BGH, Urteil vom 14.06.2018 - IX ZR 232/17
Fundstelle
openJur 2018, 6156
  • Rkr:
Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. September 2017, berichtigt durch Beschluss vom 14. November 2017, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Abtretung. Die Beklagten waren Geschäftsführer der R. GmbH (fortan Schuldnerin), über deren Vermögen auf Eigenantrag vom 4. November 2010 am 31. Dezember 2010 das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt P. als Insolvenzverwalter bestellt wurde. Die Schuldnerin war Teil einer im Bereich der Herstellung und des Vertriebs von Regalsystemen tätigen Unternehmensgruppe. Über das Vermögen weiterer Gesellschaften dieser Gruppe wurde im Zeitraum zwischen dem 31. Dezember 2010 und dem 12. Juli 2011 ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet.

Am 15. Februar 2013 schlossen die beteiligten Insolvenzverwalter der Gesellschaften unter anderem mit dem Kläger eine Vereinbarung zur Erledigung und Beilegung von zwischen den Vertragsparteien bestehenden vielfältigen rechtlichen Auseinandersetzungen über gegenseitige Ansprüche. Diese Vereinbarung sieht unter anderem vor, dass mögliche vertragliche und außervertragliche Ansprüche gegen die Beklagten an den Kläger abgetreten werden und der Kläger vorsorglich zur Geltendmachung der Ansprüche und zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt wird. Hierzu heißt es: " [...] abgetreten sind auch die etwaigen Ansprüche der Insolvenzverwalter gegen die Geschäftsführer [...] gemäß § 64 Satz 1 GmbHG auf Erstattung von Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Insolvenzschuldnerinnen." Unter dem 18. März 2013 unterzeichneten die Insolvenzverwalter zwei als "Abtretung" bezeichnete Schriftstücke, in denen etwaige vertragliche und außervertragliche Ansprüche gegen die Beklagten als ehemalige Geschäftsführer in voller Höhe einschließlich etwaiger Zinsen an den Kläger abgetreten werden.

Gestützt hierauf nimmt der Kläger die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadenersatz wegen behaupteter Zahlungen betreffend die Schuldnerin im Zeitraum vor Insolvenzeröffnung in Anspruch. Mit einer Zwischenfeststellungswiderklage begehren die Beklagten die Feststellung, dass die Abtretung der gegen sie gerichteten Ansprüche an den Kläger und die Einräumung einer Prozessstandschaft unwirksam seien. Das Landgericht hat die Widerklage durch Teilurteil abgewiesen. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Feststellungsbegehren weiter.

Gründe

Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin habe die streitgegenständlichen Ansprüche wirksam an den Kläger abgetreten. Der Kläger habe die Abtretung schlüssig dargelegt. Mit ihrem insoweit erhobenen Einwand, aus der Vorlage einer teilgeschwärzten Vereinbarung werde nicht dargelegt, die Vereinbarung sei unbedingt erfolgt, könnten die Beklagten nicht durchdringen; der erst in der Berufung gehaltene Vortrag, hinter den Schwärzungen könnten Wirksamkeitshindernisse versteckt sein, sei neu und nicht mehr zuzulassen. In der Vereinbarung werde auch die Annahme der Abtretung erklärt.

Den Beweis einer Insolvenzzweckwidrigkeit der Vereinbarung hätten die Beklagten nicht erbracht. Die Abtretung sei nicht ohne Gegenleistung erfolgt, sondern als Teil einer Gesamtbereinigung. Dass der Insolvenzverwalter die Abtretung ohne Beteiligung am Beitreibungserlös vereinbart habe, begründe keine Zweckwidrigkeit. Inhalt und Umstände der abgeschlossenen Vereinbarung ließen keinen offensichtlichen Verstoß gegen die Aufgaben des Insolvenzverwalters erkennen. Dieser habe vielmehr unter Berücksichtigung einer anwaltlichen Stellungnahme von der geringen Werthaltigkeit der abgetretenen Ansprüche ausgehen dürfen. Es könne nicht festgestellt werden, dass diese Einschätzung auf untragbaren Annahmen beruhe. Weder seien die Forderungen als "Lästigkeitsprämie" abgetreten, noch werde einer der Insolvenzgläubiger einseitig bevorzugt. Auf das subjektive Element der Insolvenzzweckwidrigkeit komme es deshalb nicht mehr an.

