LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2010 - 10 TaBV 2829/09
Fundstelle
openJur 2012, 12211
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. November 2009 - 19 BV 20301/09 - wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle in der Filiale 720 zum Regelungsgegenstand „Ausgestaltung der Zahlungsmodalitäten bei der Umsetzung des Tarifvertrages zur befristeten Vorsorgeleistung“.

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen mit Hauptsitz in Hamburg, welches im wesentlichen Bekleidungsartikel und Accessoires verkauft. Sie betreibt in Deutschland mehr als 300 Verkaufsfilialen, die jeweils als eigenständige Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes geführt werden. Insgesamt beschäftigt sie zirka 15 000 Arbeitnehmer. Der Betriebsrat ist der am Standort Berlin, Gesundbrunnencenter, gewählte Betriebsrat der Filiale 720, in der regelmäßig ca. 50-60 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sind.

Im Zuge der Tarifeinigung im Berliner Einzelhandel schlossen die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag „Befristete Vorsorgeleistung“ unter dem 4. September 2008. Dieser sieht in Ziffer 1 vor, dass grundsätzlich alle Arbeitnehmer in Verkaufsstellen im Jahre 2009 und im Jahre 2010 jeweils 131,25 EUR erhalten. Dieser Anspruch soll in gewisser Weise den Wegfall der Spätzuschläge am Samstag ab 14:30 Uhr kompensieren.

Nach Ziffer 2 dieses Tarifvertrages kann der Arbeitgeber wählen, ob er den Arbeitgeberanteil zur tariflichen Altersversorgung erhöhen oder den Betrag dem Wertguthaben eines Langzeitkontos zuführen will.

Die hiesige Arbeitgeberin hat sich für eine Aufstockung des Arbeitgeberanteils zur tariflichen Altersversorgung entschieden, da nach ihrer Ansicht betriebliche Regelungen zu einem Langzeitkonto nicht bestehen.

In Ziffer 3 des Tarifvertrages ist sodann geregelt: „Auf Wunsch des Arbeitnehmers ist die Leistung in Form von Warengutscheinen zu erbringen.“ Die Anzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich für einen solchen Warengutschein entschieden haben, ist nicht genau bekannt, soll aber jedenfalls ca. die Hälfte aller Beschäftigten der Filiale 720 umfassen.

Die Arbeitgeberin hat ein Rundschreiben herausgegeben (Bl. 104 d.A.), in welchem Einschränkungen der Nutzbarkeit des Einkaufsgutscheins enthalten sind. Es ist ausgeführt, dass

- eine Kombination mit dem 25%igen Personalrabatt, anderen Coupons oder Warengutscheinen nicht zulässig sei

- eine Übertragbarkeit auf andere Personen ausgeschlossen sei

- der Einkauf nur mit Personalausweis oder Personaleinkaufskarte gestattet sei

- die Kaufsumme zu 100% in das Einkaufslimit für Personalrabatt fließe.

Der Betriebsrat meint, dass die Arbeitgeberin schon nicht allein über die Art der Auszahlung nach Ziffer 2 des Tarifvertrages entscheiden könne, zumal es auch Regelungen zu einem Langzeitkonto im Betrieb gebe. Jedenfalls aber seien die Bedingungen zur Nutzung des Einkaufsgutscheins mitbestimmungspflichtig. Es würden Sachverhalte der Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und der Nr. 4 BetrVG erfasst.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 30. November 2009 entschieden:

„Es wird eine Einigungsstelle eingesetzt zum Thema: ‚Ausgestaltung der Zahlungsmodalitäten bei der Umsetzung des Tarifvertrages zur befristeten Vorsorgeleistung zwischen dem Handelsverband Berlin-Brandenburg e.V. und der Gewerkschaft ver.di vom 04.09.2008’ unter dem Vorsitz des Richters am Arbeitsgericht a.D. V. R. und zwei Beisitzern pro Seite.“

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass zwar § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hier nicht einschlägig sei, aber die Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG rechtfertige die Einsetzung der Einigungsstelle, da es um die Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte gehe. Denn der Gutschein sei Arbeitsentgelt. Wegen der weiteren Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung wird auf die dortigen Gründe zu II. (Bl. 42-43 d.A.) Bezug genommen.

