BVerfG, Beschluss vom 14.10.1969 - 1 BvR 30/66
Fundstelle
openJur 2011, 118181
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Gründe

A.

I.

Der Erste Abschnitt des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961 -- BGBl. I S. 607 -- (Überwachungsgesetz -- GÜV -) sieht vor, daß Gegenstände, deren Einfuhr gegen ein strafrechtliches, auf Staatsschutzgründen beruhendes Einfuhr- oder Verbreitungsverbot verstoßen könnte, bei der Verbringung in die Bundesrepublik Deutschland anzuhalten, zu überprüfen und der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Einziehung vorzulegen sind, die gegebenenfalls nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung die Einziehung beantragt. Der Erste Abschnitt lautet:

§ 1

Die Behörden, die das Verbringen von Gegenständen in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes zu überwachen haben, stellen sicher, daß nicht Gegenstände unter Verstoß gegen ein Strafgesetz, das ihre Einfuhr oder Verbreitung aus Gründen des Staatsschutzes verbietet, in diesen Bereich verbracht werden.

§ 2

(1) Die Hauptzollämter und ihre Beamten nehmen eine Nachprüfung vor, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht ergeben, daß Gegenstände unter Verstoß gegen eines der in § 1 bezeichneten Strafgesetze in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden, es sei denn, daß es sich lediglich um Reiselektüre handelt. Wird der Verdacht durch die Nachprüfung nicht ausgeräumt, so sind die Gegenstände der Staatsanwaltschaft vorzulegen.

(2) Die Beamten der Hauptzollämter sind berechtigt, zum Zwecke der Nachprüfung Beförderungsmittel, Gepäckstücke, sonstige Behältnisse und Sendungen aller Art zu öffnen und zu durchsuchen. Sie sind zur Beschlagnahme befugt, wenn sich die Gegenstände im Gewahrsam einer Person befinden, die zur freiwilligen Herausgabe nicht bereit ist. Im Falle der Beschlagnahme gilt § 98 Abs. 2 der Strafprozeßordnung entsprechend.

(3) Für den Freihafen Hamburg gelten die Vorschriften des Finanzverwaltungsgesetzes, nach denen der Bundesminister der Finanzen Zollaufgaben auf das Freihafenamt Hamburg übertragen kann, entsprechend.

§ 3

Die Behörden der Deutschen Bundespost und der Deutschen Bundesbahn legen die in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes beförderten Sendungen, bei deren dienstlicher Behandlung sich tatsächliche Anhaltspunkte für den in § 2 bezeichneten Verdacht ergeben, der zuständigen Zolldienststelle vor.

§ 4

Das Brief- und Postgeheimnis nach Artikel 10 des Grundgesetzes wird nach Maßgabe der §§ 2 und 3 eingeschränkt.

II.

Der Beschwerdeführer ist als Amtsvorsteher kommunaler Ehrenbeamter. Er gehört der CDU und der Europa-Union an. Mehrfach erhielt er ohne Bestellung auf dem Postwege die in Neubrandenburg erscheinende Zeitung der Ost-CDU "Der Demokrat".

1. Im August 1965 wurden zwei Exemplare dieser Zeitung, die Nummern 182 und 183 vom 6. und 7. August 1965, in einem handschriftlich adressierten Briefumschlag aus der DDR an den Beschwerdeführer gesandt. Auf Grund des Überwachungsgesetzes hielten die Postbehörden in Hannover die Sendung an und leiteten sie an das dortige Zollamt weiter. Das Zollamt öffnete sie und legte sie am 12. August 1965 der Staatsanwaltschaft Lüneburg -- Außenstelle Hannover -- vor. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom selben Tage sprach das Landgericht Lüneburg (2 c Js 8177/65 / 4 AR 6897/65) durch Beschluß vom 18. August 1965 im objektiven Verfahren die Einziehung der Zeitung Nr. 182 aus, weil die Druckschrift gegen die §§ 93, 97 StGB verstoße. Dem Beschwerdeführer wurde der am 31. August 1965 rechtskräftig gewordene Beschluß nicht mitgeteilt.

