OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.01.2011 - 19 B 14/11
Fundstelle
openJur 2011, 77074
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 18 L 2339/10

Das Land NRW ist richtiger Klage- oder Antragsgegner im Sinne von § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in allen Rechtsstreitigkeiten, die Verwaltungsakte öffentlicher Schulen in ihren inneren Schulangelegenheiten betreffen.

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3. 1. 2011 ist mit Ausnahme der Streitwertfest-setzung wirkungslos.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-ren auf 2500,- Euro festgesetzt.

Gründe

1.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht den vorliegenden Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechend § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO als gegen das Land NRW gerichtet angesehen. Nach dieser Bestimmung ist die Klage hier entsprechend der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft zu richten, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Seit dem 1. 1. 2011 ist in sie betreffenden schulrechtlichen Streitigkeiten nicht mehr die öffentliche Schule als Behörde richtiger Klage- oder Antragsgegner nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 5 Abs. 2 AG VwGO NRW, weil die letztgenannte Bestimmung nach Art. 2 Nr. 28, Art. 4 Satz 1 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen vom 26. 1. 2010, GV.NRW. S. 30, mit Wirkung vom 1. 1. 2011 ersatzlos aufgehoben worden ist.

Richtiger Klage- oder Antragsgegner im Sinne von § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist derjenige Rechtsträger, gegen den das Sachbegehren wirksam durchgesetzt werden kann.

Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 11. 2. 1999 2 C 28.98 , NVwZ 2000, 329, = juris, Rdn. 16; Brenner, in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 78 Rdn. 1 ff.

Das ist derjenige Rechtsträger, der nach dem anzuwendenden materiellen Recht Träger der vom Kläger/Antragsteller geltend gemachten Verpflichtung sein kann oder dem gegenüber das Gericht die Sachentscheidung erlassen darf und der im Prozess die Verfügungsbefugnis über das streitbefangene Recht besitzt, also innerhalb des ihm nach den einschlägigen Rechtsvorschriften zugewiesenen Aufgaben- und Wirkungskreises die Rechtsmacht besitzt, dem Rechtsschutzziel (auch) durch Prozesshandlungen zu entsprechen.

Danach ist das Land NRW richtiger Klage- oder Antragsgegner im Sinne von § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in allen Rechtsstreitigkeiten, die Verwaltungsakte öffentlicher Schulen in ihren inneren Schulangelegenheiten oder in schulfachlichen Angelegenheiten nach § 91 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW (hier unter Ausschluss dienstrechtlicher Streitigkeiten) betreffen. Nur dem Land NRW als Rechtsträger gegenüber können Rechtsschutzanträge in diesen Angelegenheiten etwa betreffend Schulaufnahme, Leistungsbewertung, Versetzung oder Prüfung sowie Schulordnungsmaßnahmen wirksam durchgesetzt werden. Denn in diesem Aufgaben- und Wirkungskreis handeln öffentliche Schulen für das Land. Dieses Verwaltungshandeln ist daher rechtlich dem Land zuzurechnen, nicht aber, soweit nicht das Land selbst Schulträger ist (vgl. § 78 Abs. 7 SchulG NRW, § 14 Abs. 1 Satz 1 LOG NRW), dem jeweiligen (kommunalen) Schulträger, dessen nicht rechtsfähige Anstalt die betreffende öffentliche Schule nach § 6 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW ist. In dem Bereich der inneren Schulangelegenheiten bzw. schulfachlichen Angelegenheiten, die unmittelbar die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule, also Unterricht und Erziehung in Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsanspruchs der Schüler (Art. 8 Abs. 1 LV NRW, § 1 Abs. 1 SchulG NRW) betreffen, nimmt die öffentliche Schule Aufgaben des Landes wahr, das im Rahmen seiner Aufsicht über das gesamte Schulwesen (Art. 8 Abs. 3 Satz 2 LV NRW, Art. 7 Abs. 1 GG) und des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags die Verantwortung für die Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens trägt mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Menschen ihren Fähigkeiten entsprechende Bildungsmöglichkeiten eröffnet (§ 86 Abs. 1 SchulG NRW).

