BFH, Beschluss vom 29.01.2008 - I B 100/07
Fundstelle
openJur 2011, 84421
  • Rkr:
Tatbestand

I. Streitpunkt ist die Berechnung von Rückstellungen für ausstehende Urlaubstage und Überstunden von Arbeitnehmern.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, passivierte in ihrer Bilanz zum 31. Dezember des Streitjahrs 2002 u.a. Rückstellungen für ausstehende Urlaubstage und Überstunden ihrer Belegschaft. Sie errechnete die Rückstellungsbeträge nach der Formel:

Jahresgehalt

Rückstellung =       -----------   x  ausstehende Urlaubstage

220 Gesamtarbeitstage

Sie ermittelte auf diese Weise für das Streitjahr eine Urlaubsrückstellung in Höhe von 73 200 EUR und eine Überstundenrückstellung in Höhe von 900 EUR.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) berechnete die Rückstellungen für das Streitjahr demgegenüber nach folgender Formel:

Jahresgehalt

Rückstellung =       -----------   x  ausstehende Urlaubstage

10 

250 Gesamtarbeitstage

Die unterschiedliche Zahl der jeweils im Nenner veranschlagten jährlichen Arbeitstage resultiert daraus, dass die Klägerin nur die von den Arbeitnehmern im Folgejahr tatsächlich zu leistenden Arbeitstage --also 250 Arbeitstage abzüglich durchschnittlich 30 Urlaubstage = 220 Arbeitstage-- angesetzt hat, während das FA, der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) folgend, die gesamten 250 jährlichen regulären Arbeitstage berücksichtigt hat. Das FA ermittelte auf diese Weise einen um insgesamt 8 800 EUR geringeren Rückstellungsbetrag und legte diesen bei Festsetzung der Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuermessbetrags für das Streitjahr zu Grunde.

Die dagegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) München abgewiesen; sein Urteil vom 7. Mai 2007  7 K 2505/05 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1423 abgedruckt.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil und begründet dies mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.

Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Gründe

II. Die Beschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu, weil die streitige Rechtsfrage bereits durch den BFH geklärt ist.

Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt; es muss sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handeln (z.B. BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, m.w.N.). Eine Rechtsfrage ist u.a. dann nicht klärungsbedürftig, wenn auf den Sachverhalt durch die Rechtsprechung geklärte Rechtsgrundsätze anzuwenden sind und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage geboten erscheinen lassen (BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 2006 XI B 129/05, BFH/NV 2007, 43; vom 4. Mai 1999 IX B 38/99, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N.). So liegt es hier:

Nach gefestigter Rechtsprechung des BFH sind rückständige Urlaubsverpflichtungen als sog. Erfüllungsrückstand zurückzustellen und bestimmt sich die Höhe der Rückstellung nach dem Urlaubsentgelt, das der Arbeitgeber hätte aufwenden müssen, wenn er seine Zahlungsverpflichtung bereits am Bilanzstichtag erfüllt hätte. Danach ist es ausgeschlossen, Kostenüberlegungen je geleisteter Arbeitszeiteinheit im Folgejahr bereits am Bilanzstichtag zu berücksichtigen. Für die Ermittlung der Höhe der Urlaubsrückstellung ist deshalb das Jahresgehalt durch die Zahl der regulären Arbeitstage --ohne Berücksichtigung von Urlaubstagen des Folgejahres-- zu dividieren (BFH-Urteil vom 8. Juli 1992 XI R 50/89, BFHE 168, 329, BStBl II 1992, 910; Senatsurteile vom 10. März 1993 I R 70/91, BFHE 170, 433, BStBl II 1993, 446; vom 6. Dezember 1995 I R 14/95, BFHE 180, 258, BStBl II 1996, 406; zustimmend: Blümich/Schreiber, EStG, KStG, GewStG, § 5 EStG Rz 920 "Urlaub"; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 26. Aufl., § 5 Rz 550 "Urlaub"; Lambrecht in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz D 284; Frotscher, EStG, § 5 Rz 458 "Urlaubsrückstellung"; Mayer-Wegelin in Bordewin/ Brandt, EStG, § 6 Rz 546; Christiansen, Die steuerliche Betriebsprüfung --StBp- 1989, 221; Groh, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1994, 90, m.w.N).

Die von der Klägerin erneut aufgeworfene Frage, ob als Gegenstand der Urlaubsrückstellung nicht anstatt auf eine Zahlungsverpflichtung auf eine Verpflichtung zur Gewährung bezahlter Freizeit abzustellen sei --mit dem Resultat, dass die im Folgejahr aufzuwendenden Kosten des Arbeitgebers wertbestimmend wären-- ist bereits vor Klärung durch den BFH kontrovers diskutiert worden (vgl. Nachweise im BFH-Urteil in BFHE 168, 329, BStBl II 1992, 910, Gliederungspunkt II.2.). Die nach den ersten beiden BFH-Urteilen geäußerte Kritik (vgl. Hoyos/M. Ring in BeckBilKomm, 6. Aufl., § 249 Rz 100 "Urlaub"; Breidenbach, Der Betrieb --DB-- 1992, 2568; Tonner, DB 1992, 1592; Müller, DB 1993, 1581; Schreiben des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. --IDW-- vom 16. April 1992, FN-IDW 1992, 193) war zum Zeitpunkt des Senatsurteils in BFHE 180, 258, BStBl II 1996, 406 bekannt und ist dort in den Entscheidungsgründen (unter Gliederungspunkt II.3.) erörtert, aber nicht für durchgreifend erachtet worden.

Die einzige von der Klägerin angeführte Schrifttumsäußerung aus der Zeit nach dem letzten Senatsurteil (Büchele, DB 1997, 2133) enthält ebenso wenig grundlegend neue Aspekte zu der Problematik wie die Ausführungen in der Beschwerdebegründung. Das gilt auch für die von der Klägerin in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellte Frage der Periodengerechtigkeit der Rückstellungsbewertung unter dem betriebswirtschaftlichen Aspekt. Der Senat hat sich hiermit insbesondere im Urteil in BFHE 170, 433, BStBl II 1993, 446 (am Ende) befasst und ausgeführt, aus welchen Gründen der Lösungsansatz der BFH-Rechtsprechung mit den für Dauerschuldverhältnissen geltenden Bilanzierungsregeln in Einklang steht. Von diesem Rechtsstandpunkt aus können im Übrigen auch die des Weiteren geltend gemachten Vorhaltungen nicht verfangen, die Rechtsprechung verstoße gegen das bilanzrechtliche Vorsichtsprinzip, den steuerbilanzrechtlichen Maßgeblichkeitsgrundsatz und das Realisationsprinzip.

Soweit sich die Klägerin schließlich darauf beruft, dass die von ihr favorisierte Berechnungsweise teilweise auch von steuerlichen Betriebsprüfern akzeptiert werde, so dass die steuerliche Gleichbehandlung nicht gewährleistet sei, ließe sich hieraus eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht ableiten. Denn die streitige Rechtsfrage ist durch die zitierte BFH-Rechtsprechung bereits in eindeutiger Weise geklärt. Auch die Klägerin macht nicht geltend, dass die behauptete unterschiedliche Verwaltungspraxis auf einer unzureichenden Klärung der Rechtsfrage durch den BFH beruhe. Träfe die Behauptung der Klägerin zu, dass die Rechtsprechung von der Verwaltung nicht durchgängig angewendet wird, wäre deshalb nicht zu ersehen, aus welchem Grund die Durchführung eines weiteren Revisionsverfahrens vor dem BFH zu einer einheitlichen Verwaltungspraxis führen würde.