LG Landshut, Beschluss vom 20.01.2011 - 4 Qs 346/10
Fundstelle
openJur 2011, 98610
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. II Gs 833/10
Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten ... wird der Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 04.10.2010

a b g e ä n d e r t.

II. Es wird festgestellt, dass der Vollzug des Beschlusses des Amtsgerichts Landshut vom 02.04.2009 rechtswidrig war, soweit grafische Bildschirminhalte (Screenshots) kopiert und gespeichert wurden.

III. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Beschuldigten ... gegen den Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 04.10.2010 als unbegründet verworfen.

IV. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die Hälfte der dem Beschuldigten ... dabei entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Mit Beschluss vom 02.04.2009 ordnete das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Landshut gemäß § 100a StPO "die Überwachung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs auf Ton und Schriftträger unter gleichzeitiger Schaltung einer Zählervergleichseinrichtung bzw. Herausgabe von Gesprächsverbindungsdaten und Standorte des Mobiltelefons" für den Telefonanschluss des Beschuldigten ... mit der Nummer ... des Netzbetreibers ... Deutschland GmbH ... für 3 Monate bis maximal zum 02.07.2009 an. Ferner enthält der Beschluss folgende Aussprüche:

"Mit umfasst von dieser Anordnung ist auch die Direktanwahl der Mailbox und der technischen Schaltung.

Angeordnet wird insbesondere auch die Überwachung und Aufzeichnung der über den oben genannten Anschluss geführten verschlüsselten Telekommunikation sowie die Vornahme der hierzu erforderlichen Maßnahmen im Rahmen einer Fernsteuerung.

Angeordnet wird auch die Überwachung des verschlüsselten Telekommunikationsverkehrs über HTTPS und der verschlüsselte Telekommunikationsverkehr über Messenger wie z.B. Skype.

Auch insoweit sind nur solche Maßnahmen zulässig, die der Überwachung der Telekommunikation dienen und die für die technische Umsetzung der Überwachung zwingend erforderlich sind. Unzulässig sind die Durchsuchung eines Computers nach bestimmten auf diesem gespeicherten Daten sowie das Kopieren und Übertragen von Daten von einem Computer, die nicht die Telekommunikation des Beschuldigten über das Internet mittels Voice-over-IP betreffen. Auch das Abhören von Gesprächen, die außerhalb eines Telekommunikationsvorgangs im Sinne des § 100a StPO erfolgen, ist unzulässig."

Hinsichtlich der Begründung dieser Anordnungen wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Der Beschluss wurde im Auftrag der Staatsanwaltschaft Landshut von den Polizeibehörden vollzogen. Hierzu hat das Bayerische Landeskriminalamt zum Zwecke der Ausleitung der verschlüsselten Telekommunikation auf dem Computer des Beschuldigten ... eine Software aufgebracht, welche über zwei Überwachungsfunktionen verfügt: Die Überwachung und Ausleitung der verschlüsselten Skype-Kommunikation (Voice-over-IP sowie Chat) vor der Ver- bzw. nach der Entschlüsselung sowie das Erstellen von Screenshots der Skype-Software sowie des Internet-Browsers Firefox im Intervall von 30 Sekunden zur Überwachung der über https geführten Telekommunikation. Diese Maßnahmen wurden sodann auch umgesetzt.

Der Beschuldigte wurde von den durchgeführten Telekommunikationsmaßnahmen nicht unterrichtet.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 02.03.2010 beantragte der Beschuldigte beim Amtsgericht Landshut gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO die Rechtswidrigkeit der Maßnahme des Beschlusses vom 02.04.2009 des Amtsgerichts Landshut festzustellen. Hinsichtlich der Begründung dieses Antrags wird auf den Schriftsatz vom 02.03.2010 Bezug genommen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts - Ermittlungsrichter - Landshut vom 04.10.2010 wurde der Antrag des Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Aus den Beschlussgründen, auf die Bezug genommen wird, ergibt sich, dass das Amtsgericht den Beschluss vom 02.04.2009 und die durchgeführten Telekommunikationsmaßnahmen als rechtmäßig erachtet.

Gegen diesen formlos zugestellten Beschluss legte der Beschuldigte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 11.10.2010, eingegangen beim Amtsgericht Landshut am selben Tag, sofortige Beschwerde ein. Zur vorgebrachten Begründung der sofortigen Beschwerde wird auf die Verteidigerschriftsätze Bezug genommen.

Die Staatsanwaltschaft Landshut hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten ... ist gemäß § § 101 Abs. 7 Satz 3, 311 Abs. 2 StPO zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg. Zwar ist der Beschluss des Amtsgerichts vom 02.04.2009 nicht rechtswidrig, wohl aber seine Umsetzung, soweit die grafischen Bildschirminhalte kopiert, also sog. Screenshots gefertigt wurden.

1. Der Beschuldigte war einer Katalogtat gemäß § 100 a Abs. 2 Nr. 7 a,und b StPO hinreichend verdächtig. Denn nach den bisherigen Ermittlungen schloss sich der Beschuldigte ... zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt ab 2004 einer Personengruppe an, die Betäubungsmittel ins Ausland verkauft, um - wie diese Personen - Gewinn zu erzielen. Entsprechend diesem Plan wurden von September 2007 bis April 2008 bei insgesamt 74 Gelegenheiten Auslandsverkäufe durchgeführt. Dies ist strafbar als gewerbsmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit bandenmäßiger unerlaubter Ausfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 74 Fällengemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1, 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30a Abs. 1, 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 BtMG in Verbindung mit Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG, § 53 StGB.

