OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.05.2000 - 16 A 5805/96
Fundstelle
openJur 2011, 79097
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 11 K 5811/95
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstre- ckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die 1943 geborene allein stehende Klägerin beantragte am 10. Januar 1994 beim Beklagten die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Sie gab an, bis Ende November 1993 vom Arbeitsamt Arbeitslosenhilfe in Höhe von zuletzt 266,40 DM pro Woche erhalten zu haben. Weil sie es abgelehnt habe, zum 1. Dezember 1993 eine dreimonatige Beschäftigung im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme anzutreten, habe das Arbeitsamt seine Leistungen eingestellt; seither habe sie von ihren geringen Ersparnissen gelebt.

Der Beklagte gewährte der Klägerin daraufhin für den laufenden Monat Januar 1994 Regelsatzleistungen in Höhe von 359,84 DM, wobei gemäß § 25 BSHG lediglich ein um 20% geminderter Regelsatz zugrunde gelegt wurde. In den folgenden Monaten berücksichtigte der Beklagte auch laufende Unterkunfts- und Heiz- kosten.

Der Beklagte brachte im April 1994 in Erfahrung, die Klägerin habe die für sie vorgesehene Arbeit in einem Altersheim von einer Erklärung des Arbeitsamtes abhängig gemacht, dass sie nach Beendigung ihrer Tätigkeit erneut Anspruch auf Leistungen des Arbeitsamtes haben werde. Das Arbeitsamt habe der Klägerin daraufhin mitgeteilt, eine solche Erklärung könne ihr nicht erteilt werden. Am 9. März 1994 habe sie sich wieder auf dem Arbeitsamt gemeldet und erneut die Aufnahme einer Beschäftigung von einer vorherigen Zusage des Arbeitsamtes abhängig gemacht, nach dem Ende der Beschäftigung Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz zu gewähren; weil die Klägerin demzufolge nach wie vor der Arbeitsvermittlung nicht uneingeschränkt zur Verfügung stehe, sei sie weiterhin vom Bezug der Arbeitslosenhilfe ausgeschlossen.

Mit Bescheid vom 12. April 1994 stellte der Beklagte mit Wirkung vom 16. April 1994 die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt an die Klägerin ein, weil sie sich weiterhin weigere, zumutbare Arbeit zu leisten. Zugleich wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie hinsichtlich der bisher an sie gezahlten Sozialhilfe ersatzpflichtig sei, weil sie ihre Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt habe.

Am 21. April 1994 teilte die Klägerin dem Arbeitsamt mit anwaltlichem Schreiben mit, dass sie nicht mehr vor einer eventuellen Arbeitsaufnahme auf einer Zusage späterer AFG- Leistungen bestehe; daraufhin nahm das Arbeitsamt wieder die Leistung von Arbeitslosenhilfe in wöchentlicher Höhe von 247,80 DM an die Klägerin auf.

Nach vorheriger Anhörung forderte der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 20. Juni 1995 zum Ersatz der im Zeitraum vom 10. Januar bis zum 15. April 1994 bezogenen Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 2.988,61 DM auf und begründete das damit, dass sie vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe herbeigeführt habe; denn sie habe nach Auskunft des Arbeitsamtes in der Zeit vom 1. Dezember 1993 bis zum 3. Mai 1994 der Arbeitsvermittlung nicht uneingeschränkt zur Verfügung gestanden. Es seien keine Gründe bekannt, die das Ersatzverlangen als unbillige Härte erscheinen ließen; die Heranziehung zum Kostenersatz beeinträchtige nicht ihre Fähigkeit, künftig unabhängig von Sozialhilfe am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Sollte sie den Betrag nicht bis zum 15. Juli 1995 in einer Summe zahlen können, werde um Vorsprache im Sozialamt binnen zweier Wochen gebeten; zu diesem Gespräch solle sie alle Unterlagen über ihr Einkommen und Vermögen sowie über ihre finanziellen Belastungen mitbringen, damit über eine Ratenzahlung entschieden werden könne.

