LG Hamburg, Urteil vom 22.01.2008 - 303 O 359/07
Fundstelle
openJur 2013, 202
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 6.715,70 (in Worten: Euro sechstausendsiebenhundertfünfzehn 70/100) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. Dezember 2005 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages.

Tatbestand

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der R GmbH, ... , ... (die "Insolvenzschuldnerin"). Die Beklagte ist eine Krankenkasse, bei der Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin krankenversichert waren. Der Kläger macht gegen die Beklagte Rückzahlungsansprüche aus Insolvenzanfechtung aus §§ 131, 129 f. InsO geltend.

Die Insolvenzschuldnerin schuldete der Beklagten Sozialversicherungsbeiträge. Da die Beklagte mit ihren Beitragszahlungen rückständig war, beauftragte die Beklagte den zuständigen Gerichtsvollzieher, Herrn Obergerichtsvollzieher OGV, mit der Zwangsvollstreckung. Im Auftrag der Beklagten erhielt der Gerichtsvollzieher im Wege der Zwangsvollstreckung insgesamt Euro 6.715,70 und leitete sie an die Beklagte weiter. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Zahlungen:

Zahlung vom 04.08.20052.875,95 EuroZahlung vom 09.08.2005866,90 EuroZahlung vom 09.09.20051.051,82 EuroZahlung vom 30.09.2005954,13 EuroZahlung vom 30.09.2005966,90 EuroInsgesamt6.715,70 EuroDie Zahlungen erfolgten jeweils per Verrechnungsscheck. Der Gerichtsvollzieher reichte die Zahlungen ein und leitete die Beträge nach Gutschrift auf seinem Dienstkonto an die Beklagte weiter.

Dabei war die Zahlung Nr. 1 in einem auf den 20. Juli 2005 vordatierten Scheck über insgesamt Euro 3.930,33 enthalten, Anlage K 3. Der Scheckbetrag wurde der Insolvenzschuldnerin am 25. Juli 2005 mit Wertstellung zum 21. Juli 2005 belastet, Anlage K 4. Die Beklagte erhielt den Betrag von Euro 2.875,95 am 4. August 2005, Anlage K 5.

Die Zahlung Nr. 2 war in dem Verrechnungsscheck vom 27. Juli 2005 über insgesamt Euro 4.534,21 enthalten, der dem Konto der Insolvenzschuldnerin am 29. Juli 2005 mit Wertstellung zum 27. Juli 2005 belastet wurde, Anlage K 6 und K 7. Am 9. August 2005 erhielt die Beklagte den Betrag von dem Gerichtsvollzieher weitergeleitet, Anlage K 8.

Die Zahlung Nr. 3 erfolgte aus einem Verrechnungsscheck über insgesamt Euro 2.909,39, der der Insolvenzschuldnerin am 26. August 2005 mit Wertstellung zum 26. August 2005 belastet wurde, Anlage K 9. Die Beklagte erhielt den Betrag am 9. September 2005 von dem Gerichtsvollzieher weitergeleitet, Anlage K 10.

Die Zahlung Nr. 4 erfolgte aus einem Verrechnungsscheck über insgesamt Euro 3.373,53, der dem Konto der Insolvenzschuldnerin am 12. September 2005 mit Wertstellung zum gleichen Tag belastet wurde, Anlage K 11. Am 30. September 2005 erhielt die Beklagte den Betrag von dem Gerichtsvollzieher weitergeleitet, Anlage K 8.

Die Zahlung Nr. 5 war enthalten in einem Verrechnungsscheck über insgesamt Euro 3.373,53. Diesen Betrag erhielt die Beklagte vom Gerichtsvollzieher am 30. September 2005 weitergeleitet, Anlage K 12.

Im Zeitpunkt der angefochtenen Scheckzahlungen war die Insolvenzschuldnerin zahlungsunfähig. Die Parteien streiten lediglich um die Frage der Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 InsO und neuerdings um die Frage der Anwendung zum 1. August 2008 in Kraft getretenen Rechts.

Die Insolvenzschuldnerin verfügte über einen Kontokorrentkredit auf ihrem Geschäftskonto bei der ...  e.G., dem die Schecks belastet worden sind, über insgesamt Euro 1.770.000,–.

Der Kläger behauptet, vor der Belastung mit dem Scheckbetrag zur Zahlung Nr. 1 habe sich der Kontostand auf Euro - 1.746.274,10, Anlage K 21, belaufen; vor der Belastung mit dem Scheckbetrag zur Zahlung Nr. 2 auf insgesamt Euro - 1.708.289,27, Anlage K 22; im Zeitpunkt vor der Scheckbelastung zur Zahlung Nr. 3, Anlage K 23, auf Euro - 1.767.128,20 und vor der Belastungsbuchung zur Zahlung Nr. 4 und Nr. 5 auf Euro - 1.748.364,91, Anlage K 24.