Gegen diesen den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin am 11. Dezember 2009 zugestellten Beschluss legte die Arbeitgeberin am 28. Dezember 2009, dem Montag nach Weihnachten, mit Schriftsatz vom gleichen Tage per Telefax Beschwerde ein und begründete diese sogleich.

Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass der Tarifvertrag den Sachverhalt abschließend regele. Die Entscheidung über Durchführungswege bei der Gewährung von Tarifleistungen treffe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Arbeitgeber allein (BAG, Beschluss vom 29. Juli 2003 - 3 ABR 34/02). Soweit der Sachverhalt nicht abschließend geregelt sei, könne das Ergebnis einer Tarifschlichtung aus Baden-Württemberg für einen inhaltsgleichen Tarifvertrag herangezogen werden. Der Auszahlungszeitpunkt ergebe sich aus dem Altersvorsorgetarifvertrag. Ansonsten sei im Zweifel der Gesamtbetriebsrat zuständig. Und der vom Arbeitsgericht eingesetzte Vorsitzende werde ebenfalls abgelehnt, obwohl man bislang noch mit ihm einverstanden gewesen sei. Er habe aber in einer anderen Einigungsstelle eine aus Sicht der Arbeitgeberin falsche Rechtsansicht geäußert.

Schließlich sei die Einigungsstelle nicht einzusetzen, weil der Antrag und der dem zugrunde liegende Betriebsratsbeschluss nicht übereinstimmen würden. Während der Betriebsratsbeschluss vom 28. Oktober 2009 nur allgemein auf „Einsetzung Einigungsstelle Warencoupon“ laute, gehe es bei der Antragstellung um das Thema „Ausgestaltung der Zahlungsmodalitäten bei der Umsetzung des Tarifvertrages zur befristeten Vorsorgeleistung.“

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. November 2009 Az.: 19 BV 20301/09 aufzuheben und den Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle abzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Betriebsrat verteidigt die angefochtene Entscheidung, wiederholt und vertieft seine erstinstanzlichen Ausführungen. Er führt ergänzend aus, dass das vorgezogene Vorlageverlangen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entsprechend § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG nach der gesetzlichen Regelung ebenfalls dem Arbeitgeber allein vorbehalten sei und das Bundesarbeitsgericht dennoch eine Mitbestimmungspflichtigkeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG annehme (BAG, Beschluss vom 25. Januar 2000 - 1 ABR 3/99). Insofern stehe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fest, dass auch bei einem vermeintlichen Alleinbestimmungsrecht des Arbeitgebers das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht ausgeschlossen sei, sofern nur der Regelungsbereich noch verschiedene Entscheidungen zulasse.

Eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates könne nicht angenommen werden, da insoweit allenfalls Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte für eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates sprechen könnten. Diese seien jedoch ebenso wie Kosten- und Koordinierungsinteressen nicht geeignet, die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates zu begründen. Sowohl die Entscheidung für die Art der tariflichen Vorsorgeleistung wie auch die Einzelheiten des Warengutscheins könnten innerhalb der Filiale 720 geregelt werden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Beschwerdebegründung der Arbeitgeberin vom 28. Dezember 2009 sowie ihre Schriftsätze vom 15. Januar und 21. Januar 2010 und auf die Beschwerdebeantwortung des Betriebsrates vom 11. Januar 2010 und dessen Schriftsatz vom 18. Januar 2010 Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 8 Abs. 4 und 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 98 Abs. 2, 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG eingelegt und begründet worden.

1.

Der erstinstanzliche Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung zur Durchführung dieses Verfahrens.

Ein solcher Beschluss ist allerdings sowohl zur Verfahrenseinleitung als auch zur wirksamen Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich. Fehlt es daran, ist der Betriebsrat gerichtlich nicht wirksam vertreten und kommt ein Prozessrechtsverhältnis nicht zustande; für den Betriebsrat gestellte Anträge sind bereits als unzulässig abzuweisen.

Hier hat der Betriebsrat am 28. Oktober 2009 beschlossen, eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Warencoupon (MTV Vorsorgeleistung)“ einzusetzen (Bl. 25 d.A.). Zwar ist der Arbeitgeberin zuzustimmen, dass dieser Wortlaut nicht genau mit dem im Verfahren geltend gemachten Regelungsgegenstand „Ausgestaltung der Zahlungsmodalitäten bei der Umsetzung des Tarifvertrages zur befristeten Vorsorgeleistung zwischen dem Handelsverband Berlin-Brandenburg e.V. und der Gewerkschaft ver.di vom 04.09.2008“ überein stimmt, doch war auch bei der im Betriebsratsbeschluss gewählten Bezeichnung offensichtlich, dass es dem Betriebsrat um die Ausgestaltung der tariflichen Regelung „Befristete Vorsorgeleistung“ ging. Ein anderes Verständnis kann dem Betriebsratsbeschluss nicht entnommen werden. Insofern ist die Antragstellung in diesem Verfahren von dem Betriebsratsbeschluss umfasst.

2.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zwar zulässig, aber unbegründet. Denn die vom Betriebsrat begehrte Einigungsstelle ist nicht offensichtlich unzuständig im Sinne des § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.

2.1

Nach § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist ein Antrag auf Errichtung einer Einigungsstelle wegen fehlender Zuständigkeit dann zurückzuweisen, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist.

Dies erklärt sich aus den Besonderheiten des Bestellungsverfahrens, das darauf gerichtet ist, den Betriebsparteien, die keine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfalle beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Diese Zielsetzung erfordert ein unkompliziertes Bestellungsverfahren ohne zeitraubende Prüfung schwieriger Rechtsfragen (BAG, Beschluss vom 24. November 1981 - 1 ABR 42/79). Dem entspricht das vereinfachte gerichtliche Verfahren ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter unter Ausschluss der Rechtsbeschwerde. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab korrespondiert damit, dass die Einigungsstelle die Vorfrage ihrer Zuständigkeit selbst prüft und sich, wenn sie diese nicht für gegeben hält, für unzuständig erklären kann (BAG, Beschluss vom 30. Januar 1990 - 1 ABR 2/89). Die Entscheidung des Arbeitsgerichts bindet die Einigungsstelle insoweit nicht. Sie kann ungeachtet ihrer Errichtung im Bestellungsverfahren ihre Zuständigkeit verneinen und damit eine Regelung ablehnen.

Der Begriff der offensichtlichen Unzuständigkeit ist im Gesetz nicht näher definiert. Dabei kann dahinstehen, ob eine offensichtliche Unzuständigkeit im Sinne des § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nur dann anzunehmen ist, wenn sich dies bereits aus dem eigenen Tatsachenvorbringen des Antragstellers auf der Grundlage einer gefestigten Rechtsmeinung ergibt, zu der eine Gegenmeinung nicht existiert oder nicht ernsthaft vertretbar erscheint (LAG Köln, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 7 TaBV 71/01).

Es kann auch dahinstehen, ob die Einigungsstelle nicht schon offensichtlich unzuständig ist, wenn im konkreten Fall ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach Auffassung des Gerichts nicht besteht, sondern nur dann, wenn es nicht bestehen kann (so GK-ArbGG/Dörner § 98 Rn. 24).oder ob sie jedenfalls gegeben ist, wenn die zuständigkeitsbegründende Tatsachengrundlage zwar streitig ist, die Richtigkeit der für die Unzuständigkeit der Einigungsstelle sprechenden Tatsachen dem Gericht im Sinne von § 291 ZPO jedoch offenkundig ist oder gemacht wird (LAG Köln, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 7 TaBV 71/01; ähnlich auch LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. Dezember 2003 - 10 TaBV 2/03 und LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. August 2008 – 26 TaBV 1264/08). Zwar ist es übertrieben, eine offensichtliche Unzuständigkeit bereits dann abzulehnen, wenn der Richter, der die Einigungsstelle bestellen soll, länger als fünf Minuten über die Unzuständigkeit nachdenken muss (Pünnel/Wenning-Morgenthaler, Die Einigungsstelle, Rd-Nr. 68), im Zweifelsfall ist aber die Einigungsstelle jedenfalls einzusetzen.

