OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.02.2009 - 16 B 839/08
Fundstelle
openJur 2011, 63159
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 L 634/08
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 6. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Berichterstatter kann im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 87a Abs. 2, Abs. 3 anstelle des Senats entscheiden.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung durch den Senat führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis. Die auf § 80 Abs. 5 VwGO gestützte Abwägung zwischen den beteiligten persönlichen und öffentlichen Interessen fällt zulasten des Antragstellers aus.

Die Klage des Antragstellers wird aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben. Die angefochtene Ordnungsverfügung vom 13. August 2008, mit der dem Antragsteller seine am 20. September 2005 ausgestellte polnische Fahrerlaubnis mit der Folge entzogen wurde, dass ihm das Recht aberkannt wurde, hiervon im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, ist offensichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Der Senat ist in vergleichbaren Fällen des sog. Führerscheintourismus bislang in ständiger Rechtsprechung von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgegangen und hat eine sog. reine Interessenabwägung vorgenommen, die in der Regel zum Nachteil des jeweiligen Antragstellers ausfiel, wenn nichts Überzeugendes für die Wiedererlangung der vormals entfallenen Fahreignung durch den Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis sprach.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. November 2005 - 16 B 736/05 -, DAR 2006, 43 = NWVBl. 2006, 103 = BA 2006, 333, vom 13. September 2006 - 16 B 989/06 -, Blutalkohol 43 (2006), 507 = VRS 111 (2006), 466, und vom 23. Februar 2007 - 16 B 178/07 -, NZV 2007, 266 = Blutalkohol 44 (2007), 265 = NWVBl. 2007, 346.

Aus den jüngsten Entscheidungen des EuGH zur wechselseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen in der Europäischen Gemeinschaft

EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C 329/06 und C-343/06 (Wiedemann u.a.) -, NJW 2008, 2403 = Blutalkohol 45 (2008), 225 = DÖV 2008, 723, und C-334/06 bis C-336/06 (Zerche u.a.), DAR 2008, 459

folgert der Senat nunmehr, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis in derartigen Fällen und so auch im Fall des Antragstellers sogar offensichtlich rechtmäßig ist.

Die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung des Antragsgegners ist zunächst nicht deshalb in Frage gestellt, weil es ihr gleichsam an einem Bezugsobjekt, das heißt einer im Inland gültigen ausländischen Fahrerlaubnis, mangelte.

So ausweislich der Pressemitteilung Nr. 83/2008 zumindest im Ergebnis auch BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 2008 - 3 C 26.07 und 3 C 38.07 -, veröffentlicht unter www.bundesverwaltungsgericht.de.

Die Bestimmung des § 28 Abs. 4 FeV, nach der die Berechtigung für Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland unter anderem dann nicht gilt, wenn der Inhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte (Nr. 2) oder wenn ihm zuvor im Inland eine Fahrerlaubnis von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist (Nr. 3), ist nicht anwendbar.

Anderer Ansicht aber Bayerischer VGH, Beschluss vom 7. August 2008 - 11 ZB 07.1259 -, Juris, sowie VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Juli 2008 - 10 S 1688/08 -, DAR 2008, 599 = Blutalkohol 45 (2008), 328, und Urteil vom 9. September 2008 - 10 S 994/07 -, DAR 2008, 660.

Die genannte Vorschrift ist nicht mit der vorliegend noch anzuwendenden Richtlinie 91/439/EWG vereinbar. Nach der für die Auslegung der Richtlinie maßgebenden Rechtsprechung des EuGH folgt aus dem Anerkennungsgrundsatz in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG eine klare und unbedingte Verpflichtung zur Anerkennung (EU- bzw. EWR-)ausländischer Fahrerlaubnisse ohne jede Formalität.

Vgl. etwa EuGH, Urteile vom 29. April 2004 - C-476/01 (Kapper) -, NJW 2004, 1725 = DAR 2004, 333 = NZV 2004, 373, und vom 26. Juni 2008 - C 329/06 und C-343/06 (Wiedemann u.a.) sowie C-334/06 bis C-336/06 (Zerche u.a.) -, jeweils aaO.

Diesem Geltungsanspruch wird nicht schon dadurch genügt, dass § 28 Abs. 5 FeV ein Antragsverfahren vorsieht und damit nach der Beseitigung der Gründe für die vormalige Fahrerlaubnisentziehung die Wiedererlangung des Rechts ermöglicht, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Denn dieses Antragsverfahren beruht gerade darauf, dass ausländischen Fahrerlaubnissen zunächst die Geltung abgesprochen wird, und stellt sich mithin als die Art von "Formalität" dar, die dem vom EuGH geforderten Anerkennungsautomatismus zuwiderläuft.