Nr. 183 der Zeitung gab die Staatsanwaltschaft am 13. August 1965 frei. Dies wurde mit einem Stempel auf dem wieder verschlossenen Briefumschlag vermerkt. Die Staatsanwaltschaft legte der Sendung ein Formularschreiben bei, daß die Nr. 182 wegen ihres staatsgefährdenden Inhalts dem zuständigen Gericht zur Einziehung vorgelegt worden sei und deshalb nicht ausgehändigt werden könne.

Gegen die "Zensur" seiner Post legte der Beschwerdeführer bei der der Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Er bat um Benennung des Beamten, der den Brief geöffnet habe, sowie um Angabe der gesetzlichen Grundlagen für die Öffnung und für die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Lüneburg in Hannover. Der Erste Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht Lüneburg wies die Beschwerde als unbegründet zurück und stützte sich u.a. dabei auf die Bestimmungen des Überwachungsgesetzes, des § 93 StGB und des § 74 a GVG. Auf die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde teilte der Generalstaatsanwalt dem Beschwerdeführer mit, er sehe keinen Anlaß zu dienstaufsichtlichen Maßnahmen, da der angegriffene Bescheid die Sach- und Rechtslage zutreffend wiedergebe.

2. In einem am 15. April 1966 in Neubrandenburg zur Post gegebenen, handschriftlich an den Beschwerdeführer adressierten Briefumschlag befanden sich die Nummern 86 und 88 der Zeitung "Der Demokrat" vom 13. und 15. April 1966.

Das Zollamt Hamburg-Post öffnete diese Sendung nach Vorlage durch die Postbehörden und leitete sie am 22. April 1966 an die Staatsanwaltschaft Hamburg weiter. Nachdem sich durch Anfrage beim Hamburgischen Kriminalamt und bei der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts herausgestellt hatte, daß die beiden Zeitungsnummern nicht allgemein eingezogen waren, gab die Staatsanwaltschaft die Sendung am 23. Mai 1966 frei. Vor der Weiterbeförderung wurde der Brief mit einem Stempel der Staatsanwaltschaft Hamburg (146 Js 439/66) versehen. Der Beschwerdeführer erhielt den Brief nach seinen Angaben am 4. Juni 1966.

Die mit mehreren Auskunftsersuchen verbundene Beschwerde wies der Leitende Oberstaatsanwalt mit der Begründung zurück, daß gegen die Behandlung der Sache keine Beanstandungen zu erheben seien. Die weitere Beschwerde an den Generalstaatsanwalt blieb erfolglos.

III.

Der Beschwerdeführer hat zunächst gegen die die Sendung vom August 1965 betreffenden Maßnahmen Verfassungsbeschwerde erhoben. In einem als Erweiterung und Neuformulierung der Verfassungsbeschwerde bezeichneten späteren Schriftsatz hat er auch die Überprüfung der Zeitungsnummern 86 und 88 des Jahres 1966 durch die Hamburger Behörden angegriffen. Er rügt Verletzung der Art. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 10, Art. 101 und Art. 103 GG und beantragt festzustellen, daß die ihm gegenüber ausgeübte Postzensur der Zollbehörden und der Staatsanwaltschaften die genannten Verfassungsbestimmungen verletze und auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahmen verfassungswidrig sei.

