OLG Köln, Beschluss vom 01.07.2009 - 4 W 3/09
Fundstelle
openJur 2011, 69623
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 15 O 512/08
Tenor

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 21.04.2009 - 15 O 512/08 -, mit welchem die Befangenheitsanträge des Beklagten bezüglich des Vorsitzenden Richters am Landgericht H und der Richterin am Landgericht F zurückgewiesen worden ist, wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Gründe

Die gemäß § 46 Abs. 2 ZPO zulässige - insbesondere fristgerecht eingelegte - sofortige Beschwerde des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Befangenheitsanträge des Beklagten zurückgewiesen. Die abgelehnten Richter sind nicht wegen Vorbefassung befangen.

Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei muss es sich um einen objektiven Grund handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteilich gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Gesuchstellers scheiden aus (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Auflage 2009, § 42 Rn. 9 m.w.N.).

Die Vorschrift des § 42 Abs. 2 ZPO muss im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ausgelegt werden. Das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters zwingt das erkennende Gericht, die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, nicht extensiv auszulegen, um so der Gefahr vorzubeugen, dass ein "missliebiger Richter", der gesetzlicher Richter ist, von seinem Amt ausgeschlossen wird (OLG Saarbrücken, OLGZ 1974, 2991). Daher bietet das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters eine restriktive Auslegung des § 42 ZPO. Andererseits ist zu bedenken, dass die Anforderungen an die Vernunft und Einsichtsfähigkeit der ablehnenden Partei nicht überspannt werden. Eine übertriebene Engherzigkeit bei der Behandlung von Ablehnungsgesuchen stünde im Widerspruch mit der gesetzlichen Intention.

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht nur eine formale Bestimmung, die schon dann erfüllt ist, wenn der gesetzliche Richter allgemein und eindeutig feststeht, vielmehr muss zugleich und vor allem gewährleistet sein, dass ein Rechtssuchender nicht vor einem Richter steht, der aus bestimmten Gründen die gebotene Neutralität und Distanz vermissen lässt ( so LG Darmstadt NJW RR 1999, 289 f. mit Zitaten von BVerfGE 30, 149. 153 = NJW 1971,1029).

Grundsätzlich genügt die Mitwirkung eines abgelehnten Richters an einem früheren Verfahren, auch über den gleichen Sachverhalt, das zu einer der Partei ungünstigen Entscheidung geführt hat, nicht als Ablehnungsgrund (vgl. LG Darmstadt mit Zitaten von BAG, NJW 1993, 879; OLG Saarbrücken, OLGZ 1976, 469 m.w.N.). Hinzukommen müssen vielmehr besondere Gründe, die die begründete Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn der im Vorprozess tätige, nunmehr abgelehnte Richter am neuen Verfahren teilnimmt. So kann eine prozessrechtlich atypische Situation vorliegen, die ohne das Hinzutreten besonderer Umstände die Ablehnung gerechtfertigt erscheinen lassen (vgl. Zöller-Vollkommer a.a.O., § 42 Rn. 15, 17).

Im vorliegenden Fall kann eine derartige atypische prozessuale Situation, die - auch ohne Hinzutreten weiterer, in der Person des abgelehnten Richters begründeter Umstände - bei einer besonnen denkenden Partei bei vernünftiger Betrachtung die begründete Besorgnis der Befangenheit entstehen lassen kann, nicht bejaht werden. Die atypische Situation kann nämlich nach Auffassung des Senats nicht allein und immer dann schon angenommen werden, wenn der abgelehnte Richter mit der Sache, über die er nunmehr in einem summarischen Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (mit) zu entscheiden hat, vorbefasst war. Diese Situation kommt nicht selten vor, hat dem Gesetzgeber aber keine Veranlassung gegeben, sie ähnlich wie im Fall des § 41 Nr. 6 ZPO generell als Ausschlussgrund zu regeln. Selbst wenn man der weiten Auffassung des LG Darmstadt folgt, müssen weitere Gesichtspunkte hinzukommen, um eine atypische Prozesssituation annehmen zu können, die ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit im Regressprozess rechtfertigt.

