VG Köln, Urteil vom 10.06.2010 - 13 K 5186/09
Fundstelle
openJur 2011, 72463
  • Rkr:
Tenor

Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Im Óbrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Bei der Klägerin handelt es sich um ein Mühlenunternehmen, das Brotgetreide vermahlt und anschließend als Mehl verkauft. Als solches unterlag sie der Beitragspflicht nach dem Absatzfondsgesetz. Die gesetzlichen Grundlagen für die Beitragserhebung sind vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 - für den Zeitraum ab 1. Juli 2002 für nichtig erklärt worden.

Mit monatlichen Bescheiden, denen jeweils eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, wurde die Klägerin zu Beiträgen zum Absatzfonds herangezogen, so auch in dem hier maßgeblichen Zeitraum von Juni 2002 bis November 2008. Gegen die Bescheide wurde kein Widerspruch eingelegt. Die Beiträge wurden von der Klägerin jeweils entrichtet, insgesamt zahlte sie in dem genannten Zeitraum ausweislich der vorgelegten Bescheide 48.209,63 Euro, wobei die Monate August 2003 und Dezember 2005 nicht erfasst sind. Mit Aufhebungsbescheid vom 20. Februar 2009 stornierte die Beklagte den Beitragsbescheid Nr. 228 für November 2008 in Höhe von 663,36 Euro.

Mit am 29. April 2009 eingegangenem Schreiben beantragte die Klägerin unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Rückzahlung der Beiträge zum Absatzfonds für den Zeitraum von Juni 2002 bis November 2008 (bis einschließlich Bescheid Nr. 228) - mit Ausnahme der Monate August 2003 und Dezember 2005 - in Höhe von 48.209,63 Euro sowie die Erstattung von Säumniszuschlägen und den Kosten einer Vollstreckungsmaßnahme. Die Beklagte vermerkte, dass der Bescheid für November 2008 bereits storniert worden sei. Im Übrigen wertete sie das Rückzahlungsverlangen auch als Antrag auf Wiederaufgreifen und lehnte mit Bescheid vom 6. Mai 2009 das Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Bescheide bis Nr. 227 und eine Rückzahlung ab. Dagegen legte die Klägerin am 2. Juni 2009 Widerspruch ein, den sie nicht weiter begründete.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2009, zugestellt am 16. Juli 2009, wies die Beklagte den Widerspruch hinsichtlich der Bescheide bis einschließlich Nr. 227 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie an, ein Rückzahlungsanspruch sei nicht gegeben. Die den Zahlungen zugrunde liegenden Beitragsbescheide seien nicht nichtig, weil in der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fehlenden Rechtsgrundlage schon kein schwerer Fehler zu sehen sei, wie sich aus der Normierung des § 79 Abs. 2 BVerfGG ergebe. Auch sei ein eventueller Fehler im maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Bescheide nicht offensichtlich gewesen, weil noch im Januar 2007 das Verwaltungsgericht München die Beitragserhebung nach dem Absatzfondsgesetz für verfassungsmäßig erachtet habe. Auch ein Aufhebungsanspruch nach § 51 VwVfG, gegebenenfalls in Verbindung mit § 48 VwVfG, bestehe nicht. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stelle keine Änderung der Rechtslage dar. Auch habe die Klägerin den jetzt geltend gemachten Grund im früheren Verfahren geltend machen können, in dem sie gegen die Beitragsbescheide jeweils Widerspruch hätte einlegen können. Die Beitragsbescheide seien auch nicht nach § 48 VwVfG zurückzunehmen, weil eine dafür erforderliche Ermessensreduzierung auf Null nicht gegeben sei. Die Nichtigkeitserklärung durch das Bundesverfassungsgericht bewirke keinesfalls zwangsläufig eine Ermessensreduzierung auf Null, die zu einer Rücknahme zu führen habe. Zwar sei der Verstoß gegen das Grundgesetz mit in die Abwägung einzubeziehen. Andererseits sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber sich für den grundsätzlichen Vorrang der Rechtssicherheit entschieden habe, indem er für die Anfechtung von Verwaltungsakten Fristen vorschreibe. Rechtssicherheit und Bestandskraft stellten für die Allgemeinheit Grundsätze eines funktionierenden Verwaltungshandelns dar. Dies gelte um so mehr, wenn es sich um unanfechtbare Verwaltungsakte handele, deren Rechtsfolgen in der Vergangenheit abgeschlossen seien. Die Beitragsbescheide seien in großer Zahl und mit zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung erlassen worden und teilweise seit Jahren unanfechtbar. Auf Vertrauensschutz oder Billigkeitserwägungen könne sich die Klägerin daher nicht berufen, weil sie auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs verzichtet habe. Vielmehr komme hier der Gedanke der Verwirkung zum Tragen.