Eine offensichtliche Unzuständigkeit mit der Folge der Ablehnung der Einsetzung der Einigungsstelle ist nur anzunehmen, wenn sich die beizulegende Meinungsverschiedenheit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei fachkundiger Beurteilung sofort und erkennbar keinem mitbestimmungspflichtigen Tatbestand zuordnen lässt (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2006 - 13 TaBV 15/05). Entscheidend ist die fachkundige Beurteilung durch das erkennende Gericht. Maßstab ist dabei das Gesetz, die Rechtsprechung und gegebenenfalls der Stand der (Rechts-)Wissenschaft.

2.2

Es kann dahinstehen, ob die Begründung des Arbeitsgerichts, dass der Arbeitgeber allein - ohne Mitbestimmung des Betriebsrates - zu entscheiden habe, welche der in Ziffer 2 des Tarifvertrages „Befristete Vorsorgeleistung“ mögliche Variante gewählt wird, zutreffend ist. Denn auch insoweit bindet der Beschluss im Bestellungsverfahren die Einigungsstelle bei ihrer Zuständigkeitsprüfung nicht. Die Einigungsstelle hat selbst zu prüfen, ob ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG oder nach anderen Vorschriften hier in Betracht kommt.

Zwar haben die Tarifvertragsparteien im Zusammenhang mit tariflichen Regelungen denselben Spielraum wie die Betriebsparteien selbst. Etwas anderes wäre mit dem Zweck des § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG nicht zu vereinbaren und widerspräche überdies der Wertung des Art. 9 Abs. 3 GG, wonach die Tarifautonomie, nicht aber die Betriebsautonomie Grundrechtsschutz genießt (BAG, Beschluss vom 17. November 1998 - 1 ABR 12/98). Die Betriebsparteien wiederum dürfen für bestimmte Fälle ein Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers vorsehen (vgl. BAG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 AZR 349/02), so dass eine entsprechende Festlegung auch bei den Tarifvertragsparteien nicht zu beanstanden sein dürfte. Dass aber die Formulierung im Tarifvertrag die Mitbestimmung ausschließen soll, ist nicht offensichtlich. Insoweit hat zwar die Arbeitgeberin auf die Entscheidung des 3. Senates des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 29. Juli 2003 - 3 ABR 34/02) hingewiesen, mit entsprechend vertretbaren Argumenten hat aber der Betriebsrat auf die Entscheidung des 1. Senates des Bundesarbeitsgerichts verwiesen (BAG, Beschluss vom 25. Januar 2000 - 1 ABR 3/99). Demgemäß ist ausgeschlossen, dass der Sachverhalt bei fachkundiger Beurteilung sofort und erkennbar keinem mitbestimmungspflichtigen Tatbestand zugeordnet werden kann.

2.3

Gleiches gilt auch für die vom Arbeitsgericht angenommene mögliche Mitbestimmung des Betriebsrates über die Modalitäten des Erhalts und der Einlösung der Warengutscheine durch den Mitarbeiter nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. Zwar bezieht sich diese Mitbestimmungsvorschrift auf Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte. Und Arbeitsentgelt im Sinne dieser Vorschrift ist im weitesten Sinne zu verstehen (vgl. ErfK-Kania BetrVG § 87 RN 39) so dass hierunter jede Gegenleistung des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers unabhängig von ihrer Bezeichnung fallen dürfte, somit auch ein Sachbezug bzw. ein (tariflicher) Warengutschein als Ausgleich für wegfallende Spätzuschläge. Ob aber die Art dieser Auszahlung (Warengutschein) durch die Tarifvertragsparteien - bei Ausübung des entsprechenden Wahlrechts durch den Arbeitnehmer - ebenso wie der Zeitpunkt der Auszahlung abschließend durch § 2 Nr. 9 des Tarifvertrages über tarifliche Altersvorsorge im Berliner Einzelhandel mit dem 30. November 2009 bzw. 30. November 2010 festgelegt ist, ist nicht eindeutig und deshalb bei fachkundiger Beurteilung ebenfalls nicht sofort und erkennbar keinem mitbestimmungspflichtigen Tatbestand zuzuordnen.