Diese besondere Situation konnte das LG Darmstadt deswegen vertretbar annehmen, weil der Vorprozess im vereinfachten Verfahren gem. § 495 a ZPO geführt wurde und das Amtsgericht den nunmehrigen Antragsteller durch den nun abgelehnten Richter des Vorprozesses voll umfänglich verurteilt hatte. Im dann folgenden Verfahren hatte der Antragsteller Prozesskostenhilfe beantragt für eine Klage gegen den Antragsgegner auf Schadensersatz wegen anwaltlicher Pflichtverletzungen, die dieser im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit im Vorprozess begangen habe. Seinen Schadensersatzanspruch begründet der Antragsteller damit, dass der Antragsgegner in Verletzung seiner Anwaltspflichten es versäumt habe, erkennbare Fehler des Gerichts zu verhindern. Darüber hinaus hatte der Antragsteller den erkennenden Richter wegen Befangenheit abgelehnt. Die Ablehnung hatte der Antragsteller im wesentlichen damit begründet, dass der abgelehnte Richter beim beiordnungswilligen Anwalt Zweifel hinsichtlich der Bedürftigkeit des Antragstellers geäußert habe sowie mit dem Verhalten des abgelehnten Richters im Vorprozess. Der abgelehnte Richter habe trotz mangelnder Sachkenntnisse auf dem Gebiet der bautechnischen Wissenschaften bei der Entscheidungsfindung eigene Sachkunde zugrunde gelegt. Weiterhin habe der abgelehnte Richter in diesem Verfahren ein Beweisangebot übergangen und Zeugenbeweise unzutreffend gewürdigt. Desweiteren habe der abgelehnte Richter dem Antragsteller aufgrund eines Schriftsatzes die Strafverfolgung angedroht. Schließlich habe der abgelehnte Richter im Prozesskostenhilfeverfahren die Erfolgsaussichten des Haftungsprozesses gegen den Antragsgegner überprüfen müssen. Aus dieser Prozesssituation ergäbe sich eine "Interessenallianz" und der abgelehnte Richter würde zu einem Richter in eigener Sache. Diese Prozesssituation lasse eine Befangenheit als unabwendbar befürchten. Deshalb hatte das LG Darmstadt angenommen, dass wegen des Umstandes, dass in dem nunmehrigen Prozesskostenhilfeverfahren der abgelehnte Richter die Aussichten des Schadensersatzanspruches summarisch zu prüfen und dabei nicht nur über sein eigenes Urteil, sondern auch über sein eigenes Verhalten im Verlauf des Vorprozesses notwendigerweise zu befinden habe, die Annahme der Besorgnis der Befangenheit nicht verneint werden könne. Insbesondere der Umstand, dass die summarische Prüfung im Rahmen eines Prozesskostenhilfeantrages nicht die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Streitstoff voraussetze, setze den Richter einer prozesspsychologischen Situation aus, in der ihm nicht nur zugemutet werde, sich von seiner vorangegangenen endgültigen (weil nicht anfechtbaren) die Instanz beendenden Entscheidung zu distanzieren, sondern auch zu beurteilen, ob - was für eine Haftung des Rechtsanwalts vorausgesetzt werde - grobe und erkennbare Fehler bei seiner Rechtsfindung im Vorprozess vorlagen. In dieser Situation werde auch eine besonnene Partei bei vernünftiger Betrachtungsweise die Gefahr nicht ausschließen, dass ihr Antrag auf Prozesskostenhilfe für den Regressprozess an psychologischen, schwer fassbaren Momenten beim Richter, der zumindest erhebliche und erkennbare eigene Fehler bei der Rechtsfindung für möglich erachten müsse, scheitern könne (so LG Darmstadt a.a.O. mit Zitaten von Baur, in: Festschr. f. Larenz, S. 1063 [1073]; Stemmler, NJW 1974, 1045 f.; a.A., jedoch ohne Begr.: Stein-Jonas-Bork, ZPO, 20. Aufl., § 42 Rn. 10; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 53. Aufl., § 42 Rn. 25).

