BSG, Urteil vom 05.10.2006 - B 10 LW 4/05 R
Fundstelle
openJur 2011, 95123
  • Rkr:

Eine Klage auf Feststellung von Erwerbsminderung iS des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte - vor der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens - ist wegen mangelnden Feststellungsinteresses unzulässig, da von der Landwirtschaftlichen Alterskasse (bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen) die Zusicherung begehrt werden kann, im Falle der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens Erwerbsminderungsrente zu gewähren.

Tatbestand

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG).

Der am 9. Juli 1955 geborene Kläger betreibt ein landwirtschaftliches Unternehmen. Seinen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 6. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004 mit der Begründung ab: Der Kläger sei nicht in einem rentenberechtigenden Maße erwerbsgemindert. Außerdem fehle es an der Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft.

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. Mai 2005). Es hat den Rentenanspruch des Klägers - unabhängig von einer Überprüfung der Erwerbsminderung - bereits deswegen verneint, weil es an der Hofabgabe mangele. Die hilfsweise erhobene Klage auf Feststellung der Erwerbsminderung sei unzulässig, weil sie nur ein Element des Rechtsverhältnisses zu der Beklagten betreffe.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 8. September 2005). Es hat die Auffassung der Vorinstanz bestätigt und die vom Kläger im Berufungsverfahren begehrte bedingte Leistung (Rente wegen Erwerbsminderung unter der Bedingung einer späteren Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens) ebenfalls als unzulässig angesehen. Der Rentenanspruch sei vor der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens in seinem Bestand ungewiss und hänge von der zukünftigen Entscheidung des Klägers ab, bis zu der bzw bis zu deren Vollzug sich die gesundheitlichen Voraussetzungen geändert haben könnten. Bezüglich des Feststellungsbegehrens fehle es an einem hinreichend bestimmten oder bestimmbaren Rechtsverhältnis; es werde vom Kläger lediglich die Feststellung eines Einzelelements des Rechtsverhältnisses begehrt. Der Berufungssenat hat offen gelassen, ob der Weg über ein Begehren auf Zusicherung der Erteilung eines Rentenbescheides für den Fall der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens verfahrensrechtlich gangbar wäre. Jedenfalls fehle es hier an einem zuvor durchgeführten Verwaltungsverfahren.

Mit der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision zum Bundessozialgericht (BSG) macht der Kläger ua geltend: In der vorliegenden Fallkonstellation sei eine Feststellungsklage zulässig. Er habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Erwerbsminderung. Nur dadurch könne vor der Hofabgabe verbindlich geklärt werden, ob danach ein Anspruch auf eine Rente bestehe; eine frühere Entscheidung über die Fortführung der Landwirtschaft sei wirtschaftlich nicht zumutbar. Von der Entscheidung über die Erwerbsminderung hänge nämlich auch ab, an wen das landwirtschaftliche Unternehmen abgegeben werden könne bzw müsse. Die Voraussetzung des § 13 Abs 1 Satz 1 Nr 4 ALG werde durch Abgabe an den Ehegatten nur dann erfüllt, wenn der Landwirt voll erwerbsgemindert sei (§ 21 Abs 9 Satz 1 Nr 1 ALG). Diesen Umstand vor der Abgabeentscheidung zu klären, sei aus finanziellen Gründen unerlässlich, da die Rente aus der Alterssicherung der Landwirte lediglich eine Teilsicherung darstelle.

Die Forderung einer Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens vor einer Feststellung der Erwerbsminderung durch die landwirtschaftliche Alterskasse (LAK) widerspreche im Übrigen auch der Handhabung durch die Träger selbst. Im Verwaltungsverfahren werde zunächst der Gesundheitszustand geprüft und das Leistungsvermögen bewertet. In Abhängigkeit von dem Ergebnis der Prüfung müsse erst danach die Hofabgabe tatsächlich erfolgen. Die LAK werde insoweit auch nicht mit zusätzlichen Kosten belastet. Die Rente müsse erst ab dem Zeitpunkt der Abgabe gezahlt werden; eine rückwirkende Verpachtung sei nicht möglich. Insoweit komme eine dem § 9 Abs 4 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) analoge Behandlung in Betracht. Stehe die Gewährung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit im Streit, deren Anerkennung die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit voraussetze, hätten Unfallversicherungsträger und Gerichte - wie ausdrücklich gesetzlich normiert sei - im Vorgriff verbindlich über die Feststellung der Berufskrankheit zu entscheiden.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 8. September 2005 und des SG Karlsruhe vom 2. Mai 2005 teilweise aufzuheben und festzustellen, dass er erwerbsgemindert ist,

