BFH, Beschluss vom 01.07.2009 - V S 10/07
Fundstelle
openJur 2011, 87094
  • Rkr:

Der Senat nimmt seine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Frage der Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung gegen einen Beschluss über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (Beschluss vom 26. September 2007 V S 10/07, BFHE 219, 27, BStBl II 2008, 60) zurück.

Tatbestand

I. Der Senat hatte durch Beschluss vom 2. Februar 2007 V S 18/05 (PKH) den Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Nichtzulassungsbeschwerde abgelehnt. Gegen diesen Beschluss hatte der Antragsteller (persönlich) mit Schriftsatz vom 23. Februar 2007 "Gegenvorstellung" eingelegt und erneut PKH beantragt (Az. V S 10/07).

Daraufhin hat der Senat mit Beschluss vom 26. September 2007 V S 10/07 (BFHE 219, 27, BStBl II 2008, 60) gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (RsprEinhG) dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt: "Ist eine Gegenvorstellung gegen einen Beschluss über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe statthaft?" Das Verfahren wird beim GmS-OGB unter dem Aktenzeichen GmS-OGB 3/07 geführt.

Der Senat hat in dem Vorlegungsbeschluss in BFHE 219, 27, BStBl II 2008, 60, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, die Auffassung vertreten, die "Gegenvorstellung" des Antragstellers sei unzulässig, weil die gesetzlich nicht geregelte Gegenvorstellung die Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht erfülle, wonach Rechtsbehelfe "in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein müssen" (Hinweis u.a. auf den Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 30. April 2003  1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395).

Daraus folge, dass eine Gegenvorstellung generell und damit auch gegen einen Beschluss über einen Antrag auf PKH nicht statthaft sei. Denn die Frage, ob ein Rechtsbehelf (hier die Gegenvorstellung) den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht genüge und deshalb nicht statthaft sei, dürfe nicht davon abhängen, ob die angegriffene Entscheidung in materielle Rechtskraft erwachse oder (wie hier die ablehnende Entscheidung über einen PKH-Antrag) nicht.

Gründe

II. Die Auffassung, dass eine Gegenvorstellung (auch) gegen einen nicht in materielle Rechtskraft erwachsenden ablehnenden Beschluss über einen Antrag auf PKH nicht statthaft sei, vermag der Senat nach dem seinem Vorlegungsbeschluss nachfolgenden Beschluss des BVerfG vom 25. November 2008  1 BvR 848/07 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2009, 829) nicht aufrechtzuerhalten.

1. a) Das BVerfG hat in diesem Beschluss in NJW 2009, 829 u.a. ausgeführt (unter B.I.1.b bb (1) (a) der Gründe),

-       aus den Erwägungen des Plenums in seinem Beschluss vom 30. April 2003 (BVerfGE 107, 395) lasse sich "nicht herleiten, dass eine Gegenvorstellung gegen gerichtliche Entscheidungen von Verfassungs wegen unzulässig (sei)" (Rz 34),

-       dass "die Gegenvorstellung den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht genügt" (Rz 36) und

-       soweit die Rechtsprechung der Fachgerichte die Gegenvorstellung als statthaft behandele, (führe) dies nicht zu einer Beeinträchtigung der Interessen der Rechtsuchenden, vielmehr (werde) im Gegenteil der Schutz ihrer Rechte erweitert, "wenn das Fachgericht nach der maßgebenden gesetzlichen Regelung zu einer Abänderung seiner vorangegangenen Entscheidung befugt (sei) und ihm die Gegenvorstellung Anlass zu einer dahingehenden Prüfung (gebe)" (Rz 36).

b) Das BVerfG hat in seinem Beschluss in NJW 2009, 829 ferner betont (unter B.I.1.b bb (2) der Gründe = Rz 39), dass

-       "die Gerichte bei der sachlichen Entscheidung über eine Gegenvorstellung von der Beachtung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen namentlich des Verfahrensrechts nicht befreit" sind,

-       "die Lösung des hier zu Tage tretenden Konflikts zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit in erster Linie dem Gesetzgeber übertragen ist" und

-       "insoweit sich die Gerichte mithin nicht von der maßgeblichen gesetzlichen Regelung lösen (können)", was "insbesondere für gerichtliche Entscheidungen (gelte), die ungeachtet etwaiger Rechtsfehler nach dem jeweiligen Verfahrensrecht in Rechtskraft erwachsen und deshalb weder mit ordentlichen Rechtsbehelfen angegriffen noch vom erkennenden Gericht selbst abgeändert werden können".

2. Die Ausführungen des BVerfG in NJW 2009, 829 unter B.I.1.b bb (2) der Gründe (Rz 39) dürften dahingehend zu verstehen sein, dass es ausgeschlossen ist, gesetzlich geregelte Bindungen des Gerichts an seine eigenen Entscheidungen, wie sie sich insbesondere aus der Rechtskraft der Entscheidung auch zu Gunsten des anderen Verfahrensbeteiligten ergeben, ohne gegenläufige gesetzliche Grundlage mit Hilfe einer Gegenvorstellung zu übergehen (ebenso Neumann, jurisPR-BVerwG 9/2009 Rz 4, unter D.).

Anderes dürfte dagegen gelten --so versteht der Senat die Ausführungen des BVerfG in NJW 2009, 829 unter B.I.1.b bb (1) (a) der Gründe (Rz 36)--, wenn das Fachgericht nach der maßgebenden gesetzlichen Regelung zu einer Abänderung seiner vorangegangenen Entscheidung befugt ist und ihm die Gegenvorstellung Anlass zu einer dahingehenden Prüfung gibt.

3. Deshalb gibt der Senat seine im Vorlegungsbeschluss vertretene Ansicht auf, die Frage der Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung dürfe nicht davon abhängen, ob die angegriffene Entscheidung in materielle Rechtskraft erwachse oder nicht (wie hier die ablehnende Entscheidung über einen PKH-Antrag).

Damit entfällt die Grundlage für die Anrufung des GmS-OGB. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.

III.

Eine Rücknahme der Anrufung ist zulässig (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 29. August 1978 VII R 17/77, BFHE 125, 364, BStBl II 1978, 604; Kissel, Festschrift 75 Jahre RFH-BFH, S. 591, 602; Pietzner in Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, VwGO, Anh § 11 RsprEinhG Rz 24).

Das gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 RsprEinhG ausgesetzte Verfahren V S 10/07 wird fortgesetzt.