Eine solche atypische prozessuale Situation ist vorliegend erkennbar nicht gegeben. So hebt der Beschwerdeführer selbst ausdrücklich hervor, dass das bisherige Verhalten der abgelehnten Richter keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit gebe. Im hiesigen Vorverfahren handelte es sich auch nicht um ein Verfahren nach § 495 a ZPO ( Verfahren nach billigem Ermessen ), in welchem der Richter in der Verfahrensgestaltung weit gehend frei ist und bei dem die Entscheidung im Vorprozess im vom LG Darmstadt zu entscheidenden Fall unanfechtbar war. Vielmehr hat im vorliegenden Vorprozess ein Kollegialgericht entschieden. Die Entscheidung konnte mit der Berufung angefochten werden. Zudem hat das Kollegialgericht über den Prozesskostenhilfeantrag und den Rechtsstreit wohl auch nicht mehr in der gleichen Besetzung zu entscheiden. Jedenfalls eine Richterin scheint der Kammer nicht mehr anzugehören. Schließlich macht die Klägerin des hiesigen Verfahrens den den Vorprozess entscheidenden Richtern gerade nicht den Vorwurf, grobe Verfahrensfehler begangen zu haben, denen der Beklagte nicht in geeigneter Weise entgegengetreten sei. So ist das Berufungsverfahren dort auch nicht durchgeführt worden. Vielmehr wird der hiesige Regressprozess auf Beratungsfehler des Beklagten gegenüber der Zedentin der Klägerin gestützt, die sie zu einer kostenträchtigen, gleichwohl erfolglosen Prozessführung veranlasst hätten. Die unterschiedlichen Prozesssituationen im vom LG Darmstadt entschiedenen und dem hier zu entscheidenden Fall liegen auf der Hand. Die einzige Parallele liegt darin, dass das Befangenheitsgesuch im Prozesskostenhilfeverfahren des beabsichtigten Regressprozesses bezüglich des Vorprozesses gestellt worden ist. Dies reicht aber, wie oben bereits dargelegt nicht aus, um die begründete Besorgnis der Befangenheit annehmen zu können. Die "Interessenallianz" und "prozesspsychologische (Ausnahme)Situation" der abgelehnten Richter kann bei der vorliegenden "Normalsituation" nicht erkannt werden. Hierauf verweist auch die angegriffene Befangenheitsentscheidung des Landgerichts, welches auf die unterschiedlichen, zu beurteilenden Ausgangssituationen bezüglich der vorliegenden und der vom LG Darmstadt zu entscheidenden Fallkonstellationen hingewiesen hat. In der Annahme, dass der nähere Inhalt der vom Beklagten zitierten Entscheidung des LG Darmstadt diesem auch in seinen Einzelheiten bekannt war, bedurfte es einer detaillierten Wiederholung nicht.

Auch der Umstand, dass das Landgericht der vom Beklagten beantragten Aktenanforderung bislang nicht nachgekommen ist, rechtfertigt den Befangenheitsantrag nicht. Der Beklagte benötigt die von ihm genannten Akten, wie sich aus seinem Schriftsatz vom 30.03.2009 ( Blatt 83, 85 GA ) ergibt, um rechtserheblichen Vortrag dem Klagevorbringen entgegensetzen zu können. Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, einer Partei bei der Beschaffung ihres Prozessvortrags behilflich zu sein. Im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren der Klägerin ist nur ihr Vortrag auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Zum PKH-Antrag ist dem Beklagten rechtliches Gehör zu gewähren. Eine Erheblichkeitsprüfung seines Vortrags erfolgt noch nicht. Ob das entscheidende Gericht zur Schlüssigkeitsprüfung Beiakten beiziehen muss, obliegt seiner Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Ein den Beklagten einseitig belastendes, parteiisches Verhalten der abgelehnten Richter kann nicht festgestellt werden.

Dass ein Fall der direkten oder analogen Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO nicht gegeben ist, wird auch vom Beklagten nicht verkannt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Beschwerdewert: 26.779,00 € ( wie Hauptsache, vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 29. Auflage 2008, § 46 Rn. 2 )