Vgl. EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C 329/06 und C-343/06 (Wiedemann u.a.) -, Rn. 61 f., sowie C-334/06 bis C-336/06 (Zerche u.a.), Rn. 58 f., jeweils aaO.; ähnlich auch schon Otte/Kühner, NZV 2004, 321 (328).

Nichts anderes folgt daraus, dass der Anerkennungsgrundsatz auch nach der Rechtsprechung des EuGH nicht unumschränkt gilt, sondern Ausnahmen für die Fälle des Missachtens einer inländischen Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis

vgl. EuGH, Urteile vom 29. April 2004 - C-476/01 (Kapper) -, aaO., und vom 26. Juni 2008 - C 329/06 und C-343/06 (Wiedemann u.a.) -, Rn. 65, sowie C-334/06 bis C-336/06 (Zerche u.a.), Rn. 62, jeweils aaO.; Beschluss vom 3. Juli 2008 - C-225/07

(Möginger) -, DAR 2008, 582 = Blutalkohol 45 (2008), 383

sowie für das Vorhandensein zweifelsfreier Hinweise auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis

vgl. EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C 329/06 und C-343/06 (Wiedemann u.a.) -, Rn. 64 ff., sowie C-334/06 bis C-336/06 (Zerche u.a.), Rn. 67 ff., jeweils aaO.

bestehen. Die angeführten Ausnahmen lassen sich nur durch eine Prüfung im Einzelfall feststellen. In deren Rahmen muss auch ermittelt werden, ob der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis zwischenzeitlich seine Fahreignung wiedererlangt hat. Eine fortdauernde Versagung der Anerkennung der ausländischen Fahrerlaubnis stößt im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf Bedenken, wenn - etwa durch die in solchen Fällen regelmäßig veranlasste aktuelle medizinischpsychologische Untersuchung - zutage tritt, dass die vormaligen Fahreignungszweifel gegen den Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis nicht mehr begründet sind. Das Erfordernis einer solchen einzelfallbezogenen Prüfung, deren Ergebnis nicht stets von vornherein abschätzbar ist, schließt es aus, die Ablehnung der Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ausgestellten Führerscheins - und damit auch die Erfüllung jedenfalls des objektiven Straftatbestandes des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21a StVG) - allein auf eine abstrakt- generelle Rechtsnorm wie § 28 Abs. 4 FeV zu gründen. Anderenfalls bliebe die Geltung der ausländischen Fahrerlaubnis in der Schwebe, bis eine ihre Gültigkeit auch im Inland bestätigende oder versagende Einzelfallentscheidung getroffen worden ist. Für den Betroffenen würde sich gegebenenfalls erst geraume Zeit nach dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis herausstellen, dass dieser von Anfang an keine Wirkung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zukam. Eine derartige Rechtsunsicherheit wäre weder mit rechtsstaatlichen Erwägungen noch mit den Intentionen bei der Schaffung europaweit geltender Fahrerlaubnisse zu vereinbaren, zumal einem solchen Rechtsverständnis kein Zuwachs an Verkehrssicherheit gegenüberstünde.

Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung der polnischen Fahrerlaubnis des Antragstellers sind die §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Nach diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn bei dem Betreffenden Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Eine solche Entziehung hat nach den §§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVG, 46 Abs. 5 Satz 2 FeV bei ausländischen Fahrerlaubnissen zur Folge, dass das Recht erlischt, von diesen im Inland Gebrauch zu machen.

Der Anwendung dieser nationalen Vorschriften auf den Fall des Antragstellers steht Europäisches Gemeinschaftsrecht, namentlich die Richtlinie 91/439/EWG, nicht entgegen. Nach Abs. 4 des Art. 8 Richtlinie 91/439/EWG kann es die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller seinen ständigen Wohnsitz hat, ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, gegen die zuvor in Deutschland eine Maßnahme nach Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 91/439/EWG ("Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis") angewandt wurde.

Die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 Richtlinie 91/439/EWG für eine solche Ablehnung liegen vor, da dem Antragsteller durch Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom 6. September 1991 die Fahrerlaubnis entzogen worden war und nachfolgende Bemühungen des Antragstellers um eine Neuerteilung in Deutschland ohne Erfolg geblieben sind.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist nicht aufgrund der vom EuGH in ständiger Rechtsprechung vorgegebenen engen Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG unzulässig. Der EuGH hat insoweit nach Jahren der Rechtsunsicherheit und unter teilweiser Abkehr von seiner vormaligen Rechtsprechung klargestellt, dass das Wohnsitzerfordernis nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG (auch) die Funktion hat, den verbreiteten sog. Führerscheintourismus zu bekämpfen, und dass die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdet werden könnte, wenn die Wohnsitzvoraussetzung in Bezug auf eine Person, auf die vormals eine Maßnahme nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG angewandt worden ist, nicht beachtet würde.

