OLG Hamm, Urteil vom 19.01.2001 - 20 U 136/00
Fundstelle
openJur 2011, 80191
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 15 O 126/00
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 4. Mai 2000 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 18.000,00 DM abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beide Parteien können die Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft erbringen.

Tatbestand

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung, der die AUB und eine Progressionsvereinbarung zugrunde liegen. Die Versicherungssumme beläuft sich auf 200.000,00 DM. Nach der zugrunde liegenden Provisionsvereinbarung kommt bis zu einer Invalidität von 25 % die einfache, von einer solchen von 26 bis zu 50 % die doppelte und von 51 bis 100 % Invalidität die dreifache Invaliditätssumme zur Auszahlung.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Zahlung von Invaliditätsentschädigung auf Basis einer 50%igen Invalidität und Feststellung der Leistungspflicht, falls sich die tatsächliche Invalidität als größer als 50%ig herausstellen sollte, wegen eines Unfalls, der sich am 19.01.1998 ereignet habe soll und bei welchem der Kläger vom Fahrrad gefallen und sich dabei Verletzungen mit dauerhaften Folgen zugezogen haben will. Er klagt über therapieresistente Schmerzen im Hals/Nackenbereich mit starken rechtsbetonten Kopfschmerzen, Schwindel und wiederkehrenden Sehbeschwerden und führt diese Beschwerden auf den Unfall zurück. Gemeldet hat er den Unfall der Beklagten erst über ein Jahr später; die schriftliche Schadenanzeige datiert vom 16.02.1999. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 23.03.1999. Dieses Schreiben lautet auszugsweise:

"... Ihre Unfallversicherung sieht Leistungen im Invaliditätsfall vor. Dieser ist gegeben, wenn innerhalb eines Jahres nach dem Unfall ein Dauerschaden als Unfallfolge eingetreten ist. Dieser Dauerschaden muß dann innerhalb weiterer drei Monate ärztlich festgestellt und uns gegenüber geltend gemacht werden. Bitte beachten Sie diese Fristen, damit Ihnen keine Nachteile entstehen. ..."

Wegen des vollständigen Wortlauts dieses Schreibens wird auf die Ablichtung Blatt 42 der Akte verwiesen.

Weil bei der Beklagten bis Mitte 1999 keinerlei Schriftstücke eingegangen waren und der Kläger sich auch nicht wieder gemeldet hatte, wandte sie sich mit Schreiben vom 12.07.1999 an den Kläger. In diesem Schreiben heißt es auszugsweise:

"... Bitte weisen Sie durch einen ärztlichen Bericht nach, daß ein unfallbedingter Dauerschaden besteht.

Einen Vordruck erhalten Sie mit diesem Schreiben.

Bitte lassen Sie die ärztliche Bescheinigung von einem mit der Materie vertrauten Facharzt ausfüllen und senden uns diese wegen der bereits abgelaufenen 15-Monats-Frist bis spätestens 28.07.1999 wieder zu."

Der Kläger wandte sich nur telefonisch an die Beklagte und wies darauf hin, daß er das geforderte Attest eines Facharztes nicht so kurzfristig beschaffen könne. Er bot statt dessen die Bescheinigung seines Hausarztes an, was die Beklagte ablehnte. Sie bestand auf einer fachärztlichen Bescheinigung. Um dem Kläger dies zu ermöglichen, verlängerte sie am 21.07.1999 dem Tag des Telefonats die Frist ein weiteres Mal bis zum 10.08.1999. Wegen der Einzelheiten der Schreiben der Beklagten wird auf die Ablichtungen Blatt 105 und 106 der Akte verwiesen.

Auch bis zum 10.08.1999 ging bei der Beklagten keine Bescheinigung ein. Erst am 03.09.1999 erreichte sie die "ärztliche Bescheinigung zur privaten Unfallversicherung" des Facharztes für Orthopädie Dr. med. U vom 02.09.1999. In dieser Bescheinigung sind die Fragen 1. und 4., ob aus dem Unfall eine dauernde Gebrauchs/Funktionsminderung gemäß der "Gliedertaxe" bzw. eine dauernde Minderung der Arbeitsfähigkeit/Leistungsfähigkeit verbleibe und ob ein Dauerschaden bereits festgestellt werden könne, mit "ja" beantwortet.

Die Beklagte lehnte aber mit Schreiben vom 10.09.1999 eine weitere Prüfung und die Leistung aus dem Versicherungsfall ab, weil der Kläger auch die verlängerte Frist nicht eingehalten habe. Wegen der Einzelheiten dieses Ablehnungsschreibens vom 10.09.1999 wird auf die Ablichtung Blatt 22 der Akte verwiesen.

