VG Aachen, Beschluss vom 03.09.2010 - 9 L 310/10
Fundstelle
openJur 2011, 75422
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung - ZPO -).

Der sinngemäße Antrag,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin zum Schuljahr 2010/2011 in die Klasse 5 der B. -G. -Gesamtschule aufzunehmen,

hat keinen Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm der geltend gemachte Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und es der sofortigen Durchsetzung seines Anspruchs mittels gerichtlicher Entscheidung bedarf, weil ihm ansonsten unzumutbare Nachteile entstehen (Anordnungsgrund), § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, denn die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes notwendigerweise nur summarische Prüfung ergibt, dass die Entscheidung des Antragsgegners, die Aufnahme der Antragstellerin abzulehnen und sie in die Warteliste aufzunehmen, ermessensfehlerfrei war.

Gemäß § 46 Abs. 1 Sätze 1 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG) entscheidet der Schulleiter regelmäßig zu Beginn des Schuljahres über die Aufnahme von Schülern in die Schule innerhalb des vom Schulträger für die Aufnahme festgelegten Rahmens. Der Schulleiter hat hierbei insbesondere das in Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und Art. 2 Abs. 1, Art. 12 des Grundgesetzes (GG) niedergelegte Recht des Schülers auf Erziehung und Bildung zu beachten. Dieses umfasst den Anspruch auf Zugang zu den öffentlichen Schulen und das Recht, zwischen den bestehenden Schulformen zu wählen. Die Eltern der Antragstellerin haben die Schulform Gesamtschule gewählt. Aus dieser Wahl resultiert grundsätzlich ein Anspruch auf Aufnahme der Antragstellerin in die Gesamtschule. Die Schulformwahlfreiheit findet allerdings zur Vermeidung einer Gefährdung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der gewünschten Schule eine Beschränkung durch deren Kapazität, wie nunmehr in § 46 Abs. 2 Satz 1 SchulG gesetzlich geregelt ist.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 3. September 2004 - 19 B 1915/04 und 11. September 2002 - 19 B 1597/02 -, beide juris.

Das mit dem Schulformwahlrecht korrespondierende subjektive Teilhaberecht des Schülers auf gleichberechtigten Zugang zu den vorhandenen öffentlichen Bildungseinrichtungen reduziert sich dementsprechend bei knappen Ressourcen auf einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung.

Vgl. VG Köln, Urteil vom 05. November 2008 - 10 K 4030/08 -, m.w.N., juris.

Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsgegner sein Ermessen zu Lasten der Antragstellerin fehlerhaft ausgeübt hätte. Gemäß § 114 VwGO unterliegt die Auswahlentscheidung des Antragsgegners nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung dahin, ob dieser den vom Schulträger für die Aufnahme festgelegten allgemeinen Rahmen beachtet, von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht widersprechenden Weise Gebrauch gemacht hat und bei seiner Ermessensentscheidung von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist.

Vorliegend ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die Kapazität der B. -G. -Gesamtschule tatsächlich und rechtlich erschöpft ist.

An der vom Antragsgegner geleiteten Gesamtschule sind vier Eingangsklassen eingerichtet worden. Diese Vorgabe des Schulträgers ist für den Schulleiter bindend; er ist nicht befugt, über sie hinauszugehen. Gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 3 SchulG werden die Klassengrößen durch Rechtsverordnung bestimmt. Nach § 6 Abs. 5 b der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 Schulgesetz (VO zu § 93 Abs. 2 SchulG) gelten für die Sekundarstufe I einer Gesamtschule ein Klassenfrequenzrichtwert von 28 und eine Bandbreite von 27 bis 29 Schülern in einer Klasse. Diese Bandbreite kann um einen Schüler über- oder unterschritten werden. Aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Schulformwahlfreiheit besteht ein Rechtsanspruch auf Ausschöpfung der gesetzlich vorhandenen Aufnahmekapazität, der sich grundsätzlich auch auf die Ausschöpfung der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen von der einschlägigen Bandbreite richtet.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. August 1992 - 19 B 3241/92 -, juris.

Damit standen bei Ausschöpfung der Bandbreite insgesamt (4 x 30 =) 120 Plätze zur Verfügung, für die ausweislich der vorliegenden Unterlagen zum Anmeldeverfahren 198 Anmeldungen vorlagen. Der Antragsgegner hat unter Anwendung der in § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Ausbildung und die Abschlussprüfung in der Sekundarstufe I vom 29.04.2005 in der Fassung vom 31.01.2007 (Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I - APO-S I) genannten Kriterien die zur Verfügung stehenden 120 Plätze ohne Berücksichtigung der Antragstellerin besetzt. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Der Antragsgegner hat - wie von ihm vorgetragen und aus den überreichten Verwaltungsvorgängen ersichtlich - unter Berücksichtigung von fünf Härtefällen die nach § 1 Abs. 2 APO-S I u.a. möglichen Kriterien der Leistungsheterogenität (Berücksichtigung von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Leistungsfähigkeit), sodann eines ausgewogenen Verhältnisses von Jungen und Mädchen und schließlich das Losverfahren angewendet. Dass der Antragsgegner im Rahmen der Leistungsheterogenität die Zuordnung in die Leistungsgruppe I oder II von einem Notendurchschnitt von 2,8 auf dem Halbjahreszeugnis abhängig gemacht hat, ist dabei nicht zu beanstanden. Weitere Kriterien waren nicht zu beachten, da § 1 Abs. 2 APO-S I die Anwendung eines oder auch mehrerer der genannten Kriterien erlaubt. Insofern ist es nicht fehlerhaft, dass der Antragsgegner das - auch mögliche - Kriterium des Schulweges, auf das die Antragstellerin in ihrem Widerspruch hingewiesen hat, in das Auswahlverfahren nicht einbezogen hat.