Vgl. EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C 329/06 und C-343/06 (Wiedemann u.a.) -, Rn. 69 und 71, sowie C-334/06 bis C-336/06 (Zerche u.a.), Rn. 66 und 68, jeweils aaO.; enger noch Urteil vom 29. April 2004 - C-476/01 (Kapper) -, aaO.

Die oben genannten Vorabentscheidungsverfahren betrafen jeweils tschechische Fahrerlaubnisse und waren jedenfalls in der Mehrzahl dadurch geprägt, dass dieser Ausstellerstaat zumindest bis zum Sommer 2006 das Wohnsitzerfordernis nicht geprüft und in die Kartenführerscheine den deutschen Wohnsitz der Führerscheinerwerber eingetragen hat. Der EuGH hat - unter nochmaliger Betonung der grundsätzlichen Anerkennungspflicht - entschieden, dass die Bestimmungen der Richtlinie 91/439/EWG einen Mitgliedstaat nicht zur Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis verpflichten, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins dessen Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte.

Das gleiche gilt zur Überzeugung des Senats jedenfalls auch dann, wenn aufgrund eines Eingeständnisses des Fahrerlaubnisinhabers oder aufgrund von ihm als eigene Verlautbarung zurechenbarer und trotz Kenntnis der Problemlage nicht substanziiert bestrittener Angaben mit derselben Sicherheit wie in den vom EuGH jüngst entschiedenen Fällen auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG geschlossen werden kann.

Diese Überzeugung wird durch die jüngsten Entscheidungen des EuGH getragen. Wenn überhaupt, können Zweifel nur wegen einer - allerdings nicht in den abschließenden Tenor übernommenen - Formulierung in den Gründen der Urteile vom 26. Juni 2008 (Rn. 72 der Rechtssache Wiedemann u.a., bzw. Rn. 69 der Rechtssache Zerche u.a.) aufkommen. So hat der EuGH ausgeführt, der sog. Aufnahmemitgliedstaat sei zu fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen berechtigt, wenn ein Verstoß gegen die Wohnsitzvoraussetzung "zwar nicht anhand von vom Aufnahmemitgliedstaat stammenden Informationen, aber auf der Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellerstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen" festzustellen sei. Dies kann so verstanden werden, dass Grundlage einer die Geltung der Fahrerlaubnis verneinenden Entscheidung des sog. Aufnahmemitgliedstaates nur vom Ausstellerstaat herrührende Informationen sein dürfen, nicht aber sonstige Informationen, auch wenn sie zu demselben klaren Schluss auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis führen. Ein derart enges Verständnis der Entscheidungsgründe würde aber nur dem Umstand Rechnung tragen, dass der EuGH die von ihm entschiedenen Verfahren als Ausschnitt einer Gruppe von Verfahren ansieht, in denen sich die Verletzung des Wohnsitzprinzips auf der Grundlage von vom Ausstellerstaat herrührenden Informationen ergibt. Als weiteres Kriterium hat der EuGH jedoch die "Unbestreitbarkeit" der Informationen als maßgeblich erachtet. Er hat dieses Kriterium nicht etwa als nachrangig im Verhältnis zur Herkunft der Informationen aus dem Ausstellerstaat angesehen. In Konsequenz daraus müssen aber auch bzw. erst Recht bestimmte "unbestrittene" Informationen verwertet werden dürfen, um einen Wohnsitzverstoß festzustellen. Das sind jedenfalls vom Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis zugestandene oder ihm als eigene Verlautbarung zurechenbare und trotz Kenntnis der Problemlage von ihm nicht substanziiert bestrittene Angaben.

Ähnlich VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. September 2008 - 10 S 2925/06 -, Juris, für den Fall, dass auch dem Ausstellerstaat die vom Betroffenen angegebenen, gegen die Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses sprechenden Erkenntnisse vorgelegen haben bzw. ihm bekannt waren oder bei ordnungsgemäßer Prüfung hätten bekannt sein müssen; vgl. auch den Vorlagebeschluss des VGH Baden-Württemberg vom 23. September 2008 - 10 S 1037/08 -, Juris; VG Kassel, Urteil vom 3. November 2008 - 2 K 991/08.KS -, veröffentlicht unter www.fahrerlaubnisrecht.de; in erster Linie auf die Einlassungen des Fahrerlaubnisinhabers stellt auch der BGH im Urteil vom 11. September 2008 - III ZR 212/07 -, NJW 2008, 3558 = Blutalkohol 45 (2008), 395, ab; anderer Ansicht OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 31. Oktober 2008 - 10 A 10851/08 -, Juris.