Aufgaben des kommunalen Schulträgers hingegen nimmt die Schule im Bereich der inneren Schulangelegenheiten nicht wahr. Dessen Aufgabenkreis beschränkt sich im Wesentlichen darauf, öffentliche Schulen zu errichten und fortzuführen (§ 78 Abs. 4 Satz 2 SchulG NRW), die für einen ordnungsgemäßen Unterricht erforderlichen Schulanlagen , Gebäude, Einrichtungen und Lehrmittel bereitzustellen und zu unterhalten sowie das für die Schulverwaltung notwendige Personal und eine angemessene Schulausstattung zur Verfügung zu stellen (§ 79 SchulG NRW) und ferner die Sachkosten und die vom Land nicht getragenen Personalkosten zu tragen (§ 92 Abs. 3 SchulG NRW). Auf diesen Aufgabenkreis beschränkt sich dementsprechend die anstaltsmäßige Zuordnung der öffentlichen Schule zum kommunalen Schulträger.

Kraft dieser rechtlichen Zuordnung der Aufgabenwahrnehmung und der Maßnahmen der öffentlichen Schule zum Land kann nur dieses im Verwaltungsprozess als Rechtsträger in Ansehung des geltend gemachten Anspruchs verpflichtet werden, nicht aber der kommunale Schulträger, und kann nur das Land im Verwaltungsprozess über den geltend gemachten Anspruch verfügen und im Fall seines Unterliegens den zugesprochenen Anspruch notfalls im Wege der Vollstreckung wirksam erfüllen. Hierzu kann es erforderlichenfalls über die obere und untere Schulaufsichtsbehörde (§ 88 Abs. 2 und 3 SchulG NRW), die Landesbehörden sind (§ 7 Abs. 2, § 9 Abs. 2 LOG NRW), mit den Mitteln der Fachaufsicht (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 SchulG NRW, § 13 Abs. 1 und 3 LOG NRW) der betroffenen Schule Weisungen erteilen.

Dies trifft auf den kommunalen Schulträger nicht zu. Dieser kann insbesondere auf die Gegenstände der inneren Schulangelegenheiten keinen rechtlich verbindlichen Einfluss nehmen. Eine Rechtsgrundlage für bindende schulfachliche Weisungen des Schulträgers an "seine" nichtrechtsfähige Anstalt Schule existiert nicht. Lediglich in seinem Aufgabenbereich sind Anordnungen des Schulträgers nach § 59 Abs. 11 Satz 2 SchulG NRW für die Schulleitung verbindlich.

Sollte dem Urteil des OVG NRW vom 11. 7. 1975 V A 1070/74 , OVGE 31, 160, juris, das auf eine die Prozesskosten eines Rechtsstreits gegen Nichtversetzung und Schulentlassung betreffende Klage eines Schulträgers gegen das Land hin schulfinanzrechtlich unter dem Aspekt der Schulkosten auf die Kostentragung des Schulträgers erkannt hat, eine für den Regelungsbereich des § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO relevante gegenteilige Rechtsauffassung (Schule "als Behörde des Schulträgers") zugrunde liegen, teilt der Senat diese Auffassung nicht.

Der Antragsgegner das Land NRW, vertreten durch das Ministerium für Schule und Weiterbildung wird hier durch die Schule vertreten, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Die Vertretungsbefugnis der Schule leitet der Senat im vorliegenden eilbedürftigen Verfahren in Ermangelung einer anderweitigen ausdrücklichen Bestimmung der Prozessvertretung durch das Ministerium zunächst (jedenfalls für eine Übergangszeit, in der der Antragsgegner auf die eingangs angesprochene Änderung der Prozessrechtslage reagieren kann) aus der Aufgabenzuweisung, also daraus her, dass der Schule die Entscheidung über Schulordnungsmaßnahmen im Rahmen der Schulaufsicht zur selbständigen Wahrnehmung in eigener Verantwortung (§ 3 Abs. 1 SchulG NRW) durch ihre Organe (§ 53 Abs. 1, 6 SchulG NRW) zugewiesen ist.

2.