Nach Ansicht des Beschwerdeführers ist die Verfassungsbeschwerde nicht mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig. Eine Rechtsschutzmöglichkeit vor Strafgerichten gegen die Maßnahmen der Zollbehörden und der Staatsanwaltschaften habe nicht bestanden. Vom Einziehungsbeschluß des Landgerichts Lüneburg habe er erst im Verfassungsbeschwerde-Verfahren erfahren. Den Verwaltungsrechtsweg habe er nicht beschreiten können, da die durch Post und Staatsanwaltschaft ausgeübte Zensur keinen Verwaltungsakt darstelle. Eine Feststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO sei ebenfalls ausgeschlossen; der Vollzug der Maßnahmen stelle keine "andere Erledigung" i. S. dieser Vorschrift dar. Bei der Anonymität der Maßnahmen wisse er ferner nicht, gegen wen er eine Klage richten solle. Der Verwaltungsrechtsweg sei endlich auch nicht deshalb zulässig, weil er Verstöße gegen Verfassungsrecht geltend mache. § 40 Abs. 1 VwGO eröffne den Verwaltungsrechtsweg nur für Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art. Im übrigen dauere ein Verwaltungsstreitverfahren etwa fünf Jahre, was zu einer weitgehenden Ausschaltung des Schutzes der Verfassung führe. Deshalb sei unmittelbar die Verfassungsbeschwerde zulässig, ohne daß zunächst ein subsidiärer Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet wäre.

Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Es bestünden Zweifel, ob die Postsendungen wirklich "zollamtlich" und nicht etwa nur von einem Unbekannten geöffnet seien. Angesichts der großen Zahl angehaltener Sendungen und der geringen Zahl staatsanwaltschaftlicher Aktenzeichen bestehe der Verdacht, daß zahlreiche Sendungen willkürlich durch die Exekutivorgane angehalten und heimlich vernichtet würden. Bei den Sendungen an ihn hätten keine konkreten Anhaltspunkte für einen Verdacht auf eine staatsgefährdende Handlung vorgelegen. Die Zollbeamten hätten nach § 2 Abs. 2 GÜV in Verbindung mit § 98 Abs. 2 StPO eine richterliche Entscheidung herbeiführen müssen. Ein Einziehungsbescheid sei ihm jedoch nie bekanntgemacht worden. Art. 1 Abs. 3 GG sei verletzt, da das Überwachungsgesetz Grundrechte nicht beachte. Entgegen Art. 5 Abs. 1 GG werde er an unbeschränkter Information durch eine verfassungswidrige generelle Zensur und durch Zurückhaltung von Sendungen bis zu sieben Wochen gehindert. Art. 10 Satz 1 GG werde durch die Verfahrensvorschriften des Überwachungsgesetzes, das keine materiellen Rechtsgrundlagen enthalte, praktisch außer Kraft gesetzt; verletzt sei auch das Recht auf Achtung des Briefverkehrs nach Art. 8 Abs. 1 der Menschenrechtskonvention, der durch Art. 25 GG bindendes Verfassungsrecht geworden sei. Entgegen Art. 101 Abs. 1 GG seien Zollbehörde und Staatsanwaltschaft wie Ausnahmegerichte tätig geworden. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei auch auf Staatsanwaltschaften anzuwenden. Überdies sei die verfassungswidrige Zensur trotz der Identität des Gegenstandes und des Betroffenen willkürlich an zwei verschiedenen Orten ausgeübt worden. Die Exekutive dürfe sich nicht beliebig den Ort für Zensurmaßnahmen aussuchen. Dadurch entstehe eine Gefahr auch für das gerichtliche Einziehungsverfahren, indem Anträge an Landgerichte mit anderer Einziehungspraxis als der des Landgerichts Hamburg gestellt werden könnten. Schließlich sei auch Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, da der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nicht gehört worden sei. Bei den Zensurmaßnahmen handele es sich um ein typisches Abwesenheitsverfahren. Das Rechtsstaatsprinzip gebiete demgegenüber die Anhörung des Betroffenen auch durch die Verwaltungsbehörden.

IV.

Der Bundesminister der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

1. Hinsichtlich der Anwendung des Überwachungsgesetzes durch die Zollbehörden und die Staatsanwaltschaften habe der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht erschöpft, weil er die nach §§ 40, 42 VwGO zulässige Klage beim Verwaltungsgericht nicht erhoben habe. Ob der Beschwerdeführer sich auch gegen den Einziehungsbeschluß des Landgerichts Lüneburg wenden wolle, lasse sich der Verfassungsbeschwerde nicht entnehmen. Zweifelhaft sei auch, ob der Beschwerdeführer für die Anfechtung des Einziehungsbeschlusses die Monatsfrist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG) gewahrt habe.

2. Die Verfassungsbeschwerde sei auch unbegründet.

Das Überwachungsgesetz als Grundlage der angefochtenen Maßnahmen sehe in § 4 die Einschränkung des Grundrechts aus Art. 10 GG vor. Die Eingriffsmöglichkeiten entsprächen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) werde allenfalls durch die Einziehung betroffen. Sendungen an bestimmte Personen seien auch keine allgemein zugänglichen Quellen i.S. des Art. 5 Abs. 1 GG. Eine durch Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG verbotene Zensur werde nicht ausgeübt, da eine Kontrolle durch die Zollbehörde nur bei Verdacht eines Verstoßes gegen das Staatsschutzstrafrecht erfolge.

Die einzelnen Maßnahmen seien ebenfalls nicht zu beanstanden. Ein tatsächlicher Verdacht auf eine einschlägige Straftat habe bestanden, weil es sich -- von außen erkennbar -- offensichtlich nicht um eine Privatsendung, sondern um eine Druckschrift aus der DDR gehandelt habe. Druckschriften aus der DDR verstießen aber häufig gegen die im Interesse des Staatsschutzes erlassenen Verbringungsverbote. Soweit eine Nummer der Zeitung "Der Demokrat" eingezogen sei, habe der Einziehungsbeschluß die Maßnahme der Staatsanwaltschaft, die keine selbständige Bedeutung mehr habe, bestätigt. Die weiter vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Art. 101 und Art. 103 GG seien nicht einschlägig, da sie sich nur auf gerichtliche Verfahren bezögen.

B.

Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.

1. Die ursprünglich erhobene Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die Maßnahmen des Hauptzollamts Hannover und der Staatsanwaltschaft Lüneburg im Zusammenhang mit der an den Beschwerdeführer adressierten Sendung vom August 1965. Mit dem als "Erweiterung und Neuformulierung" seiner Anträge bezeichneten späteren Schriftsatz griff der Beschwerdeführer die Maßnahmen des Hauptzollamts und der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen der Sendung vom April 1966 an. Wenn auch der Beschwerdeführer diesen Schriftsatz nur als eine "Erweiterung und Neuformulierung" bezeichnet, so ist darin sachlich eine neue, selbständige Verfassungsbeschwerde zu erblicken, weil sie sich gegen andere Hoheitsakte der Zollbehörde und der Staatsanwaltschaft richtet. Wegen der Gleichartigkeit der Vorgänge, der Hoheitsakte und der als verletzt gerügten Grundrechtsnormen kann jedoch über beide Beschwerden in einem Verfahren entschieden werden.

2. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind nur Maßnahmen der Zollbehörden und der Staatsanwaltschaften. Aus der insoweit eindeutigen Formulierung der Anträge des Beschwerdeführers geht hervor, daß er nur die genannten Maßnahmen angreifen will, nicht dagegen solche der Post- und Polizeibehörden. Soweit in einem Fall ein Einziehungsbeschluß des Landgerichts Lüneburg ergangen ist, ist dieser nach Wortlaut und Gesamtinhalt der Verfassungsbeschwerden ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Dies führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerden gegen die diesem Beschluß vorangehenden Maßnahmen. Zwar hätte auch der Beschwerdeführer als Adressat der eingezogenen Sendung den Einziehungsbeschluß mit der Verfassungsbeschwerde anfechten können (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Oktober 1969 -- 1 BvR 46/65 -- zu B 2). Da ihm der Beschluß aber nicht bekanntgemacht worden ist, weil das Landgericht ihn nicht als Verfahrensbeteiligten i.S. des § 431 Abs. 2 StPO a.F. angesehen hat, war dies von dem Beschwerdeführer nicht zu erwarten. Zu seinen Gunsten müssen bei dem hier gegebenen Sachverhalt ausnahmsweise die vorangegangenen Maßnahmen der Zollbehörde Hannover und der Staatsanwaltschaft Lüneburg als selbständig anfechtbare Hoheitsakte angesehen werden. Der Beschwerdeführer hätte andernfalls keine Gelegenheit zur verfassungsrechtlichen Überprüfung der ihn beschwerenden Öffnung und Kontrolle der an ihn gerichteten Postsendung vom August 1965 gehabt, soweit es sich um die eingezogene Nr. 182 der Zeitung "Der Demokrat" handelt. Gegenstand der Überprüfung kann damit allerdings nur die unmittelbar aus den Handlungen der Zollbehörde und der Staatsanwaltschaft folgende Wirkung sein, nicht dagegen die des Einziehungsbeschlusses.

3. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht mangels Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) unzulässig. Zwar hat der Beschwerdeführer in beiden Fällen gegen die ihm durch kurze Mitteilungen der Staatsanwaltschaften bekanntgewordenen Briefkontrollen nur Beschwerden an den die Dienstaufsicht führenden Oberstaatsanwalt und den Generalstaatsanwalt gerichtet und kein Gericht angerufen. Bei der Unsicherheit der Rechtslage war ihm das aber auch nicht zuzumuten.

Welcher Rechtsweg zulässig gewesen wäre, ist zweifelhaft. Hätte bereits die Zollbehörde die Sendungen nach Öffnung und Kontrolle an den Beschwerdeführer weitergeleitet, wäre nach allgemeiner Meinung der Verwaltungsrechtsweg gegen diese als Verwaltungsakt zu bewertenden Kontrollmaßnahmen eröffnet (vgl. z.B. Verwaltungsgericht Karlsruhe, DVBl. 1967 S. 861 m. Anm. Bettermann). Die Zollämter hatten jedoch in beiden Fällen die Sendungen der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt. Ob dadurch die Maßnahmen der Zollbehörde ihren Charakter als selbständige und damit verwaltungsgerichtlich anfechtbare Hoheitsakte verloren und ob gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft ein Rechtsweg nach der Strafprozeßordnung, nach §§ 23 ff. EGGVG oder unmittelbar nach Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet war, war für den Beschwerdeführer nicht zu übersehen. Die Erhebung der Verfassungsbeschwerde war deshalb ausnahmsweise vor Erschöpfung des Rechtswegs zulässig (vgl. BVerfGE 17, 252 [257]).

Darüber hinaus ist die Verfassungsbeschwerde auch von allgemeiner Bedeutung (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Die Kontrolle aus der DDR kommender Postsendungen auf Grund des Überwachungsgesetzes hatte zeitweilig erhebliches Ausmaß (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Oktober 1969 -- 1 BvR 46/65 -- zu A I). Die Entscheidung über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit derartiger Kontrollen schafft deshalb über den Einzelfall hinaus Klarheit in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle (BVerfGE 19, 268 [273]). Die Klärung des Verhältnisses von Informationsfreiheit und allgemeinen, diese Freiheit beeinträchtigenden Strafgesetzen auf dem Gebiete des Staatsschutzes ist auch eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung.

Die vorliegenden Verfassungsbeschwerden verlieren ihre allgemeine Bedeutung nicht durch die vom Bundesverfassungsgericht am 3. Oktober 1969 getroffene Entscheidung in der Sache 1 BvR 46/65. In dieser Sache hatte das Bundesverfassungsgericht nur über einen gerichtlichen Einziehungsbeschluß zu entscheiden; in der vorliegenden ist dagegen vor allem zu prüfen, inwieweit Grundrechte von Adressaten schon durch die Kontrollmaßnahmen der Zollbehörden und die Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft berührt werden, wenn die Sendung später ausgehändigt wird.

C.

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht begründet.

I.