Die Vereinbarung sei schließlich auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 9b GmbHG unwirksam. Diese Vorschrift finde zwar grundsätzlich Anwendung auch auf Ansprüche nach § 64 GmbHG. Indes setze § 9b GmbHG dem Insolvenzverwalter für den Abschluss eines Vergleichs oder eines Verzichts hinsichtlich solcher Ansprüche keine über das Verbot der Insolvenzzweckwidrigkeit hinausgehenden engeren Schranken. Offen bleiben könne daher, ob § 9b GmbHG bereits deswegen ausscheide, weil nicht unmittelbar ein Vergleich oder Verzicht vereinbart worden sei, oder ob die Berufung der Beklagten auf eine Unwirksamkeit nach § 9b GmbHG rechtsmissbräuchlich wäre.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

1. Die Revision ist uneingeschränkt zulässig. Der Entscheidungssatz des Berufungsurteils enthält keine Beschränkung der Revisionszulassung; die bloße Angabe des Grundes für die Zulassung der Revision reicht nicht, um von einer nur beschränkten Zulassung des Rechtsmittels auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juli 2016 - I ZR 9/15, BGHZ 211, 309 Rn. 11 mwN).

2. Die Zwischenfeststellungsklage ist gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Die begehrte Feststellung geht über den der Rechtskraft zugänglichen Gegenstand der Klage hinaus. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, erledigt das Urteil über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien nicht erschöpfend.

3. Die tatrichterlichen Feststellungen tragen die Annahme des Berufungsgerichts, zwischen den Parteien sei eine Abtretungsvereinbarung zustande gekommen. Mit ihren hiergegen gerichteten Rügen, die sich darauf stützen, dass der Kläger die Vereinbarung vom 15. Februar 2013 nicht vollständig, sondern teilweise geschwärzt vorgelegt hat, kann die Revision nicht durchdringen. Dabei kann dahinstehen, ob die Behauptung, die Abtretung sei möglicherweise an Bedingungen geknüpft gewesen, im Berufungsverfahren neu im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO war. Denn nach den getroffenen und insoweit nicht angegriffenen Feststellungen wurden die streitgegenständlichen Ansprüche jedenfalls mit Erklärung vom 18. März 2013 uneingeschränkt abgetreten. Der Kläger hat die Abtretung spätestens mit Geltendmachung der Ansprüche gegen die Beklagten angenommen, welche nach deren Vorbringen umgehend nach Abschluss der Vereinbarung vom 15. Februar 2013 erfolgte.

4. Auch die Wertung des Berufungsgerichts, die Abtretungsvereinbarung sei nicht insolvenzzweckwidrig, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Diesem steht bei der Ausübung seiner Tätigkeit grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zu (BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 172/11, NZI 2013, 347 Rn. 8). Seine Rechtsmacht ist allerdings durch den Insolvenzzweck (§ 1 InsO) beschränkt. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters unwirksam, welche der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger klar und eindeutig zuwiderlaufen; sie verpflichten die Masse nicht (BGH, Urteil vom 25. April 2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 360 f; vom 10. Januar 2013, aaO). Dies trifft indes nur dann zu, wenn der Widerspruch zum Insolvenzzweck unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten für jeden verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich ist, wenn der Widerspruch zum Insolvenzzweck also evident war und sich dem Geschäftspartner aufgrund der Umstände des Einzelfalls ohne weiteres begründete Zweifel an der Vereinbarkeit der Handlung mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens aufdrängen mussten, ihm somit der Sache nach zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2002, aaO; Beschluss vom 20. März 2008 - IX ZR 68/06, NZI 2008, 365 Rn. 4; vom 14. April 2011 - IX ZR 114/10, juris Rn. 3; Urteil vom 20. März 2014 - IX ZR 80/13, NZI 2014, 450, Rn. 14; zur KO bereits BGH, Urteil vom 13. Januar 1983 - III ZR 88/81, NJW 1983, 2018, 2019). Um Insolvenzzweckwidrigkeit anzunehmen, genügt es nicht, dass die Handlung des Insolvenzverwalters nur unzweckmäßig oder unrichtig ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2014, aaO mwN; Uhlenbruck/Hirte/Ede, InsO, 14. Aufl., § 129 Rn. 152).