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, ist das Verfahren nach §§ 87 a Abs. 1 und 3, 92 Abs. 3 Satz 1, 125 Abs. 1 VwGO durch den Berichterstatter einzustellen. Die erstinstanzliche Entscheidung ist mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung wirkungslos (§ 173 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung).

Über die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge dem Antragsgegner aufzuerlegen. Seine Kostenbelastung ist gerechtfertigt, weil der Aussetzungsantrag des Antragstellers ohne Eintritt der Erledigung voraussichtlich Erfolg gehabt hätte. Denn die angefochtene Schulordnungsmaßnahme ist nach vorliegender Aktenlage offensichtlich rechtswidrig. Sie leidet schon an einem beachtlichen Verfahrensfehler, weil nicht das gesetzlich zuständige Organ der Schule die Maßnahme erlassen hat. Zuständig für den Unterrichtsausschluss nach § 53 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SchulG NRW, um den es im vorliegenden Verfahren um die Vollziehungsaussetzung allein geht (vgl. § 53 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW) im Übrigen auch für den schriftlichen Verweis nach Nr. 1 ist gemäß § 53 Abs. 6 Sätze 1 und 2 SchulG NRW der Schulleiter oder im Falle der Übertragung der Entscheidungskompetenz die Teilkonferenz. Nach vorliegender Aktenlage hat jedoch keiner von beiden die streitige Ordnungsmaßnahme erlassen: Der Schulleiter hat sie nicht erlassen, weil ausweislich des Bescheids vom 21. 12. 2010 die "Konferenz" (im Weiteren ist von "Klassenkonferenz" die Rede) das dem Antragsteller vorgeworfene Fehlverhalten "festgestellt" hat und so mangels anderer Anhaltspunkte verlautbart wird, die Konferenz habe über die Maßnahme entschieden. Die Teilkonferenz hat sie auch nicht erlassen, weil es sich ausweislich des (erst jetzt vorliegenden) "Protokolls zur Anhörung" bei der "Konferenz" vom 21. 12. 2010 nicht um die Teilkonferenz handelte. Die "Konferenz" vom 21. 12. 2010 war entgegen § 53 Abs. 7 Sätze 2 und 3 SchulG NRW nicht mit sieben regulären Mitgliedern, sondern nur mit einem Vertreter der Schulleitung (Abteilungsleiter) und den zwei Klassenlehrern der beiden betroffenen Schüler besetzt. Dass die übrigen regulären Teilkonferenz-Mitglieder (drei gewählte Lehrer, ein Eltern- und ein Schülervertreter) an der Teilnahme verhindert waren, ist nicht vermerkt und auch sonst nicht ersichtlich. Der Verfahrensfehler ist auch beachtlich. Es ist nicht im Sinne des § 46 VwVfG NRW offensichtlich, dass er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, also dass ohne den Verfahrensfehler die Entscheidung über die Schulordnungsmaßnahme gegen den Antragsteller genauso wie erfolgt getroffen worden wäre.

Die Kosten jedenfalls des Beschwerdeverfahrens können nach billigem Ermessen auch nicht etwa deshalb dem Antragsteller auferlegt werden, weil seine Beschwerdebegründung nicht die Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erfüllte und seine Beschwerde daher nach Satz 4 der Vorschrift als unzulässig zu verwerfen gewesen wäre. Mit der Beschwerdebegründung nimmt der Antragsteller im Wesentlichen auf seine Widerspruchsbegründung und vollständig auf den erstinstanzlichen Antrag (nebst Anlagen, darunter drei eidesstattliche Versicherungen) Bezug und wiederholt und ergänzt er in Teilen sein bisheriges Vorbringen. Dies genügt hier aber der verlangten Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Deren Begründung lässt, wie der Antragsteller mit der Beschwerde zu Recht rügt, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem erstinstanzlichen Vortrag nicht erkennen, weil sie sich in einer formelhaften Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid und einer pauschalen Bestätigung von dessen Rechtmäßigkeit erschöpft, ohne auch nur ansatzweise wie im Übrigen auch der Bescheid vom 21. 12. 2010 die Einwände des Antragstellers zu würdigen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

3.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).