1. Das für die Meinungsbildung unentbehrliche und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung schlechthin konstituierende Grundrecht der Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt auch die schlichte Entgegennahme von Informationen, so daß schon dann ein Eingriff in dieses Grundrecht vorliegt, wenn Zeitungen, wie im vorliegenden Fall, nicht vom Beschwerdeführer bestellt, sondern ihm ohne sein Zutun zugesandt werden (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Oktober 1969 -- 1 BvR 46/65 -- zu C II 1, 2 a und b). Die Informationsfreiheit wird auch nicht erst durch die endgültige Vorenthaltung einer Information, sondern schon durch eine auf einer Kontrolle beruhende Verzögerung eingeschränkt. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 GG, der die ungehinderte Unterrichtung gewährleistet, vor allem aber aus dem Sinn und der Bedeutung der Informationsfreiheit. Besonders bei Tageszeitungen ist auch der Zeitpunkt einer Nachricht und der Vergleich mit anderen zur gleichen Zeit erscheinenden Publikationen von wesentlicher Bedeutung. Geht eine Zeitung dem Leser erst geraume Zeit nach ihrem Erscheinen zu, dann werden Vergleiche mit anderen Zeitungen und eine sinnvolle Verarbeitung der in der Zeitung enthaltenen Informationen oft nicht mehr möglich sein.

Bei den angehaltenen und überprüften Sendungen handelt es sich auch um allgemein zugängliche Informationsquellen, da die Zeitung "Der Demokrat" jedenfalls in der DDR tatsächlich allgemein zugänglich ist; sie verliert diesen Charakter nicht dadurch, daß einzelne Ausgaben eingezogen oder bestimmte Ausgabenummern an besondere Empfänger versandt werden (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Oktober 1969 -- 1 BvR 46/65 -- zu C II 2 c).

2. Öffnung und Kontrolle der beiden an den Beschwerdeführer gerichteten Sendungen durch die Zollämter und Staatsanwaltschaften beruhten auf dem Überwachungsgesetz und der Strafprozeßordnung als die Informationsfreiheit einschränkenden allgemeinen Gesetzen i.S. des Art. 5 Abs. 2 GG. In dessen Rahmen haben sich auch die angefochtenen Maßnahmen gehalten.

a) Sinn und Inhalt der §§ 1-3 des Überwachungsgesetzes zielen gerade auf die Kontrolle aller in die Bundesrepublik Deutschland gelangenden Sendungen ab, die nach äußerer Prüfung verdächtig erscheinen, einen staatsgefährdenden, gegen ein Strafgesetz verstoßenden Inhalt zu haben. Eine derartige Kontrolle ist auch bei Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung der Informationsfreiheit nicht generell unzulässig. Fördert eine Zeitung oder eine andere Informationsquelle den organisatorischen Zusammenhalt einer verbotenen und vom Bundesverfassungsgericht aufgelösten Partei oder greift ihr Inhalt in verfassungsfeindlicher Absicht auf strafbare Weise die freiheitlich-demokratische Grundordnung an, so kann sie nach Abwägung der der Gemeinschaft drohenden Gefahren gegen die Bedeutung der Informationsfreiheit unter gewissen Voraussetzungen auch gegen den Willen des Empfängers eingezogen werden (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Oktober 1969 -- 1 BvR 46/ 65 -- zu C I 1 und 2, III 2). Ist schon eine Einziehung u. U. gerechtfertigt, so muß um so mehr eine die Einziehung nur vorbereitende, die Informationsmöglichkeit verzögernde Prüfung zulässig sein. Bei der Vielzahl der aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland versandten Druckschriften, unter denen sich ein großer Teil speziell als Propagandamaterial hergestellter, gegen die demokratische Grundordnung agitierender Schriften befindet, kann eine wirksame Kontrolle nur durch Öffnung und Prüfung aller Sendungen ausgeübt werden, sofern sich nach äußerlichem Betrachten der Verdacht aufdrängt, sie enthielten eine der Einziehung zugängliche Schrift.