Der Kläger beantragt nach Rücknahme des überschüssigen Zinsantrags,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn Euro 6.715,70 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. Dezember 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet die Gläubigerbenachteiligung. Sie ist dazu der Auffassung, der jeweilige Kontoauszug gebe nicht den im Zeitpunkt der Durchführung der Belastung relevanten Kontostand tatsächlich richtig wieder. Die Beklagte ist ferner der Auffassung, aus der Änderung von § 28 e SGB IV zum 1. Januar 2008 ergebe sich, dass die Anfechtung jedenfalls in Höhe der Arbeitnehmerbeiträge nicht berechtigt sei. Die Änderung sei nach § 300 ZPO auch für den hiesigen Fall zugrunde zu legen. Dies ergebe sich bereits aus der Gesetzesbegründung, ebenso wie aus § 170 EGBGB. Insoweit habe bereits die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2001 – IX ZR 17/01 und Urteil vom 8. Dezember 2005, IX ZR 182/01) die Grenze zur unzulässigen normsetzenden Instanz überschritten. Eine nachträgliche Änderung der Zuordnung von Vermögen zu verschiedenen Vermögensträgern sei damals nicht möglich gewesen. Daher handele es sich lediglich um eine gesetzgeberische Klarstellung, die auch auf Zahlungen vor dem 1. Januar 2008 anzuwenden sei. Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2008 führte die Beklagte weiter zum anwendbaren Recht aus.

Auf Antrag vom 17. Oktober 2005 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts B. (Insolvenzgericht) vom 1. Dezember 2005, Anlage K 1, das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger forderte die Beklagte zur Rückerstattung der streitgegenständlichen Beträge mit Schreiben vom 6. Juni 2007, Anlage K 20, auf. Zahlung erfolgte nicht.

Für den weiteren Parteivortrag wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist vollen Umfangs begründet.

Die Beklagte hat an den Kläger Euro 6.715,70 gemäß § 143 InsO in Verbindung mit §§ 812 f. BGB zu erstatten, da sie die Beträge nach §§ 131 Abs. 1 Nr. 2, 129 InsO in anfechtbarer Weise erlangt hat.

Die Zahlungen waren unstreitig inkongruent und erfolgten innerhalb der letzten drei Monate vor Antragstellung, wobei die Insolvenzschuldnerin im Zeitpunkt der Buchungen bereits zahlungsunfähig war.

Die Zahlungen haben auch zu einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger geführt, § 129 InsO, denn sie erfolgten aus dem freien und pfändbaren Vermögen der Insolvenzschuldnerin.

Die Zahlungen erfolgten aus einer Kreditlinie der Insolvenzschuldnerin, die im Zeitpunkt der jeweiligen Buchungen noch nicht überzogen war. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus den von dem Kläger eingereichten Kontoauszügen, Anlagen K 21 bis K 24. Die eingereichten Kontoauszüge geben vollständig und fortlaufend die auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin erfolgten Buchungen wieder. Die von dem Kläger daraus errechneten Kontenstände vor den jeweiligen Scheckbuchungen befinden sich innerhalb der Kreditlinie.

Soweit die Beklagte dagegen geltend macht, in den Kontoauszügen seien möglicherweise Gutschriften enthalten, die als Vorbehaltsbuchungen noch nicht endgültig dem pfändbaren Vermögen des Insolvenzschuldners zuzurechnen wären, folgt das Gericht dem nicht. Aus den Kontoauszügen ist an keiner Stelle ersichtlich, dass irgendwelche dort eingestellten Gutschriften lediglich unter Vorbehalt erfolgt wären. Insofern kann dahinstehen, ob für die Bank eine Verpflichtung besteht, schon vor Einlösung Verfügungen des Gläubigers über eine Gutschrift zuzulassen, da die vorbehaltlose Gutschrift von Vorbehaltsbuchungen zu einer Kreditgewährung durch die Bank und damit zu einem pfändbaren Anspruch in Höhe eben dieser Buchung führt (vgl. nur Bunte, AGB-Banken und Sonderbedingungen 1. Aufl. 2007, Rn. 218 zu Nr. 9; von Gelder in Schimansky, Bankrechts-Handbuch, 2007, Band 1, § 58, Rn 13). Die Bank behandelt die Gutschrift buchungsmäßig grundsätzlich wie jede andere und lässt sie insbesondere in den für die Verfügungsmöglichkeit des Kunden entscheidenden Tagessaldo einfließen. Sie versieht die Buchung folgerichtig mit einer Wertstellung und stellt sie damit auch in den Wertstellungssaldo ein und vermindert so für die Zinsberechnung ein etwaiges Debet (vgl. Schimansky in Schimansky, Bankrechts-Handbuch, § 47, Rn. 31). Mit dem Vollzug der Vorbehaltsgutschrift erwirbt der Kunde damit gegen die Bank einen unmittelbaren Anspruch auf Auszahlung des Guthabens. Dies ergibt sich auch aus der rechtlichen Bedeutung der Kontoauszüge im Rahmen von Giroverträgen. Für das Giroverhältnis umschreibt der Tageskontoauszug den Anspruch, den der Kontoinhaber gegen die kontoführende Bank jeweils geltend machen kann, mithin den Umfang des pfändbaren Tagessaldos (vgl. ausdrücklich OLG Frankfurt, Urteil vom 03. März 1994, WM 1994, Seite 684; BGH, Urteil vom 24. April 1984, WM 1985, Seite 936, 937). Bei der Forderungspfändung in ein Girokonto bestimmt sich daher der Umfang, in welchem Tagesguthaben erfasst werden, nachdem, was die dem Kontoinhaber erteilten Kontoauszüge als Saldo ausweisen.