Am 14. August 2009 hat die Klägerin Klage gegen die Bescheide über die Ablehnung des Wiederaufgreifens sowie auf Zahlung von 48.209,63 Euro erhoben. Mit am 27. Oktober 2009 eingegangenem Schriftsatz hat sie den Klageantrag erweitert, dass auch das Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich des Bescheides Nr. 228 für November 2008 begehrt werde. Nach Rückzahlung des Betrages für diesen Monat im April 2010 haben die Beteiligten übereinstimmend das Verfahren in der Hauptsache insoweit für erledigt erklärt.

Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin vor, sie habe einen Anspruch auf Rücknahme aus § 48 VwVfG aufgrund einer anzunehmenden Ermessensreduzierung auf Null. Die Rücknahme werde zunächst nicht durch § 79 Abs. 2 BVerfGG gesperrt. Die Ermessensreduzierung sei hier aufgrund der Verfassungswidrigkeit der für die Beitragserhebung maßgeblichen Normen anzunehmen, die in das Grundrecht der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen, aber auch gegen die ebenfalls den Schutz der Klägerin bezweckenden Regelungen des Grundgesetzes über die Finanzverfassung sowie Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen hätten. Der Verfassungsverstoß lasse die Beitragserhebung wie auch den Fortbestand der Beitragsbescheide als schlechthin unerträglich erscheinen. Dies gelte insbesondere hinsichtlich des Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG für die hier betroffene Mehlmüllerei, weil die Tätigkeit des Absatzfonds sogar zur Förderung der Konkurrenz im Exportgeschäft geführt habe und überdies eine Überwälzung der Beiträge auf den letztlich von den Maßnahmen profitierenden Handel nicht möglich gewesen sei. Der Gesetzgeber sei seiner Beobachtungspflicht nicht nachgekommen. Er habe bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung nach dem Absatzfondsgesetz erkennen müssen. Dies sei der Beklagten zuzurechnen. Überdies sei auch die Zuständigkeit der Beklagten zur Beitragserhebung durch die Verfassungswidrigkeitserklärung rückwirkend beseitigt worden, auch aus diesem Grunde seien die Beitragsbescheide aufzuheben, ohne dass es auf Ermessensfragen ankomme. Jedenfalls seit dem Vorlagebeschluss des erkennenden Gerichts im Mai 2006 sei die Verfassungsmäßigkeit mehr als zweifelhaft gewesen; seit diesem Zeitpunkt hätte die Beklagte die Beitragsbescheide unter einen entsprechenden Vorbehalt stellen müssen, wie er auch im Steuerrecht üblich sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Mai 2009 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2009 zu verpflichten, die Beitragsbescheide für den Zeitraum von Juni 2002 bis Oktober 2008 - mit Ausnahme der Monate August 2003 und Dezember 2005 - aufzuheben und die entrichteten Beiträge in Höhe von 47.546,27 Euro - nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Juni 2009 - an die Klägerin zurückzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihre Ausführungen aus den ablehnenden Bescheiden und trägt vor, offensichtliche Nichtigkeitsgründe lägen nicht vor. Auch ein Grund für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens sei nicht gegeben; gerichtliche Entscheidungen stellten keine Änderung der Rechtslage dar, selbst wenn ihnen Gesetzeskraft zukomme. Im Übrigen habe die Klägerin durch die Einlegung von Widersprüchen gegen die Beitragsbescheide ihre Rechte wahren können. Schließlich bestehe auch keine Verpflichtung zur Rücknahme nach § 48 VwVfG, weil keine Ermessensreduzierung auf Null gegeben sei. Parameter für die Ermessensausübung seien einerseits die materielle Gerechtigkeit im Einzelfall und andererseits der durch die Bestandskraft der Bescheide eingetretene Rechtsfrieden; zwischen diesen beiden Aspekten sei abzuwägen. Dabei sei es - wie § 79 Abs. 2 BVerfGG zeige - eine Möglichkeit, sich für den Fortbestand des Verwaltungsakts zu entscheiden. Die Beklagte sei auch nicht gehalten gewesen, nach dem Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Köln einen Vorbehalt der späteren Nachprüfung in die Beitragsbescheide aufzunehmen oder die Beiträge nur vorläufig festzusetzen. Dafür bestehe bereits - anders als in der Abgabenordnung - keine gesetzliche Möglichkeit; die Beklagte als Teil der Exekutive könne nicht faktisch ein Parlamentsgesetz außer Kraft setzen, bevor das dazu berufene Bundesverfassungsgericht über die Nichtigkeit geurteilt habe. Ein allgemeiner Vorbehalt hätte aber zu dieser Folge geführt, weil dies dem Absatzfonds die wirtschaftliche Existenz entzogen hätte. Die Aufrechterhaltung der Beitragsbescheide sei daher weder schlechthin unerträglich noch verstoße sie gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben. Da die Beklagte sich auch in allen Fällen für die Aufrechterhaltung der Beitragsbescheide entschieden habe, verlange auch der Gleichbehandlungsgrundsatz keine Rücknahme zugunsten der Klägerin. Mangels Verpflichtung zur Rücknahme und damit zur Aufhebung der Beitragsbescheide sei auch weder eine Rückzahlungs- noch eine Verzinsungspflicht gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog.

