OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 02.04.2008 - 2 Ws 211/07
Fundstelle
openJur 2012, 29995
  • Rkr:

Nach der von der Rechtspflegerin vorliegend zugrunde gelegten Differenztheorie, die auch nach Erlass des KostRÄndG 1994 (BGBl. I 1325) nach ganz überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung weiterhin anwendbar ist, kommt wegen des Teilfreispruchs ein gegen die Staatskasse festzusetzender Erstattungsbetrag nicht in Betracht. Hiernach hat bei einem Teilfreispruch grundsätzlich der Angeklagte seine Auslagen selbst zu tragen, ihm sind nur ausscheidbare Auslagen, die allein auf den freisprechenden Teil des Urteils entfallen, gemäß § 52 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. RVG aus der Staatskasse zu erstatten.

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe

I. Dem früheren Angeklagten und nunmehrigen Beschwerdeführer wurde durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt vom 07. September 2004 – auf die im Übrigen Bezug genommen wird (Blatt 1083 – 1112 d. A.) - zur Last gelegt, in 26 Fällen als Mitglied einer Bande Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge getrieben zu haben. In einem Fall darüber hinaus gemeinschaftlich handelnd und tateinheitlich mit Stoffen, die nicht Betäubungsmittel sind, gemäß § 29 Abs. 6 BtMG Handel getrieben und dabei betrügerisch in einem besonders schweren Fall gehandelt zu haben. Schließlich wurde ihm ein gemeinschaftlicher erpresserischer Menschenraub in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung zur Last gelegt. Am 10. Juli 2006, rechtskräftig seit dem 22. Februar 2007, ist er nach 36 Hauptverhandlungstagen von dem Landgericht Darmstadt – 15. große Strafkammer – wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten schweren räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden. Im Übrigen wurde er freigesprochen. In Bezug auf den Beschwerdeführer lautet die Kostenentscheidung der Strafkammer wie folgt: „Der Angeklagte A1 hat die Verfahrenskosten und seine notwendigen Auslagen im Umfang seiner Verurteilung zu tragen. Im Übrigen fallen die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.“ Sein Neffe B1 wurde in demselben Urteil wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 11 Fällen sowie wegen erpresserischem Menschenraub in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. Auf Antrag wurde dem Pflichtverteidiger des Verurteilten A1, Rechtsanwalt RA1, eine Vergütung von 11.202,58 € zugesprochen (Blatt 97 – 102 d. Kostensonderbandes). Seinen Antrag vom 02. Oktober 2007 auf Festsetzung eines durch den Teilfreispruch bedingten Erstattungsanspruchs gegen die Staatskasse in Höhe von 2.836,49 € (14.039,07 € abzgl. 11.202,58 €, Blatt 142 – 146 Kostensonderband) hat die Rechtspflegerin bei dem Landgericht Darmstadt mit Beschluss vom 07. November 2007 zurückgewiesen (Blatt 151, 152 Kostensonderband). Gegen diesen, Rechtsanwalt RA1 am 13. November 2007 zugestellten Beschluss hat er namens und in Vollmacht des Verurteilten mit am 20. November 2007 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig, §§ 464 b S. 3, 311 Abs. 2 S. 1 StPO, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG. Der Senat entscheidet in der für das Strafverfahren vorgesehenen Besetzung mit 3 Berufsrichtern (vgl. Meyer – Goßner, 50. Aufl., Rz. 7 a. E., § 464 b; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 24.03.2004 – 2 Ws 29/04 – zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der StPO, hier: der Beschwerdefrist).