Es gibt keinen Grund, in Fällen offenkundiger Verstöße gegen die Wohnsitzvoraussetzung danach zu differenzieren, ob sich die Offenkundigkeit aus einem Dokument des Ausstellerstaates oder aus Verlautbarungen oder Verhaltensweisen des Fahrerlaubnisinhabers ergibt. Das Wohnsitzerfordernis und seine strikte Beachtung tragen mangels einer vollständigen Harmonisierung der materiellen Bestimmungen über die Fahrerlaubniserteilung zur Bekämpfung des auch vom EuGH als Missstand wahrgenommenen Führerscheintourismus bei. Der EuGH weist in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Generalanwalts in dessen Schlussanträgen ausdrücklich auf die Bedeutung des Wohnsitzerfordernisses für die Einhaltung der materiellen Standards bei der Führerscheinausstellung und damit für die Sicherheit des Straßenverkehrs hin. Dem ist einschränkungslos beizupflichten. Die in Rede stehenden Rechtsgüter - nicht nur das Abstraktum "Sicherheit des Straßenverkehrs", sondern Leib, Leben und Gesundheit einer nicht eingrenzbaren Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer - sind so gewichtig, dass in derartigen Fällen der Anerkennungsgrundsatz nach Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 91/439/EWG dahinter zurücktritt. Der unabdingbare Schutz dieser Rechtsgüter schließt es aber auch aus, bei jeweils übereinstimmendem Gefährdungspotenzial Zufälligkeiten wie der Herkunft der Informationen, aus denen zweifelsfrei die Europarechtswidrigkeit der ausländischen Fahrerlaubnis folgt, entscheidenden Raum zu geben. Die individuelle Schutzwürdigkeit von "Führerscheintouristen", die einen Scheinwohnsitz angeben und insoweit die ausländischen Fahrerlaubnisbehörden täuschen, ist nicht höher, sondern im Gegenteil geringer als die derjenigen Fahrerlaubnisbewerber, die wie die Kläger der Ausgangsverfahren zu den EuGH-Urteilen vom 26. Juni 2008 im Hinblick auf den Wohnsitz ehrlich gegenüber den ausländischen Behörden waren und deshalb (nur) einen Führerschein mit deutscher Wohnsitzangabe erhalten haben. Belange des Schutzes der Freizügigkeit von Unionsbürgern stehen ohnehin nicht zur Diskussion, wenn sich die Beziehungen des Betroffenen zum Ausstellerstaat auf die Schaffung eines Scheinwohnsitzes und die Erlangung einer europarechtswidrigen Fahrerlaubnis beschränkt haben. Schließlich vermag auch der dem Anerkennungsgrundsatz des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG innewohnende Aspekt der gegenseitigen Respektierung von Rechtsakten anderer Mitgliedstaaten keine Differenzierung nach den für den unbestreitbaren Nachweis des Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis heranzuziehenden Beweistatsachen oder Beweismitteln zu rechtfertigen. Denn der EuGH hat in den Urteilen vom 26. Juni 2008 zugelassen, dass die jeweiligen Fahrerlaubnisse wegen ihres rechtsfehlerhaften Zustandekommens aberkannt werden können; mit anderen Worten durfte die räumliche Geltung ausländischer Fahrerlaubnisse beschränkt werden, weil die betreffenden ausländischen Behörden das europäische Führerscheinrecht unrichtig angewandt hatten. Im Vergleich zu einem solchen Verdikt der flagranten Missachtung des Europarechts greift eine nachträgliche Geltungsbeschränkung von Fahrerlaubnissen weniger empfindlich in die Befugnisse und Verantwortlichkeiten des Ausstellerstaates ein, wenn dessen Fahrerlaubnisbehörde vom betreffenden Fahrerlaubnisbewerber über dessen Aufenthaltsverhältnisse getäuscht worden ist und davon ausgegangen werden kann, dass die Behörde ohne diese Täuschung selbst von der Fahrerlaubniserteilung Abstand genommen hätte.