Der Kläger hat daraufhin Klage auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung von 300.000,00 DM nebst Zinsen und Feststellung einer etwaigen weitergehenden Leistungsverpflichtung erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei leistungsfrei, weil der Kläger die in den Vertragsbedingungen vorgesehenen, später von der Beklagten verlängerten Fristen nicht eingehalten habe. Der Beklagten sei es insbesondere nicht verwehrt gewesen, auf einer ärztlichen Bescheinigung eines Facharztes zu bestehen. Diese Entscheidung der Beklagten sei angesichts der bereits abgelaufenen Fristen sachgerecht gewesen.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit welcher er sein ursprüngliches Begehren in der Höhe nach modifizierter Form weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 200.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 27.10.1993 zu zahlen,

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, im Umfang eines etwaigen auf dem Unfallereignis vom 19.01.1998 beruhenden Invaliditätsgrads von mehr als 50 % die sich aus der vereinbarten progressiven Invaliditätsstaffel (BBU 3210) des Unfallversicherungsvertrages Nr. 08159578N4008159578N40 ergebende Versicherungssumme zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich in erster Linie darauf, daß die Invalidität des Klägers nicht fristgerecht festgestellt worden sei. Darüber hinaus bestreitet sie den Unfall, einen unfallbedingt eingetretenen Dauerschaden, behauptet, daß die Beschwerden des Klägers in erster Linie degenerativer Ursache seien und bestreitet den behaupteten Grad der Invalidität.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet.

Ein Anspruch des Klägers scheitert bereits daran, daß eine fristgerechte Feststellung der Invalidität gemäß § 7 I Abs. 1 AUB 88 nicht festgestellt werden kann. Nach dieser Bestimmung der Vertragsbedingungen muß die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht worden sein. Insoweit reicht die bloße Feststellung, daß der Versicherte dauerhafte Gesundheitsschäden behalten wird, nicht aus. Deren Unfallbedingtheit muß zusätzlich festgestellt sein (BGH VersR 1997, 442). Diese ärztliche Feststellung hat schriftlich zu erfolgen (Prölss/Martin-Knappmann, Rn. 10 zu § 7 AUB 88 m.w.N.). Daß eine solche schriftliche ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität erfolgt ist, ist Anspruchsvoraussetzung (BGH VersR 65, 505; Senat, VersR 78, 1039). Unerheblich ist allein, ob diese Feststellung sachlich zutrifft oder ob sie dem Versicherer zugeht (BGH VersR 97, 442).

Der Kläger behauptet, am 19.01.1998 einen Unfall erlitten zu haben. Demgemäß hätte die unfallbedingte Invalidität spätestens am 19.01.1999 eingetreten sein und spätestens am 19.04.1999 ärztlich festgestellt worden sein müssen. Das ist nicht geschehen, insbesondere auch nicht in dem Arztbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. F vom 18.01.1999, den diese zur Vorlage beim (gesetzlichen) Unfallversicherungsträger, der Berufsgenossenschaft, gefertigt hat. Es fehlt eine Feststellung unfallbedingter Invalidität infolge des Unfalles vom 19.01.1998. Es wird zwar die Erklärung des Klägers festgehalten, er sei am 19.01.1998 gegen 15.50 Uhr auf dem Weg zu einem Kunden mit dem Fahrrad gestürzt und habe bei der ärztlichen Vorstellung am 20.01.1998 über schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule bei Rotation, über Cephalgien und Nackenschmerzen beim Fehlen äußerer Verletzungszeichen geklagt sowie über einen leichten Druckschmerz im linken Daumen. Es wird die Diagnose "Distorsion der Halswirbelsäule" gestellt. Dieser Bericht enthält aber auch gleichzeitig unter der Rubrik "vom Unfall unabhängige krankhafte Veränderungen, die für die Beurteilung des Versicherungsfalls von Bedeutung sein können" die Feststellung, daß beim Kläger Osteochondrosen im Bereich der Halswirbelkörper 3/4 und 6/7 vorlägen. Der Bericht endet mit der Bewertung, daß der Kläger ab dem 20.01.1998 voraussichtlich bis zum 13.03.1998 arbeitsunfähig sei. Die nach § 7 I Nr. 1 AUB 88 erforderlichen Voraussetzungen sind also in doppelter Hinsicht nicht erfüllt. Denn der Arztbericht prognostiziert nur eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit und nur vorübergehende Beschwerden. Von einem Dauerschaden im Sinne der AUB ist aber erst dann auszugehen, wenn mit einer Fortdauer der Beschwerden für einen längeren Zeitraum, in der Regel 3 Jahre (Argument aus § 11 IV AUB 88) höchstwahrscheinlich zu rechnen ist. Darüber hinaus läßt sich diesem Arztbericht nicht die Feststellung eines "unfallbedingten" Fortdauerns der geklagten Beschwerden entnehmen, weil er degenerative Veränderungen anspricht, die im Gegensatz zu der im übrigen diagnostizierten Distorsion der Halswirbelsäule eben nicht vorübergehender Natur sind und erfahrungsgemäß ebenfalls Ursache etwaiger fortdauernder Beschwerden sein können.

Auch das sozialmedizinische Gutachten vom 05.10.1998 beinhaltet keine nach § 7 I Abs. 1 AUB 88 vorausgesetzte Feststellung unfallbedingter Invalidität. Zwar stellt es eine therapieresistente Cervicobrachialgie rechtsbetont mit starken Kopfschmerzen und rezidivierenden Sehstörungen bei Zustand nach Halswirbelsäulendistorsion" fest. Über die Ursache dieser Beschwerden enthält das Gutachten jedoch keinerlei Aussage. Die Bezeichnung "Zustand nach" ist insoweit rein temporal zu verstehen. Dieses Verständnis ergibt sich jedenfalls aus der Bemerkung auf Seite 4 dieses Gutachtens, wonach die Beschwerden als "mögliche Unfallfolgeschäden" bezeichnet werden, was zwar die Möglichkeit unfallbedingter Beschwerden aufzeigt, diese aber gerade nicht feststellt.

Eine ärztliche Feststellung einer unfallbedingten Invalidität ist erstmals in dem wenn auch knapp gehaltenen Attest des Orthopäden Dr.U vom 02.09.1999 enthalten. Diese Feststellung erfolgte aber außerhalb der in den AUB niedergelegten 15-Monats-Frist.

Es ist der Beklagten auch nicht nach den Grundsätzen des § 242 BGB verwehrt, sich auf das Fristversäumnis zu berufen. Dies ist ohnehin nur in Ausnahmefällen möglich. Grundsätzlich kann die Nichteinhaltung der 15-Monats-Frist der ärztlichen Feststellung einer unfallbedingten Invalidität nicht entschuldigt werden. Die Berufung auf das Versäumnis dieser Frist kann aber treuwidrig sein, wenn das Versäumnis auf ein Verhalten des Versicherers zurückzuführen ist (Senat, VersR 1990, 1344). Im konkreten Fall hat die Beklagte den Kläger aber, nachdem er den Schaden angezeigt hatte, über die zu beachtenden Fristen belehrt. Der Kläger hat diese Frist zunächst ungenutzt verstreichen lassen. Dennoch zeigte sich die Beklagte bereit, erneut in die Prüfung einzutreten, wenn der Kläger innerhalb einer Frist von zwei Wochen das Attest eines Facharztes nachreichte. Der Kläger weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Beklagte keinen Anspruch auf eine fachärztliche Feststellung habe und sieht darin ein vertragswidriges Verhalten der Beklagten, das es ihr jetzt verwehre, sich auf den Fristablauf zu berufen. Zutreffend ist aber nur der Ausgangspunkt der Erwägungen des Klägers. Wäre die schriftliche ärztliche Feststellung einer Invalidität innerhalb der 15-Monats-Frist erfolgt, hätte grundsätzlich die Feststellung durch jeden Arzt gereicht. Lediglich Eigenatteste wären ausgeschlossen gewesen. Der Kläger übersieht bei seiner Argumentation, daß die bedingungsgemäße 15-Monats-Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte ihn erneut anschrieb und ihm Gelegenheit gab, das Attest eines Facharztes beizubringen, bereits verstrichen war. Wenn die Beklagte nach alledem schon nicht verpflichtet war, überhaupt noch eine Leistungsprüfung vorzunehmen, ist es auch unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB nicht zu erinnern, wenn sie diese Bereitschaft an gewisse Bedingungen knüpft, etwa die Beibringung eines fachärztlichen Attests. Die Auswahl des Facharztes oblag dabei ganz allein dem Kläger. Als er insoweit Schwierigkeiten signalisierte, fand sich die Beklagte sogar ein zweites Mal zur Verlängerung der Frist bereit. Dennoch erfolgte die schriftliche Feststellung der Invalidität erst am 02.09.1999 und damit über drei Wochen nach dem Ablauf der bis zum 10.08.1999 verlängerten Frist, wobei die Gründe für die Fristversäumnis jedenfalls nicht in der Sphäre der Beklagten lagen.

Der Kläger ist darüber hinaus der Ansicht, die Beklagte dürfe sich auch deshalb nicht auf den Fristablauf berufen, weil ihr die Invalidität des Klägers aus dem parallel laufenden Anerkennungsverfahren aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung bekannt sei. Diese Ansicht geht fehl. Zum einen handelt es sich nämlich bei der Beklagten einerseits um den Berufsunfähigkeitsversicherer andererseits um zwei verschiedene Gesellschaften, eine in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, die andere in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit tätig. Zum anderen ist es im Rahmen einer Berufsunfähigkeitsversicherung gleichgültig, worauf die Berufsunfähigkeit beruht, also ob auf unfallbedingten Dauerschäden oder auf degenerativen Veränderungen. Die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit besagt schon deshalb nichts über die Unfallbedingtheit der zugrunde liegenden Beschwerden.

Da nach alledem der Anspruch des Klägers bereits an der fristgerechten Feststellung unfallbedingter Invalidität scheitert, kommt es auf die Klärung der übrigen streitigen Fragen nicht mehr entscheidend an.

Die Berufung des Klägers war nach alledem mit den sich aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO ergebenden Nebenfolgen zurückzuweisen.

Die Beschwer des Klägers übersteigt 60.000,00 DM.