Diesen Anforderungen entspricht das Überwachungsgesetz, indem es den Zollbehörden die Aufgabe zuweist, bei tatsächlichen Anhaltspunkten für einen Verstoß gegen ein auf Staatsschutzgründen beruhendes Einfuhrverbot eine eingeführte Sendung zu öffnen und zu prüfen. Der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt allerdings eine Handhabung der Kontrolle, die das Informationsrecht des Empfängers soweit wie möglich berücksichtigt und insbesondere keine unzumutbare Verzögerung der Beförderung bewirkt. Auch insoweit ist das Überwachungsgesetz nicht zu beanstanden. Bei zügiger Bearbeitung der Sendungen durch Post, Zollbehörde und Staatsanwaltschaft kann das Kontrollverfahren so schnell abgeschlossen werden, daß die Informationsquelle für den Empfänger noch sinnvoll zu verwerten ist.

b) Die tatsächliche Handhabung der Kontrolle durch die angefochtenen Maßnahmen hat die Ausstrahlungswirkung der Informationsfreiheit hinreichend berücksichtigt.

Soweit der Beschwerdeführer bezweifelt, daß die Sendungen zollamtlich geöffnet worden seien, und soweit er annimmt, daß dies durch eine unbekannte Person geschehen sei, handelt es sich um bloße Vermutungen, die keinen Anlaß zu verfassungsrechtlicher Nachprüfung geben können. Dasselbe gilt für seinen Verdacht, daß zahlreiche Sendungen ohne gesetzliches Verfahren vernichtet worden seien.

Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die Sendungen nicht einem Richter zur Entscheidung vorgelegt wurden. Einer förmlichen Beschlagnahme bedarf es nur, wenn sich der sicherzustellende Gegenstand im Gewahrsam einer Person befindet, die zur Herausgabe nicht freiwillig bereit ist (§ 2 Abs. 2 GÜV, § 94 Abs. 2 StPO). Bei der vorläufigen Sicherstellung der an den Beschwerdeführer gerichteten Postsendungen bestand aber kein Gewahrsam einer zur Herausgabe nicht bereiten Person: Absender und Empfänger hatten keinen Gewahrsam, die Postbehörden waren zur Herausgabe bereit.

Die Dauer der durch die Kontrolle hervorgerufenen Verzögerung war für den Beschwerdeführer auch noch zumutbar. Die Sendung vom August 1965 wurde -- soweit sie nicht eingezogen wurde -- bereits am 13. August -- eine Woche nach Erscheinen der Nr. 183 -- freigegeben. Angesichts der großen Mengen an zu kontrollierenden Schriften ist diese Verzögerung noch hinzunehmen, selbst wenn die Sendung erst einige Tage nach dem 13. August beim Beschwerdeführer einging.

Bei der am 15. April 1966 in Neubrandenburg aufgegebenen Sendung vergingen bis zur Freigabe am 23. Mai 1966 zwar ein Monat und eine Woche und bis zu dem vom Beschwerdeführer angegebenen Empfang noch weitere 11 Tage. Auch dies ist bei Berücksichtigung der hohen Zahl an überprüften Sendungen und der notwendigerweise dafür anzusetzenden Zeit sowie der besonderen Umstände gerade noch als zumutbar zu betrachten, zumal von der Gesamtzeit noch die im einzelnen nicht bekannte reine Beförderungsdauer abzuziehen ist. Daß der Beschwerdeführer ein besonderes, auch für die Kontrollbehörden erkennbares Interesse an dem alsbaldigen Empfang der Sendung gehabt hätte, hat er nicht geltend gemacht. Auf eine genauere Abgrenzung zumutbarer von unzumutbaren Verzögerungen kommt es deshalb nicht an.

II.

Die Regelung im Überwachungsgesetz und die tatsächliche Ausübung der Kontrolle verletzen auch keine sonstigen Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte des Beschwerdeführers.