Im Rahmen ihres Widerspruches gegen den Heranziehungsbescheid übersandte die Klägerin eine Ablichtung des aktuellen Arbeitslosenhilfebescheides und trug vor, es treffe nicht zu, dass sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden habe. Richtig sei, dass sie die ihr zum 1. Dezember 1993 angebotene ABM-Stelle nicht angenommen habe; dies sei geschehen, weil sich das Arbeitsamt Gelsenkirchen geweigert habe, ihr zu bestätigen, dass sie nach Abschluss der Maßnahme wieder Arbeitslosenhilfe bekommen würde. Im Hinblick auf ihr geringes Einkommen stelle sich die Heranziehung als Härte dar; die Arbeitslosenhilfe habe etwa dieselbe Höhe wie die zwischenzeitlich erhaltene Sozialhilfe.

Nach Zurückweisung des Widerspruches durch den Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 1995 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Sie habe vor dem 1. Dezember 1993 auf dem Arbeitsamt vorgesprochen, wo ihr mündlich bestätigt worden sei, dass sie nach dem Ablauf der Tätigkeit wiederum Anspruch auf Arbeitslosenhilfe habe. Die Bitte um schriftliche Bestätigung sei ihr hingegen mit den Worten "wo kämen wir denn da hin, da hätten wir viel zu tun" abgeschlagen worden. Daher habe sie die ABM-Stelle nicht angetreten und bis zum 15. April 1994 keine Arbeitslosenhilfe erhalten. Das nach der Leistung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von insgesamt 2.988,61 DM an sie gerichtete Erstattungsverlangen in entsprechender Höhe sei nicht gerechtfertigt, weil sie ihre Sozialhilfebedürftigkeit nicht grob fahrlässig herbeigeführt habe. Ihr Interesse daran, vor dem Antritt der ABM-Stelle Klarheit über ihre leistungsrechtliche Situation zu erlangen, sei nachvollziehbar, auch wenn sie möglicherweise keinen Anspruch auf die gewünschte schriftliche Bestätigung des Arbeitsamtes gehabt habe. Die Heranziehung könne auch deshalb keinen Bestand haben, weil im Widerspruchsbescheid ausgeführt worden sei, sie habe keinen Härtefall dargelegt, obwohl sie zuvor auf ihr geringes Einkommen hingewiesen habe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. August 1995 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat zur Begründung ausgeführt: Aufgrund der unstreitigen Tatsachen habe für ihn festgestanden, dass die Klägerin schuldhaft gehandelt habe, indem sie die ihr angebotene ABM- Stelle nicht angetreten und sich auch anschließend nicht sogleich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt habe. Auch ein Härtefall sei nicht gegeben. Derzeit entspreche die Arbeitslosenhilfe der Klägerin etwa ihrem sozialhilferechtlichen Bedarf, so dass bislang eine Beitreibung des Betrages nicht in Betracht gekommen sei; auch für die weitere Zeit müsse sich die Durchsetzung der Ersatzforderung an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin orientieren. Zumindest zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung habe auch nicht ausgeschlossen werden können, dass die Klägerin doch noch eine Beschäftigung finde. Die Befugnis, eine solche Prognose anzustellen, werde entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht durch die Dreijahresfrist des § 92a Abs. 3 BSHG begrenzt; diese Vorschrift begrenze lediglich die Möglichkeit zum erstmaligen Tätigwerden des Sozialhilfeträgers. Bei der Auslegung der Härteregelung sei zu berücksichtigen, dass die Solidargemeinschaft sozialwidriges Verhalten nicht hinzunehmen brauche. Deshalb und auch wegen des Nachranges der Sozialhilfe sei grundsätzlich vom Vorrang des Kostenersatzes auszugehen; an das Vorliegen einer Härte seien hohe Anforderungen zu stellen. In Anlehnung an den Fall der gebundenen Entscheidung nach § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BSHG, der besonders die Situation entlassener Strafgefangener berücksichtige, müssten auch im Rahmen der Ermessensregelung (Halbs. 1) zur Annahme eines Härtefalles in der Person des Hilfeempfängers liegende soziale Probleme vorliegen. Eine derartige Situation sei bei der Klägerin nicht gegeben. Allein ihre schlechte wirtschaftliche Situation reiche insoweit nicht aus. Schließlich sei zu beachten, dass die Klägerin zur Zeit der Widerspruchsentscheidung nicht mehr auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen gewesen sei und auch niemals wegen einmaliger Beihilfen auf dem Sozialamt vorstellig geworden sei.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie räumt ein, dass grundsätzlich die Voraussetzungen des Kostenersatzanspruches gegeben sein dürften, aber andererseits müsse ihre damalige Unerfahrenheit in Verwaltungsangelegenheiten berücksichtigt werden. In jedem Fall aber greife die Härteregelung nach § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BSHG ein. Auch wenn die von ihr bezogene Arbeitslosenhilfe geringfügig über dem Sozialhilfesatz gelegen habe, sei sie bei Einbeziehung ihres Bedarfs an einmaligen Leistungen sozialhilfebedürftig. Für eine baldige Arbeitsaufnahme spreche angesichts ihres Alters, ihres Ausbildungsstandes und ihrer langen Arbeitslosigkeit nichts; zuletzt sei sie 1989/90 einer Beschäftigung nachgegangen. Beachte man weiter, dass die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zurückgeführt werden sollen, sei aus heutiger Sicht nicht mehr damit zu rechnen, dass sie bis zum Erreichen des Rentenalters eine Arbeit finden werde. Nach der Einkommenslage komme selbst eine geringe Ratenbelastung nicht in Frage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und des Arbeitsamts Gelsenkirchen Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Heranziehungsbescheid des Beklagten aufgehoben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.