2. Es ist von Rechts wegen auch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht mit Beschluss vom 02.04.2009 neben der allgemeinen Telefonüberwachung auch die Überwachung der verschlüsselten Telekommunikation sowie die Vornahme der hierzu erforderlichen Maßnahmen im Rahmen einer "Fernsteuerung" angeordnet hat. Auf die zutreffenden Ausführungen im Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 02.04.2009, die sich die Kammer zu Eigen macht, wird Bezug genommen.

Mit einer weit verbreiteten Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist auch die Kammer der Auffassung, dass die sogenannte Quellen-TKÜ einschließlich der hierfür erforderlichen technischen Maßnahmen zulässig ist (LG Hambürg vom 31.08.2010, Aktenzeichen 608 Qs 17/10; KMR/Bär § 100 a StPO Rn 31b f.; Meyer-Goßner 53. Aufl., § 100 a StPO Rn 7 i KK-StPO/Nack, 6. Aufl., § 100 a Rn 27; Beck OK-StPO/Graf § 100 a StPO Rn 114 ff; AG Bayreuth MMR 2010, 266). Denn § 100a stPO erfasst grundsätzlich die Überwachung und Aufzeichnung aller vom Beschuldigten im Rahmen von Telekommunikationsvorgängen zum Zwecke dieser Kommunikation produzierten und für die Weiterleitung an den Kommunikationspartner vorgesehenen Daten. Aus rechtlicher sicht unproblematisch ist die überwachung und Aufzeichnung der bereits versendeten Daten. Diese ist aber praktisch wertlos, wenn die Daten vorher verschlüsselt werden. Um auch in einem solchen Fall die Überwachung der Telekommunikation gewährleisten zu können, ist es unabdingbar, bereits vor der Verschlüsselung und somit vor der Absendung auf die Audiodaten zuzugreifen. Andernfalls würde - gerade im Bereich der weit verbreiteten Internettelefonie - eine Vielzahl von Telekommunikationsvorgängen durch Maßnahmen gemäß § 100a StPO nicht überwacht werden können. Dieser Umstand schafft denn auch eine "Annexkompetenz" für den technischen Eingriff in das Computersystem des Versenders mittels eines aufgespielten Computerprogramms (vgl. LG Hamburg aaO). Für den Bereich der Internettelefonie (Voice-over-IP-Kommunikation) wird eine solche "Quellen-TKÜ" demnach von einer weit verbreiteten Meinung auch für zulässig erachtet (siehe oben).

3. Jedoch war der Vollzug des Beschlusses vom 02.04.2009 insoweit rechtswidrig als im zeitlichen Abstand von 30 Sekunden Screenshots von der Bildschirmoberfläche gefertigt wurden, während der Internet-Browser aktiv geschaltet war. Denn nach Auffassung der Kammer besteht für das Kopieren und Speichern der grafischen Bildschirminhalte, also der Fertigung von Screenshots, keine Rechtsgrundlage, weil zum Zeitpunkt dieser Maßnahmen noch kein Telekommunikationsvorgang stattfindet.

Dabei hat die Kammer nicht verkannt, dass sich beim verschlüsselten E-Mail-Verkehr dieselben technischen Probleme wie bei der Internettelefonie stellen, nämlich, dass nach Versenden der E-Mail eine Entschlüsselung nicht möglich ist, weshalb eine Telekommunikationsüberwachung wertlos ist. Doch kann nicht außer Acht gelassen werden, dass - anders als bei der Internettelefonie - die E-Mail zum Zeitpunkt ihrer "Ablichtung" mittels "Screenshot" noch nicht unmittelbar vor ihrer Versendung steht, insbesondere auch wieder geändert oder gelöscht werden könnte. Zwar muss der Beschuldigte um eine E-Mail verfassen zu können, eine Verbindung zu einem Server aufbauen, der ihm die erforderliche Maske zur Verfügung stellt. Der Vorgang des Schreibens der E-Mail findet dann aber ohne Datenaustausch statt, da die einzelnen Buchstaben nicht sofort an den Server weiter übertragen werden. Die E-Mail wird erst dann zum Server und damit in die Außenwelt transportiert, wenn der Beschuldigte den "Versenden-Button" betätigt. Hält man sich diese technischen Vorgänge vor Augen, kann nach Auffassung der Kammer - auch im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Unzulässigkeit der Online-Durchsuchung (NJW 20081 822) - beim Schreiben einer E-Mail noch nicht von einern Vorgang der Telekommunikation gesprochen werden. Etwas Anderes kann auch nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass der Beschuldigte zunächst, um die E-Mail schreiben zu können, eine Internetverbindung herstellt. Denn anders als beim Aufbau einer Telefonverbindung wird die Verbindung zum Server nach dem Aufruf der E-Mail-Maske nicht weiter genutzt. Beim Schreiben der E-Mail findet gerade kein Datenaustausch mit dem Server statt. Es kann auch nicht davon gesprochen werden, dass das Schreiben der E-Mail so eng mit ihrer späteren Versendung verknüpft ist, dass bereits das Schreiben in der Maske ohne Datenaustausch ein Vorgang der Telekommunikation im Sinne des § 100a StPO wäre. Dies zeigt sich schon darin, dass die E-Mail während und nach dem Schreiben stets noch geändert oder gelöscht werden kann.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO.