OLG Köln, Beschluss vom 02.11.2010 - 2 Ws 704/10
Fundstelle
openJur 2011, 73887
  • Rkr:
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über eine Änderung der Bewährungsauflage im Beschluss der Kammer vom 25.4.2008 (Az. 106 KLs 18/06) an das Landgericht Köln - auch zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahren - zurückverwiesen.

Der Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt H. für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:

I.

Mit nach Verwerfung der Revision seit dem 21.05.2009 rechtskräftigem Urteil vom 25.04.2008 hat die 6. große Strafkammer des Landgerichts Köln - 106-18/06 - gegen den 1949 geborenen, vormals als Notar tätigen Verurteilten wegen Untreue im Zusammenhang mit der Abwicklung eines von ihm beurkundeten Grundstückskaufvertrages eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verhängt (Band I, Bl. 1 ff. BewH). Als Bewährungsauflage hat die Kammer dem Verurteilten unter Nr. 3 unter anderem auferlegt, den bei der E. Versicherung in Köln entstandenen Schaden nach besten Kräften wiedergutzumachen (Bl. 80 R BewH). Mit Urteil vom 26.09.2009 hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Rahmen eines zwischen der E. und dem Verurteilten geführten Zivilprozesses die Auffassung vertreten, dass diesem - entgegen dem strafrechtlichen Urteil - lediglich eine fahrlässige Amtspflichtverletzung vorgeworfen werden kann (Band I, Bl. 94 R BewH). Am 15.10.2009 (Band I, Bl. 85 BewH) hat der Verurteilte gegen seine Berufshaftpflichtversicherung - I.-J. - Klage auf Zahlung von 1,5 Mio. Euro erhoben. Damit sollte ein Teil des nach Auffassung der E. im zweistelligen Millionenbereich liegenden Schadens ausgeglichen werden (Band I, Bl. 82 BewH). Den Gerichtskostenvorschuss in Höhe von ca. 16.000,00 Euro musste der nicht über ausreichende Liquidität verfügende Verurteilte sich von seiner Ehefrau darlehensweise zur Verfügung stellen lassen (Band I, Bl. 85 BewH). Auf einen ihm dies aufgebenden Beschluss des Landgerichts Köln vom 25.11.2009 (Band I, Bl. 124 ff. BewH) hin legte der Verurteilte seine derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse dar (Band I, Bl. 158 ff. BewH). Er habe bislang keine Zahlungen an die E. leisten können, da er abgesehen von einer Mieteinnahme für eine ihm gehörende Eigentumswohnung, die unter Berücksichtigung zu zahlenden Wohngeldes 391,00 Euro betrage, über kein eigenes Einkommen verfüge (Band I, Bl. 158 BewH). Er lebe von der Unterstützung seiner Ehefrau. Nach am 24.07.2008 erfolgter Freigabe von seitens der Staatsanwaltschaft arrestierten und gepfändeten Vermögens habe er einen Betrag in Höhe von 420.000,00 Euro an seine erste Ehefrau zum Zwecke der Tilgung einer bei dieser bestehenden Darlehensrückzahlungsverpflichtung überwiesen. Mit dem Erlös aus dem Verkauf einer Schiffsbeteiligung in Höhe von 50.000,00 Euro habe er einen Sollsaldo auf einem Konto bei der Stadtsparkasse ausgeglichen (Band I, Bl. 160 BewH). Er habe - über die Verbindlichkeiten gegenüber der E. hinaus - Schulden in Höhe von ca. 179.000,00 Euro (Band I, Bl. 158 f. BewH). Mit Beschluss vom 23.08.2010 hat die 6. große Strafkammer des Landgerichts Köln den Bewährungsbeschluss vom 25.04.2008 hinsichtlich der Auflage zur Schadenswiedergutmachung dahingehend abgeändert, dass der Verurteilte statt zur Schadenswiedergutmachung verpflichtet ist, bis zum Ablauf der Bewährungszeit monatlich 100 Sozialstunden abzuleisten (Band II, Bl. 246 ff. BewH). Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 30.08.2010 (Band II, Bl. 267 ff. BewH), ergänzt mit Verteidigerschriftsatz vom 14.10.2010 (Band II, Bl. 280 ff. BewH). Mit Beschluss vom 18.10.2010 hat das Landgericht Köln der Beschwerde nicht abgeholfen (Band II, Bl. 291 ff. d.V.). Hierin hat das Gericht unter anderem ergänzend ausgeführt, dass es dem Verurteilten bewusst aus Gründen der Verhältnismäßigkeit freigestellt habe, sich selbst eine Arbeitsstelle für die Ableistung gemeinnütziger Arbeit zu suchen, die seinem gesundheitlichen Zustand und seiner Qualifikation entspricht, zu suchen. Die erteilte Auflage sei unter Berücksichtigung dieses Umstandes nicht zu unbestimmt. Sollte es dem Verurteilten nicht gelingen, eine Einsatzstelle zu finden oder die Einteilung der 100 Stunden auf den Monat vorzunehmen, bitte es um Mitteilung, damit er durch einen Bewährungshelfer bei der Organisation der Ableistung der Sozialstunden unterstützt werden könne (Band II, Bl. 292 f. BewH).

II.

Die gemäß § 453 Abs. 2 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen unter Berücksichtigung des § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässige Beschwerde ist begründet. 1. Nach § 56e StGB kann das Gericht Entscheidungen nach § 56b StGB nachträglich ändern. Die nachträgliche Änderung steht im Ermessen des Gerichts. Sie kommt dann in Betracht, wenn sich die objektive Situation geändert hat sowie wenn das Gericht von bestehenden Umständen erst nachträglich erfahren hat (Fischer, StGB, 57. Auflage, § 56e Rdnr. 2). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist diese Voraussetzung gegeben. Sein Einwand, es sei keine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten, insbesondere sei dem Gericht bereits bei Verkündung des Urteils und des Bewährungsbeschlusses am 25.04.2008 seine wirtschaftliche Situation einschließlich der nicht bestehenden Möglichkeit, wieder als Notar zu arbeiten, bekannt gewesen (Band II, Bl. 260. 262, 283 BewH), verfängt nicht. Zwar waren dem Gericht die vorbezeichneten Umstände bekannt. Allerdings ging das Gericht davon aus, dass der Verurteilte noch vorhandene Vermögenswerte zur Schadenswiedergutmachung bei der E. und nicht zur Tilgung anderweitiger Verbindlichkeiten gegenüber seiner ersten Ehefrau und der Stadtsparkasse verwendet. Dass der unbestreitbar in Millionenhöhe bestehende Schaden noch nicht zivilgerichtlich beziffert ist, steht der Verpflichtung zur Leistung von Zahlungen an die DEVK entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers (Band II, Bl. 247, 263 BewH) nicht entgegen. 2. Auch ist ein Ermessensfehlgebrauch nicht ersichtlich. a) Soweit der Beschwerdeführer die Auffassung vertritt, es sei der Auflage zur Schadenswiedergutmachung nicht zu entnehmen, dass er sich unter Hinnahme eigener wirtschaftlicher Einbußen zu bemühen habe, den entstandenen Schaden auszugleichen (Band II, Bl. 261 BewH), erscheint dies unverständlich. Es bedarf keiner Diskussion, dass eine Schadenswiedergutmachung zu eigenen finanziellen Einbußen desjenigen führen kann, der den Schaden auszugleichen hat. b) Die Auffassung des Beschwerdeführers, er führe den Zivilprozess gegen seinen Berufshaftpflichtversicherer allein im Interesse der E., nicht aber im eigenen Interesse, weil er Privatinsolvenz anmelden könne und die Forderung der E. aufgrund der Tatsache, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf entgegen der Auffassung der Strafkammer lediglich von einem fahrlässigen verhalten ausgehe, der Restschuldbefreiung unterliege (Band II, Bl. 261 BewH), ist bereits deshalb unzutreffend, weil der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 15.10.2009 bereits wegen der zu erfüllenden Auflage zur Schadenswiedergutmachung ein Interesse daran haben musste, dass seine Berufshaftpflichtversicherung Zahlung leistet. c) Soweit der Beschwerdeführer meint, das Gericht habe bei der Änderung der Auflage ausreichend nicht berücksichtigt, dass er angeboten habe, monatlich 150,00 Euro an die E. zu zahlen (Band II, Bl. 238, 265 BewH), verkennt er, dass allein ein Angebot zur Zahlung noch keine Wiedergutmachung bedeutet. 3. Auch steht einer in dem angefochtenen Beschluss erfolgten Änderung der Bewährungsauflage nicht die Vorschrift des § 56b Abs. 2 Satz 2 StGB entgegen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers (Band II, Bl. 264 BewH) steht die Erfüllung der Auflage zur Ableistung von Sozialstunden der Wiedergutmachung des Schadens nicht entgegen. Soweit der Beschwerdeführer hierzu ausführt, die Fortführung des Rechtsstreits gegen seinen Haftpflichtversicherer würde damit aus wirtschaftlicher Sicht überflüssig, da ihm im Falle des Privatinsolvenzverfahrens Restschuldbefreiung zu erteilen wäre, und er damit ankündigt, er werde die Klage zurücknehmen, ist dem entgegenzuhalten, dass für diesen Fall allenfalls die Klagerücknahme, aber nicht die Ableistung von Sozialstunden die Wiedergutmachung des Schadens beeinträchtigen würde. 4. Die Erfüllung der Auflage zur Ableistung von Sozialstunden ist auch nicht unzumutbar i.S.d. § 56b Abs. 1 Satz 2 StGB. Die von dem Beschwerdeführer vorgenommene Berechnung zu einer etwaigen, möglichen Anrechnung erbrachter Leistungen für den Fall eines Bewährungswiderrufs (Band II, Bl. 289 BewH) vermögen die Unzumutbarkeit des Umfangs der zu leistenden Arbeitsstunden nicht zu belegen. Angesichts der Höhe des verursachten Schadens und der "Denkzettelfunktion" von Auflagen (vgl. OLG Celle, NStZ 1990, 148) halten sich die auferlegten Sozialstunden im Rahmen des dem Gericht eingeräumten Ermessens.