Im Falle des Antragstellers ist in dem polnischen Führerschein zwar eine Adresse in Q. eingetragen. Der Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Wohnsitzerfordernis tritt jedoch aufgrund eigener Einlassungen bzw. eigenen Verhaltens des Antragstellers offen zutage. Der Antragsteller hat in seiner Einlassung gegenüber der Kreispolizeibehörde W. vom 15. Januar 2008 selbst angegeben, er habe sich im September 2005 lediglich eine Woche lang in Q1. aufgehalten, um dort täglich Fahrstunden zu nehmen. Während dieser Zeit habe er in einem Hotel gewohnt. Später sei er nur zur Ablegung der Prüfungen noch einmal nach Q1. gefahren. Damit hat er zugestanden, dass ein polnischer Wohnsitz nie bestanden hat. Auch im gerichtlichen Verfahren hat der Antragsteller im Übrigen zu keinem Zeitpunkt einen längeren als zum Erwerb der Fahrerlaubnis erforderlichen Aufenthalt in Q1. behauptet, geschweige denn nähere Angaben hierzu gemacht. Schließlich sind dem Antragsteller auch die melderechtlichen Erkenntnisse, die ganz wesentlich auf seinen eigenen Angaben gegenüber den Meldebehörden beruhen und ihm daher zuzurechnen sind, entgegenzuhalten. Danach ist der Antragsteller seit Oktober 2003 durchgehend unter seiner aktuellen Anschrift in N. gemeldet. Der lediglich kurze Polenaufenthalt des Antragstellers beim Erwerb des Führerscheins kann - neben dem fortwährenden Wohnsitz in Deutschland - keinen weiteren den Anforderungen der Richtlinie 91/439/EWG genügenden Wohnsitz in Q1. begründen. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG präzisiert den Begriff des ordentlichen Wohnsitzes dahingehend, dass er während mindestens 185 Tagen im Jahr - also mehr als der Hälfte des Jahres - bestehen muss. Daraus folgt, dass die innereuropäische Zuständigkeit für die Erteilung von Fahrerlaubnissen jeweils nur einem Staat zukommen kann und keine konkurrierenden Zuständigkeiten anerkannt werden. Dem entspricht, dass nach Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439/EWG jede Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein kann.

Es ist schließlich nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsteller inzwischen seine Fahreignung wiedererlangt hat. Nachdem ihm die Fahrerlaubnis 1991 wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung entzogen worden war, ist der Antragsteller in den Jahren 2000 und 2001 insgesamt siebenmal wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auffällig geworden. In diesem Zusammenhang hat ihn zuletzt das Amtsgericht W. durch Urteil vom 14. März 2002 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten zur Bewährung verurteilt. Weiterhin ist gegen ihn durch Entscheidung des Amtsgerichts W. vom 19. Dezember 2005 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz auf eine Geldstrafe erkannt worden. Durch die Häufigkeit der begangenen Straftaten sowie ihre Art und Schwere - insbesondere durch das wiederholte Fahren ohne Fahrerlaubnis - hat der Antragsteller eine erhebliche Verantwortungs- und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit an den Tag gelegt. Die darin zum Ausdruck kommende Gleichgültigkeit in Bezug auf die Beachtung der zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer und der Allgemeinheit erlassenen Rechtsvorschriften begründet Bedenken gegen seine Kraftfahreignung. Ohne den Nachweis einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit dieser negativen Grundeinstellung, die nicht zuletzt durch den Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis im Wege des sog. Führerscheintourismus in Frage steht, und einer nachhaltigen Verhaltensänderung kann die charakterliche Eignung des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeugs daher nicht angenommen werden. Die ihm vom Antragsgegner zu diesem Zweck eingeräumte Möglichkeit einer medizinischpsychologischen Begutachtung hat der Antragsteller jedoch nicht wahrgenommen. Allein der Umstand, dass der Antragsteller seit Erlangung der polnischen Fahrerlaubnis - soweit ersichtlich - ohne Beanstandung am Straßenverkehr teilgenommen hat, kann eine fachkundige Überprüfung seiner Fahreignung nicht ersetzen. Daraus ergibt sich schon nicht, dass insbesondere die vom Antragsteller in der Vergangenheit vielfach missachtete Einsicht, ohne Fahrerlaubnis im öffentlichen Straßenverkehr kein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, nunmehr hinreichend gefestigt ist. Im Übrigen kann auch eine mehrjährige Unauffälligkeit im Straßenverkehr auf der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung oder auf bloßem Zufall beruhen.

Stellt sich nach alledem die angefochtene Ordnungsverfügung als offensichtlich rechtmäßig dar, führt die vom Senat vorzunehmende Interessenabwägung zu einem eindeutigen Überwiegen der öffentlichen Belange. Die sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheids dient, wie ausgeführt, dem überragenden Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz höchstrangiger Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer. Das private Interesse des Antragstellers, vorläufig am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen zu können, muss demgegenüber zurückstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 sowie 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.