1. Ein den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzender Verstoß gegen das Zensurverbot liegt nicht vor. Ob Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG nur die vor der Veröffentlichung eines Geisteswerkes ausgeübte "Vorzensur" oder auch eine "Nachzensur" verbietet, ob ferner das Zensurverbot ein eigenständiges Grundrecht enthält oder nur eine Eingriffsschranke darstellt, durch die Eingriffsmöglichkeiten auf ein bestimmtes Maß reduziert werden, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls schützt das Zensurverbot der Natur der Sache nach nur Akte der Meinungsäußerung und möglicherweise auch der Meinungsverbreitung, mithin den Hersteller und unter Umständen auch den Verbreiter eines Geisteswerks. Sein Leser oder Bezieher wird dagegen durch eine Zensurmaßnahme nur in seiner Informationsfreiheit betroffen, so daß er sich auf das für ihn nur als Reflex wirkende Zensurverbot nicht berufen kann.

2. Das Brief- und Postgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) wird, dem Gesetzesvorbehalt in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG entsprechend, durch § 4 GÜV nach Maßgabe der §§ 2 und 3 GÜV eingeschränkt. Zwar bedeutet der Gesetzesvorbehalt, ähnlich wie die Einschränkung in Art. 5 Abs. 2 GG, keinen absoluten Vorrang jedes einschränkenden Gesetzes. Werden aber aus Gründen des Staatsschutzes Kontrollmaßnahmen erforderlich, die die Informationsfreiheit unter Berücksichtigung ihres Wesensgehalts in zulässiger Weise einschränken, so rechtfertigen diese insoweit auch eine Beschränkung des Brief- und Postgeheimnisses. Das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 10 Abs. 1 GG ist daher nicht verletzt.

3. Auch ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich. Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG bezieht sich nur auf Ausnahmegerichte; zu diesen gehören weder Staatsanwaltschaften noch Zollbehörden. Selbst wenn man die Regelung zugleich als Verbot der Übertragung gerichtlicher Aufgaben auf andere Behörden auffassen wollte, wäre das Überwachungsgesetz nicht zu beanstanden. Es regelt nur die Wahrnehmung von Ermittlungsaufgaben, wie sie im Strafprozeßrecht der Staatsanwaltschaft und ihren Hilfsbeamten obliegen.

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bezieht sich ebenfalls nur auf Gerichte. Im übrigen sind die Zollbehörden und Staatsanwaltschaften im Rahmen ihrer jeweiligen örtlichen Zuständigkeit tätig geworden. Von "Manipulation" kann keine Rede sein. Der strafrechtlich mißbilligte Erfolg einer Druckschrift tritt an jedem Ort ein, an dem die Schrift betroffen wird. Daher können für dieselbe Druckschrift mehrere Gerichte und Staatsanwaltschaften örtlich zuständig sein.

4. Schließlich ist auch das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG gilt nur für das gerichtliche Verfahren (BVerfGE 9, 89 [95]), das hier nicht zur Beurteilung steht. Soweit man den Grundsatz rechtlichen Gehörs für das Vorverfahren aus dem Rechtsstaatsprinzip herleiten wollte, wäre ähnlich wie bei Art. 103 Abs. 1 GG der Gesichtspunkt besonderer Eilbedürftigkeit zu berücksichtigen (BVerfGE 18, 399 [404]). Eine vorherige Anhörung der Betroffenen, die nur eine Stellungnahme dazu ergeben könnte, ob hinreichender Verdacht auf einen strafbaren Inhalt der Druckschrift besteht, würde zu einer Verzögerung führen, die gerade den Interessen des Betroffenen zuwiderliefe. Soweit die Staatsanwaltschaft die Sendungen freigab, bestand auch später kein schützenswertes Interesse an einer Anhörung. Soweit eine Sendung später dem Gericht zur Einziehung vorgelegt wurde, wäre in diesem Verfahren zu prüfen gewesen, ob auch dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör hätte gewährt werden müssen. Das Einziehungsverfahren ist aber nicht Gegenstand des Verfahrens über die vorliegenden Verfassungsbeschwerden.

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