Das gilt auch für einen vom Insolvenzverwalter geschlossenen Vergleich, der regelmäßig ein teilweises Entgegenkommen beinhaltet und somit - falls er einen oder mehrere Ansprüche zum Gegenstand hat - einen teilweisen Verzicht. Nur ein Verzicht, welcher dem Zweck des Insolvenzverfahrens - der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger - klar und eindeutig zuwiderläuft, wäre unwirksam; ist der Vergleich für die Masse nur ungünstig, aber noch nicht insolvenzzweckwidrig, ist er wirksam (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 - IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 Rn. 24 mwN). Die Darlegung und gegebenenfalls der Nachweis, dass der geschlossene Vergleich oder die darin erfolgte Forderungsabtretung wegen Insolvenzzweckwidrigkeit unwirksam ist, obliegt der Partei, die sich auf diesen rechtsvernichtenden Einwand beruft.

b) Hiervon geht das Berufungsgericht zutreffend aus. Es ist auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt, dass sich ein zur Unwirksamkeit der Abtretung führendes insolvenzzweckwidriges Handeln nicht feststellen lasse. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

aa) Der Verweis der Revision auf die an den Insolvenzverwalter zu stellenden Sorgfaltsanforderungen vermag keine Aussage zur Unwirksamkeit der gegebenenfalls pflichtwidrig vorgenommenen Rechtshandlung zu geben. Zwar ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers das gesetzliche Leitbild des ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters an die handels- und gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen (§ 347 Abs. 1 HGB, § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 1 GenG, § 43 Abs. 1 GmbHG) angelehnt (BT-Drucks. 12/2443, S. 129). Jedoch sind insoweit bereits die Besonderheiten zu beachten, die sich aus den Aufgaben des Insolvenzverwalters und aus den Umständen ergeben, unter denen er seine Tätigkeit ausübt (BGH, Urteil vom 16. März 2017 - IX ZR 253/15, NJW 2017, 1749 Rn. 17, zVb in BGHZ). Angesichts der dem Insolvenzverwalter eingeräumten umfassenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis kann nicht jede pflichtwidrig vorgenommene Rechtshandlung unwirksam sein, sondern - wie ausgeführt - nur eine solche, die dem Insolvenzzweck offenbar zuwiderläuft. Der Gläubiger der Gesellschafter wird insoweit auch nicht völlig schutzlos gestellt, denn er kann, wenn die weiteren haftungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, den Insolvenzverwalter nach § 60 InsO auf Schadensersatz in Anspruch nehmen (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 - IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 Rn. 24).