5. Die angeordnete Auflage ist jedoch - nur deshalb - aufzuheben, weil sie nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht wird.

Bewährungsauflagen müssen klar, bestimmt und in ihrer Einhaltung überprüfbar sein. Nur so können Verstöße einwandfrei festgestellt werden und der Verurteilte weiß unmissverständlich, wann ihm der Widerruf der Bewährung droht. Die Tatsache, dass die Verfassung die Entziehung der Freiheit dem Richter vorbehält (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) haben den Gesetzgeber veranlasst, die inhaltliche, dem Bestimmtheitsgebot entsprechende Ausgestaltung von Auflagen und Weisungen ausschließlich dem Gericht zu übertragen. Deshalb darf sich das Gericht nicht darauf beschränken, nur den Umfang der gemeinnützigen Leistungen festzulegen. Vielmehr muss in der Auflage auch die Zeit, innerhalb derer die Arbeitsleistung zu erfüllen ist, die Art und nach Möglichkeit auch der Ort dieser Arbeitsleistung und die Institution, bei der sie abzuleisten ist, niedergelegt werden. Da eine Auflage der Genugtuung für das begangene Unrecht zu dienen hat (§ 56b Abs. 1 Satz 1 StGB) ist es deshalb notwendig, die gemeinnützige Leistung so auszuwählen, dass sie in einem sinnvollen Zusammenhang mit dem vom Verurteilten begangenen Unrecht steht. Diese ihm allein obliegende Befugnis zur inhaltlichen Ausgestaltung der Arbeitsauflage darf das Gericht nicht an Dritte delegieren (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1996, 220; OLG Dresden vom 29.04.2008 - 2 Ws 81/08 -, zitiert nach iuris; Fischer, a.a.O., § 56b Rdnr. 8). Unter Beachtung dieser Grundsätze ist das Landgericht nicht gehindert, in einem neuen Beschluss die Wiedergutmachungsauflage in eine Auflage zur Leistung von monatlich 100 Sozialstunden abzuändern. Da das Verschlechterungsverbot im strafprozessualen Beschlussverfahren nicht gilt (Fischer, a.a.O., vor § 304 Rdnr. 5), wäre auch ein auch ein Bewährungswiderruf denkbar.

Dem stimmt der Senat mit der Maßgabe zu, dass Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Auflage insoweit bestehen, als dem Beschwerdeführer bei die Erbringung von 100 Sozialstunden im Monat keine Urlaubszeiten eingeräumt werden. Im Übrigen erscheint die Anzahl der zu leistenden Stunden zwar relativ hoch, hält sich aber im Rahmen des der Strafkammer zustehenden Ermessens. Die Auflage darf nur nicht einen solchen Umfang haben, dass sie einer Strafe gleichkommt und an den Verurteilten unzumutbare Anforderungen stellt, indem sie auf dessen konkreten Lebensumstände nicht die genügende Rücksicht nimmt (BVerfGE 83, 119). Letzteres scheidet vorliegend schon deshalb aus, weil der Beschwerdeführer keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, obwohl er in seinem Alter von 61 Jahren durchaus in der Lage wäre, vollschichtig erwerbstätig zu sein. Dass er für sich selbst beschlossen hat, sein Erwerbsleben zu beenden und sich entsprechend einzurichten, ist kein Umstand, der der Auferlegung von Sozialstunden entgegensteht. Die Sozialstunden kommen - bei genügender Urlaubszeit - auch ihrem Umfang nach noch nicht einer Strafe gleich. Da eine Freiheitsstrafe verhängt worden ist, ist der vom Beschwerdeführer gezogene Vergleich mit der Regelung in der Geldstrafentilgungsverordnung verfehlt. Entsprechend dem Zweck einer Bewährungsauflage, die Vollstreckung einer an sich verwirkten Freiheitsstrafe abzuwenden (BVerfG a.a.O.), muss sie durchaus so gestaltet sein, dass sie eine fühlbare Einschränkung der Lebensführung darstellt. Die vom Beschwerdeführer angebotene Zahlung von 150 € im Monat, die er durch ein Darlehen seiner geschiedenen Ehefrau gegen Arbeitsleistung auf ihrem Hof oder spätere Erstattung durch Einkommen aus einer eventuellen Erwerbstätigkeit aufbringen will, ist daher als völlig unzureichend anzusehen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der von ihm aufgewandten Gerichtskosten im Prozess gegen seine Haftpflichtversicherung, die im Falle des Erfolges der Klage, von dem er ausgeht, ohnehin vom Gegner zu erstatten wären. Die Zahlung der Haftpflichtversicherung i.H.v. 1,5 Millionen Euro würde zudem nur einen Bruchteil des der E. AG durch das Handeln des Beschwerdeführers mit verursachten Schadens abdecken und ihn insoweit von der eigenen Haftung freistellen. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass die recht unmissverständliche Drohung, im Falle der Aufrechterhaltung der Auflage die Klage, die im Hinblick auf eine mögliche Privatinsolvenz ohnehin nur im Interesse der geschädigten E. AG erhoben worden sei, mit voller Kostentragungslast zurückzunehmen, auf Unverständnis stößt. Eine solche Denkweise lässt es durchaus angezeigt erscheinen, dem Beschwerdeführer durch eine empfindliche Auflage seine Verantwortung vor Augen zu führen.

Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verteidigers liegen nicht vor, denn der Beschwerdeführer ist Volljurist und kann seine Argumente selbst vortragen.