Von einer Beiladung des Absatzfonds hat das Gericht abgesehen, weil weder ein Fall der notwendigen Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO gegeben noch eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO angezeigt war. Denn berührt sind hier keine rechtlichen Interessen des durch die Beitragserhebung nach dem Absatzfondsgesetz letztlich begünstigten Absatzfonds, sondern nur dessen wirtschaftliche Interessen. Die (verfahrens-)rechtliche Abwicklung der Beitragserhebung wie auch die Rückerstattung erfolgte allein durch die Beklagte.

Die Klage ist im Übrigen zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Mai 2009 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Aufhebung der Beitragsbescheide (§ 113 Abs. 5 VwGO), womit auch kein Anspruch auf Erstattung der geleisteten Beitragszahlungen und Verzinsung besteht.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens begehrte Aufhebung der bestandskräftigen Beitragsbescheide. Denn die Voraussetzungen der dafür allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) liegen nicht vor.

Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes unter anderem dann zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1). Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen, § 51 Abs. 2 VwVfG. Der Antrag muss binnen drei Monaten nach Kenntnis des Betroffenen vom Grund für das Wiederaufgreifen gestellt werden, § 51 Abs. 3 VwVfG. Unberührt bleibt gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung der Behörde über eine etwaige Rücknahme oder einen Widerruf.

Ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist nicht gegeben, denn es liegt keine Änderung der Rechtslage vor. Eine solche ist in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die maßgeblichen Normen des Absatzfondsgesetzes für nichtig erklärt worden sind, nach allgemeiner Meinung nicht zu sehen,

vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 164, 178/64 -, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), 20, 230 (235) unter Hinweis auf § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, § 51 Rn. 30.