bb) Die Wertung des Berufungsgerichts, die Abtretung von Ansprüchen gegen die Beklagten erweise sich nicht als insolvenzzweckwidrig, lässt auch im Übrigen keine Rechtsfehler erkennen. Mit ihrem Vorbringen, für das Revisionsverfahren sei von der Abtretung einer werthaltigen Forderung ohne gleichwertige Gegenleistung auszugehen, lässt die Revision außer Betracht, dass das Berufungsgericht dem entgegenstehende Feststellungen getroffen hat. Danach ist die beanstandete Abtretung Teil eines Gesamtvergleichs, durch den eine Vielzahl gegeneinander geführter Rechtsstreitigkeiten abschließend erledigt werden sollte ("Generalbereinigung"). Ohne die Abtretung wäre die Gesamtvereinbarung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zustande gekommen. Der Ausgang der vergleichsgegenständlichen und mit einem erheblichen Kostenrisiko für die Masse verbundenen Verfahren war ungewiss. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses hinsichtlich von ihm geltend gemachter Schadenersatzansprüche ein Grundurteil zu seinen Gunsten erwirkt, in einem anderen mit dem Kläger geführten Rechtsstreit waren die Insolvenzverwalter der Gesellschaften erstinstanzlich unterlegen. Demgegenüber bestand Versicherungsschutz für die Beklagten lediglich bis zu einer Höhe von 5 Mio. €. Die den Insolvenzverwalter der Schuldnerin beratenden Rechtsanwälte kamen in einer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass der Gesamtvergleich für die Masse vorteilhaft sei. Die Würdigung des Berufungsgerichts, begründete Zweifel an der Vereinbarkeit der Abtretung mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens hätten sich nicht aufdrängen müssen, ist vor diesem Hintergrund revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Insolvenzverwalter ist auch nicht stets gehalten, sich eine Beteiligung an der abgetretenen Forderung für den Fall von deren Beitreibung einräumen zu lassen. Wie die hierzu von der Revision in Bezug genommenen Entscheidungen (BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 172/11, NZI 2013, 347 Rn. 10; OLG München, WM 2006, 1765, 1769 f) bereits zeigen, kommt es maßgeblich auf eine Gesamtbetrachtung der sich für die Masse ergebenden Auswirkung des abzuschließenden Vergleichs an. Entscheidend sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. Es kommt dabei nicht allein auf die Nennwerte der sich gegenüberstehenden - und bis dahin lediglich behaupteten - Forderungen an. Vielmehr hat der Insolvenzverwalter deren wirtschaftliche Werthaltigkeit unter Berücksichtigung von Kosten und Aussichten einer Verwirklichung zu prüfen. Beachtung verdienen ferner die Vorteile, die sich für die Masse aus einer nichtstreitigen Auseinandersetzung ergeben können. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Insolvenzverwalter eine solche Prüfung durchgeführt mit dem Ergebnis, dass er von einer gerichtlichen Geltendmachung zugunsten der Masse abgesehen hätte. Ob der Kläger von der Werthaltigkeit der an ihn abgetretenen Ansprüche überzeugt war, ist für die Wirksamkeit der Abtretung nicht entscheidungserheblich.

5. Der Wirksamkeit der Abtretungsvereinbarung steht es auch nicht entgegen, dass gemäß § 64 Satz 4, § 43 Abs. 3 Satz 2, § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG ein Verzicht der Gesellschaft auf Ersatzansprüche nach § 64 Satz 1 und Satz 3 GmbHG oder ein Vergleich der Gesellschaft hierüber, der die Ersatzpflicht des Geschäftsführers einschränkt, unwirksam ist, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist.

a) Für die hier interessierende Abtretung der Ersatzansprüche an einen Dritten kommt nur eine entsprechende Anwendung des § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG in Betracht, weil nach dem Wortlaut dieser Vorschrift unmittelbar nur der Vergleich (im Sinne des § 779 BGB) mit einem Ersatzverpflichteten (Ulmer/ Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 9b Rn. 10 f; Scholz/ Veil, GmbHG, 12. Aufl., § 9b Rn. 7; MünchKomm-GmbHG/Herrler, 3. Aufl., § 9b Rn. 15; Henssler/Strohn/Schäfer, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., § 9b GmbHG Rn. 5; Nießen in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 3. Aufl., § 9b Rn. 8), sowie der wenigstens teilweise Verzicht (etwa durch Erlassvertrag, § 397 Abs. 1 BGB, oder durch negatives Schuldanerkenntnis, § 397 Abs. 2 BGB; vgl. Ulmer/ Habersack, aaO Rn. 8 f; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl., § 9b Rn. 2; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl., § 9b Rn. 5; Tebben in Michalski/Heidinger/Leible/J.Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., § 9b Rn. 2; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 8. Aufl. § 9b Rn. 2; Wicke/Wicke, GmbHG, 3. Aufl. § 9b Rn. 1; Nießen in Gehrlein/Born/Simon, aaO Rn. 5 ff) unwirksam sind. Ob die für eine solche Analogie erforderlichen Voraussetzungen im Falle der Abtretung der Ansprüche der Gesellschaft durch einen Insolvenzverwalter vorliegen, kann hier dahinstehen.

b) Die Vorschrift des § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG gilt nicht für den Insolvenzverwalter. Zwar enthalten § 64 Satz 4, § 43 Abs. 3 Satz 2, § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG keine ausdrückliche Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs. § 9b Abs. 1 GmbHG, auf dessen entsprechende Anwendung § 64 Satz 4 GmbHG über § 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG verweist, spricht von "der Gesellschaft". Eine am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung ergibt jedoch, dass § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG (auch für Ansprüche nach § 64 Satz 1 und Satz 3 GmbHG) nicht für die Gesellschaft gilt, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dies hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der nahezu einhelligen Auffassung in der Literatur (Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, aaO § 64 Rn. 132; Schmidt-Leithoff/Schneider in Rowedder/Schmidt-Leithoff, aaO, § 64 Rn. 54; Nerlich in Michalski/Heidinger/ Leible/J.Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., § 64 Rn. 28; MünchKomm-GmbHG/Müller, 2. Aufl., § 64 Rn. 106, 171; Henssler/Strohn/Arnold, aaO Rn. 39 mwN; Baumbach/Hueck/Fastrich, aaO § 9b Rn. 2; Wicke, aaO § 64 Rn. 24; HK-GmbHG/ Kolmann, 3. Aufl., vor § 64 Rn. 251 f, § 64 Rn. 75; Bork/Schäfer/Bork, GmbHG, 3. Aufl., § 64 Rn. 33; BeckOK-GmbHG/Mätzig, Februar 2018, § 64 Rn. 93; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 14. Aufl., § 35 Rn. 338 f; Haas, ZInsO 2007, 464, 469) zutreffend gesehen.

aa) Der Wortlaut des § 9b Abs. 1 GmbHG vermag die These der Revision, § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG sei uneingeschränkt auch auf den Insolvenzverwalter anwendbar, nicht zu stützen. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der in § 9b Abs. 1 Satz 2 GmbHG geregelten insolvenzbezogenen Ausnahme von der Unwirksamkeit eines Verzichts oder Vergleichs. Denn diese Ausnahme betrifft ausschließlich die Insolvenz des Ersatzpflichtigen (vgl. Ulmer/Habersack, aaO § 9b Rn. 17 ff; MünchKomm-GmbHG/Herrler, aaO § 9b Rn. 28; Henssler/ Strohn/Schäfer, aaO § 9b Rn. 10; BeckOK-GmbHG/Ziemons, August 2017, § 9b Rn. 16). Dass der Gesetzgeber damit auch insolvenzrechtliche Sachverhalte die Gesellschaft betreffend in den Blick genommen oder geregelt hätte, ist weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 8/1347, S. 36) ersichtlich. Die Vorschrift des § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG adressiert im Gegenteil die Gesellschaft, die aber durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst wird (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG).

bb) Anderes kann auch der Gesetzessystematik nicht entnommen werden. § 9b GmbHG findet sich in dem die Errichtung einer Gesellschaft betreffenden Abschnitt 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), ist also Teil der Gründungvorschriften. Über den unmittelbaren Anwendungsbereich betreffend die Kapitalaufbringung bei Gründung der Gesellschaft hinaus findet die Vorschrift entsprechende Anwendung auf die Kapitalerhöhung (§ 57 Abs. 4 GmbHG) sowie auf Umwandlungssachverhalte (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 1, § 135 Abs. 2 Satz 1, § 197 Satz 1 UmwG). Insoweit bezieht sich § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG auf Kapitalaufbringung und -erhaltung bei Gründung und Betrieb einer werbenden Gesellschaft. Auch § 43 Abs. 3 GmbHG, auf den § 64 Satz 4 GmbHG verweist, dient als spezieller Haftungstatbestand der Durchsetzung von Kapitalerhaltungsregelungen in §§ 30 und 33 GmbHG. Anders als bei einer werbenden Gesellschaft kann in der Insolvenz der Gesellschaft der Insolvenzverwalter masseschädliche Verstöße gegen die Kapitalerhaltungsregeln bereits nach den §§ 129 ff InsO korrigieren. Einer Regelung wie derjenigen des § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG hätte es für den Insolvenzverwalter also nicht bedurft, was zeigt, dass diese Regelung nicht die Befugnisse des Verwalters in der Insolvenz der Gesellschaft im Blick hat.

cc) Eine Geltung von § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG für den Insolvenzverwalter ergibt sich auch nicht daraus, dass § 64 GmbHG Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung in den Blick nimmt, die Haftung also im Regelfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt und es dann Sache des Insolvenzverwalters ist, diese Ansprüche geltend zu machen.

Der Zweck des § 64 GmbHG besteht darin, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern und gegebenenfalls sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird und im nachfolgenden Insolvenzverfahren zur Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 15. März 2016 - II ZR 119/14, NJW 2016, 2660 Rn. 15 mwN). Auch die Erweiterung des § 64 GmbHG durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I, S. 2026) zielt auf den - insoweit bewusst über einen nachträglichen Schutz durch § 129 ff InsO hinausgehenden - Schutz vor Vermögensverschiebungen zwischen der werbenden Gesellschaft und ihren Gesellschaftern; es soll der Gefahr vorgebeugt werden, dass bei sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit von Gesellschaftern Mittel entnommen werden können (BT-Drucks. 16/6140, S. 46 f). Dieser dem Insolvenzverfahren vorgelagerte Schutz wird durch das über § 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG entsprechend anwendbare Vergleichs- und Verzichtsverbot des § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG begleitet, was dafür spricht, dass auch dieses nur insoweit greift, als das Insolvenzverfahren noch nicht eingeleitet ist. Auch verliert § 64 GmbHG nicht, wie die Revision meint, dadurch jeglichen Anwendungsbereich, dass der Insolvenzverwalter nicht dem Verzichts- und Vergleichsverbot unterworfen ist.

dd) Die Vorschrift des § 9b GmbHG soll ausweislich der Gesetzesbegründung ausschließlich dem Gläubigerschutz dienen (BT-Drucks. 8/1347, S. 36). Sie soll also die Durchsetzbarkeit gläubigerschützender Ersatzansprüche sichern; einen weitergehenden Schutz der Gesellschaft oder einer Minderheit bezweckt § 9b GmbHG nicht (Ulmer/Habersack, aaO § 9b Rn. 2; Münch-Komm-GmbHG/Herrler, aaO § 9b Rn. 2; Nießen, aaO § 9b Rn. 1). Verhindert werden soll, dass einem Gesellschaftsgläubiger, der einen Zahlungstitel gegen die Gesellschaft erwirkt hat, Ansprüche gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter als Haftungsmasse entzogen werden. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der Gläubigerschutz vorrangig durch das Insolvenzrecht realisiert. In Fällen, in denen der Schuldner zur vollen Befriedigung aller Gläubiger nicht mehr in der Lage ist, dient das Insolvenzrecht der Verwirklichung der Vermögenshaftung (BT-Drucks. 12/2443, S. 108). Das Ziel einer bestmöglichen und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung steht im Vordergrund und wird mit den Regelungen der Insolvenzordnung verwirklicht. Die in § 1 InsO genannten Ziele des Insolvenzverfahrens begrenzen zugleich die Rechtsmacht des Insolvenzverwalters (MünchKomm-InsO/Ganter/Lohmann, 3. Aufl., § 1 Rn. 7). Die Gläubiger werden zudem über §§ 60, 61 InsO geschützt. Eines anders gelagerten Gläubigerschutzes, wie er bei einer werbenden Gesellschaft erforderlich ist, bedarf es im Insolvenzfall nicht.

ee) Einer Geltung von § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG für den Insolvenzverwalter stehen vor allem dessen Aufgaben und dessen Stellung entgegen.

(1) Mit der Insolvenzeröffnung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO), das Gesellschaftsvermögen wird zur Insolvenzmasse (§§ 35, 36 Abs. 1 und 2 InsO). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Verwalter nicht - wie der vormalige Geschäftsführer - Vertreter des Schuldners, sondern Partei kraft Amtes (BGH, Urteil vom 26. Januar 2006 - IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260 mwN). Die Organe der Gesellschaft bleiben nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar bestehen, sie nehmen aber nur solche Kompetenzen wahr, die nicht die Insolvenzmasse betreffen (BGH, aaO). Weder die Gesellschafterversammlung noch ein Aufsichts- oder Verwaltungsrat ist berechtigt, dem Insolvenzverwalter Weisungen hinsichtlich der Art und Weise der Abwicklung zu erteilen (HK-InsO/ Kayser, 9. Aufl., § 80 Rn. 30; Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl., § 80 Rn. 53). Dem Insolvenzverwalter steht bei der Ausübung seiner Tätigkeit grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zu. Seine Befugnisse sind bewusst weit gefasst und gehen über den gesellschaftsrechtlichen Handlungsrahmen hinaus (Baumbach/Hueck/Haas, aaO § 60 Rn. 42). Gegenstände der Masse können vom Insolvenzverwalter freigegeben werden mit der Folge, dass der Insolvenzbeschlag endet und der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wiedererlangt. Wird eine Forderung freigegeben, fällt grundsätzlich auch ein mit deren Beitreibung erzieltes Vermögen nicht in die Insolvenzmasse (BGH, Beschluss vom 3. April 2014 - IX ZA 5/14, NZI 2014, 501 Rn. 6 mwN; Urteil vom 22. Mai 2014 - IX ZR 136/13, NZI 2014, 614 Rn. 33).

(2) Hiervon ausgehend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Insolvenzverwalter auch im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person befugt ist, einzelne Gegenstände aus der Masse freizugeben (BGH, Urteil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32). Auch kann er auf Insolvenzanfechtung gestützte Herausgabeansprüche abtreten (BGH, Urteil vom 17. Februar 2011 - IX ZR 91/10, WM 2011, 1080 Rn. 8; vom 10. Januar 2013 - IX ZR 172/11, WM 2013, 471 Rn. 10). Die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte gelten in gleicher Weise für die Frage, ob der Insolvenzverwalter auf einen Anspruch der Masse aus § 64 Satz 1 und Satz 3 GmbHG verzichten oder sich über einen solchen vergleichen kann. Das Insolvenzverfahren wird geprägt von dessen Ziel der bestmöglichen und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung. Der Insolvenzverwalter soll nicht gezwungen sein, einen unter Umständen mit einem erheblichen Prozess- und Kostenrisiko verbundenen Rechtsstreit führen zu müssen. Ihm ist ein Ermessenspielraum auch insoweit einzuräumen, als er eine gegebenenfalls notwendige Kooperation mit den Geschäftsführern - über §§ 97, 101 InsO hinaus - nicht durch eine zwingende Verfolgung der Ansprüche nach § 64 GmbHG gefährden will (HK-GmbHG/ Kolmann, aaO § 64 Rn. 76). Der Insolvenzzweck, der zugleich die Befugnisse des Insolvenzverwalters begrenzt, bietet den Gläubigern zudem ausreichend Schutz, indem dessen Verletzung - wie bereits oben dargelegt - sowohl Fälle der Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts des Insolvenzverwalters als auch dessen Haftung nach § 60 InsO nach sich ziehen kann.

Kayser Lohmann Pape Schoppmeyer Meyberg Vorinstanzen:

LG Ulm, Entscheidung vom 16.12.2016 - 11 O 11/14 KfH -

OLG Stuttgart, Entscheidung vom 19.09.2017 - 12 U 8/17 -