Auch aus dem Hinweis der Beklagten auf die Änderung des § 28 e SGB IV ergeben sich für den hiesigen Rechtsstreit rechtliche Konsequenzen nicht. Denn ausweislich des Art. 21 des Gesetzes zur Änderung des vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007 (Bundesgesetzblatt I S. 3024) ist ein Inkrafttreten dieses Gesetzes erst für den 1. Januar 2008 bestimmt, so dass dahin stehen kann, ob die Änderung des Gesetzes überhaupt Auswirkung auf die Anfechtbarkeit der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung hat (zur insoweit eindeutigen insolvenzrechtlichen Rspr. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005, IX ZR 152/03). Es ergibt sich damit nämlich schon unmittelbar aus dem Wortlaut, dass Zahlungen wie hier aus Juli bis September 2005 von der Gesetzesänderung unberührt bleiben, da nur für Zahlungen ab 1.01.2008 geregelt wird, dass die Zahlung des Arbeitnehmeranteils als aus dem Vermögen des Beschäftigen erbracht gilt.

Allein diese Auslegung steht im Einklang mit den von Beklagtenseite zutreffenderweise zitierten Grundsätzen zur Rückwirkung, etwa BVerfGE 109, 190, 252, worin es ausdrücklich heißt:

"... Der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm bestimmt, in welchem Zeitpunkt die Rechtsfolgen einer gesetzlichen Regelung eintreten sollen. Grundsätzlich erlaubt die Verfassung nur ein belastendes Gesetz, dessen Rechtsfolgen frühestens mit der Verkündung der Norm entstehen. Die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten (Rückbewirkung von Rechtsfolgen, "echte" Rückwirkung), ist grundsätzlich unzulässig ...".

An dieser unzweideutigen verfassungsrechtlichen Wertung ändern auch die zitierten Vorschriften in § 300 ZPO und Art. 170 EGBGB nichts. Denn § 300 ZPO gebietet gerade die Anwendung eben derjenigen gesetzlichen Regelungen, dienach ihrem zeitlichen Geltungswillendas streitige Rechtsverhältnis umfassen, während Art. 170 EGBGB Regelungen für vor dem Inkrafttreten des BGB gültige Gesetze enthält.

Schließlich mag zwar der Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung in BT-Drs. 16/886 vom 9. März 2006 (!) auf S. 15 zu entnehmen sein, dass dann, wenn ein Anfechtungsprozess noch anhängig ist, nach allgemeinem Zivilprozessrecht für die Entscheidung die geänderte Rechtslage maßgebend sein soll. Diese unzutreffende Einschätzung in der Gesetzesbegründung ist nur vor dem Hintergrund der in jenem Gesetzesentwurf ebenso zu ändernden Vorschriften der §§ 130 ff. InsO zu erklären, so dass die materiellen Unterschiede zwischen den Änderungen der Anfechtungsregelungen in der InsO selbst und den Änderungen, die die den Anfechtungstatbeständen zugrunde liegenden Vermögenszuordnungen in der Vergangenheit betreffen, den Beteiligten durchgerutscht sein mögen. Jedenfalls aber hat der Gesetzgeber von dieser in der Sache unzutreffenden Begründung in der aktuellen Gesetzesbegründung in der Bundestagsdrucksache 16/6540 vom 28. September 2007 auf S. 31 aus gutem Grund Abstand genommen. Maßgeblich für die Auslegung wären allein Begründung und Wille des Gesetzgebers ohnehin nicht.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 143 Abs. 1 InsO, 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.