BSG, Urteil vom 02.02.2010 - B 8 SO 22/08 R
Fundstelle
openJur 2011, 95577
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Tatbestand

Im Streit ist, ob der Beklagte dem Kläger Prozesszinsen für eine Ausgleichsforderung des Klägers für die Zeit der Rechtshängigkeit des Ausgleichsanspruchs vom 7.3.2007 (Rechtshängigkeit) bis zur Begleichung der Forderung am 29.11.2007 zu zahlen hat.

Zwischen dem Kläger als örtlichen Träger der Sozialhilfe und dem Beklagten als überörtlichen Sozialhilfeträger war die Erstattung von Kosten für erbrachte Hilfeleistungen in Höhe von 9.399,02 Euro im Streit. Das Sozialgericht (SG) Potsdam hat den Beklagten zur Zahlung verurteilt, hinsichtlich der Zinsforderung aber die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.10.2007). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat die hinsichtlich der Zinsforderung geführte Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 12.9.2008) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, für das Begehren des Klägers gebe es keine Rechtsgrundlage. § 108 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) gewähre einen Zinsanspruch für Träger der Sozialhilfe nur gegenüber "anderen Leistungsträgern", womit andere Sozialleistungsträger gemeint seien; zwischen unterschiedlichen Trägern der Sozialhilfe sehe das Gesetz einen Verzinsungsanspruch nicht vor. Mangels planwidriger Regelungslücke sei auch § 291 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht entsprechend anwendbar. Denn diese Vorschrift ziele auf eine typische Interessenlage des Privatrechts ab, in der Kapital zur Deckung des Lebensunterhalts oder des Geschäftsbetriebs unerlässlich sei oder verwendet werde, um es zu vermehren. Eine solche Interessenlage bestehe jedenfalls im Verhältnis zwischen Gebietskörperschaften bzw Verbänden von Gebietskörperschaften nicht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß die Verletzung materiellen Rechts (§ 291 BGB analog). Er verweist darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) Prozesszinsen in analoger Anwendung von § 291 BGB zuerkannt worden seien, solange (bis 31.12.2004) derartige Rechtsstreite vor den Verwaltungsgerichten auszutragen gewesen seien. Zur Begründung führt er weiter aus, entgegenstehende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei überholt; spätestens mit der Neufassung des Kostenrechts im sozialgerichtlichen Verfahren zum 2.1.2002 könnten aus der Kostenregelung im Sozialgerichtsgesetz (SGG) jedenfalls in den von § 197a Abs 1 Satz 1 SGG erfassten Streitigkeiten keine Argumente mehr für den Ausschluss von Prozesszinsen gewonnen werden. Überdies nehme gerade im Bereich der Sozialversicherung der Kostendruck infolge politisch gewollten Wettbewerbs der Träger untereinander zu.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und das Urteil des SG abzuändern sowie den Beklagten zu verurteilen, für die Zeit vom 7.3. bis 29.11.2007 Prozesszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz aus 9.399,02 Euro an ihn zu zahlen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Dem Kläger stehen - wie das LSG unter zutreffender Wiedergabe der Rechtsprechung des BVerwG und des BSG im Einzelnen dargelegt hat - Prozesszinsen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

§ 108 Abs 2 SGB X, wonach ein Erstattungsanspruch der Träger der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe von anderen Leistungsträgern unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auf Antrag mit 4 vH zu verzinsen ist, scheidet als Anspruchsgrundlage im Verhältnis gleichgeordneter Träger und damit auch im Verhältnis der Träger der Sozialhilfe untereinander aus (BVerwGE 114, 61, 63; von Wulffen, SGB X, 6. Aufl 2008, § 108 RdNr 4; BT-Drucks 13/3904 S 48 zu Art 2a). § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sieht nur eine Verzinsung von Sozialleistungen vor und kann auf das Verhältnis der Sozialleistungsträger untereinander nicht entsprechend angewandt werden (BSGE 49, 227, 229 = SozR 1200 § 44 Nr 2 S 9; vgl auch Mrozynski, SGB I, 3. Aufl 2003, § 44 RdNr 11) .

Wie der Senat (einen Monat nach Zustellung des Berufungsurteils) bereits entschieden hat (BSGE 102, 10 ff RdNr 15 bis 17 mwN = SozR 4-2500 § 264 Nr 2), kommt auch die analoge Anwendung des § 291 BGB nicht in Betracht. Es entspricht der (vom LSG in Bezug genommenen) ständigen Rechtsprechung des BSG im Bereich der Sozialversicherung, dass für Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander Prozesszinsen nicht zu erstatten sind, weil es dafür an einer ausdrücklichen sozialrechtlichen Anspruchsgrundlage und mangels planwidriger Regelungslücke auch an den Voraussetzungen für eine Analogie fehlt (BSGE 49, 227, 229 mwN = SozR 1200 § 44 Nr 2 S 10; BSG SozR 4-2500 § 19 Nr 4 RdNr 29 ff). Dass dies in gleicher Weise im Bereich der Sozialhilfe gilt, hat der Senat im bezeichneten Urteil bereits entschieden; insoweit gibt es weder Sonderregelungen auf bundesrechtlicher noch auf landesrechtlicher Ebene. Auch gibt es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen Sozialhilfe- und Sozialversicherungsträgern, die es rechtfertigten, die Sozialhilfeträger anders als die Sozialleistungsträger durch eine Analogie des § 291 BGB in den Genuss von Prozesszinsen zu bringen. Mit seiner Entscheidung hat der Senat die entgegenstehende Rechtsprechung des BVerwG nicht fortgesetzt, das Trägern der Sozialhilfe nach dem bis zum 31.12.2004 geltenden Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Erstattungsstreitigkeiten untereinander Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB zugebilligt hatte (vgl BVerwGE 111, 213, 219 = Buchholz 436.0 § 103 BSHG Nr 2 S 6) .

Ein entsprechender Zinsanspruch lässt sich auch nicht aus übergeordneten Gesichtspunkten des Verfassungsrechts, insbesondere nicht aus Art 20 Abs 3 Grundgesetz, herleiten. Dass die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist, führt nicht zu einem Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung. Dies gilt umso mehr im Verhältnis zweier Träger der vollziehenden Gewalt untereinander.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2, § 161 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs 1, § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.