Soweit die Antragstellerin rügt, der Antragsgegner habe nach dem Auswahlergebnis die besseren Schüler bevorzugt, da kein Schüler mit einer Gymnasialempfehlung abgewiesen worden sei, ist darauf zu verweisen, dass die Grundschulempfehlung, die im Übrigen immer auch die Gesamtschule enthält, nach der Aufzählung in § 1 Abs. 2 APO-S I kein Aufnahmekriterium bilden kann. Zudem entspricht es dem Grundsatz der Leistungsheterogenität, alle angemeldeten Schüler einer Leistungsgruppe ohne Einbeziehung in das Losverfahren aufzunehmen, wenn die Zahl der angemeldeten Schüler dieser Leistungsgruppe hinter der Zahl der für diese Leistungsgruppe vorgesehenen Plätze zurückbleibt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2005 - 19 B 1594/05 -, NRWE.

Dies war vorliegend der Fall, da nach den Angaben des Antragsgegners die Anmeldezahl der Schüler aus der oberen Leistungsgruppe I insgesamt 59 betrug und 57 hiervon aufgenommen wurden.

Ebenfalls kein Kriterium bildet die von der Antragstellerin gerügte Zahl der aufgenommenen Ausländer. Abgesehen davon, dass die Auswahlentscheidung des Antragsgegners nicht von der Nationalität abhing, ergibt sich aus der überreichten Aufstellung der angenommenen und abgelehnten bzw. auf einen Warteplatz gesetzten Schülerinnen und Schüler, dass der Antragsgegner 19 - und nicht lediglich 11 - nichtdeutsche Schüler bzw. Schülerinnen aufgenommen hat.

Schließlich ergibt sich aus den vom Antragsgegner mitgeteilten Zahlen, dass er aus den 198 Anmeldungen (davon 81 Mädchen und 117 Jungen) 57 Plätze nach dem zunächst zu berücksichtigenden Leistungskriterium an Bewerber der Leistungsgruppe I verteilt hat (36 Mädchen und 21 Jungen). Von den weiteren Bewerbern aus der Leistungsgruppe II - nämlich 96 Jungen und 45 Mädchen, darunter die Antragstellerin - hat er mit Blick auf das weitere Kriterium eines ausgewogenen Verhältnisses von Jungen und Mädchen 39 Jungen und 24 Mädchen ausgelost, sodass insgesamt 60 Jungen und 60 Mädchen aufgenommen wurden. Soweit die Antragstellerin gerügt hat, dass ein Auswahlfehler darin begründet sei, dass der Antragsgegner in der Leistungsgruppe II nur bei den Jungen, nicht aber bei den Mädchen gelost hat, beruht dies zwar auf den diesbezüglichen Angaben des Antragsgegners, der zunächst in seiner Mitteilung über die Nichtabhilfeentscheidung vom 11. März 2010 an die Eltern der Antragstellerin und später im gerichtlichen Verfahren vorgetragen hat, ein Losverfahren habe es wegen der größeren Anzahl nur bei den Jungen gegeben. Dies hat der Antragsgegner jedoch nach entsprechender Nachfrage korrigiert und mitgeteilt, dass diese Angabe versehentlich erfolgt sei; es habe ein Losverfahren auch bei den Mädchen gegeben. Soweit die Antragstellerin diesen Vortrag in ihrem Schriftsatz vom 31. August 2010 für dem Verfahrensablauf angepasst, nicht glaubhaft und unsubstantiiert bezeichnet, folgt die Kammer dem nicht. Nach der Rechtsprechung des

OVG NRW, Beschluss vom 11. Januar 2010 - 19 A 3316/08 -, NRWE,

ist die Darstellung eines Schulleiters über das von ihm durchgeführte Losverfahren nur dann zweifelhaft, wenn triftige Gründe für eine fehlerhafte Darstellung vorliegen. Solche Gründe sind bei einer Berichtigung im Vortrag ohne Hinzutreten weiterer Umstände, die geltend gemacht werden oder auf der Hand liegen müssten, nicht ersichtlich. Der bloße Hinweis, der Vortrag sei angepasst, nicht glaubhaft und unsubstantiiert, reicht hierfür jedenfalls nicht aus. Zudem muss der Schulleiter das Losverfahren nicht öffentlich oder in Gegenwart von Zeugen durchführen und selbst Mängel der - nicht vorgeschriebenen - Protokollierung und Dokumentation der Durchführung des Losverfahrens haben nicht die Fehlerhaftigkeit der Aufnahmeentscheidung zur Folge. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner entgegen seinem nunmehrigen Vortrag bei den Mädchen kein Losverfahren durchgeführt hat, sieht die Kammer im vorliegenden Verfahren nicht.

Der Antragsgegner ist nicht verpflichtet, die Antragstellerin über die festgesetzte Kapazität hinaus in die Gesamtschule aufzunehmen, denn die Kapazität ist auch rechtlich erschöpft. Ein Ausnahmefall, der ein Überschreiten der Klassenfrequenzhöchstwerte rechtfertigen und gegebenenfalls auch einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch begründen könnte, kommt in Betracht, wenn es anderenfalls vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich garantierten Schulformwahlfreiheit zu unerträglichen Ergebnissen kommen würde,

vgl.: OVG NRW, Beschluss vom 29. September 2003 - 19 B 1923/03 -, DÖV 2004, 353.

Das Vorliegen eines derartigen Ausnahmefalls hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, da sie - entsprechend ihrer Schulformempfehlung - eine andere Gesamtschule oder auch eine Hauptschule besuchen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes. Der hälftige Ansatz des Auffangstreitwertes trägt dem summarischen Charakter des Eilverfahrens Rechnung.