Die Klägerin kann die Aufhebung der Beitragsbescheide in Form der Rücknahme (sei es ganz oder teilweise) im vorliegenden Verfahren auch nicht über eine Ermessensentscheidung der Beklagten nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 VwVfG verlangen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt - wie hier die jeweils ergangenen Beitragsbescheide -, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die an die Klägerin nach dem 1. Juli 2002 gerichteten Beitragsbescheide sind rechtswidrig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht unter anderem die für die Beitragserhebung von den Handelsmüllereien wie der Klägerin maßgeblichen Rechtsgrundlagen für ab diesem Zeitpunkt mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erachtet hat,

vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 -, BVerfGE 122, 316.

Damit war der Beitragserhebung formell wie materiell bereits bei Erlass der Beitragsbescheide die Rechtsgrundlage entzogen.

Einer Rücknahme steht § 79 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift, die nach § 82 Abs. 1 BVerfGG auch für die im Wege der konkreten Normenkontrolle für verfassungswidrig und nichtig erachteten Normen des Absatzfondsgesetzes Anwendung findet, bleiben die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhenden, nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen unberührt. Zu den "Entscheidungen" im Sinne der Vorschrift gehören sowohl die auf der Grundlage der verfassungswidrigen und damit "ex tunc" nichtigen Norm ergangenen - bestandskräftigen - Verwaltungsakte als auch die diese bestätigenden nicht mehr anfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen,

vgl. Bethge, in Maunz/Schmidt Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 79 Rn. 46 m. w. Nachw. (Stand: Mai 2009).

Durch § 79 BVerfGG sollen die Rechtsfolgen der Nichtigkeit im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit begrenzt werden,

BVerfG, st. Rspr., vgl. nur Beschlüsse vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 164, 178/64 -, a.a.O., BVerfGE 20, 230 (235), und vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 1905/02 -, BVerfGE 115, 51 (62 m. w. Nachw.).

§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG steht aber nicht einer Rücknahme nach § 48 VwVfG entgegen, die Vorschrift enthält keine Rücknahmesperre,

vgl. nur Bethge, a.a.O., § 79 Rn. 56 m. w. Nachw.

Jedoch hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rücknahme der Beitragsbescheide nach (§ 51 Abs. 5 i.V.m.) § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, denn eine dafür erforderliche Reduktion des Rücknahmeermessens auf Null liegt nicht vor.

Wird - wie hier - die Rücknahme von bestandskräftigen belastenden Verwaltungsakten begehrt, ist bei der Ausübung des Rücknahmeermessens in Rechnung zu stellen, dass dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit prinzipiell kein größeres Gewicht zukommt als dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist. Das der materiellen Einzelfallgerechtigkeit gegenläufige Gebot der Rechtssicherheit ist ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit und damit eines Konstitutionsprinzips des Grundgesetzes. Aus ihm folgt die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte. Gibt die Rechtsordnung der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit, durch Hoheitsakt für ihren Bereich das im Einzelfall rechtlich Verbindliche festzustellen, zu begründen oder zu verändern, so besteht auch ein verfassungsrechtliches Interesse daran, die Bestandskraft des Hoheitsaktes herbeizuführen. Diese Folge, selbst rechtswidrige, aber bestandskräftige Verwaltungsakte hinzunehmen, wird kompensiert durch die Möglichkeit der Anfechtung belastender Maßnahmen mit Widerspruch und Anfechtungsklage. Die mit dem Verstreichen der Frist zur Anfechtung eines Verwaltungsaktes regelmäßig einhergehende Bestandskraft ist ein Instrument der Gewährleistung von Rechtssicherheit. Tritt der Grundsatz der Rechtssicherheit mit dem Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall in Widerstreit, so ist es zunächst Sache des Gesetzgebers und dann der Rechtsprechung, das Gewicht, das ihnen in dem zu regelnden Fall zukommt, abzuwägen und zu entscheiden, welchem der beiden Prinzipien der Vorrang gegeben werden soll. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" ist. Ob sich die Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes als schlechthin unerträglich erweist, hängt von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab. Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist etwa dann schlechthin unerträglich, wenn die Behörde gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dadurch verstößt, dass sie in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen in der Regel von ihrer Befugnis zur Rücknahme Gebrauch macht, hiervon jedoch in anderen Fällen ohne rechtfertigenden Grund absieht. Genauso liegt es, wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich. Allein die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes begründet hingegen keinen Anspruch auf Rücknahme, da die Rechtswidrigkeit lediglich die Voraussetzung einer Ermessensentscheidung der Behörde ist. In dem einschlägigen Fachrecht kann aber eine bestimmte Richtung der zu treffenden Entscheidung in der Weise vorgegeben sein, dass das Ermessen im Regelfall nur durch die Entscheidung für die Rücknahme des Verwaltungsaktes ausgeübt werden kann, so dass sich das Ermessen in diesem Sinne als intendiert erweist.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 7. Juli 2004 - 6 C 24.03 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 121, 226 (230 f.) mit umfassenden Nachweisen der Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts; BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2007, 709 (710).

Nach diesen Grundsätzen scheidet die Annahme einer Reduzierung des Rücknahmeermessens auf Null hier aus. Die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung, die Beitragsbescheide nicht zurückzunehmen, führt hier nicht zu einem "schlechthin unerträglichen" Ergebnis. Allein der Umstand, dass damit auf verfassungswidriger Grundlage ergangene Bescheide aufrechterhalten bleiben, begründet eine solche Bewertung ersichtlich nicht. Denn der Gesetzgeber nimmt es hin, dass auch rechtswidrige Verwaltungsakte in Bestandskraft erwachsen und im Rahmen einer Ermessensentscheidung der Rechtssicherheit im Einzelfall höhere Bedeutung als der Einzelfallgerechtigkeit beigemessen wird.

Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit ist nicht gegeben. Diese ist anzunehmen, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Anders als bei der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 44 Abs. 1 VwVfG ist es nicht erforderlich, dass der Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet; dieser wäre hier allerdings in dem Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage wegen deren Verfassungswidrigkeit zu sehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig erweist, ist in der Regel der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts. Die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts möglicherweise gebietende Offensichtlichkeit fehlt, wenn die Evidenz des Rechtsfehlers erst später ersichtlich wird,

BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709 (710 f.).

Daran gemessen fehlt es hier an der zu fordernden Evidenz. Es kann nicht angenommen werden, dass zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Beitragsbescheide ab Juli 2002 an deren Rechtswidrigkeit vernünftigerweise keine Zweifel bestanden haben und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängte. Dies gilt für die Zeiträume vor Ergehen des Vorlagebeschlusses des erkennenden Gerichts im Mai 2006, aber auch für die Zeiträume danach.

Eine solche Evidenz ließ sich zunächst nicht aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Vergabe eines Gütezeichens, das die inländische Herkunft der betreffenden Erzeugnisse hervorhebt, annehmen,

vgl. EuGH, Urteil vom 5. November 2002 - C 325/00 -, Sammlung der Rechtsprechung 2002, S. I-09977 ff. - Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH (CMA).

In dieser Entscheidung, ergangen in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, bedurfte es zunächst eingehender Darlegungen, dass die Werbemaßnahmen der privatrechtlich organisierten CMA dem deutschen Staat zurechenbar seien, sowie der weiteren vertieften Prüfung, ob die Verwendung der Gütezeichen nicht unter den auch europarechtlich zulässigen Schutz regionaler Herkunftsbezeichnungen fiel und dadurch gerechtfertigt war. Bereits diese vertieften Erwägungen des EuGH stehen der Annahme einer Offensichtlichkeit entgegen,

vgl. dazu in einem ähnlich gelagerten Fall BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709 (711).

Auch betraf die Entscheidung des EuGH nicht die Beitragserhebung an sich, sondern nur die Form der allenfalls mittelbar durch den Absatzfonds veranlassten Werbemaßnahmen.

Darüber hinaus wurde noch im Januar 2007 die Beitragserhebung nach dem Absatzfondsgesetz für verfassungsmäßig erachtet,

so Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 8. Januar 2007 - M 18 S 06.4166 -, juris.

Dass die Vorlage des erkennenden Gerichts zulässig und begründet sein würde, war nicht absehbar. Auch aus dem Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht bereits im Mai 2004 die Beitragserhebung für den "Klärschlamm-Entschädigungsfonds" sowie im Juli 2005 die Beitragserhebung für den "Solidarfonds Abfallrückführung" für verfassungswidrig erachtet hat,

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Mai 2004 - 2 BvR 2374/99 -, BVerfGE 110, 370 ff. ("Klärschlamm-Entschädigungsfonds") und vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2335, 2391/95 -, BVerfGE 113, 128 ff. ("Solidarfonds Abfallrückführung"),

und die dort angewendeten Kriterien auch für die Verfassungswidrigkeit der Normen des Absatzfondsgesetzes maßgeblich waren,

vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 -, BVerfGE 122, 316 (333 ff.),

kann nicht auf eine offensichtliche Rechtswidrigkeit im oben beschriebenen Sinne bei Erlass der Beitragsbescheide geschlossen werden. Denn auch danach bedurfte es - ebenso wie nach der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die Vorlage des Gerichts zum Absatzfondsgesetz - noch der Subsumtion und Gewichtung der maßgeblichen tatsächlichen Elemente, die etwa den vom Bundesverfassungsgericht geforderten "besonderen Gruppennutzen" betrafen,

vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 -, BVerfGE 122, 316 (335 ff.),

was im Einzelnen streitig und daher nicht offensichtlich war.

Auch im Übrigen liegen keine Umstände vor, die die Aufrechterhaltung der Beitragsbescheide als "schlechthin unerträglich" erscheinen ließen und daher zu einer Ermessensreduzierung führen könnten. Dem einschlägigen Fachrecht lässt sich nichts für eine zwingende Rücknahme Sprechendes entnehmen, so dass es bei den allgemeinen Grundsätzen bleibt. Dies ist hier insbesondere auch § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Die Vorschrift sperrt weder die Rücknahme noch führt sie umgekehrt zu einer Ermessensreduzierung,

vgl. Bethge, a.a.O., § 79 Rn. 56 m. w. Nachw.

§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG räumt dem der materiellen Einzelfallgerechtigkeit gegenläufigen Gebot der Rechtssicherheit jedoch grundsätzlich den Vorrang ein. Entschließt sich die zur Entscheidung über die Rücknahme berufene Behörde, wie hier die Beklagte, dazu, in Wahrung des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG in allen Fällen die Beitragsbescheide nach dem Absatzfondsgesetz aufrecht zu erhalten, so ist das nach dem in § 79 Abs. 1 BVerfGG zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen schon nicht ermessensfehlerhaft und kann daher erst recht nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen. Nichts anderes gilt in Ansehung der von der Klägerin in besonderer Weise betonten Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG oder auch der weiteren, zur Begründung der Nichtigkeit vom Bundesverfassungsgericht genannten Verfassungsverstöße. Denn auch die Konstellation, dass ein Gesetz wegen eines verfassungswidrigen Eingriffs in Grundrechte nichtig ist, ist vom Regelungsziel des seinerseits vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung für verfassungsmäßig erachteten § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erfasst,

so BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 1993 - 6 B 35.93 -, juris Rn. 4, für einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit.

