die Klägerin, obwohl dem Grunde nach gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 826 BGB in Betracht kommt, auf Grundlage der von ihr vertretenen Rechtsansicht bewusst davon abgesehen hat, Angaben zu den gefahrenen Kilometern im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu machen, und deshalb F2 Berechnung des Schadensersatzanspruchs selbst vereitelt hat.

Denn Bestandteil der Berechnung ist das dem allgemeinen Schadensersatzrecht innewohnende Prinzip der Vorteilsausgleichung, das bewirkt, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten nur gegen Herausgabe der Vorteile erfüllt zu werden braucht, die mit dem schädigenden Ereignis in adäquatem Zusammenhang stehen. Der Anspruch der Klägerin ist von vornherein nur mit der Einschränkung begründet, dass gleichzeitig die Vorteile, die aus dem schädigenden Ereignis erwachsen sind, herausgegeben werden; dazu bedarf es keines besonderen Antrags oder einer Einrede des Schuldners (vgl. BGH, Urteile v. 15.01.2009, III ZR 28/08; BGHZ 27, 241, 248 f; BGHZ 158, 188, 200; vom 21. Oktober 2004 - III ZR 323/03 - NJW-RR 2005, 170, 171).

Die Meinung der Klägerin, ein Vorteilsausgleich sei nicht vorzunehmen, weil er dem europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz widerspreche, überzeugt nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin geht es hierbei nicht darum, ob der Vorteilsausgleich die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs und damit einen effektiven Rechtsschutz vereitelt. Vielmehr geht es um die Frage, ob überhaupt ein Schaden besteht. Europarechtliche Grundsätze bezwecken nicht die Bereicherung eines Geschädigten. F2 solche Bereicherung würde aber eintreten, wenn man den Vorteilsausgleich außer Acht ließe. Im vorliegenden Fall hätte der Käufer das Fahrzeug mehr als 10 Jahre lang kostenlos nutzen dürfen. Dass dieses Ergebnis - auch nach Europarecht - abwegig ist, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Eines weiteren gerichtlichen Hinweises bedarf es nicht. Die Klägervertreter sind in der mündlichen Verhandlung zur aktuellen Laufleistung des Fahrzeugs befragt und darauf hingewiesen worden, dass es hierfür auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt. Die aktuelle Laufleitung war den Klägervertretern unbekannt. F2 Schriftsatzfrist haben die Klägervertreter nicht beantragt, sondern streitig zur Sache verhandelt.

2)

Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist unzulässig, wäre aber auch unbegründet.

a)

Der Hilfsantrag ist wegen Vorrangs der Leistungsklage unzulässig. Der Gegenstand des Feststellungsantrags war in identischer Weise Streitgegenstand des bezifferten Leistungsantrags. Diese Parallelität der Streitgegenstände war offensichtlich auch beabsichtigt; die Klägerin hat beide Anträge daher im Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag gestellt. Die Streitwertangabe beläuft sich insgesamt nur auf den Betrag des gezahlten Kaufpreises. F2 Differenzierung zwischen dem "Rückabwicklungsschaden" und weiteren Schäden wird von der Klägerin streitgegenständlich nicht vorgenommen.

Ein solches Vorgehen ist verfahrensrechtlich nicht zulässig. Ein Schadensposten, der zum Gegenstand einer bezifferten Leistungsklage gemacht worden ist, kann grundsätzlich nicht in identischem Umfang zugleich, auch nicht hilfsweise, Gegenstand eines Feststellungsantrags sein. Denn über den Schadensposten ist abschließend (und mit der Rechtskraftwirkung des § 322 ZPO) im Rahmen des Leistungsantrags im positiven oder negativen Sinn zu entscheiden (BGH, Urteil v. 17.02.1998, VI ZR 342/96).

b)

Der Hilfsantrag wäre aber auch unbegründet, weil die Klägerin zur Geltendmachung der Feststellung nicht aktivlegitimiert ist. Zum einen ergibt sich dies aus dem Inhalt der zu den Akten gereichten Kopie der Abtretungserklärung (Bl. 471 d.A.), nach der die Abtretung allein "zum Zwecke des Forderungseinzugs" erfolgt ist und danach evtl. Feststellungsbegehren nicht erfasst. Zum andern wäre die Abtretung der Befugnis zur Erhebung einer Feststellungsklage aber auch gar nicht wirksam möglich (§ 399 BGB). Denn die Feststellungsklage ist F2 rein prozessuale Einrichtung. Sie beinhaltet keinen materiellrechtlichen Anspruch im Sinne der §§ 194 Abs. 1, 241 Abs. 1 BGB, sondern stellt nur F2 besondere Rechtsbehelfsform zum Schutz materieller Rechtspositionen dar (AG Düsseldorf v. 29.04.2003 - 21 C ...#/... - Schaden-Praxis 2003, 289-290; jurisPK-Rosch, § 399 BGB, Rdnr. 10; Busche in: Staudinger, § 399 Rn. 34).

3)

Das Gericht hat den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägervertreter vom 16.03.2018 zur Kenntnis genommen. Dessen Inhalt rechtfertigt aus den bereits dargelegten Gründen keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

4)

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: 38.985,00 €

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte