BGH, Beschluss vom 08.06.2017 - 1 StR 614/16
Fundstelle
openJur 2018, 2973
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 13. Juli 2016 wird a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen A II. 2. c) aa) Nr. 1 bis 3 sowie bb) Nr. 1 bis 13 der Urteilsgründe (16 Einzeltaten) jeweils wegen Betrugs verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last; b) das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben aa) im Schuldspruch in Bezug auf die verbleibenden 104 Einzeltaten des Betrugs; bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe; cc) unter Erstreckung auf die Nebenbeteiligte L. GmbH, soweit für diese von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz im Hinblick auf entgegenstehende Ansprüche Dritter abgesehen wird.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 372 Fällen sowie wegen Betrugs in 120 Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gelten zwei Monate der verhängten Strafe als vollstreckt. Weiter wurde festgestellt, dass hinsichtlich der Nebenbeteiligten L. GmbH hinsichtlich eines Betrags von 129.524,42 Euro nicht auf Wertersatzverfall erkannt wird, weil entsprechende Ansprüche Dritter entgegenstehen.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. I.

1. Aus prozessökonomischen Gründen stellt der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte wegen Betrugs in den Fällen A. II. 2. c) aa) Nr. 1 bis 3 der Urteilsgründe (Beitragsmonate Februar bis April 2007) sowie in den Fällen A. II. 2. c) bb) Nr. 1 bis 13 der Urteilsgründe (Beitragsmonate April 2006 bis April 2007) wegen Betrugs zum Nachteil der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (Soka-Bau) verurteilt worden ist. Die in jeder Lage des Verfahrens mögliche Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO ist vorliegend angezeigt, da für diesen Zeitraum der Eintritt der Verfolgungsverjährung in Betracht kommt. Zwar hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, bis zum 15. des Folgemonats für seine Arbeitnehmer den beitragspflichtigen Bruttolohn zu melden. Es ist jedoch weder den Urteilsfeststellungen noch den Verfahrensakten zu entnehmen, wann für die Gesellschaften, für die der Angeklagte verantwortlich war, die jeweiligen Meldungen mit den Bruttolöhnen der beitragspflichtigen Arbeitnehmer abgegeben wurden sowie der Vermögensvorteil als Anknüpfungspunkt für den Beginn der fünfjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist. Damit lässt sich den Urteilsgründen nicht zweifelsfrei entnehmen, ob die vor Mai 2007 begangenen Taten - eine erste Unterbrechungshandlung trat mit Erlass des Haftbefehls vom 21. Mai 2012 gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StGB ein - bereits verjährt sind oder nicht.

2. Diese Verfahrenseinstellung hat die Änderung des Schuldspruchs sowie den Wegfall der für diese vorgenannten Taten festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen zur Folge.

II.

1. Der Schuldspruch des Angeklagten wegen Betrugs zum Nachteil der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (Soka-Bau) kann aber auch in den übrigen verbleibenden 104 Einzeltaten keinen Bestand haben, weil die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur Beitragspflicht insoweit lückenhaft sind. Einer Berücksichtigung älterer Fassungen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe stünde schon die gesetzliche Hinweispflicht des § 265 Abs. 1 StPO entgegen, so dass der Senat nicht über ihre Anwendbarkeit zu entscheiden braucht.

a) Das Landgericht stützt die Verurteilung des Angeklagten wegen Betrugs darauf, dass der Angeklagte es unterlassen hat, für die scheinselbständigen Maschinisten im Zeitraum von Mai 2007 bis Januar 2012 eine Meldung und Beitragsabführung an die Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (Soka-Bau) vorzunehmen, obwohl er als Geschäftsführer für die L. GmbH, für die J. GmbH & Co. KG sowie für die St. GmbH Asphalt und Mischwerk auf Grund von § 6 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in den jeweiligen Fassungen für die Jahre 2007 bis 2012, die jeweils für allgemein verbindlich erklärt worden waren, dazu verpflichtet war (UA S. 50).

Mit Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 (NZA Beilage 2017, Nr. 1, 12) hat das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 15. Mai 2008 (Bundesanzeiger Nr. 104a vom 15. Juli 2008) in der Fassung des letzten Änderungstarifvertrags vom 20. August 2007 und die Allgemeinverbindlicherklärung vom 25. Juni 2010 (Bundesanzeiger Nr. 97 vom 2. Juli 2010) in der Fassung des letzten Änderungstarifvertrags vom 18. Dezember 2009 für unwirksam erklärt. Auf Grund des Wegfalls der Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe kann der Senat nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht überprüfen, ob sich für die L. GmbH, für die J. GmbH & Co. KG sowie für die St. GmbH Asphalt und Mischwerk, für die der Angeklagte als Geschäftsführer tätig war, eine Verpflichtung zur Meldung und Beitragsabführung - unabhängig von einer Allgemeinverbindlicherklärung - bereits unmittelbar aus § 6 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe auf Grund einer Tarifbindung der Unternehmen ergibt, da das Landgericht dazu keine Feststellungen getroffen hat.

Soweit der Gesetzgeber mit § 7 des am 25. Mai 2017 (BGBl. I 2017, 1210) in Kraft getretenen Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) rückwirkend ab dem 1. Januar 2006 die Rechtsnormen der hier maßgeblichen und in Bezug auf die Allgemeinverbindlicherklärung vom Bundesarbeitsgericht für unwirksam erklärten Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe wieder kraft Gesetzes für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in seinem Geltungsbereich für wirksam erklärt hat, kann dadurch eine die Strafbarkeit aus § 263 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB - von der das Landgericht der Sache nach ausgegangen ist (UA S. 50) - begründende Pflicht zur Meldung von Arbeitnehmern und zur Abführung von Beiträgen an die Soka-Bau für den angeklagten Zeitraum nicht statuiert werden. Solche strafbarkeitsbegründenden Pflichten, bei denen es sich um Pflichten im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB handelt, müssen bereits im Hinblick auf die Gewährleistungen des Art. 103 Abs. 2 GG im Zeitpunkt der geforderten Handlung rechtlich wirksam bestanden haben. Als strafrechtlich bedeutsame Pflichten können sie nicht rückwirkend begründet werden.

b) Unabhängig von einer bestehenden Tarifbindung der Unternehmen ist dem Senat bei der hier gegebenen Verfahrenskonstellation eine Entscheidung zum Schuldspruch jedenfalls im Blick auf § 265 StPO verschlossen. Ausweislich der Urteilsfeststellungen (UA S. 50) ist das Landgericht beim Betrug zum Nachteil der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (Soka-Bau) von einer Wirksamkeit der für allgemein verbindlich erklärten Normen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren zu den hier relevanten Tatzeiträumen von Mai 2007 bis Januar 2012 ausgegangen. Auf die durch den Wegfall der Allgemeinverbindlicherklärung nach der Rechtsprechung durch das Bundesarbeitsgericht eingetretene neue Rechtslage und die sich daraus ergebenden Folgen für das weitere Bestehen einer Beitragspflicht und für die Höhe der zu entrichtenden Beiträge brauchte sich der Angeklagte bisher nicht einzustellen, so dass sich schon aus diesem Grund eine mögliche Auswechselung der Rechtsgrundlage für den Senat verbietet.

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Betrugs zum Nachteil der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (Soka-Bau) bedingt auch die Aufhebung der für diese Delikte vom Landgericht jeweils verhängten Einzelstrafen sowie des Gesamtstrafenausspruchs. Auch die Feststellung zum Verfall von Wertersatz gemäß § 111i Abs. 2 und 3 StPO, § 73 Abs. 1 und § 73a Satz 1 StGB in Bezug auf die Nebenbeteiligte, der Ansprüche gegenüber der Soka-Bau zu Grunde liegen, kann damit keinen Bestand haben. Insoweit ist die Entscheidung gemäß § 357 StPO auf die Nebenbeteiligte L. GmbH zu erstrecken. Der Ausspruch über die Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung, der von dem Fehler nicht betroffen ist, kann dagegen bestehen bleiben. Weitergehende Verzögerungen im neuen Rechtszug können gegebenenfalls durch eine Erhöhung der Anrechnung ausgeglichen werden.

3. Die zugehörigen Feststellungen werden jeweils aufgehoben, um dem neuen Tatgericht zum Tatvorwurf des Betrugs zur Frage des Bestehens und des Umfangs einer Beitragspflicht an die Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe insgesamt in sich widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen.

4. Für die neue Verhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin: Sollte der neue Tatrichter nicht zu dem Ergebnis kommen, dass für den Angeklagten zu allen relevanten Tatzeiträumen eine Verpflichtung zur Beitragszahlung an die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (Soka-Bau) bestand, der Angeklagte aber subjektiv von einer solchen Zahlungspflicht ausgegangen sein, läge kein untauglicher Versuch, sondern nur ein strafloses Wahndelikt vor (vgl. BGH, Beschluss vom 14. August 1986 - 4 StR 400/86, NStZ 1986, 550); denn der Angeklagte hätte dann lediglich irrig angenommen, er verletze durch die Nichtzahlung der Beiträge an die Sozialkasse des Baugewerbes ein Strafgesetz, obwohl eine solche Verpflichtung dazu nicht bestand.

Raum Cirener Radtke RinBGH Dr. Fischer ist in Urlaub und damit an der Unterschriftsleistung gehindert.

Raum Bär