2.4

Die Ausführungen des Betriebsrates, dass die Ausgabe der Warengutscheine mit den Regeln über den Personalkauf koordiniert werden müssten, liegen angesichts des mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Schreibens der Arbeitgeberin (Anlage 7) auf der Hand. Denn die dort vorgenommene Auslegung durch die Arbeitgeberin schmälert mindestens mittelbar die Vergünstigungen im Rahmen des Personalkaufs, sei es durch die Verrechnung des dafür dem Mitarbeiter eingeräumten Budgets, oder durch die personellen Einschränkungen der Verwendung. Die Anwendungsvorschriften der Arbeitgeberin schmälern aber auch den Wert des Warengutscheins zumindest mittelbar, jedenfalls für die Mitarbeiter, die den höchstmöglichen Personalkauf im Jahr in Anspruch nehmen.

Diese Fragen sind der betrieblichen Lohngestaltung zuzuordnen (DKK-Klebe BetrVG § 87 RN 265), weil auch Personalrabatte eine Form des Arbeitentgelts sind (vgl. ErfK-Preis BGB § 611 RN 519). Der Berliner Tarifvertrag vom 4. September 2008 regelt diesen Sachverhalt auch sicherlich nicht abschließend. Das Auslegungsergebnis zum entsprechenden Baden-Württemberger Tarifvertrag ist insoweit in Berlin unmaßgeblich, jedenfalls nicht rechtlich bindend.

Zwar könnte es sich insoweit um eine Rechtsfrage handeln. Denn die Tarifvertragsparteien haben dem Arbeitnehmer die Möglichkeit des Erhalts eines Warengutscheins in Höhe von zweimal 131,25 EUR eingeräumt. Einschränkungen auf die Verwendbarkeit (z.B. durch eine nur höchstpersönliche Einlösung) beinhaltet der Tarifvertrag nicht, so dass diese auch eher nicht durch die Betriebsparteien (oder gar den Arbeitgeber allein) bestimmt werden können. Denn anders als etwa der vom Arbeitgeber als geldwerter Vorteil - freiwillig - eingeräumte Personalrabatt handelt es sich hier um einen tariflichen Vergütungsanspruch. Auch die anderen in der Anlage 7 enthaltenen Beschränkungen finden keine Grundlage in der tariflichen Regelung. Zwar mag es sein, dass eine Kombination des Warengutscheins mit dem Personalrabatt nicht gestattet und eine Hinzurechnung zum Einkaufslimit des Personalkaufkontos des Mitarbeiters geboten ist, aber dann dürfte nicht der Tarifvertrag die Rechtsgrundlage sein, sondern gegebenenfalls die Betriebsvereinbarung zum Personalkauf.

Aber auch diese Fragen sind selbst bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht nicht sofort und erkennbar dahin entscheidbar, dass sie keinem mitbestimmungspflichtigen Tatbestand zuzuordnen wären.

3.

Auch eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates kann im summarischen Verfahren nicht abschließend festgestellt werden. Aus der Ausgestaltung des Verfahrens nach § 98 ArbGG als einem besonderen Eilverfahren folgt, dass alle Fragen, auch Vorfragen, lediglich einer 0ffensichtlichkeitsüberprüfung zu unterziehen sind. Die Klärung streitiger Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Kammervorsitzenden im Bestellungsverfahren. Der Offensichtlichkeitsmaßstab des § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist daher für alle in den Bestellungsverfahren zu entscheidenden Fragen anzuwenden (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. Dezember 2003 - 10 TaBV 2/03). Auch die Sachverhaltsaufklärung ist auf Tatsachen zur „offensichtlichen Unzuständigkeit“ der Einigungsstelle beschränkt, da die endgültige Klärung der Zuständigkeit der Einigungsstelle einem gesonderten Beschlussverfahren vor der vollbesetzten Kammer vorbehalten ist (BVerfG, Beschluss vom 24. September 1986 – 1 BvR 1481/83, nicht veröffentlicht).

Zwar können die Betriebsparteien eher nur Regelungen für ihren Betrieb treffen, nicht aber für etwaige Einkäufe in anderen Filialen. Und eine Beschränkung des Gutscheineinsatzes auf die „eigene“ Filiale beinhaltet der Tarifvertrag wohl nicht. Vielmehr ist es wohl ein Gutschein des Arbeitgebers insgesamt. Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass es im Berliner Tarifvertrag eine Beschränkung auf die Berliner Filialen geben sollte, ist das auch ein Bereich, der dem Gesamtbetriebsrat unterfallen dürfte, weil es mehrere Filialen mit Betriebsräten in Berlin gibt. Aber letztlich hängt es von dem tariflich zulässigen Umfang der Ausgestaltung der Nutzungsbedingungen für den Warengutschein ab, ob der Gesamtbetriebsrat oder der örtliche Betriebsrat zuständig ist. Auch diese Frage ist bei fachkundiger Beurteilung ebenfalls nicht sofort und erkennbar eindeutig dahin zu entscheiden, dass es allein betriebsübergreifende Regelungen geben kann.