Insofern lässt sich eine schlechthin nicht hinnehmbare Unerträglichkeit auch nicht aufgrund des Umstands annehmen, dass nach den Angaben der Klägerin die Tätigkeit des Absatzfonds für die Handelsmüllereien zu einer Verknappung des Getreideangebots, damit zu einer Preiserhöhung und so möglicherweise - mittelbar - zu einem weiteren Eingriff in die Berufsfreiheit der Müllereien geführt hat. Dies hätte nur den vom Bundesverfassungsgericht zur Begründung der Nichtigkeit des Absatzfondsgesetzes angenommenen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstärkt, nicht aber zu einer zusätzlichen unerträglichen Beschwer geführt. Eine letztlich von der Klägerin angestrebte Doppelverwertung der Elemente, die zu Verfassungswidrigkeit geführt haben, sowohl bei der Rechtswidrigkeit der Bescheide selbst als auch bei der Rücknahmeentscheidung im Wege der Ermessensreduzierung steht die Ratio des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nach dem vorstehend Ausgeführten entgegen.

Auch ein Verstoß gegen Treu und Glauben oder die guten Sitten ist nicht gegeben. So war es aus den oben dargelegten Gründen zur offensichtlichen Rechtswidrigkeit für die Beklagte nicht ersichtlich, dass das Absatzfondsgesetz in maßgeblichen Teilen verfassungswidrig war. Sie hat daher nicht "sehenden Auges" Beitragsbescheide erlassen in der Hoffnung, dass sie mangels Anfechtung bestandskräftig würden,

vgl. zu diesem Ansatz Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 9. September 2009 - 15 A 1881/09 -, juris Rn. 6 f.

Ebenfalls war die Beklagte nicht gehalten, die Beitragsbescheide grundsätzlich oder jedenfalls nach dem Ergehen des Vorlagebeschlusses des erkennenden Gerichts im Mai 2006 mit einem Vorbehalt der Vorläufigkeit zu versehen, und ein solches Unterlassen wäre auch nicht als treuwidrig zu werten. Denn anders als nach § 165 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 3 der Abgabenordnung, wonach eine vorläufige Steuerfestsetzung erfolgen kann, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens beim Europäischen Gerichtshof, Bundesverfassungsgericht oder obersten Bundesgericht ist, besteht diese Möglichkeit nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz und dem Regelungsgefüge des Absatzfondsgesetzes nicht. Die Beklagte hätte daher als Teil der Exekutive eigenmächtig den gesetzgeberischen Befehl, dass nach dem Absatzfondsgesetz Beiträge zu erheben und entsprechend dem Gesetz zu verwenden sind, in Frage gestellt und faktisch außer Kraft gesetzt, weil dann dem Absatzfonds keine Mittel mehr zur Verfügung gestanden hätten. Dies konnte von ihr im Hinblick auf die Gesetzesbindung der Beklagten nach Art. 20 Abs. 3 GG mangels entsprechender gesetzlicher Ermächtigung nicht gefordert werden. Die unbedingte Beitragsfestsetzung stellt daher keinen Verstoß gegen Treu und Glauben oder die guten Sitten dar.

Mangels Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung der bestandskräftigen Beitragsbescheide und damit fortbestehendem Rechtsgrund für die seitens der Klägerin geleisteten Zahlungen besteht auch keine Rückzahlungsverpflichtung nach den Grundsätzen des öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs. Auch für eine Verzinsungspflicht ist mithin keine Grundlage gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils auf § 161 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Unter den gegebenen Umständen entspricht es billigem Ermessen i.S.v. § 161 Abs. 2 VwGO, die Kosten des erledigten Teils der Klägerin aufzuerlegen, weil die Klage betreffend den insoweit maßgeblichen Beitragsbescheid Nr. 228 mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig war; dieser Bescheid war bereits vor Antragstellung und Klageerhebung aufgehoben worden.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe, die Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, bestanden nicht. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die maßgeblichen Rechtsfragen nicht zuletzt durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709 ff., geklärt sind.