Als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid des Beklagten kommt lediglich § 92a Abs. 1 BSHG in Betracht. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist ein Volljähriger zum Ersatz der Sozialhilfekosten verpflichtet, wenn er die Voraussetzungen für die Hilfegewährung an sich oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Da § 92a Abs. 1 BSHG die Verwirklichung des Nachranggrundsatzes (§ 2 BSHG) im Auge hat, muss das dem Ersatzpflichtigen zur Last gelegte Tun oder Unterlassen einen spezifischen Bezug zum sozialhilferechtlichen Selbsthilfegebot aufweisen; erforderlich, aber auch ausreichend ist daher ein "sozialwidriges" Verhalten, das dem Ersatzpflichtigen bewusst oder lediglich auf Grund grober Fahrlässigkeit nicht bewusst ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1976 - V C 41.74 -, BVerwGE 51, 61 = FEVS 24, 397 (400); OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 1990 - 8 A 2224/87 -, FEVS 41, 432 (435 f.).

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Klägerin durch den Nichtantritt der ihr vermittelten ABM- Stelle sowie nachfolgend durch die Hinauszögerung der erneuten - unbedingten - Meldung als arbeitssuchend im genannten Sinne schuldhaft sozialwidrig gehandelt und dadurch die Notwendigkeit der Sozialhilfeleistung in der Zeit vom 10. Januar 1994 bis zum 15. April 1994 herbeigeführt hat; dies wird auch von der Klägerin nicht mehr in Frage gestellt.

Der Beklagte hat die Hilfe zum Lebensunterhalt auch zum weit überwiegenden Teil rechtmäßig geleistet.

Vgl. zu dieser Voraussetzung BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1983 - 5 C 112.81 -, BVerwGE 67, 163 = FEVS 33, 5 (8) = NJW 1983, 2954; OVG NRW, Urteil vom 2. Juli 1992 - 8 A 1450/90 -, FEVS 43, 296 (297) = NDV 1993, 34.

Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit der Klägerin hat in der Zeit vom 10. Januar bis zum 15. April 1994 vorgelegen, da sie nach der Ablehnung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bis zum 4. Mai 1994 keine Arbeitslosenhilfe mehr erhalten hat und auch sonstige Einkünfte oder einsetzbare Vermögenswerte nicht ersichtlich sind. Der Beklagte hat auch der Arbeitsverweigerung der Klägerin Rechnung getragen und nicht etwa mehr geleistet, als es auf der Grundlage der seinerzeit geltenden Vorschriften erforderlich und geboten war. So hat er den regelsatzbemessenen Teil der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt um 20% auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt (vgl. § 25 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 BSHG in der Fassung vom 23. März 1994, BGBl. I S. 646). Nachdem das Sozialamt sich davon Kenntnis verschafft hatte, dass die Klägerin auch nach dem Ablauf der vom Arbeitsamt verfügten Sperrzeit für die Arbeitslosenhilfe an ihrer bisherigen Einstellung festhielt und weiterhin - ohne nachvollziehbares Motiv - eine Arbeitsaufnahme ohne die vorherige Zusicherung einer späteren Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe verweigerte, hat der Beklagte die Hilfe zum Lebensunterhalt sogar unverzüglich vollständig eingestellt.

Eine geringfügige Überzahlung an Sozialhilfe hat jedoch im Monat Januar 2000 vorgelegen. Denn der Beklagte hat ausweislich der in der Akte befindlichen Berechnung bereits für die Zeit ab 5. Januar 1994 regelsatzbemessene Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, obwohl die Klägerin erst am 10. Januar 1994 erstmals auf dem Sozialamt erschienen ist und erklärt hat, nach der Einstellung der Arbeitslosenhilfe und dem Aufbrauchen ihrer Ersparnisse nunmehr mittellos zu sein. Richtig wäre es also gewesen, den auf 80% gekürzten Regelsatz in Höhe von 22/31 und nicht, wie geschehen, in Höhe von 26/30 zuzuerkennen. Liegt mithin eine rechtsgrundlose Zuwendung von 65,04 DM an die Klägerin vor, kann insoweit der angefochtene Bescheid keinen Bestand haben.

Aber auch im Übrigen fehlt es an den Voraussetzungen, weil die Heranziehung zum Kostenersatz iSv § 92a Abs. 1 Satz 2 BSHG eine Härte für die Klägerin darstellen würde.

Nach § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BSHG kann von der Ersatzpflicht abgesehen werden, soweit die Heranziehung eine Härte bedeuten würde; nach § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BSHG ist von der Heranziehung abzusehen, soweit sie die Fähigkeit des Ersatzpflichtigen beeinträchtigen würde, künftig unabhängig von Sozialhilfe am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen.

Die Klägerin gehört nicht zu den Ersatzpflichtigen, bei denen - ohne Ermessensspielraum - ganz oder teilweise aus Härtegründen von der Heranziehung zum Kostenersatz abgesehen werden musste. Die "Muss"-Vorschrift des § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BSHG greift lediglich dann ein, wenn die Heranziehung die Fähigkeit des Ersatzpflichtigen beeinträchtigen würde, künftig unabhängig von der Sozialhilfe am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Indem das Gesetz darauf abstellt, wie sich die Inanspruchnahme auf die "Gemeinschaftsfähigkeit" des Hilfeempfängers auswirkt, wird verdeutlicht, dass ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse des Ersatzpflichtigen oder einzelfallbezogene Zumutbarkeitserwägungen für sich genommen nicht strikte der Heranziehung entgegenstehen. Entscheidend sind vielmehr die Folgen der (gegebenenfalls zu anderen Verbindlichkeiten hinzutretenden) Rückzahlungsverpflichtung für den Selbsthilfewillen und die Selbsthilfefähigkeit des vormaligen Hilfeempfängers; daher wird die Anwendung von § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BSHG auf Personen oder Personengruppen zu beschränken sein, die infolge besonderer Lebensverhältnisse oder ihrer persönlichen Verfassung gehindert sind, mit der durch die Rückzahlungsverpflichtung begründeten bzw. verhärteten sozialen Notlage aus eigenen Kräften und Mitteln fertig zu werden, und die unter dem Druck der Verhältnisse sozial abzugleiten und gänzlich den Halt zu verlieren drohen. Diese Sichtweise entspricht auch den Vorstellungen des Gesetzgebers, der § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BSHG in einen engen Zusammenhang mit der Regelung des § 72 BSHG gestellt und auf Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten wie etwa entlassene Strafgefangene zugeschnitten hat.

Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (3. Änderungsgesetz zum BSHG), BT- Drucksache 7/308, S. 20; ferner OVG Lüneburg, Urteil vom 24. April 1974 - IV A 31/73 -, FEVS 23, 26 (29); Schaefer in: Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, § 92a Rn. 14; Mergler/Zink, Bundessozialhilfegesetz (Loseblatt-Kommentar), § 92a Rn. 26; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz (Kommentar), 15. Aufl., § 92a Rn. 26; Conradis in: LPK-BSHG, 5. Aufl., § 92a Rn. 8.

Die Vorschrift erfordert eine Prognose aus der Sicht, wie sie sich zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung darbot.

Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 26. August 1992 - 4 L 1894/91 -, FEVS 43, 246; Conradis, aaO.

Im Fall der Klägerin ergaben sich zur Zeit des Erlasses des Widerspruchsbescheides keine Anzeichen für eine fortdauernde soziale Gefährdung, die der besonderen Lage des von § 72 BSHG erfassten Personenkreises vergleichbar gewesen wäre. Ihre Situation war vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass sie im Zeitpunkt der Heranziehungsentscheidung bereits seit längerem arbeitslos war und die ihr gewährte Arbeitslosenhilfe nur knapp über ihrem sozialhilferechtlichen Grundbedarf (einschließlich der Unterkunftskosten) lag. Aus diesem Grunde war für die Klägerin eine Kostenersatzpflicht von annähernd 3.000 DM zweifellos belastender als für eine allein stehende Person mit einem durchschnittlichen Erwerbseinkommen. Dass die ihr auferlegte Ersatzverpflichtung - deren Realisierung jedenfalls zur Zeit der abschließenden Verwaltungsentscheidung ohnehin nur in sehr geringen monatlichen Teilleistungen möglich gewesen wäre - indessen ihre gesellschaftliche Integration gefährden konnte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin unter dem Druck der Zahlungsverpflichtung sozial abgleiten oder gänzlich den Halt verlieren könnte.

Der Beklagte hat aber rechtswidrig gehandelt, indem er davon absah, die Klägerin gemäß § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BSHG im Ermessenswege von der Ersatzpflicht freizustellen.

Der Senat geht davon aus, dass eine Härte im Sinne der genannten "Kann"-Vorschrift vorliegt. Bei dem Begriff der Härte iSv § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BSHG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der voller gerichtlicher Nachprüfung unterliegt; erst das nachgelagerte Ermessen ist lediglich in den durch § 114 Satz 1 VwGO gezogenen Grenzen überprüfbar.

Der Begriff der Härte iSv § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BSHG wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Daher ist - wie bei anderen sozialhilferechtlichen Härtefallregelungen (zB § 88 Abs. 3 BSHG) - die allgemeine Funktion derartiger Tatbestände in den Blick zu nehmen. Danach soll durch Härtefallregelungen die grundsätzliche Zielrichtung des Gesetzes, hier also die Heranziehung des sozialwidrig Handelnden zum Ersatz der durch ihn verursachten Hilfeaufwendungen und damit die nachträgliche Verwirklichung des Nachrangprinzips, in atypischen - wegen ihrer denkbaren Vielgestaltigkeit einer vorwegnehmenden Erfassung durch konkrete Vorschriften unzugänglichen - Fällen zu Gunsten anderer in der jeweiligen Vorschrift zum Ausdruck gelangter grundsätzlicher Erwägungen des Sozialhilferechts zurückgedrängt werden können. Bei der Bestimmung des Begriffs der Härte kommt es somit darauf an, ob die alleinige Anwendung der "Regelvorschrift" im Einzelfall zu einem Ergebnis führt, das den Leitvorstellungen eben dieser Vorschrift nicht entspräche.

Vgl. etwa (jeweils zu § 88 Abs. 3 BSHG) BVerwG, Urteil vom 19. November 1992 - 5 C 15.89 -, BVerwGE 91, 173 = FEVS 43, 185 (189 f.) = NVwZ 1993, 1190, und OVG NRW, Urteil vom 28. August 1997 - 8 A 631/95 -, FEVS 48,317 (325) = NVwZ-RR 1998,503, und Beschluss vom 2. Oktober 1998 - 16 A 600/97 -.