4.

Auch hinsichtlich der Person des Einigungsstellenvorsitzenden war die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

4.1

Umstritten ist, ob das Arbeitsgericht im Bestellungsverfahren hinsichtlich der Person für den Vorsitz der Einigungsstelle an die Anträge bzw. Vorschläge des Antragstellers oder im Falle von dessen Ablehnung an die des Antragsgegners gebunden ist. Während – soweit veröffentlicht – die Landesarbeitsgerichte in Bremen und Hamburg bisher meinen, dass es konkreter Hinweise bedürfe, weshalb der vorgeschlagene Vorsitzende nicht in Betracht komme (LAG Bremen, Beschluss vom 1. Juli 1988 – 4 TaBV 15/88; LAG Hamburg, Beschluss vom 8. Mai 1995 – 7 TaBV 2/95; LAG Hamburg, Beschluss vom 27. Oktober 1997 – 4 TaBV 6/97), gehen die Landesarbeitsgerichte in Baden-Württemberg, Berlin und Schleswig-Holstein bisher davon aus, dass keine Bindung an die Anträge bestehe (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.6.2002 – 9 TaBV 3/02; LAG Berlin, Beschluss vom 12.9.2001 – 4 TaBV 1436/01; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. 9.2002 – 4 TaBV 8/02).

Zunächst ist klar, dass das Gericht einen von beiden Seiten vorgeschlagenen oder akzeptierten Vorsitzenden zu bestellen hat. Denn die Aufgabe des Gerichts im Verfahren nach § 98 ArbGG ist es nur, die fehlende Einigung der Betriebsparteien zu ersetzen (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.10.1991 – 12 TaBV 10/91). Haben sich die Betriebsparteien aber - wie hier - nicht auf einen Vorsitzenden verständigt, ist davon auszugehen, dass bei einer streitigen Entscheidung der im Antrag auf Einsetzung der Einigungsstelle genannte Vorsitzende bestellt wird, sofern nicht durch Tatsachen begründete Bedenken oder „verifizierbare Bedenken“ (so Franzen, NZA 2008, 750; Tschöpe, NZA 2004, 945, 947) gegen dessen Geeignetheit für den Vorsitz dieser speziellen Einigungsstelle vorgetragen sind. Das gilt auch im Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht hinsichtlich des erstinstanzlich eingesetzten Vorsitzenden.

Zwar beinhaltet diese Verfahrensweise die Gefahr, dass voreilig von einer Seite die Einsetzung einer Einigungsstelle durch das Arbeitsgericht beantragt wird, um nach dem Müllerprinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ „seinen“ Einigungsstellenvorsitzenden durchzusetzen (teilweise wird dies Prinzip auch „Windhundprinzip“ genannt – so HK-ArbR/Henssen § 98 ArbGG Rn. 12), aber dieser Nachteil ist im Hinblick auf die Berechenbarkeit des Verfahrens nach § 98 ArbGG hinzunehmen. Wenn es nämlich keine Bedenken gibt, gibt es auch keinen Grund, den vorgeschlagenen Vorsitzenden nicht zu bestellen (so auch GK-ArbGG/Dörner § 98 Rn. 29). Die notwendige Vertrauensbasis zur unparteiischen Durchführung des Einigungsstellenverfahrens schafft das Arbeitsgericht dadurch, dass es den Betriebsparteien den Vorsitzenden für die Einigungsstelle bestellt, der nach Ansicht des Gerichts mit hinreichender Sachkunde ausgestattet die Gewähr dafür bietet, eine Einigung zwischen den Betriebsparteien herbeizuführen. Unsachliche Bedenken sind damit aus dem Weg geräumt. Auch dem latenten Vorwurf der Pfründenwirtschaft innerhalb der Richterschaft nach dem Motto: „Ich gebe Dir eine Einigungsstelle, damit Du mir auch eine gibst“ (in diesem Sinne Bauer, NZA 1992, 433, 434) wäre damit ausreichend begegnet (so auch Pünnel/Wenning-Morgenthaler, Die Einigungsstelle Rd.Nr. 101).