und hilfsweise,

die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 8. September 2005 und des SG Karlsruhe vom 2. Mai 2005 teilweise aufzuheben und festzustellen, dass er für den Fall der Abgabe seines landwirtschaftlichen Unternehmens Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie führt zur Begründung aus: Zutreffend werde vom Kläger vorgetragen, dass in ihrer Verwaltungspraxis, der landwirtschaftliche Unternehmer erst nach der verbindlichen Feststellung der Erwerbsminderung gehalten sei, die Voraussetzung der Abgabe des Unternehmens zu erfüllen. Von ihrer Seite werde davon ausgegangen, dass in der hier vorliegenden Fallkonstellation eine Elementenfeststellungsklage zulässig sei, wofür auch die mit dem 6. Änderungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz eingefügte Regelung des § 130 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) spreche. Danach könne das SG durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn es sachdienlich sei. Entscheidungserhebliche Fragen in diesem Sinne seien auch einzelne Tatsachenfeststellungen, selbst nach Beweisaufnahmen. Dies gelte zB auch für einzelne Anspruchsvoraussetzungen und Berechnungselemente.

Gründe

Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger vermag mit seinem im Revisionsverfahren einzig noch verfolgten Begehren bestimmter gerichtlicher Feststellungen nicht durchzudringen. Die Feststellungsklagen sind unzulässig. Dieses gilt sowohl für den Antrag, seine Erwerbsminderung festzustellen, als auch für den Antrag festzustellen, er habe für den Fall der Abgabe seines landwirtschaftlichen Unternehmens Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine hier allein in Betracht kommende Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG sind nicht erfüllt. Sie muss auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet sein und erfordert ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung. Zumindest letzteres ist hier nicht gegeben.

Soweit der Kläger die Feststellung seiner Erwerbsminderung beantragt hat, könnte zwar bereits zweifelhaft sein, ob diese Klage auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG gerichtet ist oder ob mit ihr nicht vielmehr in unzulässiger Weise die Feststellung eines Einzelelements des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung begehrt wird (vgl hierzu BSG, Urteil vom 22. März 1983 - 2 RU 64/81, JURIS; BSGE 4, 184, 185; Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG Komm, 8. Aufl 2005, § 55 RdNr 9). Eine Entscheidung hierüber kann dahingestellt bleiben, denn die Zulässigkeit beider Anträge scheitert an dem aus dem Erfordernis eines Feststellungsinteresses folgenden Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage (vgl BSGE 43, 148, 150 f = SozR 2200 § 1385 Nr 3; BSGE 46, 81, 84 = SozR 5420 § 3 Nr 7; BSGE 69, 76 = SozR 3-2500 § 59 Nr 1) gegenüber einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, die der Kläger hätte erheben können - vorausgesetzt, ein entsprechendes Vorverfahren wäre durchgeführt worden. Sie wäre auf die Verpflichtung der Beklagten zur Abgabe einer Zusicherung (§ 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB X>) zu richten gewesen, dass diese für den Fall der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens dem Kläger Erwerbsminderungsrente gewähren werde.

Von dem nach § 55 SGG vorausgesetzten berechtigten Interesse an der begehrten Feststellung ist dann auszugehen, wenn das Klageziel nicht auf anderem Wege, etwa durch kombinierte Anfechtungs-, Leistungs- oder Verpflichtungsklage zu erreichen ist (vgl BSG, Urteil vom 20. Oktober 1977 - 12 RK 22/76, JURIS; aA allerdings BSG SozR 1500 § 55 Nr 35, ausschließlich zum Verhältnis von Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG zu Anfechtungs- und Verpflichtungsklage). Es gilt mithin für die Feststellungsklage eine Subsidiarität gegenüber den in § 54 SGG genannten anderen Klagearten (BSGE 43, 148, 150 = SozR 2200 § 1385 Nr 3; BSGE 46, 81 = SozR 5420 § 3 Nr 7; BSGE 57, 184 = SozR 2200 § 315 Nr 10; BSGE 58, 150, 153 = SozR 1500 § 55 Nr 27; BSGE 73, 147 = SozR 3-2500 § 53 Nr 4; s hierzu auch Meyer-Ladewig, aaO, § 55 RdNr 19). Grundsätzlich soll vermieden werden, dass die Gerichte noch einmal in Anspruch genommen werden müssen, weil das Feststellungsurteil den Rechtsstreit nicht abschließend zu erledigen vermag. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn darüber hinaus ein weitergehendes Feststellungsinteresse gegeben ist (vgl BSGE 56, 255 = SozR 1500 § 55 Nr 23). Das ist hier nicht der Fall.

Der Kläger hätte hier sein eigentliches Begehren durch einen Antrag auf Zusicherung iS des § 34 SGB X und - nach Erlass eines insoweit ggf ablehnenden Verwaltungsakts durch die Beklagte - mittels Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl BSGE 56, 249, 251 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 13, S 43) erreichen können.

Die Zusicherung nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB X ist - als Unterfall der Zusage - ua auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet. (vgl BSG SozR 3-1300 § 34 Nr 2). Damit folgt aus der wirksamen Zusicherung - anders als aus der reinen Feststellung - ein Rechtsanspruch auf die zugesagte Regelung. Hier hätte die Zusicherung beantragt werden können, dem Kläger nach Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens einen die Rente wegen Erwerbsminderung gewährenden Bescheid zu erteilen (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 89, S 282). Mit diesem Vorgehen würde den Interessen beider Beteiligten angemessen Rechnung getragen. Die Frage der Erwerbsminderung wäre vor der Abgabe der Zusicherung zu klären, sodass der Kläger die von ihm angestrebte Gewissheit für seine finanzielle Disposition erlangen könnte. Zugleich wäre die Beklagte, da die Zusicherung nach § 34 Abs 3 SGB X unter dem Vorbehalt der Beständigkeit der Rechts- und Sachlage steht, an die Zusicherung nicht mehr gebunden, wenn sich Gesundheitszustand und Leistungsvermögen des Klägers in der Zeit zwischen der Erteilung der Zusicherung und der Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens entscheidend gebessert haben sollten.

Eine Weigerung der Beklagten, die begehrte Zusicherung zu erteilen, könnte im Wege der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden (vgl BSGE 56, 249, 251 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 13, S 43). Im Rahmen eines solchen Verfahrens wären alle Anspruchsvoraussetzungen für eine Rentengewährung - mit Ausnahme der zukünftig erst noch folgenden Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens - abzuklären, also auch, ob der Kläger erwerbsgemindert iS des § 13 ALG ist. Sollten diese Voraussetzungen vorliegen und hätte die Beklagte - das Gegenteil annehmend - eine Zusicherung zu Unrecht abgelehnt, wäre deren Verpflichtung auszusprechen, über die Erteilung einer Zusicherung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Angesichts der gegebenen Umstände läge es sogar nahe, eine "Ermessensreduktion auf Null" anzunehmen und die Beklagte unmittelbar zur Erteilung der Zusicherung zu verpflichten. Dem Begehren des Klägers wäre mit solchen Entscheidungen vollauf Rechnung getragen. Ein darüber hinausgehendes Feststellungsinteresse des Klägers ist nicht erkennbar.

Einen Antrag auf Erteilung einer Zusicherung iS des § 34 SGB X hat der Kläger bisher nicht gestellt, ein entsprechendes Verwaltungsverfahren ist demnach nicht durchgeführt worden. Der Senat ist daher insoweit an einer Entscheidung gehindert (§ 78 Abs 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.