Darüber hinaus ist der Begriff der Härte anhand der in § 92a Abs. 1 Satz 2 BSHG angelegten Abstufung der Fallgruppen zu bestimmen. Die Gegenüberstellung der "Muss"-Vorschrift des zweiten Halbsatzes mit der lediglich Ermessen eröffnenden Regelung des ersten Halbsatzes macht deutlich, dass die "Kann"-Regelung andere und tendenziell geringere Anforderungen an die zu vermeidenden Auswirkungen der Heranziehung stellt; § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BSHG ermöglicht mit anderen Worten ein Absehen von der Heranziehung schon dann, wenn die Heranziehung nicht (mit Sicherheit oder in nennenswertem Umfange) die Fähigkeit des Ersatzpflichtigen beeinträchtigt, künftig unabhängig von Sozialhilfe am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. § 92a Abs. 1 Satz 2 BSHG setzt dem gesetzlichen Anliegen der Wiederherstellung des Nachranges der Sozialhilfe den Gedanken entgegen, dass die den Nachrang verwirklichende Belastung mit der Erstattungsforderung für den in Anspruch Genommenen nicht zu einem "Mühlstein"

- Schulte/Trenk-Hinterberger, Sozialhilfe, 2. Auflage, S. 423 -

werden soll. Ein Gebrauchmachen von der Heranziehungsmöglichkeit nach § 92a BSHG, die im Einzelfall den Selbsthilfewillen nicht aktiviert, indem sie dem sozialwidrig Handelnden in angemessenem Umfang die finanziellen Auswirkungen seines Tuns vor Augen führt, sondern ihn stattdessen durch das Auftürmen eines beträchtlichen "Schuldenbergs" (weiter) entmutigt und demotiviert, würde das grundlegende Anliegen des Gesetzgebers außer Acht lassen. Das Gleiche gilt, wenn die Selbsthilfefähigkeit des Ersatzpflichtigen ohnehin auf einen geringen Grad herabgesunken ist und bei normalem Fortgang der Dinge auf lange Sicht nicht mehr erwartet werden kann, dass er sich und gegebenenfalls seine unterhaltsberechtigten Angehörigen iSv § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG aus eigener Kraft unterhält. In einem derartigen Fall müsste eine Ersatzforderung, die ohnehin - wenn überhaupt - nur durch den Einsatz laufender Leistungen zur sozialen Grundsicherung und über einen unverhältnismäßig langen Zeitraum abgetragen werden könnte, im Hinblick auf das Ziel der Selbsthilfeaktivierung ins Leere gehen und als harte, möglicherweise auch als nutzlose Belastung empfunden werden. Aus alledem folgt, dass schon eine aufgrund besonderer persönlicher Umstände vermutlich dauerhafte wirtschaftliche Schwäche des vormaligen Hilfeempfängers als Härte im Rahmen des § 92a Abs. 1 BSHG ausreichend sein kann; auf "soziale Schwierigkeiten" iSv § 72 Abs. 1 BSHG kommt es dann nicht mehr entscheidend an.

Dies vorausgeschickt stellt sich die Heranziehung der Klägerin zum Ersatz der von ihr verursachten Sozialhilfekosten als Härte iSv § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BSHG dar. Aus den dem Beklagten übersandten Bescheiden des Arbeitsamtes Gelsenkirchen über die der Klägerin in den Jahren 1994 und 1995 gewährte Arbeitslosenhilfe und auch aus den Angaben der Klägerin zu ihren Anträgen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verwaltungsstreitverfahren geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass die Klägerin im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung des Beklagten und auch hernach lediglich über Arbeitslosenhilfe in einer Höhe verfügte, die den laufenden sozialhilferechtlichen Grundbedarf nur ganz unwesentlich überschritt. Eine den geringfügigen Überhang abschöpfende Heranziehung hätte, wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil überzeugend dargetan hat, eine Ratenzahlungsverpflichtung der Klägerin über einen Zeitraum von über 15 Jahren zur Folge. Damit wäre eine Belastung der Klägerin erreicht, die - auch im Hinblick auf den lediglich etwas mehr als drei Monate andauernden Sozialhilfebezug - die Grenze des Zumutbaren überschritte.

Auch aus § 25a Abs. 1 BSHG folgt nichts anderes. Wenn dort die Durchsetzung von Erstattungs- oder Schadensersatzleistungen des Sozialhilfeträgers gegen einen Hilfeempfänger für einen allerdings begrenzten Zeitraum sogar bis unter die Schwelle des notwendigen Lebensunterhalts im Sinne der §§ 11 Abs. 1 und 12 BSHG zugelassen wird, ist das auf die hier vorliegende Situation des Kostenersatzes nach § 92a Abs. 1 BSHG nicht übertragbar. Vielmehr deuten die Beschränkung des § 25a Abs. 1 BSHG auf Fälle vorherigen unrechtmäßigen Sozialhilfebezuges bzw. auf Fälle des Schadensersatzes und vor allem die Aufnahme der Härtefallregelung des § 92a Abs. 1 Satz 2 BSHG sowie deren Ausgestaltung darauf hin, dass der Realisierung von Ersatzforderungen nach sozialwidrig verursachter rechtmäßiger Sozialhilfeleistung engere Grenzen gesetzt sein sollen.

Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die über 50 Jahre alte und ungelernte Klägerin noch eine dauerhafte Beschäftigung mit spürbar über dem Sozialhilfesatz bzw. ihrem Arbeitslosenhilfeanspruch liegenden Einkünften erlangen konnte, zeichneten sich schon zur Zeit des Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht mehr ab. Zu jener Zeit war die Klägerin schon mehrere Jahre arbeitslos, wobei eine gelegentliche Beschäftigung (bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten) im Rahmen des ABM-Programmes keine grundlegende Besserstellung mit sich bringen konnte. Allein eine nur noch theoretische Chance auf eine berufliche Existenzgrundlage oder die Haftung auf eine sonstige jenseits des realistischerweise zu Erwartenden liegende glückliche Fügung sind nicht geeignet, die Auferlegung einer nicht oder allenfalls unter kaum zumutbaren langjährigen Entbehrungen zu tilgenden Zahlungspflicht zu rechtfertigen.

Soweit der Beklagte mit seinem Hinweis darauf, dass die Klägerin trotz anzunehmender Bedürftigkeit in der Zeit nach seiner Hilfegewährung nie einen Antrag auf Bewilligung einmaliger Beihilfen beim Sozialamt gestellt habe, Zweifel an der dargelegten Einkommens- und Vermögenslage der Klägerin zu erkennen gibt, kann das gleichfalls der Annahme einer Härte iSv § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BSHG nicht entgegengehalten werden. Den Verwaltungsvorgängen lassen sich jedenfalls keine deutlichen Hinweise auf sonstige Einkünfte oder vorhandenes Vermögen entnehmen, und es wäre Sache des Beklagten gewesen, derartigen Zweifeln seinerseits zunächst nachzugehen.

Liegt somit eine Härte iSv § 92a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BSHG vor, kann die Heranziehung der Klägerin zum Kostenersatz auch nicht als Ermessensentscheidung des Beklagten aufrechterhalten werden. Dabei muss nicht der Frage nachgegangen werden, welche Ermessenserwägungen geeignet sein können, eine als Härte für den Hilfeempfänger bewertete Heranziehung gleichwohl zu rechtfertigen. Denn vorliegend sind den Bescheiden des Beklagten keine Hinweise auf eine Ermessensausübung zu entnehmen. Der Ausgangsbescheid ist unter Verwendung eines Formblattes erstellt worden und enthält keine auf den Einzelfall zugeschnittenen Ermessensgesichtspunkte; und der Widerspruchsbescheid setzt sich nur mit der Frage einer Härte auseinander, nach deren Verneinung aber - konsequent - nicht mit der nachgelagerten Ermessensproblematik.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und 188 Satz 2 VwGO, der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm den §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.