4.2

Soweit gegen die Bestellung von Herrn R. als Einigungsstellenvorsitzendem die Äußerung von Rechtsansichten in einer anderen Einigungsstelle bei der Arbeitgeberin vorgebracht worden ist, war dieser Vortrag für eine Nichtberücksichtigung von Herrn R. als Vorsitzender der Einigungsstelle zu allgemein gehalten. Denn die Äußerung einer Rechtsauffassung, die nach Ansicht der Arbeitgeberin der gegenwärtigen Rechtsprechung widerspricht, ist für eine Ablehnung als Einigungsstellenvorsitzender nicht ausreichend.

Für eine solche Ablehnung ist es erforderlich, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des vorgeschlagenen Vorsitzenden zu rechtfertigen. Nicht erforderlich ist es dagegen, dass der potentielle Vorsitzende tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist.

Die Mitteilung von Rechtsauffassungen und Erfolgsaussichten ergibt sich für das gerichtliche Verfahren bereits aus den prozessualen Hinweispflichten des Gerichts nach § 139 ZPO. Da solche Hinweise bei Rechtsfragen wie der Zuständigkeit der Einigungsstelle auch von einem Einigungsstellenvorsitzenden zu erwarten sind, sind Einigungsstellenvorsitzende von Amts wegen gezwungen, sich zu Rechtsfragen laufend eine Meinung zu bilden, dabei aber stets für neue und gegebenenfalls bessere Argumente offen zu bleiben (Düwell/Lipke/Kloppenburg/Ziemann, ArbGG, § 49, Rd.-Nr. 29). Ein Rechtsdiskurs kann aber nur dann stattfinden, wenn der Vorsitzende seine Rechtsauffassung auch bekannt gibt. Die Partei, in deren Prozess eine bestimmte Rechtsfrage zu entscheiden ist, muss sich ebenso wie die Betriebspartei in der Einigungsstelle damit abfinden, dass zu dieser Frage gerade der hier tätige Vorsitzende bereits eine bestimmte Rechtsauffassung geäußert hat, die unter Anwendung auf den zur Entscheidung stehenden Einzelfall für die eine Partei günstig, für die andere ungünstig ist. Denn von jedem Einigungsstellenvorsitzenden wird wie von einem Richter erwartet, dass er sich in jeder neu an ihn herangetragenen Sache für neue Argumente und Erwägungen offen hält, auch wenn er sich in vergleichbaren Verfahren bereits „festgelegt“ hatte (MüKo-ZPO/Feiber § 42 Rd.-Nr. 21).

Die Arbeitgeberin hat trotz entsprechender Beauflagung keine Tatsachen dafür vorgetragen, dass Herr R. zu der bisher nicht näher dargelegten Rechtsauffassung zur Zuständigkeit in einer anderen Einigungsstelle durch eine unsachliche Einstellung ihr gegenüber oder zur konkreten Fallfrage oder durch reine Willkür gelangt wäre. Die Arbeitgeberin hat auch keinerlei Tatsachen vorgetragen, dass Herr R. die andere Einigungsstelle oder die hier zur Entscheidung stehende nicht nach Gesetz und Recht aufgrund der konkreten Fallgestaltung, sondern ohne Würdigung der konkreten Umstände sozusagen unter schematischer Anwendung der behaupteten Rechtsauffassung entscheiden wird. Auf ausdrückliche Nachfrage in der Beschwerdeverhandlung hat die Arbeitgeberin erklärt, dazu keine weiteren Ausführungen machen zu wollen. Anderweitige Anhaltspunkte für eine etwaige Parteilichkeit von Herrn R. sind in diesem Verfahren nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.

5.

Da die vom Arbeitsgericht mit zwei je Seite bestimmte Anzahl der Beisitzer für die Einigungsstelle zwischen den Betriebsparteien nicht (mehr) streitig war, war darüber auch nicht mehr gesondert zu entscheiden.

III.

Die Entscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG in Verbindung mit § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gerichtskostenfrei.

IV.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht vorgesehen, § 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG.