VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.03.1999 - 1 S 2726/98
Fundstelle
openJur 2013, 11001
  • Rkr:

1. Die Beschwerde kann auch zugelassen werden, wenn ein im Rahmen des § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO gerügter Verfahrensmangel (hier: Verletzung des rechtlichen Gehörs) zu einer fehlerhaften tatsächlichen Grundlage der erstinstanzlichen Entscheidung geführt hat und die Entscheidung deshalb ernstlichen Zweifeln begegnet.

Gründe

Soweit die Antragsteller eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) darlegen und geltend machen, daß dieser Fehler im Verfahrensgang einen Fehler der Sachentscheidung bewirkt habe, haben ihre Zulassungsanträge Erfolg.

Der Zulassung steht nicht entgegen, daß die Antragsteller den hiermit geltend gemachten Verfahrensmangel nicht als Zulassungsgrund im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO bezeichnet, sondern sich auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO berufen haben.

§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO entfaltet gegenüber § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO keine Ausschlußwirkung (wie hier: VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 19.6.1998 - 9 S 1151/98 -, NVwZ 1998, 1088ff.; OVG Münster, NVwZ 1998, 193; Schmidt, NVwZ 1998, 694; Rennert, NVwZ 1998, 665; Seibert, DVBl. 1997, 932; derselbe NVwZ 1999, 113ff.; a.A.: VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 27.2.1998 - 7 S 216/98 -, NVwZ 1998, 646; Bader, NJW 1998, 409). Vielmehr können sich Überschneidungen ergeben, sofern ein Verfahrensmangel zu einer fehlerhaften tatsächlichen Grundlage der erstinstanzlichen Entscheidung geführt haben kann und die Entscheidung deshalb ernstlichen Zweifeln begegnet. In solchen Fällen kann der Antragsteller, der den die Zulassung begründenden Sachverhalt hinreichend dargelegt hat, nicht darauf verwiesen werden, den Verfahrensmangel (allein) als Zulassungsgrund im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu bezeichnen.

Die Antragsteller haben in einer den Erfordernissen des § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO Rechnung tragenden Weise die Gründe dargelegt, aus denen die Beschwerden zuzulassen sind. Sie haben geltend gemacht, daß - erstens - das Verwaltungsgericht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen hat, indem es, ohne ihnen eine Frist zur Antragsbegründung zu setzen und ohne die ausdrücklich angekündigte Antragsbegründung abzuwarten, bereits neun Tage nach Eingang ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz über ihre Anträge entschieden habe, und daß - zweitens - die vom Verwaltungsgericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung anders hätte ausfallen können, wenn ihnen in der gesetzlich vorgesehenen Weise (§ 108 Abs. 2 VwGO) die Möglichkeit zur Unterbreitung der entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände gewährt worden wäre.

Der gerügte Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs liegt tatsächlich vor; er wird durch die verwaltungsgerichtliche Verfahrensakte bestätigt. Auf diesem Verfahrensmangel kann die Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beruhen. Es genügt insoweit die Möglichkeit, daß der Mangel die Entscheidung beeinflußt hat. Das Verwaltungsgericht hat "auf der Grundlage der bisher bekannten Tatsachen" entschieden, ohne das angekündigte Vorbringen abzuwarten, so daß bei der vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden eigenen Ermessensentscheidung, bei der es in der Regel das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Individualinteresse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung abzuwägen hat, die zugunsten der Antragsteller sprechenden Umstände unberücksichtigt geblieben sein können. Da der Fehler im Verfahrensgang auch eine unrichtige Sachentscheidung bewirkt haben kann, begegnet die angegriffene Entscheidung zugleich ernstlichen Zweifeln im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.