Die sofortige Beschwerde bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Nach der von der Rechtspflegerin vorliegend zugrunde gelegten Differenztheorie, die auch nach Erlass des KostRÄndG 1994 (BGBl. I 1325) nach ganz überwiegender, auch vom Senat (vgl. zuletzt die Beschlüsse vom 17. Mai 2006 – 2 Ws 79/06 –; vom 25. Oktober 2006 – 2 Ws 163/06 –) geteilter Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. OLG Braunschweig, NJW 1970, 1809; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 02.03.1998 – 3 Ws 299/97 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.12.2001 – 4 Ws 523/01 -; OLG Hamm, Beschluss vom 17.04.2007 – 4 Ws 97/07 -, jew. zit. nach juris; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., Rz. 8 f., § 465; Karlsruher Kommentar/Franke, StPO, 5. Aufl., Rz. 7, § 465, jew. m. w. N.) weiterhin anwendbar ist, kommt wegen des Teilfreispruchs ein gegen die Staatskasse festzusetzender Erstattungsbetrag nicht in Betracht. Hiernach hat bei einem Teilfreispruch grundsätzlich der Angeklagte seine Auslagen selbst zu tragen, ihm sind nur ausscheidbare Auslagen, die allein auf den freisprechenden Teil des Urteils entfallen, gemäß § 52 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. RVG aus der Staatskasse zu erstatten. Insoweit ist der gegen die Staatskasse gerichtete Anspruch des Beschwerdeführers auf Zahlung der Wahlverteidigergebühr jedoch gemäß § 52 Abs. 1 S. 2 RVG entfallen. Vorliegend hat der Verteidiger das ihm durch § 14 Abs. 1 RVG eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er wegen der auf den freisprechenden Teil des Urteils entfallenden Grundgebühr (Nr. 4101, 4100 VV RVG), der Terminsgebühr (Nr. 4103, 4102 Nr. 3 VV RVG), der Verfahrensgebühren (Nr. 4105, 4104, 4113, 4112 VV RVG) und der Terminsgebühren für die jeweils fortgesetzten Hauptverhandlungen (Nr. 4115, 4114 VV RVG) die Mittelgebühren in Ansatz gebracht hat. Danach ergibt sich, ohne dass es letztlich darauf ankommt, ob die so in Ansatz gebrachten Gebühren als Differenzgebühren überhaupt angefallen oder jedenfalls deutlich überhöht sind, ein Erstattungsanspruch von höchstens 11.147,60 €, einschließlich der Mehrwertsteuer (vgl. insoweit nur Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., 2008, Rz. 14, § 52 RVG m. w. N.) von seinerzeit 16 %. Dieser Betrag setzt sich aus der Grundgebühr von 202,50 €, der Terminsgebühr für die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung von 171,25 €, der Verfahrensgebühr für das Ermittlungsverfahren in Höhe von 171,25 €, der Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug von 188,75 € und 27 Terminsgebühren in Höhe von jeweils 328,75 € (27 x 328,75 € = 8.876,25 €) zusammen. Soweit der Verteidiger für die Fortsetzungstermine am 06.03., 27.03., 03.04., 11.04., 19.04., 09.05., 11.05., 31.05. und 29.06.2006 jeweils die Mittelgebühr von 328,75 € geltend gemacht hat, handelt es sich um keine ausscheidbaren, den Freispruch betreffende Auslagen des Beschwerdeführers. Ausweislich der Hauptverhandlungsprotokolle erstreckte sich die Beweisaufnahme bei diesen Fortsetzungsterminen ausschließlich auf den Tatvorwurf nach Ziffer 1. der Anklage (Punkt 12. des Urteils), weswegen der Beschwerdeführer auch verurteilt worden ist. Im Termin am 06.03. hat sich der seinerzeitige Mitangeklagte des Beschwerdeführers insoweit zur Sache eingelassen. Im Termin am 27.03. wurden der Kriminalbeamte Z9, der Polizeibeamte Z10 und der Geschädigte Z4 und im Termin am 03.04. die Zeugen Z1, Z2 und Z3, im Termin am 11.04. erneut der Zeuge Z4, am 09.05. auf einen Beweisantrag des Beschwerdeführers hin der Z5, ferner der Kriminalbeamte Z11 hierzu vernommen. In dem Fortsetzungstermin am 11.05. ist der Zeuge Z6 auf den Beweisantrag des Beschwerdeführers sowie die Zeugin Z7 zu dem Tatvorwurf vernommen worden. Am 31.05. wurde die richterliche Aussage des Z8, eines Halbbruders des Geschädigten, verlesen. In dem Termin am 29.06. ist eine Beweisantrag des Verteidigers des Beschwerdeführers auf Vernehmung des Z8 ablehnt und ein Brief des Beschwerdeführers, der sich inhaltlich mit dem Tatvorwurf befasste, verlesen worden. Die darüber hinaus geltend gemachten Auslagen nach Nr. 7000 Nr. 1, Nr. 1a, 7002, 7003, 7005 Nr. 1 und Nr. 2 VV RVG stellen keine erstattungsfähigen Aufwendungen des Beschwerdeführers dar, weil § 52 RVG nur den Gebührenanspruch des Wahlverteidigers erfasst und der Pflichtverteidiger die weitergehenden Auslagen bereits gemäß §§ 45, 46 RVG aus der Staatskasse erstattet bekommt (vgl. nur Hartmann, a. a. O., Rz. 14, § 52 RVG; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe – Madert, RVG, 17. Aufl., Rz. 4, § 52, jew. m. w. N.; ferner OLG Karlsruhe, Beschluss vom 02.03.1998 – 3 Ws 299/97 -, zit. nach juris, <16 a. E.> zu der Frage der Ausscheidbarkeit). Die dem Verteidiger bereits ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 11.202,58 € ist gemäß § 52 Abs. 1 S. 2 RVG vollständig auf die ausscheidbare Wahlverteidigergebühr in Höhe von höchstens 11.147,60 € anzurechnen, so dass im Ergebnis kein erstattungsfähiger Anspruch des Beschwerdeführers gegen die Staatskasse mehr besteht. Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (vgl. Beschluss vom 03.09.2007 – 2 Ws 194/07 -, zit. nach juris <24 – 31>; vorangehend Beschluss vom 22.04.1999, Rpfleger 1999, 413 f., jew. m. w. N.; vgl. ferner Nachweise bei Burhoff – Volpert, RVG, 2. Aufl., Rz. 58 und zur a. A. Rz. 57, 59, § 52) an. Danach enthält § 52 Abs. 1 S. 2 RVG eine dem vormaligen § 100 Abs. 1 S. 2 BRAGO vergleichbare Regelung, wonach der Anspruch auf die Wahlverteidigergebühren insoweit entfällt, als die Staatskasse Gebühren bezahlt hat. Danach ist sowohl aus systematischen und teleologischen Gründen als auch nach den Gesetzesmaterialien davon auszugehen, dass „das Entfallen des Anspruchs auf Erstattung eines Teils der Wahlverteidigergebühren – weiterhin – pauschal und ohne Einschränkungen an die tatsächlich erfolgte Zahlung von Pflichtverteidigergebühren anknüpft und nicht an einen nach einer abstrakten Kostenquote zu berechnenden fiktiven Teilbetrag“ (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 03.09.2007, a. a. O, <27>).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.